Gibt es eine Demokratie ohne Kapitalismus?
Verfasst: Di 7. Nov 2017, 06:51
Es gibt Kapitalismus ohne Demokratie z.b. in China. Aber gibt es aktuell eine Demokratie ohne Kapitalismus?
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Kapitalismus ist nicht wirklich eine nationale Angelegenheit mehr. Gibt es irgendwo einen Staat ohne Kapitalismus, demokratisch oder nicht?Jörn Budesheim hat geschrieben : ↑Di 7. Nov 2017, 06:51Aber gibt es aktuell eine Demokratie ohne Kapitalismus?
Kommt darauf an. Welche Kriterien muss ein politisches System für dich erfüllen, um als demokratisch zu gelten? Wäre z.B. eine Räterepublik für dich demokratisch?
Vermutlich nicht viel, Kuba und Nordkorea sind mir noch eingefallen, auch wenn es in Kuba wohl Öffnungen gab. Googelt man danach, dann wird in manchen Quellen auch noch China unter Vorbehalt erwähnt. Für die Frage, ob es eine Demokratie ohne Kapitalismus gibt, geben die genannten Staaten jedoch nicht wirklich was her :-) Beim weiteren Googeln hab ich gerade noch das hier gefunden, liest sich als hätte der Autor auf die Threadfrage antworten wollen :-)
Wenn der Autor recht hat, dann ist Kapitalismus bei weitem keine Garantie für Demokratie, aber Demokratie "verlangt" nach Kapitalismus.Nikolaus Piper in Süddeutsche hat geschrieben : "Kapitalismus gibt es nicht"
Mag sein, dass man diesen inflationär gebrauchten Begriff auch sinnvoll verwenden kann. Aber dazu sollte man ihn erst einmal mit Inhalt füllen.
[...] Nein, der Kapitalismus hat 1989 nicht gesiegt. Wohl aber ist in Moskau, Ostberlin und anderswo eine Machtelite gescheitert, die glaubte, ohne die Bestandteile dessen auszukommen, was man heute Kapitalismus nennt: Markt, Privateigentum an den Produktionsmitteln, Rechtsstaat, Demokratie. Ja, es gibt kapitalistische Staaten, die keine Demokratie sind (etwa die Volksrepublik China), aber es hat noch nie einen nicht-kapitalistischen Staat gegeben, der demokratisch regiert wurde. Und Staaten, die den Kapitalismus abschaffen wollen, gleiten meist langsam in eine Diktatur hinüber, wie derzeit in Venezuela zu beobachten.
Quelle
Ist die Quelle seriös? Über den Autor heißt es bei der Süddeutschen:
Nikolaus Piper: Geboren 1952 in Hamburg, aufgewachsen in Bad Schussenried (Oberschwaben). Nach dem Abitur Volontariat bei der Badischen Zeitung in Freiburg. Anschließend Studium der Wirtschaftswissenschaften in Freiburg mit Abschluss als Dipl.Volkswirt. Wirtschaftsredakteur beim Vorwärts, Associated Press und der Zeit. 1997 Wechsel zur Süddeutschen Zeitung, von 1999 bis 2006 Ressortleiter Wirtschaft. Von 2007 bis 2014 Wirtschaftskorrespondent in New York, seither Leitender Redakteur mit dem Schwerpunkt volkswirtschaftliche und weltwirtschaftliche Themen. Autor mehrerer Bücher. Die "Geschichte der Wirtschaft" erhielt 2003 den Deutschen Jugendliteraturpreis. Sein Buch zur Finanzkrise - "Die Große Rezession" - wurde 2009 als Wirtschaftsbuch des Jahres ausgezeichnet.
Vielleicht sollte man, wenn man über Kapitalismus reden will, erstmal Marxens "Kapital" gelesen haben. Dann weiss man auch, worüber die Leute reden, und muss nicht in einem Artikel, der Ahnung und Qualifikation vortäuschen soll, am Ende doch in blumiger Sprache zugeben, dass man eigentlich gar keinen Schimmer hat, wovon man redet. Aber naja, wenn man schon nach dem ersten Drittel lautstark die Meinung verkündet, dass Marx sowieso irrelevant ist, weil Sombart (who the fuck is that even?) den Begriff "in Deutschland popularisiert" hat (es hat also keinen deutschen Marxismus gegeben) und dementsprechend das Monopol auf den Begriff "Kapitalismus" beanspruchen kann, und weil Sombard Nazi und Antisemit war und man sich deshalb gleich auch noch ersparen kann, wenigstens dessen Kapitalismusbegriff "mit Inhalt zu füllen", dann muss man natürlich auch Marxens "Kapital" nicht gelesen haben. Man muss eigentlich gar nichts gelesen haben, um so einen Artikel rauszuhauen.Nikolaus Piper hat geschrieben : Mag sein, dass man diesen inflationär gebrauchten Begriff auch sinnvoll verwenden kann. Aber dazu sollte man ihn erst einmal mit Inhalt füllen.
