Der Sinn des Lebens

Ethische Fragen und ihre rationale Begründbarkeit bewegen das philosophische Denken in einer Zeit, in der die Politik wieder über "Werte" debattiert und vertraute Grundlagen des politischen Handelns zur Disposition stehen.
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Jörn Budesheim
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rowohlt hat geschrieben : Dr. Nicolas Dierks, Jahrgang 1973, begeistert Menschen für neue Perspektiven – mit Vorträgen, Workshops, Büchern und in den sozialen Medien. Der promovierte Philosoph lebt in der Nähe von Lüneburg und gibt Seminare an der dortigen Leuphana Universität. Er berät Unternehmen, trinkt gerne guten Espresso und vermittelt Philosophie mit Leidenschaft und Humor. Er hat einen eigenen Blog, ist rege bei Facebook, Instagram und Twitter unterwegs, wird gerne zu Lesungen eingeladen und plant einen eigenen Podcast.
Auf Facebook entspann sich zwischen Nicolas Dierks und mir folgender kleine Dialog. Und wenn ich mich nicht völlig täusche, haben wir diesen Forum noch nicht intensiv über das Thema "Sinn des Lebens" gesprochen, vielleicht ist dies ein Anlass, das nachzuholen...
Nicolas Dierks hat geschrieben : "Der Sinn des Lebens" - ein Missverständnis?

Sollte die Frage nicht vielmehr sein: Was heißt es für mich, sinnvoll zu Leben?

Was wäre gewissermaßen auf die derzeitige Frage des Lebens an mich eine Antwort, die Sinn macht?

#Philosophie
Jörn Budesheim hat geschrieben : "Was heißt es für mich, sinnvoll zu leben" Ist das nicht ein bisschen solipsistisch? Sinn ist doch auch auf andere und die Realität bezogen. Wenn man den Sinn nur auf sich selbst bezieht, kann man schnell zum Don Quixote werden, oder?
Nicolas Dierks hat geschrieben : Ich glaube, das wäre ein Missverständnis (wenngleich es verbreitet scheint): Für mich sinnvoll zu leben kann ja heißen, dass mir nicht nur mein eigenes Wohlergehen wichtig ist, sondern auch das anderer. Vielleicht sogar wichtiger als das eigene. Doch zu stellen habe ich die Frage mir selbst.
Jörn Budesheim hat geschrieben : der Sinn des Vergleichs mit Don Quichotte war in etwa folgender: wenn man die Frage so versteht, dass im Grunde jede Antwort, die man geben kann, bereits den Sinn angibt, dann kann man schnell in einer Scheinrealität wie Don Quichotte geraten. Don Quichotte ist ja gewissermaßen eine Karikatur der Autonomie. Das Bild zeigt, dass sich Selbstbestimmung immer auch an Wirklichkeiten orientieren muss, um nicht in das Gegenteil umzuschlagen.
Nicolas Dierks hat geschrieben : Ach so, deshalb auch die Frage nach dem „Solipsismus“...aber ich sehe auch nicht, warum jemand, der die Frage stellt „Was heißt es für mich, sinnvoll zu leben?“ dadurch zum Solipsismus tendieren sollte. Don Quichotte scheint mir weniger ein Solipsist, sondern eher an romantisierenden Wahnvorstellungen zu leiden.
Jörn Budesheim hat geschrieben : es geht mir dabei nicht um Solipsismus schlechthin, sondern an diesem Zusammenhang angepasst um so etwas wie Sinn-Solipsismus. Denn das, was sinnvoll ist, hängt ja nicht einfach am Einzelnen.

Ich will vermeiden, dass man die Frage folgendermaßen versteht: "Frage DICH, was es für DICH heißt sinnvoll zu leben. Und was immer deine Antwort ist, das ist DEIN Sinn." Dann wäre Sinn etwas bloß subjektives. Und man könnte zwischen einem eingebildeten oder verfehlten Sinnverständnis und einem wirklichen nicht mehr unterscheiden. An Don Quichotte wäre dann gar nichts auffälliges mehr, er wäre dann einfach so wie jeder, der versucht, seinem Leben einen Sinn zu geben. Aber das, was Carola Rakete macht ist etwas ganz anderes als das was Don Quichotte macht.

