Gibt es eine Demokratie ohne Kapitalismus?

Ursprünglich in der praktischen Philosophie beheimatet sind Theorien der Gesellschaft heute weitgehend von der Soziologie aufgegriffen worden.
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Stefanie
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So 12. Nov 2017, 00:27

Ich wollte es einfach mal wissen. Im Dienstleistungssektor (dazu zählen auch Versicherungen und Banken) arbeiten dreiviertel aller Beschäftigten in Deutschland, im sozialen Bereich - nicht in den Kommunen- arbeiten, meine ich mal gelesen zu haben, mehr Beschäftigte als in der Automobilindustrie. D.h. die Bereiche, in denen die meisten Beschäftigen arbeiten, liegen nicht mehr im produzierenden Sektor (Industrie). Dann könnte man sich die Frage stellen, in wie weit die Theorie von Marx darauf überhaupt noch angewendet werden kann. Oder in wieweit sie angepasst werden muss.
Länder wie China dürften ihren Schwerpunkt (noch) im produzierenden Sektor haben, und nicht im Dienstleistungsbereich. Ebenso die sog. Schwellenländer und die sog. Entwicklungsländer.
Da stellte sich dann auch die Frage, wie das mit dem Kapitalismus denn nun in den Ländern ist, in denen der Dienstleistungssektor das Übergewicht hat.


Du hast die Pax Bank und die Versicherer im Raum der Kirchen vergessen.
Dann gibt es noch die Ecclesia Gruppe. Bevorzugter Versicherungsmakler für alle Träger, die zum Paritätischen Wohlfahrtsverband gehören. Irgend wen habe ich jetzt vergessen...
Diese bieten aber keine sozialen Dienstleistungen an, sondern sind gewerbliche Dienstleister für viele sozialen Organisationen. Mein Arbeitgeber hat alle Versicherungen, die ein Arbeitgeber so braucht, über o.g. Versicherunsgmakler abgeschlossen.



Das Land, das die Fremden nicht beschützt, geht bald unter.
Goethe

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Tarvoc
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So 12. Nov 2017, 00:43

Stefanie hat geschrieben :
So 12. Nov 2017, 00:27
Im Dienstleistungssektor (dazu zählen auch Versicherungen und Banken) arbeiten dreiviertel aller Beschäftigten in Deutschland
Versicherungen und Banken sind nun allerdings ganz sicher profitorientiert. Es stimmt, dass es sich bei diesen beiden Beispielen nicht um Warenproduktion im eigentlichen Sinne handelt. Es handelt sich aber z.B. beim Banking eben auch um eine völlig andere Art der Arbeit und des Geschäfts als z.B. bei der Altenpflege, und zwar auch ökonomisch gesehen.

Insgesamt scheint mir das Problem darin zu bestehen, dass unter dem allgemeinen Label "Dienstleistung" völlig verschiedene Sachen wild zusammengeworfen werden. Was genau ist denn eigentlich eine Dienstleistung? Zunächst mal ist eine auf dem Markt angebotene Dienstleistung eine Ware wie alle anderen auch - ebenso wie Arbeitskraft selbst auch eine Ware ist. Schon am Beispiel Arbeitskraft sieht man, dass etwas kein physisches Objekt sein muss, um eine Ware sein zu können. Bei Dienstleistungen wie dem Bankwesen spielt aber die Tatsache eine Rolle, dass die Dienstleistung der Banken darin besteht, auf eine bestimmte Weise mit Geld zu operieren, also mit dem allgemeinen Tauschäquivalent. Ein Bankgeschäft bezieht seinen Mehrwert nicht daraus, dass es die Arbeitskraft der Bankangestellten ausbeutet, sondern daraus, dass es Vorschüsse auf Investitionen ausgibt und dann auf diese Vorschüsse Zinsen erhebt. Der von der Bank eingenommene Mehrwert wird also an anderer Stelle produziert als in der Bank - nämlich z.B. in einer Fabrik, die mit einem Bankdarlehen gebaut wurde, von den Arbeitern, die in dieser Fabrik arbeiten. Wie sich auf der Grundlage einer warenproduzierenden Gesellschaft ein Bankwesen herausbildet, ist ein kompliziertes Thema, auf das ich eigentlich nicht in Kurzfassung eingehen kann. Das Bankwesen entwickelt Marx im dritten Band des Kapital, und schon bei den Themen des ersten Bandes (Ware, Tauschwert, Markt, Arbeitswert, Arbeitslohn, etc.) gibt es hier ja noch Klärungsbedarf. Ich bin im zweiten und dritten Band des Kapital auch nicht so firm. Ganz generell: Natürlich kann es sein, dass sich eine Nation z.B. aufs Bankwesen besonders spezialisiert. Das geht aber nur, weil die Weltwirtschaft als solche eine kapitalistische, d.h. warenproduzierende Gesellschaft ist, oder kurz ein Weltmarkt.