Eine Herangehensweise, die erst einmal ihre Begriffe definiert, hat sicher ihre Vorteile. In Foren führt das jedoch regelmäßig dazu, dass dann seitenlang über die Definition gestritten wird, während man dabei dem Thema nicht mal nahe kommt. Für den Start genügt meines Erachtens oft eine vage Vorstellung, meine ich. Später mag Klärungsbedarf bestehen, der sich dann an dem orientiert, was zuvor erörtert wurde.Welche Kriterien muss ein politisches System für dich erfüllen, um als demokratisch zu gelten?
Natürlich nicht. Nur wenn jemand mehrmals mit Ausweichen oder Ausreden auf eine Frage reagiert, lässt das eben Rückschlüsse zu.
Nikolaus Piper hat geschrieben : es hat noch nie einen nicht-kapitalistischen Staat gegeben, der demokratisch regiert wurde
Also bahnt sich hier womöglich, nach deiner Ansicht, eine Ausnahme an. Mag sein, aber ich schätze, dass solche Zusammenhänge wie dieser hier nicht so strikt sind, dass bereits die Anbahnung einer Ausnahme, sie komplett in Frage gestellt.
Ich habe nicht unbedingt vor, die Diskussion in eine bestimmte Richtung zu führen. Mich interessiert vage der Zusammenhang, den ich in der Thread-Überschrift formuliert habe: gibt es eine Demokratie ohne Kapitalismus? Kapitalismus gehört, wie Piper es oben sagt, zu den ideologisch aufgeladenen Begriffen. Kapitalismus führt (ganz unideologisch betrachtet) regelmäßig zu Massenarbeitslosigkeit, sozialer Ungerechtigkeit, Armut, Umweltzerstörung. Vor diesem Hintergrund wird manchmal leicht (oder leichtfertig?) seine Überwindung, seine Abschaffung gefordert.
Wenn wir beim Stichwort gesteigerter Lebenserwartung sind: Ich bin ja jetzt gelinde gesagt nicht unbedingt ein Freund von Mao tse-tung, aber zwischen 1958 und 1981 stieg die durchschnittliche Lebenserwartung in China innerhalb von 23 Jahren von 35 auf 68 Jahre (siehe z.B. http://www.phil-fak.uni-koeln.de/filead ... 1986-1.pdf). Einen solchen Sprung in so kurzer Zeit hat meines Wissens kein kapitalistisches Land jemals geschafft, noch nicht mal unter sehr viel günstigeren Ausgangsbedingungen. Das lässt Kapitalismus und Demokratie irgendwie ein wenig blass aussehen, wenn selbst ein totalitäres Drecksloch wie Maos China diesbezüglich schneller Fortschritte macht. Zumal diese Fortschritte im Kapitalismus ohnehin nur die entwickelten Weltgegenden betreffen. (Dass ein kapitalistisches China solche Fortschritte gemacht hätte, ist zu bezweifeln. Im gegenwärtigen zunehmend kapitalistisch wirtschaftenden China gibt es bereits Anzeichen einer Rückentwicklung in diesen Bereichen.)Jörn Budesheim hat geschrieben : ↑Mi 8. Nov 2017, 05:17Der Kapitalismus hat doch auch, man traut es sich kaum zu sagen, zu gewissen Vorteilen geführt?! Z.b. die Steigerung des Wohlstands im Großen und Ganzen, Verbesserung der Gesundheitsversorgung, Steigerung der Lebenserwartung und der sozialen Chancen mit den oben erwähnten "Einschränkungen".
In Sachen Wohlstand für alle ist der neue Kapitalismus in Russland allerdings sogar noch weniger erfolgreich als die Sowjetunion in ihren letzten Jahrzehnten. Der Kapitalismus in der dritten Welt ist in der Hinsicht auch nicht gerade erfolgreich. Bist du sicher, dass du mit "für alle" nicht primär "für die Bevölkerungen der ersten Welt" meinst? (Wobei, selbst hier klappt's ja inzwischen nicht mehr ganz so wie früher.)
Naja - die westlichen Staaten waren ja auch mal auf dem Niveau. Die durchschnittliche Lebenserwartung in Europa betrug noch im 19. Jahrhundert für Männer 35 und für Frauen 38 Jahre. Kennst du einen westlichen Staat, der den Sprung zu 60+ innerhalb von 20 Jahren geschafft hat? Ich kann mich irren, ich hab' nicht allzuviele Informationen, aber meines Wissens ging das nirgendwo so schnell.Jörn Budesheim hat geschrieben : ↑Mi 8. Nov 2017, 19:28Wenn man sehr tief anfängt, dann hat man natürlich mehr und leichteres Spiel nach oben als wenn man bereits ein vergleichsweise hohes Niveau aufweist, meine ich.
Die Frage ist ja immer, Vorteile für wen. Wenn es um Wohlstand für alle geht, ist die Bilanz des Kapitalismus global gesehen nunmal sehr viel schlechter als den meisten Menschen hier in Europa klar ist.Jörn Budesheim hat geschrieben : ↑Do 9. Nov 2017, 05:18Die Frage ist halt, was du zeigen willst. Willst du zeigen, dass die Vorteile des Kapitalismus nicht bestehen?