Um ein krasseres Beispiel als Don Quichotte zu haben: man müsste dann auch den schlimmsten Verbrechern zugestehen, ein sinnvolles Leben geführt zu haben, weil sie ja für sich selbst eine Antwort auf die Sinnfrage gefunden haben.
Jörn Budesheim hat geschrieben : man kann sich z.b. folgende Frage stellen: ist das, wozu ich mich entschieden habe sinnvoll, weil ich mich dazu entschieden habe. Oder habe ich mich dazu entschieden, weil es sinnvoll ist? Das erste wäre Solipsismus - in dem Sinn, wie ich es hier verwendet und gemeint habe.
Nicolas Dierks hat geschrieben : Danke für die Klärungen - sie erinnern mich etwas an Wittgensteins Bemerkungen zur „privaten Sprache“. Das passt insofern, weil ich das „sinnvolle Leben“ durchaus ähnlich auffassen will wie „sinnvolle Äußerung“. In diesem Sinne stimme ich dir zu, dass auch die Sinnfrage keine „Humpty Dumpty-Antwort“ erlaubt. Allerdings stellt all das (und Wittgenstein) ja nicht die Autorität der ersten Person in Frage. Das müssten wir jetzt aufdröseln und könnten etwa bei den sozialen und realen Bedingungen dieser Autorität landen - die vielleicht sogar eine normative Einschränkung der konsistent vertretbaren Auffassungen sinnvoller Lebensweisen begründen. Das wäre viel!
Jörn Budesheim hat geschrieben : stimmt, die Autorität der ersten Person kann nicht völlig in Frage stehen. Aber man kann natürlich auch falsche Ansichten über sich selbst haben, so dass nicht jeder Entwurf für das eigene Leben ein angemessener ist.
Nicolas Dierks hat geschrieben : Natürlich können wir uns über uns selbst irren. Autorität der ersten Person meint ja etwa, dass zb wenn wir Schmerzen haben uns nicht darin irren, wessen Schmerzen wir haben.
Jörn Budesheim hat geschrieben : ich finde, auch hier können wir uns irren, aber das ist natürlich ein anderes Thema. Nur kurz: wir können uns natürlich nicht in dem "phänomenalen Aspekt" irren, wenn wir Schmerz fühlen, dann ist dieses Fühlen da. Aber darin erschöpft sich Schmerz ja nicht, denn Schmerz besagt ja etwas. Und hier gibt es Irrtummöglichkeiten. man denke etwa an das gummihand Experiment: da wo wir die Hand fühlen und wo sie von Messer getroffen "schmerzt", ist gar keine Hand :)
Wenn ich Nicolas Dierks richtig verstanden habe, ist er der Ansicht, dass die Frage nach dem "Sinn des Lebens" ein Art Missverständnis sein könnte. Statt dessen sollte die Frage vielmehr sein: "Was heißt es für mich, sinnvoll zu Leben?"

Was meint ihr?




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NaWennDuMeinst
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So 4. Okt 2020, 13:12

Jörn Budesheim hat geschrieben :
So 4. Okt 2020, 09:53
Was meint ihr?
Zu was? Zum Gespräch zwischen Dir und Dierks, oder zum "Sinn des Lebens"?

(Ich frage mich gerade, ob es auch noch eine dritte Möglichkeit gibt die Frage zu beantworten, nämlich in der Art, dass die Frage falsch ist. Es gibt keinen Sinn des Lebens. Wir leben einfach).



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Jörn Budesheim
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So 4. Okt 2020, 13:22

NaWennDuMeinst hat geschrieben :
So 4. Okt 2020, 13:12
Zum Gespräch zwischen Dir und Dierks, oder zum "Sinn des Lebens"?
Einfach wie du magst :)




Burkart
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So 4. Okt 2020, 17:03

Also letztlich muss sich jeder selbst über den/einen Sinn seines Lebens klar werden oder ihm zumindest unbewusst folgen.

