Grenzen, offene Grenzen, keine Grenzen

Ursprünglich in der praktischen Philosophie beheimatet sind Theorien der Gesellschaft heute weitgehend von der Soziologie aufgegriffen worden.
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Jörn Budesheim
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Di 25. Feb 2025, 17:36

Wolfgang Endemann hat geschrieben :
Di 25. Feb 2025, 16:44
Gibt es etwas, das unbedingt "gut" (oder "schlecht") ist? Ich kenne nur Dinge, die in bestimmtem Maß, nur in bestimmten Kontexten gut oder schlecht sind, nicht absolut.
Grenzenlosigkeit ist gut, bedingt gut. Grenzen sind gut, bedingt gut. Also, was soll's? Wer hier einen absoluten Standpunkt einnimmt, sollte das beweisen, evident ist das Gegenteil.
Welches sind denn die Kontexte, in denen es beispielsweise bedingt gut ist, kleine Kinder zum Spaß zu foltern.

Relativismus ist keineswegs evident, sondern eine absolute Außenseiterposition. "Dass wir Menschen universelle moralische Werte miteinander teilen, lässt sich nicht nur durch handverlesene Anekdoten stützen, sondern auch mit rigorosen sozialwissenschaftlichen Methoden nachweisen." (Hanno Sauer)




Wolfgang Endemann
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Di 25. Feb 2025, 22:39

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Di 25. Feb 2025, 17:36


Welches sind denn die Kontexte, in denen es beispielsweise bedingt gut ist, kleine Kinder zum Spaß zu foltern.

Damit wird ein Extrem zum Normalfall gemacht. Es gibt ein paar solcher Fälle, in denen man kaum eine inverse Bedeutung erkennen kann. Allerdings würden viele Menschen sagen, daß es legitim, zumindest nachvollziehbar ist, einen Verbrecher zu foltern, um Menschen zu retten.
Das Beispiel mit kleinen Kindern, die aus Spaß gefoltert werden, ist Quatsch, denn "kleine Kinder" und "aus Spaß" sind ja Kontexte, in denen sich eine Akzeptanz von Folter absolut verbietet.




Timberlake
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Di 25. Feb 2025, 23:06

Wolfgang Endemann hat geschrieben :
Di 25. Feb 2025, 16:44
Gibt es etwas, das unbedingt "gut" (oder "schlecht") ist? Ich kenne nur Dinge, die in bestimmtem Maß, nur in bestimmten Kontexten gut oder schlecht sind, nicht absolut.
Grenzenlosigkeit ist gut, bedingt gut. Grenzen sind gut, bedingt gut. Also, was soll's? Wer hier einen absoluten Standpunkt einnimmt, sollte das beweisen, evident ist das Gegenteil.
Als ich das las, musste ich unmittelbar an Hegel bzw. Kant denken ...
  • "Das Maß
    Indem die Modalität unter den Kategorien des transzendentalen Idealismus nach der Quantität und Qualität, auf Einschiebung der Relation, aufgeführt wird, so kann derselben hier erwähnt werden. Diese Kategorie hat daselbst die Bedeutung, die Beziehung des Gegenstandes auf das Denken zu sein. Im Sinne jenes Idealismus ist das Denken überhaupt dem Ding- an-sich wesentlich äußerlich. Insofern die anderen Kategorien nur die transzendentale Bestimmung haben, dem Bewußtsein, aber als das Objektive desselben, anzugehören, so enthält die Modalität, als die Kategorie der Beziehung auf das Subjekt, insofern relativ die Bestimmung der Reflexion-in-sich; d.h. die Objektivität, welche den anderen Kategorien zukomme, mangelt denen der Modalität; diese vermehren, nach Kants Ausdruck, den Begriff als Bestimmung des Objekts nicht im mindesten, sondern drücken nur das Verhältnis zum Erkenntnisvermögen aus (Kritik der reinen Vernunft, 2. Aufl., s. S. 99, 266). – Die Kategorien, die Kant unter der Modalität zusammenfaßt, Möglichkeit, Wirklichkeit und Notwendigkeit, werden in der Folge an ihrer Stelle vorkommen; Kant hat die unendlich wichtige Form der Triplizität, sosehr sie bei ihm nur erst als ein formeller Lichtfunken erschienen, nicht auf die Gattungen seiner Kategorien (Quantität, Qualität usf.), wie auch diesen Namen nur auf deren Arten angewendet; daher hat er nicht auf das Dritte der Qualität und Quantität kommen können."
    Hegel ... Wissenschaft der Logik
... und zwar Grenzenlosigkeit unter dem Aspekt Modalität gedacht. Einer Modalität, die sich nach den Kategorien Quantität und Qualität bzw. Möglichkeit, Wirklichkeit und Notwendigkeit (Kant) bemisst. Somit sich zumindest für mich schon die Frage stellt, ob es bei der Abfolge "Grenzen, offene Grenzen, keine Grenzen" an eben jener Modalität mangelt. Weil das Objektive desselben angehörend ( Hegel) , es nicht vielmehr heißen müsste "Keine Grenzen, offene Grenzen, Grenzen"

