Gibt es eine Demokratie ohne Kapitalismus?

Ursprünglich in der praktischen Philosophie beheimatet sind Theorien der Gesellschaft heute weitgehend von der Soziologie aufgegriffen worden.
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Jörn Budesheim
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Do 9. Nov 2017, 14:21

Die Frage, was du zeigen willst, ist damit aber nicht geklärt, wenn ich recht sehe :-)




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Tarvoc
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Do 9. Nov 2017, 15:04

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Do 9. Nov 2017, 14:21
Die Frage, was du zeigen willst, ist damit aber nicht geklärt, wenn ich recht sehe :-)
Ich will damit zeigen, dass die bisherigen Begründungsfiguren für eine Sonderstellung des Kapitalismus nichts taugen.



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Jörn Budesheim
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Do 9. Nov 2017, 15:29

Verstehe. Allerdings hab ich eine allgemeine Sonderstellung gar nicht behauptet, oder? An der Stelle, wo die Vorteile genannt wurden, ging es erst einmal darum, dass es neben den fraglosen Problemen eben auch einige Vorteile gibt.




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Tarvoc
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Do 9. Nov 2017, 15:37

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Do 9. Nov 2017, 15:29
An der Stelle, wo die Vorteile genannt wurden, ging es erst einmal darum, dass es neben den fraglosen Problemen eben auch einige Vorteile gibt.
Argh. Der Punkt ist doch der, dass diese Vorteile so, wie sie hier dargestellt wurden, eben nicht bestehen. Das heißt, man müsste entweder diese Darstellung überarbeiten oder das Argument aufgeben.

Merkwürdig wird's zum Beispiel, wenn im selben Beitrag behauptet wird, Kapitalismus würde Wohlstand für alle schaffen, und zugegeben wird, dass er mitunter zur Verarmung ganzer Bevölkerungsteile führt.



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Jörn Budesheim
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Do 9. Nov 2017, 15:47

Tarvoc hat geschrieben :
Do 9. Nov 2017, 15:37
Merkwürdig wird's zum Beispiel, wenn im selben Beitrag behauptet wird, Kapitalismus würde Wohlstand für alle schaffen, und zugegeben wird, dass er mitunter zur Verarmung ganzer Bevölkerungsteile führt.
Aber das steht da doch gar nicht. Geschrieben habe ich dies hier: "Der Kapitalismus hat doch auch, man traut es sich kaum zu sagen, zu gewissen Vorteilen geführt?! Z.b. die Steigerung des Wohlstands im Großen und Ganzen, Verbesserung der Gesundheitsversorgung, Steigerung der Lebenserwartung und der sozialen Chancen mit den oben erwähnten "Einschränkungen"."
Tarvoc hat geschrieben :
Do 9. Nov 2017, 15:37
Argh. Der Punkt ist doch der, dass diese Vorteile so, wie sie hier dargestellt wurden, eben nicht bestehen.
Ich finde keineswegs, dass du das (auch nur näherungsweise) zeigen konntest. Ich finde, dass offensichtlich das Gegenteil der Fall ist. Zudem ist dein Argument nicht mal gültig. Nehmen wir an, dass die Chinesen bei der Steigerung der Lebenserwartung auch Einiges erreicht hätten. Daraus würde ja mitnicht folgen, dass meine Aussage falsch ist. Falsch wäre sie nur, wenn ich behauptet hätte, dass allein der Kapitalismus zu einer Steigerung der Lebenserwartung geführt hat.




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Tarvoc
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Do 9. Nov 2017, 16:08

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Do 9. Nov 2017, 15:47
Tarvoc hat geschrieben :
Do 9. Nov 2017, 15:37
Merkwürdig wird's zum Beispiel, wenn im selben Beitrag behauptet wird, Kapitalismus würde Wohlstand für alle schaffen, und zugegeben wird, dass er mitunter zur Verarmung ganzer Bevölkerungsteile führt.
Aber das steht da doch gar nicht.
Nein, das steht bei Alethos. War aber auch nur ein Beispiel.

