Vertrauen

Ethische Fragen und ihre rationale Begründbarkeit bewegen das philosophische Denken in einer Zeit, in der die Politik wieder über "Werte" debattiert und vertraute Grundlagen des politischen Handelns zur Disposition stehen.
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Jörn Budesheim
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Mo 16. Mär 2020, 18:16

Bei Facebook gesehen: der Forscher Gerald Hüther vergleicht Vertrauen mit einem dreibeinigen Hocker. Das eine Bein ist das Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten. Das zweite das Vertrauen, dass man es zusammen schafft. Und das dritte Bein ist eine Art Grundvertrauen, dass letztlich alles wieder gut wird.

Wie sieht es damit in der aktuellen Situation aus?

1) Worin besteht das Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten, wenn es darum geht, einem Virus zu widerstehen? Einem unsichtbaren Gegner?

2) Wie kann man die Idee, dass man es zusammen schafft, wieder stark machen?

3) Wie kann man den Glauben daran, dass alles wieder gut wird, zurückgewinnen - wenn er denn überhaupt weg ist, wenn eine Hiobsbotschaft auf die andere folgt?

Bitte nur konstruktive Vorschläge, wer gerne ätzen oder streiten will, findet bei Facebook genügend Gelegenheit dazu :)




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Schimmermatt
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1) Das lässt sich vermutlich am einfachsten bewerkstelligen. Ich kann mich gesund ernähren, joggen, nicht rauchen, etc. und damit das Zutrauen in meine Fähigkeiten, ein Virus "auszutoughen", steigern.

2) Das könnte über die Solidarität, die man in Teilen der Gesellschaft sehen kann, wenn zB Schüler, die derzeit ja nicht in die Schule können, für ältere Menschen einkaufen oder für Berufstätige auf kleine Kinder aufpassen, geschehen. So entsteht ein Gemeinschaftsgefühl, dass eine Krise zusammen bewältigt werden kann.

3) Das halte ich für am Schwierigsten (auch ganz persönlich). Es war nie alles gut, es wird nicht wieder gut, was einmal verloren ist, kommt so nie wieder. Bäume verlieren ihre Blätter, sie bekommen genau diese nie wieder zurück, sie müssen andere bilden. Menschen sterben und bleiben fort. Dies kann wohl nur mithilfe kollektiver Illusionen gelingen, die aggressiv und vorwärts verteidigt werden (müssen). Man darf diesem Zweifel auch kein Vokabular zubilligen. Der Optimismus muss an sich und gegen jede subversive Frage dogmatisch verfestigt werden. Wie im kölschen Karneval oder im American Dream.



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Stefanie
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Mo 16. Mär 2020, 22:46

Zu Punkt 1 bin ich etwas erstaunt, dass es darum geht, den Körper und die Gesundheit fitt zu machen. Diese Antworten gab es auf Facebook auch mehrheitlich. Mir gehen andere Fähigkeiten im Kopf rum. Nämlich, sich der Situation gedanklich anzupassen, um auf die Veränderungen angemessen reagieren zu können, Kreativität, Gelassenheit, die Fähigkeit eingefahrene, liebgewonnen Handlungen zumindest kurzweilig zu ändern usw. Der Virus geht ja nicht weg, er wird immer bleiben, also geht es darum, dass dieser Virus nicht auf Dauer unser Leben bestimmt.

Punkt 2
Miteinander reden. Zwar sind die sozialen Kontakte Angesicht zu Angesicht sehr eingeschränkt, aber wenn die sozialen Medien, das Telefon für was nützlich sind, dann für das. Wenn jeder und jede seine Sorgen und Ängste nicht kundtut, andere ihre Zuversicht nicht kundtun, entfernt man sich vielleicht noch weiter.

Punkt 3
Das Grundvertrauen ist noch da, wohl auch bei denen, die meinen es ist nicht Mehr da. Nur wie man es wieder zum Vorschein bringt, weiß ich gerade keinen Rat.



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Jörn Budesheim
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Stefanie hat geschrieben :
Mo 16. Mär 2020, 22:46
bin ich etwas erstaunt, dass es darum geht, den Körper und die Gesundheit fitt zu machen.
Dieser Punkt und der Punkt, den du machst, schließen sich ja nicht aus, man kann doch beides versuchen oder?




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Stefanie
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Di 17. Mär 2020, 18:30

Sicher kann man das.
Es ging doch um das Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten, oder? Fällt gesunde Ernährung unter Fähigkeiten? Das erstaunt mich.



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Jörn Budesheim
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Unser biologischer Körper hat die Fähigkeit in gewissem Maße Angreifer abzuwehren. Und wir können unseren Körper darin durch geeignete Ernährung oder mentales Training unterstützen. Das kann sicherlich keine Wunder bewirken, aber es ist bestimmt auch nicht ganz umsonst.