bpb.de ... (Handwörterbuch des politischen Systems) hat geschrieben :
Staatsgebiet/Grenzen

Definition

Völkerrechtlich zeichnet sich ein Staat durch folgende Attribute aus: Staatsgebiet, Staatsvolk und Staatsgewalt. Das Staatsgebiet ist der räumliche Bereich, über den der Souverän Gebiets- oder Territorialhoheit besitzt und allein rechtmäßig Staatsgewalt ausüben kann. Alle im Staatsgebiet anwesenden Personen sowie alle dort befindlichen Sachen und Objekte sind der Staatsgewalt unterworfen. Somit umreißt das Staatsgebiet rechtlich jenen verfassungsrechtlich bestimmten Geltungsbereich, in dem auch ein Volk seine rechtliche und reale Existenz gefunden hat. Zum Staatsgebiet zählen das Landgebiet, eventuelle Exklaven, die inneren Gewässer, die Eigengewässer und das Küstenmeer. Zum 01.01.1995 hat D die Dreimeilenzone zugunsten der Zwölfmeilenzone verändert und damit seine Souveränität in der Nord- und Ostsee ausgedehnt. Insgesamt hat das deutsche Küstenmeer jetzt eine Ausdehnung von rd. 16.900 qkm. Das Staatsgebiet bezieht außerdem den Luftraum senkrecht über der und den Raum unter der Erdoberfläche ein. Das Staatsgebiet wird von Staatsgrenzen umgeben, die völkerrechtlich zwischen den angrenzenden Staaten in Form eines Grenzvertrages oder durch multilaterale Verträge festgesetzt werden.
Zumal sich ein Staat durch ein Staatsgebiet, ein Staatsvolk und eine Staatsgewalt und in Folge dessen durch Staatsgrenzen auszeichnet. Die Verwirklichung der Abfolge "Grenzen, offene Grenzen, keine Grenzen" käme damit defacto einer Abschaffung des Staates gleich. Wenngleich von daher , durch die Errichtung eines Weltstaates, durchaus vorstellbar.




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Quk
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Mi 26. Feb 2025, 06:00

Wolfgang Endemann hat geschrieben :
Di 25. Feb 2025, 22:39
... "kleine Kinder" und "aus Spaß" sind ja Kontexte, in denen sich eine Akzeptanz von Folter absolut verbietet.
Wodurch verbietet sich in diesen Kontexten eine Akzeptanz?