[edit] Nachtrag: Eigentlich steht es so auch nicht bei Alethos. Der Punkt war eher der, dass nicht klar war, was er mit "für alle" meinte. Nimmt man den Kapitalismus als globales System und nicht nur die entwickelten Industrieländer, dann hat er eben nicht Wohlstand für alle geschaffen.
Jörn Budesheim hat geschrieben :
Do 9. Nov 2017, 15:47
Nehmen wir an, dass die Chinesen bei der Steigerung der Lebenserwartung auch Einiges erreicht hätten. Daraus würde ja mitnicht folgen, dass meine Aussage falsch ist. Falsch wäre sie nur, wenn ich behauptet hätte, dass allein der Kapitalismus zu einer Steigerung der Lebenserwartung geführt hat.
Dass der Kapitalismus im 18. bis 20. Jahrhundert die Entwicklung der Produktivkräfte enorm befördert hat, was u.A. auch zur allgemeinen Steigerung der Lebenserwartung geführt hat, bestreitet glaube ich niemand. Jetzt ist es allerdings an mir zu fragen: Was genau willst du damit zeigen? Vorteile heißt ja immer: Vorteile gegenüber etwas anderem.



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Alethos
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Do 9. Nov 2017, 19:05

Tarvoc hat geschrieben :
Do 9. Nov 2017, 16:08
Jörn Budesheim hat geschrieben :
Do 9. Nov 2017, 15:47
Tarvoc hat geschrieben :
Do 9. Nov 2017, 15:37
Merkwürdig wird's zum Beispiel, wenn im selben Beitrag behauptet wird, Kapitalismus würde Wohlstand für alle schaffen, und zugegeben wird, dass er mitunter zur Verarmung ganzer Bevölkerungsteile führt.
Aber das steht da doch gar nicht.
Nein, das steht bei Alethos. War aber auch nur ein Beispiel.

[edit] Nachtrag: Eigentlich steht es so auch nicht bei Alethos. Der Punkt war eher der, dass nicht klar war, was er mit "für alle" meinte. Nimmt man den Kapitalismus als globales System und nicht nur die entwickelten Industrieländer, dann hat er eben nicht Wohlstand für alle geschaffen.
Ich habe überhaupt keine Probleme damit, eine harte Kritik am kapitalistischen System zu entwickeln, gerade deshalb, weil der Kapitalismus Verlierer schafft. Aber er schafft, finde ich, in der Summe mehr Gewinner.

Die ursprüngliche Frage, deren Kern wir noch nicht wirklich erörtert haben, war doch die nach dem Zusammenhang von Kapitalismus und Demokratie. Und darauf habe ich eine Antwort zu geben versucht: Ich halte sie für seelenverwandte Systeme, die in ihrem freiheitlichen Gestus einander ähnlich sind. Denn dort, wo die persönliche Freiheit des einzelnen politisch eingeschränkt wird, wird auch die wirtschaftliche Freiheit eingeschränkt. Aber es ist dennoch denkbar, dass es in einem Land politisch unfreie, aber wirtschaftliche freie Subjekte gibt, wonach man sagen müsste, dass es Kapitalismus auch ohne Demokratie geben kann.



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Do 9. Nov 2017, 19:51

Alethos hat geschrieben :
Do 9. Nov 2017, 19:05
Ich habe überhaupt keine Probleme damit, eine harte Kritik am kapitalistischen System zu entwickeln, gerade deshalb, weil der Kapitalismus Verlierer schafft. Aber er schafft, finde ich, in der Summe mehr Gewinner.
Nochmal meine Frage: Bist du der Ansicht, dass das weltweit gilt? Und wie begründest du das?

(Die Begriffe "Gewinner" und "Verlierer" sind womöglich ohnehin etwas unterbestimmt.)



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Alethos
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Do 9. Nov 2017, 20:14

Tarvoc hat geschrieben :
Do 9. Nov 2017, 19:51
Alethos hat geschrieben :
Do 9. Nov 2017, 19:05
Ich habe überhaupt keine Probleme damit, eine harte Kritik am kapitalistischen System zu entwickeln, gerade deshalb, weil der Kapitalismus Verlierer schafft. Aber er schafft, finde ich, in der Summe mehr Gewinner.
Nochmal meine Frage: Bist du der Ansicht, dass das weltweit gilt? Und wie begründest du das?