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Schimmermatt
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Ich hörte vor einer Woche den Vortrag des 75jährigen Psychologieprofessors Hilarion Petzold. Der hat so richtig aristotelisch auf die Körperlichkeit des Menschen, auch und gerade in den Bereichen, die wir Seele als Psyche, Logos als Vernunft, nennen, hingewiesen. Demnach ist es absolut nicht belanglos für eine freie Entfaltung der Potenziale, auf so etwas wie genug Vitamin D, 5 bis 10 km laufen jeden Tag und ähnliches hinzuweisen, sondern eher nicht genug beachtete Notwendigkeit für eine moderne Heilkunst. Der Mann ist selber Träger von Meistergraden in zwei Kampfsportarten, so etwas, so sagte er, kann man als Selbstvertrauen in viele andere Bereiche portieren und daher hält er zB Lauftherapie für unerlässlich.



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Friederike
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Do 19. Mär 2020, 15:32

Schimmermatt hat geschrieben :
Mo 16. Mär 2020, 22:03
3) Das halte ich für am Schwierigsten (auch ganz persönlich). Es war nie alles gut, es wird nicht wieder gut, was einmal verloren ist, kommt so nie wieder. Bäume verlieren ihre Blätter, sie bekommen genau diese nie wieder zurück, sie müssen andere bilden. Menschen sterben und bleiben fort. Dies kann wohl nur mithilfe kollektiver Illusionen gelingen, die aggressiv und vorwärts verteidigt werden (müssen). Man darf diesem Zweifel auch kein Vokabular zubilligen. Der Optimismus muss an sich und gegen jede subversive Frage dogmatisch verfestigt werden. Wie im kölschen Karneval oder im American Dream.
Die Zuversichtsfrage stellt sich im Leben jedes einzelnen Menschen öfter. Völlig unabhängig von dem, was "draußen", d.h. im gesellschaftlichen Leben oder im Leben anderer Menschen geschieht. In Klammern hast Du darauf hingewiesen.

Ich denke mir, wir stehen nur deswegen immer wieder und jeden Tag auf, weil wir hoffen. Es gibt aus meiner Sicht keinen anderen Beweggrund als diesen. Wir handeln, weil wir irgendwo im Hinter- oder Untergrund oder wo auch immer, davon ausgehen, daß es schon einmal irgendwann besser werden wird. Der pure Überlebenstrieb als Movens scheint mir nicht hinzureichen.

Die subversiven Fragen, gegen den der Optimismus dogmatisch verfestigt wird, halte ich daher nur für die Oberfläche, das, was sichtbar in Erscheinung tritt. Diese Aussage hast Du in Bezug auf die gesellschaftliche Ebene getroffen, ich weite sie aus auf das Leben jedes Einzelnen, weil diese Bewältigungsstrategie mir nicht unbekannt ist.




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Schimmermatt
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Do 19. Mär 2020, 15:55

Friederike hat geschrieben :
Do 19. Mär 2020, 15:32

Die subversiven Fragen, gegen den der Optimismus dogmatisch verfestigt wird, halte ich daher nur für die Oberfläche, das, was sichtbar in Erscheinung tritt. Diese Aussage hast Du in Bezug auf die gesellschaftliche Ebene getroffen, ich weite sie aus auf das Leben jedes Einzelnen, weil diese Bewältigungsstrategie mir nicht unbekannt ist.
Ich wünschte, ich könnte das auch - einerseits; andererseits rühme ich mich meiner Fähigkeit, an der "rosaroten Brille" vorbei zu blicken statt hindurch.

Du würdest also meine Antwort zu 3 quasi auch als Antwortzusatz zu 1 nehmen, eine interessante Blickrichtung!



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Friederike
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Do 19. Mär 2020, 16:12

Schimmermatt hat geschrieben :
Do 19. Mär 2020, 15:55
Du würdest also meine Antwort zu 3 quasi auch als Antwortzusatz zu 1 nehmen, eine interessante Blickrichtung!
Das würde bedeuten, die Fähigkeit (des Individuums) bestünde darin, sich selber zu beschubsen, denn Deine Formulierung "subversive Frage" sowie "dogmatisch verfestigter Optimismus" unterstellt den Zwang zur Unaufrichtigkeit.




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Schimmermatt
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Do 19. Mär 2020, 17:01

Ja, so seh ich das, Friederike.



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Friederike
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Do 19. Mär 2020, 17:31

Schimmermatt hat geschrieben :
Do 19. Mär 2020, 17:01
Ja, so seh ich das, Friederike.
Mir ist erst später eingefallen, daß Du diese Bewertung ja bereits bei der "aporet. E." deutlich gemacht hattest. Dort mit dem Wort, das sich genau so anfühlt wie es lautet: "flauschig".




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