Pragmatix
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Mi 26. Feb 2025, 08:17

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Di 25. Feb 2025, 17:36
Wolfgang Endemann hat geschrieben :
Di 25. Feb 2025, 16:44
Gibt es etwas, das unbedingt "gut" (oder "schlecht") ist? Ich kenne nur Dinge, die in bestimmtem Maß, nur in bestimmten Kontexten gut oder schlecht sind, nicht absolut.
Grenzenlosigkeit ist gut, bedingt gut. Grenzen sind gut, bedingt gut. Also, was soll's? Wer hier einen absoluten Standpunkt einnimmt, sollte das beweisen, evident ist das Gegenteil.
Welches sind denn die Kontexte, in denen es beispielsweise bedingt gut ist, kleine Kinder zum Spaß zu foltern.

Relativismus ist keineswegs evident, sondern eine absolute Außenseiterposition. "Dass wir Menschen universelle moralische Werte miteinander teilen, lässt sich nicht nur durch handverlesene Anekdoten stützen, sondern auch mit rigorosen sozialwissenschaftlichen Methoden nachweisen." (Hanno Sauer)
Werte werden nicht erkannt, sondern durchgesetzt. Wir können feststellen, dass kulturübergreifend Geschwister keine Ehen eingehen, dass Morden oder die Geschlechterrollen kulturübergreifend ähnlich geregelt werden - was noch? Was teilen die Indigenen, die Chinesen, die Amerikaner, die Thailänder, die Inder, die Deutschen, was uns veranlassen könnte, politisch zum Ergebnis zu kommen, dass Kulturen durch die Aufgabe der Souveränität des Staates sich auflösen sollten? Mir scheint eher, dass die meisten Gruppen und Völker sich kulturübergreifend von jeher gerne gegen das Fremde, das Andere, gestemmt haben. Aber dass es zur Logik der materiellen Interessen des Westens, also vor allem der Profiteure und der Wohlständigen gehört, keine Grenzen zu haben, liegt in der Natur der Sache. Mir scheint der Kosmopolitismus, eher eine neokolonialistische Ideologie zu sein. Alle sollen so werden wie wir, nach unserer Façon glücklich werden.
Timberlake hat geschrieben :
Di 25. Feb 2025, 23:06


Zumal sich ein Staat durch ein Staatsgebiet, ein Staatsvolk und eine Staatsgewalt und in Folge dessen durch Staatsgrenzen auszeichnet. Die Verwirklichung der Abfolge "Grenzen, offene Grenzen, keine Grenzen" käme damit defacto einer Abschaffung des Staates gleich. Wenngleich von daher , durch die Errichtung eines Weltstaates, durchaus vorstellbar.
Dazu noch einmal der Verweis auf Beitrag #87643 und das Demandt-Zitat darin.

Keine Grenzen kann man fordern, das ist Meinungsfreiheit. Aber jeder praktische Versuch wäre verfassungswidrig. Die Idee gehört zu dem, was Michael Freeden als „dünne Ideologie“ bezeichnet (darin etwa dem Nationalismus oder Feminismus gleich).




Wolfgang Endemann
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Mi 26. Feb 2025, 12:38

Quk hat geschrieben :
Mi 26. Feb 2025, 06:00
Wolfgang Endemann hat geschrieben :
Di 25. Feb 2025, 22:39
... "kleine Kinder" und "aus Spaß" sind ja Kontexte, in denen sich eine Akzeptanz von Folter absolut verbietet.
Wodurch verbietet sich in diesen Kontexten eine Akzeptanz?
Das ist doch klar: Für den Quäler mag die Quälerei gut sein, ich sehe keinen Grund, warum die Quälerei für den Gequälten gut sein könnte, sie läßt sich kaum rechtfertigen. Man müßte sich äußerst spitzfindige Konstellationen ausdenken, um der Quälerei einen positiven Sinn geben zu können.
Ich habe ja ein Beispiel gegeben, wo das halbwegs funktioniert. Nach 9/11 gab es eine intensive Diskussion, ob man eine gekaperte Maschine mit 100 Passagieren, die auf ein Hochhaus zusteuert, abschießen darf? Darf man in einem schrecklichen Krieg gegen die verantwortliche Nation deren Städte bombardieren und damit Zivilbevölkerung liquidieren? Ich würde sagen: nein, aber solche Aktionen werden von vielen sogar gefeiert.
Folter ist ein extremes Beispiel eines 'Tatbestands, der kaum zu rechtfertigen ist. In der vorliegenden Debatte geht es um Grenzen oder Grenzenlosigkeit, und da lassen sich zuhauf Argumente und Gegenargumente finden, und da hat Pragmatix definitiv festgestellt, daß es keine objektivierbare Wahrheit gibt, nur konfligierende subjektive Wahrheiten.