(Die Begriffe "Gewinner" und "Verlierer" sind womöglich ohnehin etwas unterbestimmt.)
Das sind sie tatsächlich, und ich verstehe deine Frage. Es ist natürlich aus der Optik eines verwöhnten Europäers relativ heuchlerisch zu sagen, dass der Kapitalismus global mehrheitlich Gewinner hervorbringe, denn offensichtlich gibt es eine Vielzahl von Menschen, die unter der Ausbeutung leiden. Und nicht zuletzt die Natur leidet darunter. Insofern müssen wir und vielleicht tatsächlich zuerst gemeinsam darüber Gedanken machen, was Gewinnen und Verlieren bedeutet und wie eine Bilanz, global gesehen, gezogen werden könnte.

Aber meine Analyse/Feststellung hat einen regional engen (und keinen globalen) und historisch etwas weiteren Fokus: Vergleicht man Kuba mit Chile, dann sehen die volkswirtschaftlichen Daten bei Chile schlicht robuster aus. Und vergleicht man die Tschechoslowakei mit der Tschechei und der Slowakei, dann hat sich doch auch hier seit der ‚Öffnung’ vieles zum Besseren gewendet.



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Do 9. Nov 2017, 20:58

Alethos hat geschrieben :
Do 9. Nov 2017, 20:14
Vergleicht man Kuba mit Chile, dann sehen die volkswirtschaftlichen Daten bei Chile schlicht robuster aus.
Chile hat allerdings auch nicht mit Boykotten und Wirtschaftssanktionen seitens der westlichen Staaten zu kämpfen.



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Jörn Budesheim
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Fr 10. Nov 2017, 06:25

Alethos hat geschrieben :
Do 9. Nov 2017, 19:05
Freiheit
Ja, ich glaube auch, dass Freiheit in irgendeiner Form ein zentraler Aspekt ist. Aber das erklärt noch nicht diesen Punkt, oder? "Es gibt kapitalistische Staaten, die keine Demokratie sind (etwa die Volksrepublik China), aber es hat noch nie einen nicht-kapitalistischen Staat gegeben, der demokratisch regiert wurde." Dann müsste vielleicht klären, welche Arten von Freiheiten gewährt werden in den fraglichen Staaten.

Der folgende kleine Umweg wird uns wahrscheinlich nicht sehr viel weiterbringen, aber ich fand die Punkte dennoch interessant, vielleicht kennt die Geschichte mit den Tulpen ja auch noch nicht jeder. Dass der Kapitalismus Verlierer schafft, gehört wohl zu seinen Grundprinzipien. Zur Freiheit gehört nämlich immer, dass man in seinem Vorhaben scheitern kann, teilweise grotesk scheitern kann. Zur Freiheit gehören auch Lüste und der Sinn für Schönheit... Üblicherweise korreliert man Freiheit und Rationalität, aber zur Freiheit gehört manchmal offensichtlich auch das Irrationale. Dafür im Folgenden ein zwei Beispiele.

Bei sehr frühen kapitalistischen Unternehmungen ist man dahin gefahren, wo der Pfeffer wächst. Es gibt also einen engen Zusammenhang zwischen Qualia und Kapitalismus :) Tulpenzwiebeln züchtet man allerdings nicht, um sie zu essen, sondern der Schönheit der Pflanze wegen, aber nicht nur deswegen...

Im April 1601 stach die erste Expedition der Englisch Ostindischen Kompanie nach Ostindien in See. Die Investoren, die die Fahrt ausgerüstet hatten, erzielt einen Gewinn von 95% auf ihre Einlagen. Wer in Erwartung eines Gewinns Geld in ein Unternehmen investiert -und das ist sicherlich eines der Hauptmotive kapitalistischer Unternehmungen - der kann damit aber auch ziemlich auf die Nase fallen :) Hier ein erstaunlicher Auswuchs des Kapitalismus, der das illustriert; als kleine, mehr oder weniger amüsante Zwischenepisode wenn man so will:

Viele Holländer des 17 jahrhunderts investierten ihr Geld in Tulpen. Es gibt etwa 150 Arten, die auf mehreren Kontinenten heimisch sind. Eine Tulpe der Sorte Viceroy wurde im Februar 1637 in Alkmaar für 4203 Gulden ersteigert – ein immenser Wert, wenn man bedenkt, dass das durchschnittliche Jahreseinkommen damals 150 Gulden betrug.

