Kinderarbeit

Ursprünglich in der praktischen Philosophie beheimatet sind Theorien der Gesellschaft heute weitgehend von der Soziologie aufgegriffen worden.
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AufDerSonne
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Di 4. Okt 2022, 22:08

Hallo Leute!
Heute einmal ein ganz unphilosophisches Thema.
Ich habe gerade eine Sendung im Fernsehen gesehen über Menschen in der Türkei, die Haselnüsse ernten müssen.
Haselnüsse, die dann bei uns in der Schokolade landen. Normalerweise reagiere ich nicht so auf die soziale Mitleidstour. Aber irgendwie ist das schon schräg.

Diese Haselnussarbeiter, ich glaube sie nannten sie Wanderarbeiter, sichern sich ihr Einkommen also mit Haselnüssen. Das Problem. Die Löhne sind viel zu tief und es müssen Kinder mithelfen, da das anders nicht geht.
Auch den Haselnussbäume-Besitzern, die die Arbeiter "anstellen", Vertrag gibt es ja nicht, also bezahlen, geht es nicht viel besser.
Wer macht also das Geld? Nun, die Großindustrie. Und die kaufen dort ein, wo es am billigsten ist, eben in der Türkei. Übrigens müssen diese Menschen auch viel zu lange arbeiten pro Tag, also zu viele Stunden.
Das würde hier gar niemand machen, schon von der Zeit her. Gut. Das Team vom Fernsehen, dass in den Zeltlagern dort drehte, wollte die Industrie fragen, ob sie das wissen mit den zu tiefen Löhnen und so.
Natürlich wollte da niemand ein Interview geben, auch sonst kaum Reaktionen. Es gibt auch so "Label", die garantieren sollten, dass ein Produkt ohne Kinderarbeit auskommt. Darauf kann man sich übrigens nicht verlassen.

Mir kam dann noch die Kakao-Ernte etwa in Afrika in den Sinn. Dort arbeiten wahrscheinlich so viele Kinder und die Löhne sind so tief, dass man das gar nicht mehr ernst nehmen kann. Was soll man tun?
Als Lösung kam mir in den Sinn. Es könnte ab sofort niemand mehr in Europa Produkte mit Nüssen drin kaufen. Natürlich auch ich nicht. Also keine Schokolade mehr, Freunde! Aber würde das etwas bringen?
Dann hätten ja diese Wanderarbeiter überhaupt kein Geld mehr?



Ohne Gehirn kein Geist!

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Eiwa
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Di 11. Okt 2022, 15:10

An sich ein wichtiges Thema. Ich habe sehr viele Gedanken dazu und fühle eine große Hilfslosigkeit.
Es gibt unzählige Produkte, die unter menschenunwürdigen Konditionen geerntet oder hergestellt werden, die alle zu boykottieren würde sich durchziehen... Keinen Bananen mehr, keinen Kakao, keinen Kaffee, keine Nüsse, kein Reis, keine Blumen und auch beim Kauf von Digitalem oder Kleidung muss man aufpassen (Um nur die Bekanntesten zu nennen).
Es geht aber nicht nur um die Masse der Dinge die man da nicht mehr kaufen könnte, es ist ja auch eigentlich eine "simple" wirtschaftliche Rechnung: Angebot und Nachfrage. Sinkt die Nachfrage werden die Preise (und damit auch "Einkommen", wenn man das überhaupt so benennen kann) vermutlich nochmals fallen.
Auf verschiedenste Label ist tatsächlich nicht zwingend Verlass, wie ich schon ein Paar Dokus entnehmen konnte. Erschreckend... Und traurig.

Ich habe mich oft in den Zusammenhang gefragt, gerade in einem Land wie Afrika, wo denn die ganzen Hilfen hingehen... Jedes Jahr um die Weihnachtszeit schauen uns traurige Kinderaugen von Plakaten an, mit einem Aufruf zum Spenden. Aber oftmals kommen die Spenden nicht an oder werden schlicht nicht richtig eingesetzt. Hier und da wird eine notdürftige Schule errichtet, die keineswegs die Gelder widerspiegelt, die dort hinfließen.
In all den Jahren sollte man doch meinen, dass sich die Situation verbessert, aber das tut sie keineswegs, die Zahl der Kinder, die ausgebeutet werden ist steigend (Laut UNICEF und ILO auf 160 Millionen, auch aufgrund aktueller Krisen, Covid, Kriege), ebenso die Armut steigt.
Ein Paar Gründe: Armut in Afrika
Auch interessant zum nachlesen: Teure Almosen für Afrika

Letztendlich läuft da sehr viel schief. Auch auf Regierungsebene.