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Jörn Budesheim
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Mi 26. Feb 2025, 12:50

Wolfgang Endemann hat geschrieben :
Mi 26. Feb 2025, 12:38
In der vorliegenden Debatte geht es um Grenzen oder Grenzenlosigkeit ...
Du hast behauptet, dass Du ausschließlich Dinge kennst, die allein in bestimmten Kontexten gut oder schlecht sind und nicht absolut.
Wolfgang Endemann hat geschrieben :
Di 25. Feb 2025, 16:44
Gibt es etwas, das unbedingt "gut" (oder "schlecht") ist? Ich kenne nur Dinge, die in bestimmtem Maß, nur in bestimmten Kontexten gut oder schlecht sind, nicht absolut.




Wolfgang Endemann
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Mi 26. Feb 2025, 14:24

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Mi 26. Feb 2025, 12:50

Du hast behauptet, dass Du ausschließlich Dinge kennst, die allein in bestimmten Kontexten gut oder schlecht sind und nicht absolut.
Meine Aussage ist im Ausnahmefall grenzwertig, und genau das habe ich selbst formuliert. Der Fall der Begrenztheit resp Grenzenlosigkeit gehört zu den Normalfällen, in denen die Relativität augenfällig ist.
Wenn Du meinst, daß es ein bedingungslos Gutes gibt, dann gebe ein Beispiel. Dein Beispiel war kein bedingungslos Verwerfliches.Vielleicht kann jemand ein solches benennen, würde mich freuen, denn dann hätte ich was dazugelernt.




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Mi 26. Feb 2025, 14:44

Wolfgang Endemann hat geschrieben :
Mi 26. Feb 2025, 14:24
Dein Beispiel war kein bedingungslos Verwerfliches
Kleine Kinder zum Spaß zu foltern, ist nicht bedingungslos verwerflich? Na dann.




Wolfgang Endemann
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Mi 26. Feb 2025, 15:44

Durch die moralische Brille, die Du auf der Nase sitzen hast, kannst Du keine grammatischen Konstruktionen mehr verstehen. Ich habe nicht das Foltern von Kindern als absolut verwerflich bestritten, dies ist ein Kontext zu Folter, innerhalb dessen man Folter nur als inakzeptabel betrachten kann. Das ist und bleibt ein subjektive Einstellung von mir, die allerdings von fast allen Menschen geteilt wird. Ohne diesen Kontext, ohne jeglichen Kontext gilt das nicht. Der Spaß beim Foltern spielt keine Rolle, denn die absolute Verwerflichkeit dieser Folter wird nicht dadurch aufgehoben, daß jemand nicht aus Spaß, sondern etwa aufgrund einer inneren Stimme, die ihn dazu auffordert, foltert.
Wenn Du mir widersprechen willst, mußt Du allgemeine Gründe gegen Folter in jeglichem Kontext geben. Ein Anfang wäre gemacht, wenn Du mir zeigst, daß auch die Folterung eines Verbrechers, die zur Rettung von Menschen (Entführten, Geiseln) führt, verwerflich bleibt.




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Jörn Budesheim
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Mi 26. Feb 2025, 15:48

Ich will dir gar nicht widersprechen - das ist aussichtslos - ich notiere einfach, was du gesagt hast und jetzt wiederholst.