Nicht alle Tätigkeit ist Warenproduktion, aber im Kapitalismus ist die Warenproduktion die Grundlage für alle anderen Bereiche. Wer alte Leute pflegen will, muss dafür Räumlichkeiten, Nahrung, etc. bereitstellen, und diese Dinge sind wiederum Waren. Wenn sie nicht in Deutschland produziert werden, werden sie eben woanders produziert. Aber produziert werden sie, und zwar zum Zweck ihres profitbringenden Verkaufs.



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Tarvoc
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So 12. Nov 2017, 01:04

Übrigens: Aus der enormen Menge an Jobs im Dienstleistungssektor ist keineswegs zu folgern, dass Deutschland keine klassischen Waren mehr produziert. Deutschland produziert nach wie vor große Mengen an Waren, ansonsten hätten wir wohl kaum von 2003 bis 2008 Exportweltmeister sein können. Die meisten Dienstleistungen lassen sich nämlich eher schlecht exportieren. Wir produzieren also immer noch eine ganze Menge an Waren, wir brauchen nur inzwischen zunehmend weniger Arbeiter dafür. Die Menschen, die nicht in diesen Bereichen arbeiten, werden daher "frei" dafür, im Dienstleistungssektor zu arbeiten - was eine nette Umschreibung dafür ist, dass sie gezwungen sind, in den Dienstleistungssektor zu gehen, weil es in der Produktion keine Arbeitsplätze mehr gibt und im Kapitalismus Lohnarbeit für viele Leute nach wie vor die einzige Einkommensquelle ist. (Ja, es gibt soziale Netze - jedenfalls im Moment noch - aber es gibt gute Gründe dafür, sein Leben nicht als Hartz-IV-Empfänger fristen zu wollen.)



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Jörn Budesheim
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So 12. Nov 2017, 06:33

Was ist eigentlich der Unterschied zwischen Profit und Gewinn?




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Jörn Budesheim
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So 12. Nov 2017, 08:42

Alethos hat geschrieben :
Sa 11. Nov 2017, 20:45
Jörn Budesheim hat geschrieben :
Sa 11. Nov 2017, 18:45
Jörn Budesheim hat geschrieben :
Di 7. Nov 2017, 06:51
Demokratie ohne Kapitalismus?
Ein "interessanter Nebenaspekt" der Frage: Was auch immer Kapitalismus im Einzelnen sein mag, so wie wir ihn jetzt kennen, ist er zwingend mit Wachstum verbunden. Wenn dieses Wachstum an seine Grenzen stößt (Ressourcen sind erschöpft, Umwelt ist lahmgelegt) und es mit dem Kapitalismus nicht weiter gehen kann, was passiert dann mit der Demokratie, wenn es sie ohne Kapitalismus nicht gibt?
Dann gibt es wohl keine Demokratie. Aber ich bezweifle diese notwendige Beziehung, nur habe ich noch keine stichhaltige Begründung. :)
Welche Beziehung? Zwischen Demokratie und Kapitalismus? Oder zwischen Kapitalismus und Wachstumsgrenzen?




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Alethos
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Zwischen Kapitalismus und Demokratie.



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Jörn Budesheim
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So 12. Nov 2017, 09:10

Der Zusammenhang könnte auch "indirekt" sein. So dass ein Zusammenhang zwischen Wohlstand und Demokratie besteht. Aber auch das ist umstritten. Darüber gibt es Forschungen, der Text ist allerdings über 10 Jahre alt.
http://repec.iza.org/dp2244.pdf hat geschrieben : Wirtschaftliche Entwicklung und Demokratie:

Ist Demokratie ein Wohlstandsmotor oder ein Wohlstandsprodukt?*

Praktisch alle wirtschaftlich entwickelten Länder der Welt sind demokratisch. Sind demokratische Strukturen also kausal für wirtschaftlichen Wohlstand und Wachstum? Oder ist es vielmehr der wirtschaftliche Entwicklungsstand eines Landes, der eine Demokratie erst ermöglicht? Dieser Artikel gibt einen Überblick über die jüngere empirische Literatur zur Frage der Kausalität hinter der positiven Korrelation zwischen der Wahrscheinlichkeit demokratischer Strukturen und wirtschaftlichem Wohlstand und Wachstum. Die Evidenz lässt Zweifel an einem direkten kausalen Effekt in irgendeiner Richtung aufkommen. Allerdings deuten die Ergebnisse auf indirekte Effekte hin. So schaffen Demokratien offensichtlich bessere Rahmenbedingungen für die Akkumulation von Humankapital, insbesondere durch die Gewährleistung eines Rechtsstaats, und somit für wirtschaftliche Entwicklung. Andererseits scheint nicht Wohlstand an sich, sondern ein damit einhergehendes geeignetes gesellschaftliches Umfeld, wie etwa geringe Ungleichheit, demokratische Strukturen erst zu ermöglichen.