Tulpen als lukrative Geldanlage für jedermann?

Die Geldanlage in Tulpen erfolgte oft nach dem Prinzip „die Katze im Sack kaufen“. Denn man erwarb teilweise eine Zwiebel, die noch im Erdboden lag und spekulierte auf die Möglichkeit, diese noch vor Auslieferung der Tulpe zu einem besseren Preis verkaufen zu können. Da es sich bei vielen der Tulpen um Neuzüchtungen handelte, wussten viele Anleger gar nicht, wie diese einmal aussehen würden. Doch ungeachtet dessen stiegen die Preise aufgrund der Beliebtheit dieser Blume immer weiter nach oben, sodass die Investition in sie lohnenswert erschien, sogar für vergleichsweise gering verdienende Berufsgruppen wie Dienstmädchen.

Manchmal trügt der Schein

So vielversprechend die Tulpen als Geldanlage auch aussahen, so unvorhergesehen kam der Ausgang einer Tulpen-Auktion im holländischen Haarlem. Keine der Tulpen war zum erwarteten Preis verkauft worden. Diese Nachricht löste nach Verbreitung bei den Anlegern eine Welle der Panik aus: ohne zu überlegen, versuchten die Zwiebelbesitzer ihre Ware so schnell wie möglich los zu werden und nahmen dafür herbe Verluste in Kauf. Die bis dahin existente Blase platzte.

Spekulationsblasen – warum entstehen sie?

Menschen sind „anfällig“ für Spekulationsblasen. Sie entstehen, sobald Anleger und Spekulanten mit ihrem Kaufverhalten die Preise für eine scheinbar vielversprechende Anlage in Höhen treiben, die den realen Marktwert weit übersteigen. Die Aussicht auf sehr hohen Gewinn – nicht selten verbunden mit geringem Hintergrundwissen – sorgt dafür, dass Menschen „blind“ für wahrscheinliche Risiken werden. Hierbei spielt sicher auch der Nachahmungstrieb des Menschen eine wichtige Rolle. Man macht das, was die anderen auch machen.

Auch die „Greater Fool-Hypothese“ (Quelle: „Business Dictionary“) kann zum Entstehen einer Spekulationsblase beitragen: Hierbei kaufen Anleger teure Wertpapiere mit dem optimistischen Vorhaben, sie an einen größeren „Dummkopf“ („Greater Fool“) zu einem noch höheren Preis weiterverkaufen zu können. Unter solchen Umständen ist es also naheliegend, dass die Blase irgendwann platzt und die Verluste unter Umständen groß sind. Aber solange es Menschen und verlockende Anlagemöglichkeiten gibt, werden wohl auch Spekulationsblasen immer wieder entstehen – genau wie Tulpen.




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Tarvoc
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Jörn Budesheim hat geschrieben :
Fr 10. Nov 2017, 06:25
Dass der Kapitalismus Verlierer schafft, gehört wohl zu seinen Grundprinzipien. Zur Freiheit gehört nämlich immer, dass man in seinem Vorhaben scheitern kann, teilweise grotesk scheitern kann.
Es mag ja sein, dass das zur Freiheit gehört (ich würde sagen, das gehört ganz allgemein zum Leben) - aber das ist nicht der Grund dafür, dass der Kapitalismus Verlierer schafft.
Jörn Budesheim hat geschrieben :
Fr 10. Nov 2017, 06:25
Menschen sind „anfällig“ für Spekulationsblasen. Sie entstehen, sobald Anleger und Spekulanten mit ihrem Kaufverhalten die Preise für eine scheinbar vielversprechende Anlage in Höhen treiben, die den realen Marktwert weit übersteigen. Die Aussicht auf sehr hohen Gewinn – nicht selten verbunden mit geringem Hintergrundwissen – sorgt dafür, dass Menschen „blind“ für wahrscheinliche Risiken werden.
Die Sache ist doch die, dass solche Spekulationen überhaupt erst in einem gesellschaftlichen Kontext möglich werden, in dem auf eine ganz bestimmte Art gewirtschaftet und produziert wird.

