Das Sozialgefüge

Ursprünglich in der praktischen Philosophie beheimatet sind Theorien der Gesellschaft heute weitgehend von der Soziologie aufgegriffen worden.
Groot
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Sa 30. Okt 2021, 14:55

Nauplios hat geschrieben :
Fr 29. Okt 2021, 19:48
Daß Du ein Inhaltsverzeichnis beigegeben hast, ist gut. So findet man sich besser zurecht. Ich greife mal den einen oder anderen Punkt heraus Groot, an dem ich hängenbleibe. Dieses Hängenbleiben kann seine Gründe in der Zustimmung und Ergänzung haben, natürlich nur ganz selten in dem leisen Zweifel (s.o.) ;)

"Denn dem Diskurs geht es darum, Symbolwelten zu koordinieren." Sind mit diesen Symbolwelten die von Cassirer entfalteten kulturellen Symbolwelten (beispielsweise Wissenschaft, Kunst, Religion, Mythos usw.) gemeint? Den Namen Cassirer hat die Suchfunktion des PDF nicht gefunden. Mit Cassirer würde eine anthropologische Ebene eingezogen. Vielleicht ist das beabsichtigt, vielleicht auch nicht.
Ja vermutlich. Ich habe Cassirer noch nicht selbst gelesen; aber was ich gehört habe scheint es sowas zu sein. Aber diese Felder, die du aufzählst sind im Diskurs nicht interkulturell geprägt, sondern an eine Kultur gebunden; weshalb der Diskurs nicht hinreicht um die Makroebene soziologischen Beschreibens abzudecken.

Diese anthropologische Ebene ist zunächst wichtig; weil daraus das Sozialgefüge entsteht. Aber als solche bleibt die anthropologische Ebene nur Institutionengefüge, sozusagen nur Land und eben überlieferte Symbolebene. Als Sozialgefüge gibt es aber eine weitere Dimension neben dem Diskurs; nämlich die nicht-sprachliche sozialen Tatbestände (Verwaltung, nicht-institutionelle Interaktionen); ebenso wirkt die Handlung entweder sprachlich oder nicht-sprachlich, also entweder institutionell und normativ oder aber nicht notwendig dies.
Nauplios hat geschrieben :
Fr 29. Okt 2021, 20:22
"Denn auf der materiellen Seite hat sich der Markt unheilvoll in die Gesellschaft gefressen, die für diesen Stachel liebend gerne ihre Moral über Bord geworfen hat."

Du sprichst in dem Zusammenhang den Utilitarismus an. Adam Smith hatte von 1752 bis 1763 den Lehrstuhl für Moralphilosophie in Glasgow inne. Eines der Hauptwerke von Bentham trägt den Titel An Introduktion to the Principles of Morals and Legislation. Hier könnte eine Ideengeschichte der ökonomischen Vernunft noch archäologische Ausgrabungen machen. Vermutlich hat Luhmann dazu etwas geschrieben, ich bin mir aber auch nicht sicher.
Danke für den Hinweis! Das werd ich mir bei Gelegenheit mal ansehen. Ökonomische Geschichte ist immer spannend :D
Nauplios hat geschrieben :
Fr 29. Okt 2021, 20:43
"Denn während der Weg von der idealistischen Philosophie zur Soziologie gut abgesteckt scheint, ist andersherum eine Integration der philosophischen Handlungsebene ins soziologische System noch nicht gelungen."

Nun kommt ja in der "idealistischen Philosophie" der Andere als alter ego vor; er ist auch ein Ich, aber eben ein anderes. Man kann das noch bei Husserl sehen, bei dem es auch das alter ego gibt, auch Intersubjektivität, aber von dort aus geht es dann nicht so recht weiter. - Die moderne Gesellschaft als soziales System läßt sich in ihrer Komplexität nicht von einer Theorie der Intersubjektivität aus beschreiben. Denn Gesellschaft in ihren Funktionsweisen ist anderes als die Gesamtheit von Subjekten. Deswegen gibt Niklas Luhmann ja die Referenz auf das Subjekt, auf den Menschen u.ä. auf. -

Oder anders gesagt: Die "Integration der philosophischen Handlungsebene ins soziologische System" - das kann im Grunde gar nicht gelingen. ;)
Ich sehe deine Punkte. Ich will auch nicht das Individuum ins Zentrum rücken bei der Beschreibung von Gesellschaft. Man kann das so sehen, als ob die Ebene symbolischer Interaktion insgesamt dadurch geschaffen wird, dass Philosophen handeln. Aber genau diese damit einhergehende 3-Teilung in System, Lebenswelt und einem Ort, an dem das System in die Gegenwart und die damit einhergehende Lebsnwelt, hineinschwappen kann und gleichzeitig die vielen Einzelnen in dieser aufs System einwirken können. Denn aktuell steht immer nur Makro; also Kommunikation - oder aber Handlung, also Mikro als Basis der Soziologie. Aber eigtl. gilt es hier noch die Interaktionsebene einzuziehen, um mittels dieser auf die Differenz verweisen zu können, die entsteht, weil die Philosophie den Handlungsbegriff völlig überfrachtet.