Man kann natürlich auf höhere Werte schauen, dass man z.B. gut leben soll (um nicht in die Hölle zu kommen oder um im nächsten Leben ein besseres Wesen sein zu können oder so), aber das sind dann irgendwie vorgegebene Werte, denen man natürlich zustimmen kann, aber eben nicht muss.

Oder man kann sich die Menschheit anschauen und hoffen, dass ein Sinn in ihrem (guten) Weiterbestehen ist, ob nun durch eigene Kinder oder auch sonst.

Also den klaren einen, zwingenden Sinn des Lebens sehe ich nicht, insbesondere wenn ich die Leute sehe, die vor allem egoistisch gut leben wollen, z.B. auf Kosten der Umwelt.



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Jörn Budesheim
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So 4. Okt 2020, 17:19

Burkart hat geschrieben :
So 4. Okt 2020, 17:03
Also letztlich muss sich jeder selbst über den/einen Sinn seines Lebens klar werden oder ihm zumindest unbewusst folgen.
Gemäß meinem Beispiel weiter oben, hat dann nach deiner Ansicht auch der gewalttätigste Verbrecher ein sinnvolles Leben geführt, wenn er es selbst so gewählt hat?




Burkart
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So 4. Okt 2020, 18:04

Jörn Budesheim hat geschrieben :
So 4. Okt 2020, 17:19
Burkart hat geschrieben :
So 4. Okt 2020, 17:03
Also letztlich muss sich jeder selbst über den/einen Sinn seines Lebens klar werden oder ihm zumindest unbewusst folgen.
Gemäß meinem Beispiel weiter oben,
Den langen Dialog habe ich nicht durchgelesen, ich bin nur auf die Frage nach dem Sinn selbst eingegangen.
hat dann nach deiner Ansicht auch der gewalttätigste Verbrecher ein sinnvolles Leben geführt, wenn er es selbst so gewählt hat?
Wenn der Verbrecher für sich den Sinn darin sieht, ja. Wenn nicht, hat er den richtigen für sich nicht gefunden.

Es ist halt davon zu unterscheiden, ob man den Sinn allgemeiner bzw. abstrakter ansieht anstatt nur für die Person selbst.
In diesem Sinne hat er natürlich keinen vernünftigen Sinn des Lebens gehabt.



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So 4. Okt 2020, 18:07

Burkart hat geschrieben :
So 4. Okt 2020, 18:04
Den langen Dialog habe ich nicht durchgelesen, ich bin nur auf die Frage nach dem Sinn selbst eingegangen.
Na dann :)




Burkart
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So 4. Okt 2020, 23:11

Ich kann euren Dialog nicht recht nachvollziehen.
Kannst du den Kern eurer beiden Positionen kurz darstellen bzw. eure Differenz?

Und was kann man gegen NWDMs einfache Option "Es gibt gar keinen Sinn" überhaupt sagen?



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Mo 5. Okt 2020, 01:19

Burkart hat geschrieben :
So 4. Okt 2020, 23:11
Und was kann man gegen NWDMs einfache Option "Es gibt gar keinen Sinn" überhaupt sagen?
Nun, ein Einwand wäre zum Beispiel, dass das ein wenig an der menschlichen Realität vorbeigeht.
Die meisten Menschen entwickeln im Laufe ihres Lebens den Wunsch ihrem Leben einen Sinn zu geben.
Ich vermute das hat was damit zu tu, dass unsere Lebensspanne begrenzt ist.
Hinter der Suche nach dem Sinn des Lebens steckt vielleicht auch die Angst oder Befürchtung es sinnlos zu vergeuden.
Das ist alles noch Psychologie. Aber wenn man sich diese Fragen einmal gestellt hat, dann ist die Suche nach Antworten natürlich hochphilosophisch.
Möchte ich ein gutes Leben leben? Und was heißt überhaupt Gut? Möchte ich, dass man sich an mich erinnert? Möchte ich etwas von mir weitergeben, damit es erhalten bleibt, nach meinem Tod (in gewisser Weise der Versuch Unsterblichkeit zu erlangen)? Und ist der Tod überhaupt das Ende, oder ist das was wir Leben nennen nur eine Etappe (dann wäre auch der Sinn dieser Etappe ganz anders zu bestimmen), usw.