[...]

4. Zusammenfassung und Ausblick

Der Überblick über die empirische Literatur zur Frage nach den kausalen Zusammenhängen hinter der positiven Korrelation zwischen wirtschaftlichem Wohlstand und Demokratie zeigt ein Bild komplexer Zusammenhänge. Der Entwicklungsgrad einer Volkswirtschaft per se scheint die Wahrscheinlichkeit demokratischer Strukturen nicht zu erhöhen. Dies geschieht höchstens indirekt, wie beispielsweise durch geringere Einkommensunterschiede und ein hohes Bildungsniveau in der Bevölkerung. Auf der anderen Seite entfalten demokratische Strukturen offensichtlich in der Tat, vor allem mittels günstiger Bedingungen für Humankapitalakkumulation, positive Effekte auf den Entwicklungsstand und die Wachstumsrate.

Am wichtigsten für die Entwicklung eines Landes scheinen in diesem Zusammenhang jedoch ökonomische Institutionen, insbesondere Rechtsstaatlichkeit, die Gewährleistung von Eigentumsrechten und die effektive Bekämpfung von Korruption zu sein. Demokratie hat demnach einen wachstumsförderlichen Effekt soweit sie diese Institutionen effektiv implementiert. Die Frage, ob demokratische Strukturen ursächlich, oder gar notwendig für die Implementierung solcher förderlichen ökonomischen Institutionen sind, bleibt auf Basis der verfügbaren Evidenz letztlich offen. Wie so oft dürfte der Schlüssel zur Antwort im Detail und den Interaktionen unterschiedlicher institutioneller Dimensionen liegen, wie auch neue Ergebnisse von Persson und Tabellini (2006) belegen.

Vor diesem Hintergrund gibt es Bestrebungen in der neueren Literatur, die Ausgestaltung von institutionellen Strukturen, sowie ihre Determinanten und Effekte, im Detail zu untersuchen, anstelle sich lediglich auf deren Existenz, wie etwa das Vorhandensein demokratischer Strukturen, zu beschränken. Feld und Savioz (1997) zeigen etwa, dass direkte demokratische Strukturen wie Volksentscheide zu effizienteren Politikmaßnahmen führen. Persson und Tabellini (2004) und Persson (2005) zeigen, dass Präsidialsysteme und Mehrheitswahlsysteme typischerweise mit kleineren Staaten assoziiert sind. Acemoglu und Johnson (2005) öffnen die black box der ökonomischen Institutionen, und beleuchten die Unterschiede zwischen Institutionen, die Eigentumsrechte gegenüber dem Staat schützen, und Institutionen zum Schutz von Eigentumsrechten im privatrechtlichen Zusammenhang. Ganz im Sinne Hayeks zeigen sie, dass primär die erstgenannten Institutionen relevant für die wirtschaftliche Entwicklung eines Landes sind. Eine weitere offene Frage ist, unter welchen Umständen stabile Demokratien implementiert werden können. Erste Schritte die dynamischen Interaktionen zwischen politischen und ökonomischen Institutionen zu modellieren werden etwa in Acemoglu et al. (2005c) oder Cervellati et al. (2005, 2006) gemacht, doch diese Fragen werden die Forschung noch einige Zeit beschäftigen.

Obwohl Demokratie sowohl aus humanitären und philosophischen, aber auch aus ökonomischen Gründen sehr wohl erstrebenswert scheint, so ist vor dem Hintergrund der beschriebenen Evidenz zu bezweifeln, ob die unter Umständen gewaltsame und von externen Mächten initiierte Implementierung demokratischer Strukturen ausreicht, um in unterentwickelten Ländern einen Wachstums- und Konvergenzprozess in Gang zu setzen. Ganz zu schweigen von der Frage, ob sich diese Demokratien als ausreichend stabil erweisen, um wirksame Institutionen und Politikmaßnahmen erfolgreich zu implementieren. Die aktuelle Entwicklung im Nahen Osten zeigt jedenfalls, dass Demokratie weder leicht zu implementieren ist, noch, dass sie, einmal implementiert, Bestand hat und automatisch wirtschaftliche Entwicklungsprozesse in Gang setzt. Ziel der Forschung muss daher sein, noch mehr über die Wechselwirkungen zwischen ökonomischen und politischen Institutionen und ihren Determinanten herauszufinden.