Nauplios
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Sa 30. Okt 2021, 18:26

Die "Makroebene soziologischen Beschreibens" einerseits, die "anthropologische Ebene" andererseits, dazu noch die "Symbolebene" und die "Interaktionsebene" - das klingt nach einem mehrstöckigen Bauvorhaben, begleitet von einem mehrjährigen theoretischen Genehmigungsverfahren. Ich bin mir nicht ganz sicher, ob die philosophischen und soziologischen Großarchitekten und Statiker, deren Berechnungen dem Bau als Fundament dienen, ihn am Ende zur theoretischen Bewohnbarkeit freigeben. Aber es ist ja vorerst auch nur als Skizze gedacht. ;)

Als solche läßt sie allemal Verliebtheit ins Baumaterial erkennen.




Nauplios
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Sa 30. Okt 2021, 19:09

Noch eine Frage im Anschluß daran: Großtheoretiker wie Hegel für das 19. Jahrhundert, Luhmann u.a. für das 20. Jahrhundert haben "ihre Zeit in Gedanken gefaßt" beziehungsweise Ansprüche auf "Supertheorien", auf Epochenwandel u.ä. geltend gemacht. - Essayistik kann auch dicke Bücher schreiben, verzichtet aber auf den systematischen Wurf, bleibt im Fragmentarischen, ist ambiguitätsaffin. Sie verhält sich theoretischen Großformaten gegenüber oft bindungsunwillig, läßt sich ablenken, flaniert durch Denklandschaften mit dem Blick fürs Randständige und dem Ohr fürs Polyphone. - Hat das einen Reiz für Dich, Groot? ;)




Groot
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So 31. Okt 2021, 22:15

Nauplios hat geschrieben :
Sa 30. Okt 2021, 18:26
Die "Makroebene soziologischen Beschreibens" einerseits, die "anthropologische Ebene" andererseits, dazu noch die "Symbolebene" und die "Interaktionsebene" - das klingt nach einem mehrstöckigen Bauvorhaben, begleitet von einem mehrjährigen theoretischen Genehmigungsverfahren. Ich bin mir nicht ganz sicher, ob die philosophischen und soziologischen Großarchitekten und Statiker, deren Berechnungen dem Bau als Fundament dienen, ihn am Ende zur theoretischen Bewohnbarkeit freigeben. Aber es ist ja vorerst auch nur als Skizze gedacht. ;)

Als solche läßt sie allemal Verliebtheit ins Baumaterial erkennen.
Naja, man wird sehen, in wie weit die mir voraus liegenden Theoretiker, sich einpassen lassen ins Gefüge. :P
Aber ich bin positiv gestimmt. Ich denke aber, dass das laufen wird. Insbesondere bei Mead kann ich unglaubliche Übereinstimmungen finden. Wenn man bedenkt, dass Habermas darauf aufbaut und das Sozialgefüge auf der anderen Seite aus Kommunikation sich speist; also Parsons oder Luhmann oder Giddens sehr anschlussfähig sind.
Dazu lässt sich das "Einschalten" ins System eines Mead herrlich erfassen, wenn man den Zugang zu Sprachlichkeit darlegt, wie ihn die klassische Perspektive in Gadamer findet und diese Foucault und Derrida entgegen stellt. Aber auch die "Anschlussfähigkeit", die Luhmann sozialen Systemen unter legt, geht mit dem Sozialgefüge d'accord.

Naja, aber ja, es ist in den Kinderschuhen. Aber im Prinzip ist es schon eine Großtheorie. Weiß aber noch nicht genau wie komplex es werden muss; weil der Sache nach wird eine Entität in vorgefundene Theorie eingeführt, nicht eine ganze Theorie gegründet.

Essayistik ist sicher auch interessant. Aber ich weiß nicht, in wie weit das Sozialgefüge zu einer Großtheorie ausartet - wie orthodox also die Professorenriege der Soziologen die Theorien unterschieden und penibel differenziert wissen will. Sollte sich hier die Eklektik als gangbar darstellen, dann wird es keine Großtheorie. Aber ich las mal, diese sei verpöhnt, weswegen man vermutlich jeden einzelnen Schritt peinlichst genau ausbuchstabieren wird müssen. Aber das ist Zukunftsmusik, erstmal in Jena ankommen und dann mal sehen :P




1+1=3
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So 31. Okt 2021, 23:03

Ich finde es sehr interessant, fühle mich aber im Zusammenhang des Forums überfordert. Ich müsste viel eingehender darauf einsteigen, als ich es hier bewerkstelligen könnte.




Groot
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Mo 1. Nov 2021, 16:02

1+1=3 hat geschrieben :
So 31. Okt 2021, 23:03
Ich finde es sehr interessant, fühle mich aber im Zusammenhang des Forums überfordert. Ich müsste viel eingehender darauf einsteigen, als ich es hier bewerkstelligen könnte.
es freut mich zunächst schonmal, zu hören, dass es nicht total unverständlicher Kauderwelsch ist :D




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