Manche Menschen haben vielleicht auch Schwierigkeiten mit der Vorstellung, dass unsere Existenz nur Zufall ist. Sie stellen dem den Glauben entgegen, dass wir aus einem bestimmten Grund hier sind. Dann ist uns der Sinn unseres Lebens (unsere Bestimmung) mit in die Wiege gelegt, und wir streben dann danach unser Leben in diesem Sinne zu führen.

Die Suche nach dem Sinn kann auch aus dem Wunsch nach einer (sinnvollen) Aufgabe geboren sein. Wenn alle (leiblichen) Bedürfnisse erfüllt sind, was dann?
Wie fülle ich meine freie Lebenszeit aus, also die Lebenszeit in der ich nicht damit beschäftigt bin für mein leibliches Wohl zu sorgen?
Auch der Intellekt möchte befriedigt werden.

Und vielleicht begegnen wir auch anderen Menschen und ihrer Lebensplanung und fühlen uns inspiriert?

Und einige wenige glauben vielleicht auch, dass es keiner Frage nach dem Sinn und keines Plans im Leben bedarf. Einfach nur zu leben, und irgendwann abzutreten, ist genug.
Ich vermute aber die meisten werden sich damit nicht zufrieden geben. Die meisten Menschen erwarten mehr vom Leben.



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Mo 5. Okt 2020, 01:58

Jörn Budesheim hat geschrieben :
So 4. Okt 2020, 17:19
Burkart hat geschrieben :
So 4. Okt 2020, 17:03
Also letztlich muss sich jeder selbst über den/einen Sinn seines Lebens klar werden oder ihm zumindest unbewusst folgen.
Gemäß meinem Beispiel weiter oben, hat dann nach deiner Ansicht auch der gewalttätigste Verbrecher ein sinnvolles Leben geführt, wenn er es selbst so gewählt hat?
Ehrlich gesagt verstehe ich das nicht. Wenn ich jedem Menschen zugestehe, seinen Sinn im Leben selbst zu suchen (und ihm auch wünsche, dass er ihn findet), dann muss ich doch nicht gleichzeitig auch meinen, dass jeder denkbare Plan, den sich ein Mensch vom Leben macht, auch für alle anderen Menschen sinnvoll ist!?

Papa zu Tochter: "Jetzt bist Du achtzehn Jahre alt. Was fängst Du nun also mit Deinem Leben an?"
Tochter: "Ich möchte Prostituierte werden".
Papa: " Was?"
Tochter: "Naja, ich sehe den Sinn meiner Existenz darin anderen Menschen mit meinem Körper leibliche Freuden zu bereiten."
Papa: "Irgendwie hätte ich mir für Dich etwas anderes vorgestellt, aber wenn das Dein Wunsch ist...".

Aber wie ist das nun: Wenn der Papa seiner Tochter zugesteht ihr Leben selbst mit dem Sinn zu füllen den sie möchte, heißt das dann gleichzeitig, dass der Papa meinen muss Prostitution sei eine sinnvolle Lebensbeschäftigung?
Und muss man hier nicht auch aufpassen, dass man Sinn nicht mit Moral verwechselt? Wenn ein Verbrecher sagt sein Leben war sinnvoll (von einem von ihm bestimmten Sinn erfüllt), dann sagt er ja damit noch lange nicht, dass es auch ein (im moralischen Sinne) gutes Leben war.
Also ich frage mich, ob man Sinn und Moral nicht getrennt betrachten müsste.