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Mi 26. Feb 2025, 16:30

Gibt es Übereinstimmung, wann eine Handlung als „Folter“ zu bewerten ist?




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Jörn Budesheim
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Mi 26. Feb 2025, 16:32

Was für traurige Klimmzüge, nur um das Offensichtliche nicht zugestehen zu müssen.




Timberlake
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Do 20. Mär 2025, 04:26

Pragmatix hat geschrieben :
Mi 26. Feb 2025, 08:17
Timberlake hat geschrieben :
Di 25. Feb 2025, 23:06


Zumal sich ein Staat durch ein Staatsgebiet, ein Staatsvolk und eine Staatsgewalt und in Folge dessen durch Staatsgrenzen auszeichnet. Die Verwirklichung der Abfolge "Grenzen, offene Grenzen, keine Grenzen" käme damit defacto einer Abschaffung des Staates gleich. Wenngleich von daher , durch die Errichtung eines Weltstaates, durchaus vorstellbar.
Dazu noch einmal der Verweis auf Beitrag #87643 und das Demandt-Zitat darin.
... ich ergänze ....
Pragmatix hat geschrieben :
Do 30. Jan 2025, 09:37

Alexander Demandt schreibt zu dieser finalen Version des Weltstaates, wie er in dem Aufsatz der 15-jährigen skizziert wurde:
Das Wort multi-, ultra-, trans-oder international ist ein alles nobilitierendes Wertprädikat, Kosmopolitisierung eine Fortschrittsdevise. Im Bereich der Wirtschaft gelingt ein Zusammenschluss vielleicht durch Verträge zum gegenseitigen Nutzen, im Bereich der Politik dagegen, wo Entscheidungen getroffen und durchgesetzt werden sollen, geht es um Macht. Ökonomisch profitieren können alle im Verbund, herrschen hingegen kann nur einer. Der mächtigste Partner übernimmt die Ordnungsaufsicht, Polizeigewalt mit police bombing und Drohung mit nuklearen Waffen, im Weltstaat ganz legal. Eine unanfechtbar hegemoniale Position tendiert zu einer unkontrollierbar totalitären Politik. Aus dem Weltstaat kann man nicht emigrieren, die elementarste politische Freiheit entfällt. So bringt auch der Weltstaat den Idealstaat nicht, und es bleibt bei dem bescheidenen Vorschlag Marc Aurels: „Hoffe nicht auf Platons Staat, sondern sei zufrieden, wenn es in kleinen Schritten vorangeht. Und achte auch ein solches Ergebnis nicht gering, denn die Haltung der Menschen wirst du nicht ändern.“

Alexander Demandt, Der Idealstaat, Vandenhoek-Ruprecht, S.445
Die Verwirklichung der Abfolge "Grenzen, offene Grenzen, keine Grenzen" käme damit de facto einer Abschaffung … der Macht! … des Staates gleich. Wenngleich von daher, durch die Errichtung … der Macht! … eines Weltstaates, durchaus vorstellbar. Wo wir schon mal dabei sind , also dem Verweis auf Beitrag #87643. Aus dem Weltstaat kann man tatsächlich nicht emigrieren. Sicherlich hochproblematisch, für den Fall, dass dieser Weltstaat alles andere als ein Idealstaat ist. Beispielsweise wenn dieser Weltstaat Menschen aufgrund ihrer Religion, ihrer politischen Einstellung, ihrer Hautfarbe … verfolgt.