Das darf man nicht vergessen. Sonst führt man die Krisen des Kapitalismus am Ende auf irgendeine überhistorische "Natur des Menschen" zurück und übersieht ihre historische Bedingtheit.

Spekulationskrisen setzen eine Gesellschaft voraus, in der private Produzenten ihre Produkte als Waren für den Markt produzieren, d.h. gewissermaßen blind gegenüber ihrer gesellschaftlichen Nützlichkeit.



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Tarvoc hat geschrieben :
Fr 10. Nov 2017, 16:23
aber das ist nicht der Grund dafür, dass der Kapitalismus Verlierer schafft.
Na doch, ganz sicher und ohne jeden Zweifel ist das so. Es ist nur nicht der einzige Grund.




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Fr 10. Nov 2017, 17:16

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Fr 10. Nov 2017, 16:39
Na doch, ganz sicher und ohne jeden Zweifel ist das so. Es ist nur nicht der einzige Grund.
Das, was du geschrieben hast, ist so allgemein, dass es schon als "der einzige Grund" durchgeht. Man muss nur alles Elend im Kapitalismus damit erklären, dass die Leute eben "in ihren Vorhaben gescheitert" sind. Genauso funktioniert die neoliberale Ideologie. ;)



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Jörn Budesheim
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Fr 10. Nov 2017, 17:28

Wenn du auf einer Missinterpretation meines Textes bestehst, kann ich eh nichts dagegen unternehmen, denn jede Richtigstellung kann man ja auch wieder missinterpretieren :-)

Dennoch: Mein Ziel ist gerade, das Ganze nicht ideologisch zu betrachten, so dass mann schon zuvor ganz genau weiß, wer die "Guten" und wer die "Bösen" sind. Ziel ist, die Vorteile wie die Nachteile in den Blick zu bekommen und darüber hinaus den Umstand zu erörtern, dass es (bisher keine Demokratie ohne Kapitalismus gibt.




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Fr 10. Nov 2017, 17:51

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Fr 10. Nov 2017, 17:28
Wenn du auf einer Missinterpretation meines Textes bestehst, kann ich eh nichts dagegen unternehmen, denn jede Richtigstellung kann man ja auch wieder missinterpretieren :-)
Es ist noch nicht mal klar, was der Hinweis, dass Menschen mit ihren Vorhaben auch scheitern können, in dieser Diskussion hier überhaupt verloren hat. Was ich geschrieben hatte, war eigentlich mehr eine mögliche Anwendung auf das Thema. Welche Rolle dein Hinweis sonst in der Debatte spielen könnte, weiss ich nicht. Wenn du diesbezüglich aufklären würdest, müsste ich nicht interpretieren.
Jörn Budesheim hat geschrieben :
Fr 10. Nov 2017, 17:28
Dennoch: Mein Ziel ist gerade, das Ganze nicht ideologisch zu betrachten, so dass mann schon zuvor ganz genau weiß, wer die "Guten" und wer die "Bösen" sind.
Wie nett. Schon die implizite Gleichsetzung des Kapitalismus mit "Freiheit" ist Ideologie. Aber okay. Wie wär's, wenn du erstmal darstellst, was Kapitalismus überhaupt ist?