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Jörn Budesheim
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Mo 5. Okt 2020, 06:09

NaWennDuMeinst hat geschrieben :
Mo 5. Okt 2020, 01:58
Ehrlich gesagt verstehe ich das nicht. Wenn ich jedem Menschen zugestehe, seinen Sinn im Leben selbst zu suchen (und ihm auch wünsche, dass er ihn findet), dann muss ich doch nicht gleichzeitig auch meinen, dass jeder denkbare Plan, den sich ein Mensch vom Leben macht, auch für alle anderen Menschen sinnvoll ist!?
Der Plan von Carola Rackete wäre z.b. für mich keine sinnvolle Möglichkeit, schätze ich. Das heißt, ich unterstelle gar nicht, dass jeder denkbare Plan, den sich ein Mensch vom Leben macht, auch für alle anderen Menschen sinnvoll ist. Im Gegenteil! Eine der Beschränkungen ist die Wirklichkeit der Person, die den Plan fasst. Denn der Plan sollte ja in irgendeiner Art und Weise mit der Wirklichkeit dieser Person "harmonieren". Es es sollte ein angemessener Sinn für genau diese Person sein.

Nicolas Dierks drückt es so aus: "In diesem Sinne stimme ich dir zu, dass auch die Sinnfrage keine „Humpty Dumpty-Antwort“ erlaubt."




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Mo 5. Okt 2020, 09:21

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Mo 5. Okt 2020, 06:09
NaWennDuMeinst hat geschrieben :
Mo 5. Okt 2020, 01:58
Ehrlich gesagt verstehe ich das nicht. Wenn ich jedem Menschen zugestehe, seinen Sinn im Leben selbst zu suchen (und ihm auch wünsche, dass er ihn findet), dann muss ich doch nicht gleichzeitig auch meinen, dass jeder denkbare Plan, den sich ein Mensch vom Leben macht, auch für alle anderen Menschen sinnvoll ist!?
Der Plan von Carola Rackete wäre z.b. für mich keine sinnvolle Möglichkeit, schätze ich. Das heißt, ich unterstelle gar nicht, dass jeder denkbare Plan, den sich ein Mensch vom Leben macht, auch für alle anderen Menschen sinnvoll ist. Im Gegenteil! Eine der Beschränkungen ist die Wirklichkeit der Person, die den Plan fasst. Denn der Plan sollte ja in irgendeiner Art und Weise mit der Wirklichkeit dieser Person "harmonieren". Es es sollte ein angemessener Sinn für genau diese Person sein.

Nicolas Dierks drückt es so aus: "In diesem Sinne stimme ich dir zu, dass auch die Sinnfrage keine „Humpty Dumpty-Antwort“ erlaubt."
Na, das ist sowieso klar. Eine Karriere als erfolgreicher Sänger auf der Bühne kommt für mich nicht in Frage, weil ich einfach nicht singen kann.
Aber mir ging es um die Frage mit dem Verbrecher. Wenn der Verbrecher sagt sein Sinn im Leben sei es Verbrechen zu begehen, dann können wir das doch als gültigen Sinn anerkennen, ohne dass wir das auch als ein moralisch guten Sinn anerkennen müssen oder?
"Sinnvoll" heiß doch erstmal nur so viel wie "mit Sinn gefüllt". Ob das dann von der moralischen Warte aus betrachtet ein guter Sinn ist, ist doch eine andere Frage. Meine ich.
Die Frage ob Jemand ein gutes Leben geführt hat ist eine andere als die Frage ob sein Leben einen Sinn hatte.



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Burkart
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Mo 5. Okt 2020, 18:46

Nach dem Sinn des Lebens zu fragen macht für mich nur Sinn, wenn man klarer meint, was damit gemeint ist, ansonsten kann jeder reininterpretieren, was er will, was leicht zu Missverständnissen führt.

*Den* objektiven Sinn des Lebens kann es aus einer rein materiellen Sicht (die Welt sei hier alles, Lebewesen nur materielle Teile von ihr) nicht geben.