Jörn Budesheim hat geschrieben :
Mo 27. Jan 2025, 16:28
15-jährige Schülerin hat geschrieben : In einer Zukunft ohne Landesgrenzen lebt die Menschheit als globale Gemeinschaft, in der nationale Interessen durch ein gemeinsames Ziel ersetzt werden: eine friedliche, gerechte und nachhaltige Welt.
Insofern die 15-jährige Schülerin irrt. Nur dass eine Menschheit ohne Landesgrenzen lebt, bedeutet noch lange nicht, dass sie schon allein deshalb in einer friedlichen, gerechten und nachhaltigen Welt lebt. Um überhaupt bloß an einem Weltstaat in diesem Sinne zu denken, müsste man meiner Meinung nach zunächst einmal eine friedliche, gerechte und nachhaltige Welt auf nationaler Ebene realisieren und das bei nahezu allen Nationalstaaten. Von der Seite gehört das Pferd aufgezäumt. Was dann übrigens auch bedeuten würde, dass niemand mehr emigrieren bräuchte

Pragmatix hat geschrieben :
Mi 26. Feb 2025, 08:17

Keine Grenzen kann man fordern, das ist Meinungsfreiheit. Aber jeder praktische Versuch wäre verfassungswidrig. Die Idee gehört zu dem, was Michael Freeden als „dünne Ideologie“ bezeichnet (darin etwa dem Nationalismus oder Feminismus gleich).
  • "Der ideenorientierte Ansatz versteht Populismus als eine "dünne Ideologie" und lässt sich dabei von Michael Freedens Ideologietheorie inspirieren. Zur Auflösung der Fußnote Freeden betrachtet Ideologien wie Landkarten, die eine Orientierung in der politischen Landschaft bieten. Populismus kann insofern als Ideologie verstanden werden, als er eine minimale Struktur gibt, mit der man Politik verstehen kann. Folgt man der Metapher der Landkarte, kann man sagen, dass Populismus eine unvollständige Karte ist. Dort sind die wichtigsten Orientierungspunkte enthalten, auch wenn sie nicht präzis genug sind, um die genauen Wege zu beschreiben"
    bpb.de ... Rechtspopulismus und Demokratie
Vor dem Hintergrund einer "global" grassierenden Migrationsproblematik, , die eine Orientierung in der politischen Landschaft bietet, tatsächlich eine "dünne Ideologie". Insfofern kann Populismus als Ideologie verstanden werden, die eine minimale Struktur gibt, mit der man Politik verstehen kann.




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Timberlake hat geschrieben :
Do 20. Mär 2025, 04:26
Insofern die 15-jährige Schülerin irrt. Nur dass eine Menschheit ohne Landesgrenzen lebt, bedeutet noch lange nicht, dass sie schon allein deshalb in einer friedlichen, gerechten und nachhaltigen Welt lebt.
Das wurde auch nicht behauptet, sondern das ist die Vision. Eine Vision einer Menschheit "als globale Gemeinschaft, in der nationale Interessen durch ein gemeinsames Ziel ersetzt werden: eine friedliche, gerechte und nachhaltige Welt. Wir möchten den Betrachter anregen, aus anderen Perspektiven in die Zukunft zu denken."




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Interessant ist übrigens, dass bei solchen Diskussionen Leute, die sich sonst vehement gegen sog. Identitätspolitik wenden, plötzlich ihr Herz dafür entdecken und Nationen unbedingt als Quelle der Identität bewahren wollen.




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Jörn Budesheim hat geschrieben :
Do 20. Mär 2025, 07:23
Interessant ist übrigens, dass bei solchen Diskussionen Leute, die sich sonst vehement gegen sog. Identitätspolitik wenden, plötzlich ihr Herz dafür entdecken und Nationen unbedingt als Quelle der Identität bewahren wollen.
Was ja auch umgekehrt der Fall ist:
Interessant ist übrigens, dass bei solchen Diskussionen Leute, die sonst vehement für die sog. Identitätspolitik eintreten, plötzlich ihre Ablehnung dafür entdecken und Nationen unbedingt als Quelle der Identität abschaffen wollen.
Nach dem Motto: Anything but Nation.