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Fr 10. Nov 2017, 21:38

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Fr 10. Nov 2017, 06:25
Alethos hat geschrieben :
Do 9. Nov 2017, 19:05
Freiheit
Ja, ich glaube auch, dass Freiheit in irgendeiner Form ein zentraler Aspekt ist. Aber das erklärt noch nicht diesen Punkt, oder? "Es gibt kapitalistische Staaten, die keine Demokratie sind (etwa die Volksrepublik China), aber es hat noch nie einen nicht-kapitalistischen Staat gegeben, der demokratisch regiert wurde."
Wenn wir uns einmal überlegen, was denn einen kapitalistischen Staat als solchen auszeichnet, dann kann eine mögliche Antwort lauten, dass es die Steuerung von Angebot und Nachfrage durch Märkte sei, was den Kapitalismus ausmache. Der Markt als ein durch ‚fools‘ gebildeter, irrationaler Haufen :-) kennt keinen eindeutigen nach politischen Grundsätzen, Preismengen setzenden Agens. Das ist anders bei politisch durchdeklinierten politischen Ordnungssystemen (Planwirtschaft, Genossenschaften etc.). In letzteren ersetzt die Politik die Funktion des Marktes und übernimmt eine Verteilungsfunktion durch Bestimmungen, durch Gesetze etc. Wo also die ‚fools‘ als Schwarm eine gewisse (Nicht-)Intelligenz entwickeln :-), unterdrückt in nicht-kapitalistischen Systemen die Politik die Entscheidungsfähigkeit der Einzelnen und beraubt sie somit ihrer Freiheiten. Das nichtkapitalistische System kann also per Definition gar nicht demokratisch sein, da der zentristische (idealistische) Aufbau die ‚Macht der Vielen‘ ausser Kraft setzt. Oder nicht?



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Fr 10. Nov 2017, 22:36

Alethos hat geschrieben :
Fr 10. Nov 2017, 21:38
Das nichtkapitalistische System kann also per Definition gar nicht demokratisch sein, da der zentristische (idealistische) Aufbau die ‚Macht der Vielen‘ ausser Kraft setzt. Oder nicht?
Willst du damit sagen, dass eine gesamtgesellschaftliche gemeinsame Planung der Produktion mit gleichen Partizipationsmöglichkeiten für alle die "Macht der Vielen" schlechter repräsentieren würde als ein Markt, auf dem einige Leute Milliardäre sind, sich noch eine Reihe kleinerer Eigentümer tummeln und die meisten anderen effektiv nichts haben außer ihrer Arbeitskraft (wenn überhaupt) - bei dem es sich also aufgrund extrem ungleicher Eigentumsverhältnisse letztlich um eine Reihe miteinander konkurrierender Despotien handelt? Darf man fragen, wieso das so sein sollte?



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Sa 11. Nov 2017, 09:48

Tarvoc hat geschrieben :
Fr 10. Nov 2017, 22:36
Alethos hat geschrieben :
Fr 10. Nov 2017, 21:38
Das nichtkapitalistische System kann also per Definition gar nicht demokratisch sein, da der zentristische (idealistische) Aufbau die ‚Macht der Vielen‘ ausser Kraft setzt. Oder nicht?
Willst du damit sagen, dass eine gesamtgesellschaftliche gemeinsame Planung der Produktion mit gleichen Partizipationsmöglichkeiten für alle die "Macht der Vielen" schlechter repräsentieren würde als ein Markt, auf dem einige Leute Milliardäre sind, sich noch eine Reihe kleinerer Eigentümer tummeln und die meisten anderen effektiv nichts haben außer ihrer Arbeitskraft (wenn überhaupt) - bei dem es sich also aufgrund extrem ungleicher Eigentumsverhältnisse letztlich um eine Reihe miteinander konkurrierender Despotien handelt? Darf man fragen, wieso das so sein sollte?
Eine Systemkritik von den Nachteilen oder den Extremen her aufzubauen ist natürlich ein legitimes Vorgehen. Die Feststellung, dass ein System Ungleichheit produziert und dies als Symptom für dessen Ungerechtigkeit zu nehmen, ist nicht per se unredlich, sondern gehört wohl zum kritischen Geschäft dazu.
Verfolgt man jedoch das Ziel einer objektiven Analyse, darf man natürlich nicht nur die als negativ bewerteten Folgen betrachten, sondern muss das System als Ganzes, das es ist, vor Augen haben. Dazu gehört auch die Frage nach den Alternativen.