Für eine andere Sicht brauchen wir Leben.
- Geht es hier nun "nur" um persönliche? Dann kann man sich einen Sinn selbst schaffen (der sehr beliebig sein kann), ihn sich abschauen, sich irgendwo durch beeinflussen oder überzeugen lassen...
- Oder geht es einen allgemeineren? Dann wird man wohl schauen, was für die Gesellschaft sinnvoll ist u.ä. Hier werden Verbrecher sicherlich nicht als sinnvoll Lebende gesehen werden.
- Manchmal schauen wir auch auf Andere und sehen ihren (erkennbaren) Sinn als gut oder weniger gut an - als ob wir über einzelne Menschen in der Hinsicht richten sollten...

Falls hier jemand an KI denkt: Ihren zentralen Sinn können wir gerne festlegen ("pro Mensch" u.a. ggf.).



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Jörn Budesheim
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Mo 5. Okt 2020, 20:04

NaWennDuMeinst hat geschrieben :
Mo 5. Okt 2020, 09:21
Die Frage ob Jemand ein [moralisch] gutes Leben geführt hat ist eine andere als die Frage ob sein Leben einen Sinn hatte.
Weiß ich nicht.

Zwei Personen werden nach dem Sinn in ihrem Leben gefragt. Beide sagen, dass ihr Leben einen tiefen Sinn hatte. Als man sie fragt, was sie mit ihrem Leben gemacht haben, stellt sich heraus, dass die eine Person ein Massenmörder war und die andere Personen als Arzt und Entwicklungshelfer viele Leben gerettet hat.

Ich meine, der Massenmörder, falls es solche Massenmörder jemals geben sollte, sitzt einer Illusion auf (gelinde gesagt) - das kann man nicht bezweifeln, finde ich.




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Mo 5. Okt 2020, 20:16

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Mo 5. Okt 2020, 20:04
NaWennDuMeinst hat geschrieben :
Mo 5. Okt 2020, 09:21
Die Frage ob Jemand ein [moralisch] gutes Leben geführt hat ist eine andere als die Frage ob sein Leben einen Sinn hatte.
Weiß ich nicht.

Zwei Personen werden nach dem Sinn in ihrem Leben gefragt. Beide sagen, dass ihr Leben einen tiefen Sinn hatte. Als man sie fragt, was sie mit ihrem Leben gemacht haben, stellt sich heraus, dass die eine Person ein Massenmörder war und die andere Personen als Arzt und Entwicklungshelfer viele Leben gerettet hat.

Ich meine, der Massenmörder, falls es solche Massenmörder jemals geben sollte, sitzt einer Illusion auf (gelinde gesagt) - das kann man nicht bezweifeln, finde ich.
Kannst du differenzieren zwischen rein persönlichen Zielen und eher allgemein anerkannten Zielen?
Nach letzteren magst du recht haben, nach ersteren nicht (unbedingt).
Z.B. kann ich mir IS-Leute vorstellen, die Andersgläubige abschlachten; die wissen schon, was sie wollen und haben ihre Ziele, die wir natürlich verabscheuen.



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Mo 5. Okt 2020, 20:36

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Mo 5. Okt 2020, 20:04
Ich meine, der Massenmörder, falls es solche Massenmörder jemals geben sollte, sitzt einer Illusion auf (gelinde gesagt) - das kann man nicht bezweifeln, finde ich.
Hm. Eine Illusion in Bezug auf was? Dass sein Leben einen Sinn hatte, oder dass er sich an dem moralisch Guten orientiert hat?
Das ist es was ich meine: Ich finde das sind zwei verschiedene Fragen. Muss es denn der Sinn meines Lebens sein, mich moralisch gut zu verhalten?
ich denke nicht, dass das zwingend so sein muss.
Das ist zwar schwer zu verstehen, aber Jemand könnte seinen Lebenssinn auch darin sehen den Bösewicht zu mimen.
Das ist im Übrigen auch schon eine tief philosophische Frage, nämlich die Frage nach Balance. Jemand könnte seinen Sinn darin sehen, die andere Seite der selben Medaille des Lebens zu sein.