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Alethos
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So 12. Nov 2017, 10:33

Danke für den Artikel. Interessante Hinweise.



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Tarvoc
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So 12. Nov 2017, 16:09

Jörn Budesheim hat geschrieben :
So 12. Nov 2017, 06:33
Was ist eigentlich der Unterschied zwischen Profit und Gewinn?
Die Begriffe Profit und Gewinn sind synonym.

Interessanter ist in diesem Kontext eher der Unterschied zwischen Profit und Mehrwert. Ich hatte diese beiden Begriffe einige Male der Einfachheit halber fast synonym verwendet, weil der Profit recht unmittelbar aus dem Mehrwert hervorgeht, sie sind allerdings nicht ganz das selbe. Die Profitrate ergibt sich aus dem Verhältnis des Mehrwerts zum investierten konstanten Kapital.

http://www.marx-forum.de/marx-lexikon/l ... rofit.html



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Jörn Budesheim
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So 12. Nov 2017, 16:37

Tarvoc hat geschrieben :
So 12. Nov 2017, 16:09
Jörn Budesheim hat geschrieben :
So 12. Nov 2017, 06:33
Was ist eigentlich der Unterschied zwischen Profit und Gewinn?
Die Begriffe Profit und Gewinn sind synonym.
Das heißt, wann immer du Profit sagst, könntest du ebenso gut von Gewinn sprechen :-) [Das ist das, was ich interessanter finde.]




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Tarvoc
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So 12. Nov 2017, 16:52

Jörn Budesheim hat geschrieben :
So 12. Nov 2017, 16:37
Das heißt, wann immer du Profit sagst, könntest du ebenso gut von Gewinn sprechen :-)
Im Prinzip schon. Marx benutzt den Ausdruck Profit, aber die Begriffe sind wie gesagt synonym.
Jörn Budesheim hat geschrieben :
So 12. Nov 2017, 16:37
[Das ist das, was ich interessanter finde.]
Ich verstehe nicht ganz, wie du das meinst. Interessanter als was?



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Jörn Budesheim
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Tarvoc hat geschrieben :
So 12. Nov 2017, 16:52
Interessanter als was?
Tarvoc hat geschrieben :
So 12. Nov 2017, 16:09
Interessanter ist in diesem Kontext eher der Unterschied zwischen Profit und Mehrwert.
Dass du durchgängig von Profit sprichst, aber nicht von Gewinn, das finde ich aufschlussreich. Im Prinzip bräuchte es vielleicht einen dritten Begriff - sozusagen zwischen Gewinn und Profit.




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Tarvoc
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Jörn Budesheim hat geschrieben :
So 12. Nov 2017, 17:02
Dass du durchgängig von Profit sprichst, aber nicht von Gewinn, das finde ich aufschlussreich. Im Prinzip bräuchte es vielleicht einen dritten Begriff - sozusagen zwischen Gewinn und Profit.
Profit und Gewinn sind wie gesagt Synonyme. Das heißt, die beiden Worte meinen buchstäblich genau das selbe. Was läge denn zwischen einer Sache und der selben Sache?



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Jörn Budesheim
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So 12. Nov 2017, 18:45

Die beiden Begriff haben ganz offensichtlich ziemlich unterschiedliche Konnotationen. Profit ist fraglos negativer konnotiert als Gewinn. Der Ausdruck Profit enthält also eine tendenziell ins negativ gehende Bewertung. Gewinn ist eher positiv konnotiert, aber im Gebrauch flexibler und kann auch mit tadelndem Zungenschlag verwendet werden.




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Tarvoc
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So 12. Nov 2017, 19:10

Das ist mir irgendwie zu emotional. Mir geht's darum, ökonomische Zusammenhänge zu verstehen und begreiflich zu machen, und weniger darum, was Leute dabei fühlen.



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Jörn Budesheim
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So 12. Nov 2017, 19:13

Dazu Begriffe zu nehmen, die Wertungen beinhalten scheint dir also nicht problematisch? Im übrigen: wenn es dir egal ist, dann kannst du ja ebenso von Gewinnen sprechen ... :-)




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Alethos
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So 12. Nov 2017, 19:35

Ich denke übrigens nicht, dass die beiden Begriffe synonym verwendet werden können. Ein Unternehmen, das einen Euro Gewinn macht, ist nicht per se profitabel, weil es z.B. einen gewissen Cashflow erwirtschaften muss, z.B. für Investitionen. Profitabel ist ein Unternehmen, wenn es gewisse Kennziffern erreicht: return on investment oder EBIT-Margen etc.