Ich glaube, man muss die Nation nicht kulturalistisch überinterpretieren, schon gar nicht ethnisch, um auf sie zurückzugreifen und sie gegen die Überfrachtung von außen zu verteidigen. Es genügt festzustellen, dass Gesellschaften mit der Aufnahme von Fremden überfordert sein können. Wir leben vom Common Sense, von bestimmten Usualitäten - daran misst sich die Qualität, die Friedfertigkeit des Zusammenlebens und das Vertrauen, die innerhalb einer Gesellschaft den Alltag bestimmen.

Man könnte ferner noch umgekehrt anfügen: die Vertreter der Vielfalt sind oft deren leistungsfähige Abrissbirnen. In einer Welt ohne Grenzen würde das Aussterben der Sprachen und Kulturen noch schneller voranschreiten als das ohnehin der Fall ist. Denn es setzen sich immer diejenigen durch, die über die entsprechende Macht und die erforderlichen Mittel verfügen. Also nicht der Geist, sondern das profane Materielle.




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Do 20. Mär 2025, 12:48

Mein Ziel ist nicht "negativ bestimmt", also die Abschaffung der Nationen als "Quelle der Identität", sondern positiv: Ich bin für die Verwirklichung des Menschenrechts auf Freizügigkeit. Beide - Freizügigkeit und Identitätspolitik - verfolgen dasselbe Ziel: Freiheit und Gleichheit. (Ich bin übrigens nicht sicher für die Abschaffung der Nationen, da bin ich noch nicht sicher, Nationen könnten auch so etwas wie "Bundesländer" werden, nur dass die Grenzen in Zukunft offen sein sollten, da bin ich mir relativ sicher). Aber die positive Vision der Schülerin ist meiner Meinung nach fast unschlagbar, auch wenn sie wohl kaum erreichbar sein wird, aber als regulative Idee ist sie genau richtig.




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Do 20. Mär 2025, 16:31

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Do 20. Mär 2025, 12:48
Mein Ziel ist nicht "negativ bestimmt", also die Abschaffung der Nationen als "Quelle der Identität", sondern positiv: Ich bin für die Verwirklichung des Menschenrechts auf Freizügigkeit. Beide - Freizügigkeit und Identitätspolitik - verfolgen dasselbe Ziel: Freiheit und Gleichheit. (Ich bin übrigens nicht sicher für die Abschaffung der Nationen, da bin ich noch nicht sicher, Nationen könnten auch so etwas wie "Bundesländer" werden, nur dass die Grenzen in Zukunft offen sein sollten, da bin ich mir relativ sicher). Aber die positive Vision der Schülerin ist meiner Meinung nach fast unschlagbar, auch wenn sie wohl kaum erreichbar sein wird, aber als regulative Idee ist sie genau richtig.
Das mag sie so empfinden in ihrer vermutlich rundum (ab)gesicherten Existenz. Ich halte das trotzdem für ein Programm zur Vernichtung von Sprachen und Kulturen und des Wohlstands. Und am Ende müssten die Länder den Weg der USA gehen, also den Sozialstaat komplett abschaffen. Denn es ist doch klar, dass die Migration dann in die Staaten mit den besten Bedingungen stattfinden wird. Zurück in den Herkunftsländern bleiben dann die ganz Schwachen und die ganz Armen.

Wenn es nur noch Bundesländer gibt und keine Staaten mehr, gäbe es ja eine Weltregierung, die dann Durchgriff haben müsste auf alle diese Bundesländer. Es gäbe dann eine atomar bewaffnete Bundespolizei. Und die Frage bleibt nach wie vor offen: wohin emigriert man aus diesem Weltstaat, wenn man politisch auf der falschen Seite steht?




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Do 20. Mär 2025, 16:45

Du willst die Utopie in eine Dystopie umdeuten, bitte kannst du machen. Irgendwelche einleuchtenden Gründe, die nicht schon voraussetzen, was sie zeigen sollen, sehe ich allerdings nicht. Menschen, deren Hobby Zynismus ist, kann man mit Utopien natürlich nicht erreichen.




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