Davon abgesehen gebe ich Dir aber recht. Ich würde so Jemanden sicher auch nicht bescheinigen wollen, dass er eine gute Wahl getroffen hat.
Und wenn man jetzt zu lebenslanger Haft verurteilte Mörder fragt, ob es das nun wert war, sagen wohl die wenigsten dass sie das alles nochmal genau so tun würden.
(Ich habe mal einen Bericht über Amerikaner in der Todeszelle gesehen. Die waren - bis auf ein paar verwirrte Ausnahmen - eigentlich alle der Meinung, dass sie einen schweren Fehler begangen haben)



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Mo 5. Okt 2020, 20:53

NaWennDuMeinst hat geschrieben :
Mo 5. Okt 2020, 20:36
Eine Illusion in Bezug auf was?
In Bezug auf die Ansicht, dass er ein sinnvolles Leben hatte.




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Di 6. Okt 2020, 21:46

Sartre hat geschrieben : wählen, dies oder das zu sein, heißt gleichzeitig, den Wert dessen, was man wählt, zu bejahen.




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Fr 2. Apr 2021, 20:49

"Dieser Sinn des Lebens wird zugleich als die Kraft angesehen, welche den einzelnen Menschen dann auch Schicksalsschläge ertragen lässt. Dabei ist der Lebenssinn immer an die Biographie geknüpft. Das bedeutet, dass die Frage, ob das Leben sinnvoll für jemanden ist oder nicht, immer nur von der betroffenen Person beantwortet werden kann: 'Der Lebenssinn wird individuell erlebt, ist persönlich biographisch gebunden und bleibt es auch durch alle ihn verändernden Lebensphasen und Lebenssituationen hindurch.' (Hefti-Schaffer)"

(in: Nadine Heinkel, Suizid als philosophisches Problem)

Wenn die Frage, ob das Leben sinnvoll für jemanden ist oder nicht, immer nur von der betroffenen Person beantwortet werden kann, dann müssten wir absurderweise einem Massenmörder zugestehen, ein sinnvolles Leben geführt zu haben, für den Fall, dass er es selbst so empfindet. Das ist eine Konsequenz des Gesagten, die man unnötig akzeptieren kann. Oder?




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Fr 2. Apr 2021, 21:01

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Fr 2. Apr 2021, 20:49
"Dieser Sinn des Lebens wird zugleich als die Kraft angesehen, welche den einzelnen Menschen dann auch Schicksalsschläge ertragen lässt. Dabei ist der Lebenssinn immer an die Biographie geknüpft. Das bedeutet, dass die Frage, ob das Leben sinnvoll für jemanden ist oder nicht, immer nur von der betroffenen Person beantwortet werden kann: 'Der Lebenssinn wird individuell erlebt, ist persönlich biographisch gebunden und bleibt es auch durch alle ihn verändernden Lebensphasen und Lebenssituationen hindurch.' (Hefti-Schaffer)"

(in: Nadine Heinkel, Suizid als philosophisches Problem)

Wenn die Frage, ob das Leben sinnvoll für jemanden ist oder nicht, immer nur von der betroffenen Person beantwortet werden kann, dann müssten wir absurderweise einem Massenmörder zugestehen, ein sinnvolles Leben geführt zu haben, für den Fall, dass er es selbst so empfindet. Das ist eine Konsequenz des Gesagten, die man unnötig akzeptieren kann. Oder?
Würde ich nicht so sehen. Lediglich in dem Fall, wenn auch ich (man selbst) Massenmord als etwas Sinnvolles (im Sinne von: dem Leben einen Sinn gebend) verstehen würde. Man kann aber dennoch zugestehen, dass es für den Betreffenden einen Sinn ergeben mag. Den muss man aber nicht teilen.

Insofern dann wohl eine Frage der Akzeptanz, ja.




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