Und Mehrwerte lassen sich nicht telquel anhand einer Bilanz oder Erfolgrechnung quantifizieren, heisst, es handelt sich nicht primär um eine finanzielle Grösse. Da spielen allerhand Stakeholder und deren Werteempfinden eine wichtige Rolle.

Aber ich sehe es ähnlich wie Jörn: Wenn man Profit so verwendet, dass er negativ konnotiert wird, dann weil man die Gier hinter dem Profit deutlich durchscheinen lassen will. Das ist durchaus emotional :)



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So 12. Nov 2017, 19:53

Alethos hat geschrieben :
So 12. Nov 2017, 19:35
Ich denke übrigens nicht, dass die beiden Begriffe synonym verwendet werden können. Ein Unternehmen, das einen Euro Gewinn macht, ist nicht per se profitabel, weil es z.B. einen gewissen Cashflow erwirtschaften muss, z.B. für Investitionen. Profitabel ist ein Unternehmen, wenn es gewisse Kennziffern erreicht: return on investment oder EBIT-Margen etc.
Ob ein Profit hoch genug ist, dass Shareholders sich für ihn interessieren, oder nicht, ändert übrigens nichts daran, ob es sich um einen Profit handelt oder nicht. Dass ein hoher Profit für die Eigner und Investoren immer wünschenswerter ist als einer, der nur aus Peanuts besteht, versteht sich sowieso von selbst. Dass sie bei Profiten, die zu gering sind, ihr Geld woanders anlegen, ist natürlich auch klar. Das ist aber ja alles schon dadurch mit eingerechnet, dass sich die Profitrate aus dem Verhältnis des Mehrwerts zum investierten konstanten Kapital ergibt. Davon abgesehen wäre auch die Frage, wie die Erwartungshaltungen irgendwelcher Shareholder zur Begriffsbestimmung dessen beitragen, was Profit ökonomisch ist. Um eine bestimmte Profitrate fordern zu können, braucht man ja bereits einen Begriff von Profit.
Alethos hat geschrieben :
So 12. Nov 2017, 19:35
Und Mehrwerte lassen sich nicht telquel anhand einer Bilanz oder Erfolgrechnung quantifizieren, heisst, es handelt sich nicht primär um eine finanzielle Grösse. Da spielen allerhand Stakeholder und deren Werteempfinden eine wichtige Rolle.
Nein, das geht ganz einfach, wenn man wie Marx mit der notwendigen Arbeitszeit rechnet. Der Mehrwert ist einfach der Teil der Arbeitszeit eines Arbeiters, der die für die Reproduktion seiner Arbeitskraft nötige Arbeitszeit (d.h. den Wert seiner Arbeitskraft) übersteigt. Der Wert der von ihm produzierten Produkte ist die in die Produktion dieser Produkte eingegangene durchschnittlich gesellschaftlich notwendige Arbeitszeit, aber der Wert seiner Arbeitskraft ist die zur Reproduktion seiner Arbeitskraft nötige Arbeitszeit (also die Arbeitszeit, die in die Produkte fließt, die er konsumiert, um sich und seine Arbeitskraft zu erhalten).
Zuletzt geändert von Tarvoc am So 12. Nov 2017, 20:37, insgesamt 2-mal geändert.



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Es gibt ja mittlerweile ethische und nachhaltige Anlagen. Da geht es nicht um Profit, sondern um faire Gewinne.




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Jörn Budesheim hat geschrieben :
So 12. Nov 2017, 20:01
Es gibt ja mittlerweile ethische und nachhaltige Anlagen. Da geht es nicht um Profit, sondern um faire Gewinne.
Es geht also nicht um Profit, sondern um fairen Profit. Wann ist ein Gewinn (= Profit) denn "fair"? Und was ist das ökonomische Kriterium für Fairness, und wie kommt es zustande?

(Das ist übrigens die Gefahr, wenn man eine vermeintliche begriffliche Unterscheidung einführt, nur weil zwei Worte unterschiedliche Gefühle hervorrufen. Man sagt mit den zwei Worten sachlich jeweils das selbe, aber man bildet sich ein, damit unterschiedliches gesagt zu haben, weil man sich mit einem Wort "gut fühlt" und mit dem anderen nicht. Das ist fast ein Lehrbuch-Beispiel für Ideologie.)
Zuletzt geändert von Tarvoc am So 12. Nov 2017, 20:07, insgesamt 1-mal geändert.



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