Nehmen wir an, ich gründete einen Fussballclub (von Fussball habe ich zwar wenig Ahnung, aber sei es drum). Ich werde also eine Mannschaft mit 11 Spielern zusammenstellen. Mein Ziel ist die Gleichbehandlung aller unter dem Motto der Gleichberechtigung und der Gerechtigkeit. Kein Spieler verdient mehr als der andere, niemand hat einen exklusiveren Spielplatz im Team als der andere. Wir trainieren also eifrig, ein jeder darf grundsätzlich an allen Positionen spielen. Hier fangen die Probleme schon an: Ich kann das Spiel mit 11 Stürmern oder 11 Liberos gar nicht aufbauen, ich brauche eine erste Differenzierung. Ich muss also eine erste Benachteiligung der Spieler in Kauf nehmen, denn nicht alle können an der Position spielen, die sie vielleicht möchten. Nun stellt sich heraus, dass zwei unter ihnen extrem schnell und flink sind und dass die anderen trotz intensivem Training nicht an die Fähigkeiten dieser zwei herankommen. Sie haben durch Talent oder durch Lernfähigkeit oder durch Erbe (ihre Grossväter waren schon sehr flink) eine gewisse Sonderfunktion im Team erarbeitet: Sie stiften kraft ihrer aussergewöhnlichen Fähigkeiten eine grösseren Nutzen als die restlichen 9, aber natürlich einen grösseren je nach für ihre Fähigkeiten passender Stellung. Ein Torhüter muss nicht schnell rennen können, aber wenn möglich gelenkig und grossgewachsen sein.
Ich überlege mir zu Beginn der nächsten Saison die Spielergagen und lege nach meinem Motto fest, dass alle gleich viel verdienen werden. Der eine flinke und schnelle Spieler kommt zu mir ins Büro und beklagt sich: ‚Ich habe doch viel mehr Verdienste im Team als xy, ist es gerecht, dass ich gleich viel verdienen soll wie er?‘

Dieses kleine, sehr einfache Modell hat natürlich grosse Defizite wie alle Modelle. Das grösste Defizit ist, dass er sich nicht telquel auf eine Gesellschafts- resp. Wirtschaftsordnung übertragen lässt. Insbesondere hinkt der Vergleich des talentierten Spielers, der Fähigkeiten hat und sich in einem grundsätzlich chancenneutralen Umfeld bewährt, mit einem in reiches Haus geborenen Sprössling, der gerade viel günstigere Startbedingung vorfindet. Aus viel Vermögen viel mehr Vermögen zu machen ist selbstverständlich einfacher, als mit Tellerwaschen zu viel Vermögen zu kommen. Aber das Fussballbeispiel beleuchtet gleichwohl die Frage nach der Gerechtigkeit als Gleichheit in ihrem Kern: Wollen wir gar anders behandelt werden als andere, wenn es um die Anerkennung unserer individuellen Fähigkeiten und Verdienste geht oder empfinden wir Ungerechtigkeit, wenn uns diese Anerkennung nicht zukommt?
Die Vorstellung also, dass ein Gleichheits- System in seiner Anlage Gerechtigkeit produziere, ist eine wenigstens hinterfragbare Position.

Heisst das, dass ich die Anhäufung und ungebremste Mehrung von Vermögen gutheisse, die auf Kosten all jener gehen, die nur Arbeit als Mittel haben? Selbstverständlich nicht. Ich halte eine zu grosse Ungleichheit für problematisch sowohl für einen Staat als auch für ein Fussballteam. Mein Fazit ist aber im Lichte des Vergleichs mit der Alternative, dass es ausgleichende Massnahmen geben müsse, die die Ungleichheit verringert, ohne die Individualität ganz aufzulösen.
Zuletzt geändert von Alethos am Sa 11. Nov 2017, 09:54, insgesamt 1-mal geändert.



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Sa 11. Nov 2017, 09:51

Alethos hat geschrieben :
Fr 10. Nov 2017, 21:38
Wenn wir uns einmal überlegen, was denn einen kapitalistischen Staat als solchen auszeichnet, dann kann eine mögliche Antwort lauten, dass es die Steuerung von Angebot und Nachfrage durch Märkte sei, was den Kapitalismus ausmache.
Irgendwie fehlen in deiner "Definition" die "Kapitalisten" :-) also die Unternehmer (seien es nun Privatpersonen oder Gesellschaften) , die mit der Hoffnung auf Gewinn etwas auf den Markt bringen.




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