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AufDerSonne
Beiträge: 1236
Registriert: Do 1. Sep 2022, 19:44

Di 11. Okt 2022, 16:54

Eiwa hat geschrieben :
Di 11. Okt 2022, 15:10
Ich habe mich oft in den Zusammenhang gefragt, gerade in einem Land wie Afrika, wo denn die ganzen Hilfen hingehen... Jedes Jahr um die Weihnachtszeit schauen uns traurige Kinderaugen von Plakaten an, mit einem Aufruf zum Spenden.
Also erst einmal, Afrika ist kein Land, es ist ein Kontinent. Das ist ja gerade ein Problem. In Afrika gibt es viele Länder, die sich zum Teil gegenseitig bekriegen.

Dann finde ich, ist diese Mitleidsmasche der Hilfswerke auch ein Problem. Weinende Kinder sind nicht eine gute Art, um auf die Probleme aufmerksam zu machen, finde ich.
Umgekehrt glaube ich nicht, dass die Hilfsgelder nichts bringen. Die werden schon richtig eingesetzt, denke ich. Das Problem muss an einem anderen Ort sein.

Ich stelle mir manchmal die Frage. Was könnte ich selbst denn tun? Tja, das ist gar nicht so einfach. Man ist ja in die europäische Gesellschaft integriert und kann nicht einfach so helfen.
Nach Afrika reisen mit ein paar Broten im Rucksack würde wohl nicht viel bringen.



Ohne Gehirn kein Geist!

Timberlake
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Registriert: Mo 16. Mai 2022, 01:29
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Do 13. Okt 2022, 02:48

AufDerSonne hat geschrieben :
Di 4. Okt 2022, 22:08
Hallo Leute!
Heute einmal ein ganz unphilosophisches Thema.
Ich habe gerade eine Sendung im Fernsehen gesehen über Menschen in der Türkei, die Haselnüsse ernten müssen.
Haselnüsse, die dann bei uns in der Schokolade landen. Normalerweise reagiere ich nicht so auf die soziale Mitleidstour. Aber irgendwie ist das schon schräg.

Um an einmal dazu doch ganz philosophisches zu werden, sei mir mal ein Zitat von Schopenhauer erlaubt ..
  • Jedes Individuum, indem es nach innen blickt, erkennt in seinem Wesen, welches sein Wille ist, das Ding an sich, daher das überall allein Reale. Demnach erfaßt es sich als den Kern und Mittelpunkt der Welt, und findet sich unendlich wichtig. Blickt es hingegen nach außen; so ist es auf dem Gebiete der Vorstellung, der bloßen Erscheinung, wo es sich sieht als ein Individuum unter unendlich vielen Individuen, sonach als ein höchst Unbedeutendes, ja gänzlich Verschwindendes. Folglich ist jedes, auch das unbedeutendeste Individuum, jedes Ich, von innen gesehn, Alles in Allem; von außen gesehn hingegen, ist es nichts, oder doch so viel wie nichts. Hierauf also beruht der große Unterschied zwischen Dem, was nothwendig Jeder in seinen eigenen Augen, und Dem, was er in den Augen aller Andern ist, mithin der Egoismus, den Jeder Jedem vorwirft. –
    In Folge dieses Egoismus ist unser Aller Grundirrthum dieser, daß wir einander gegenseitig Nicht-Ich sind. Hingegen ist gerecht, edel, menschenfreundlich seyn, nichts Anderes, als meine Metaphysik in Handlungen übersetzen.
    Schopenhauer ..Zur Ethik
Nach Schopenhauers Meinung ist das Grundproblem, dass diese Menschen in der Türkei Nicht-Ich sind. Um dennoch gegenüber diejenigen , die nicht ich sind , gerecht, edel, menschenfreundlich zu sein , bleibt uns nur , unsere Methaphysik in eben jene Handlungen zu übersetzten.
  • Sagen, daß Zeit und Raum bloße Formen unserer Erkenntniß, nicht Bestimmungen der Dinge an sich sind, ist das Selbe, wie sagen, daß die Metempsychosenlehre, »Du wirst einst als Der, den du jetzt verletzest, wiedergeboren werden und die gleiche Verletzung erleiden«, identisch ist mit der oft erwähnten Brahmanenformel Tat twam asi, »Dies bist Du«.
    Schopenhauer ..Zur Ethik
und was wäre dazu nicht geeigneter , als eine Metaphysik , nach der man dereinst als derjenige wiedergeboren wird , den man in der Türkei ,gerade in einer Sendung im Fernsehen , hat Haselnüsse ernten gesehen.» Dann bist du dieser Mensch«




Tishk
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Registriert: Sa 7. Jan 2023, 08:59

Di 21. Feb 2023, 20:57

AufDerSonne hat geschrieben :
Di 11. Okt 2022, 16:54
Ich stelle mir manchmal die Frage. Was könnte ich selbst denn tun? Tja, das ist gar nicht so einfach. Man ist ja in die europäische Gesellschaft integriert und kann nicht einfach so helfen.
Nach Afrika reisen mit ein paar Broten im Rucksack würde wohl nicht viel bringen.
Woher kommt dein Drang etwas zu tun?




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