Von 'antiautoritäre Revolte' bis 'konservative Revolution': Was bleibt von 1968?

Ursprünglich in der praktischen Philosophie beheimatet sind Theorien der Gesellschaft heute weitgehend von der Soziologie aufgegriffen worden.
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Jörn Budesheim
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deutschlandfunkkultur hat geschrieben : Sein und Streit - die ganze Sendung
Die antiautoritäre Revolte: Was bleibt von 1968?

Bild

1968 – ein fast mythisches Datum. Vor 50 Jahren gingen vorrangig junge Menschen auf die Straße und demonstrierten für einen gesellschaftlichen Wandel. Wir fragen uns, was von den Visionen, Theorien und Wünschen übrig geblieben ist?

http://www.deutschlandfunkkultur.de/sei ... _id=407731




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Jörn Budesheim
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Di 9. Jan 2018, 05:32

Hier das Interview von Günter Gaus mit Rudi Dutschke, von dem in dem Beitrag des Deutschlandfunks die Rede war.





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Jörn Budesheim
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Di 9. Jan 2018, 05:38

welt.de hat geschrieben : CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt fordert einen konservativen Aufbruch und wendet sich gegen eine „linke Meinungsvorherrschaft“ in Deutschland. „Wir brauchen den Aufbruch einer neuen Bürgerlichkeit, die sich ihrer Werte und Freiheit bewusst ist“, schreibt Dobrindt in einem Gastbeitrag für die WELT. „Wir brauchen den Aufbruch in eine neue, konservative Bürgerlichkeit, die unser Land zusammenführt, unsere Wertegemeinschaft stärkt und unsere Freiheit verteidigt.“

https://www.welt.de/politik/deutschland ... chaft.html




Tosa Inu
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Di 9. Jan 2018, 05:39




„Die Tiere machen einen ja nachdenklich. Wir gehen doch noch außerdem zum Friseur u. begaunern die Kundschaft, sonst alles ebenso. Sich lausen u. wichsen, – Kinder, Kinder! Das nennt sich Schöpfung!“ (Gottfried Benn, im Brief, nach Zoobesuch der Affen)

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iselilja
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Di 9. Jan 2018, 05:49

Tosa Inu hat geschrieben :
Sa 6. Jan 2018, 23:43
Der mit dem immer kürzeren Transmissionsriemen.
Das Interview ist ziemlich witzig. Die Kommentare allerdings erkennen diesen nicht.

Man kann im demokratischen Verständnis durchaus nachvollziehen, warum Dobrindt die Zeit gekommen sieht, im Spektrum rechst von rechts Stimmen zurückzuholen. Gleichzeitig macht es aber keinen Sinn, dann im Interview (welches ja auch die Zielgruppe sicherlich sehen wird) sinngemäß zu sagen, wir wollen nur Eure Stimme, damit die AfD von der politische Bühne verschwindet. Und dass Dobrindt dies auch so im demokratischen Verständnis meint, ist leicht nachzuvollziehen, denn er verweist ja auch auf das Spektrum links von links.. hier müsse nun die SPD ebenfalls nach Möglichkeiten suchen, Stimmen zurück zugewinnen, um jene Bevölkerungsteile wieder in den demokratisch legitimierten Diskurs einzubinden.




Tosa Inu
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iselilja hat geschrieben :
So 7. Jan 2018, 09:04
Tosa Inu hat geschrieben :
Sa 6. Jan 2018, 23:43
Der mit dem immer kürzeren Transmissionsriemen.
Das Interview ist ziemlich witzig. Die Kommentare allerdings erkennen diesen nicht.

Man kann im demokratischen Verständnis durchaus nachvollziehen, warum Dobrindt die Zeit gekommen sieht, im Spektrum rechst von rechts Stimmen zurückzuholen. Gleichzeitig macht es aber keinen Sinn, dann im Interview (welches ja auch die Zielgruppe sicherlich sehen wird) sinngemäß zu sagen, wir wollen nur Eure Stimme, damit die AfD von der politische Bühne verschwindet. Und dass Dobrindt dies auch so im demokratischen Verständnis meint, ist leicht nachzuvollziehen, denn er verweist ja auch auf das Spektrum links von links.. hier müsse nun die SPD ebenfalls nach Möglichkeiten suchen, Stimmen zurück zugewinnen, um jene Bevölkerungsteile wieder in den demokratisch legitimierten Diskurs einzubinden.
Das sind ja viele Ebenen. Spätestens ab der dritten Frage, antwortet Dobrindt nicht mehr auf diese, sondern einfach irgendwas, im Wahlkampfmodus. Die These, dass die Linken Schuld seien, dass es jetzt einen Rechtsruck gibt, müsste und könnte zum Teil sogar erläutert werden, allerdings ist die Antwort kompliziert und ich bin nicht sicher, ob diejenigen, die AfD gewählt und jetzt mit Parolen zurück geholt werden sollen in der Lage sind, die Antwort zu erfassen. Ein pauschales "Die Linken sind an allem Schuld" ist unterkomplex, ob Herr Dobrindt (Soziologe) die Zusammenhänge selbst kennt, weiß ich nicht, dass Problem ist, dass das Runterbrechen komplexer Thesen fürs Volk seine Grenzen hat, da es im Bierzelt nur gut und böse gibt, das Verständnis der Problematik die Übertreibungen der 68er im Schlepptau hatten, aber mit gut/böse, 0/1 nicht zu erfassen ist.

Dass viele Rechte sich selbst und ihren eigenen Lebensentwurf abschaffen müssten, wenn sie sich selbst ernst nehmen, sind die ironischen Brechungen für die das stets etwas in der Regression gehaltene Volk keinen Sinn hat. Das wird dann auf der Ebene "A Hund is a scho" gelöst, was einen Raum abseits des Demokratischen eröffnet, den es im Sinnfelld real liefe ohnehin in milder Form gibt. Diesen auch noch überstark zu legitimieren (oder auch nur augezwinkernd durchzuwinken) konvergiert jedoch mit dem strukturellen Problem, das auch die linken Bewegungen im Schlepptau haben, dass sie die Strukturen, die Korruption usw. ermöglichen in Wahrheit vergrößern.

Eine konservative Revolution brauchen wir tatsächlich, dass es diese auf hinreichend niveauvoller Ebene nie gegeben hat ist mit ein Grund dafür, dass es jetzt zu einem Rechtsruck auf eher primitiver Ebene kommt. Da die CSU das Image der Regionalpartei hat und pflegt, ist hier eher wenig zu erwarten, dass Dobrindt auf dem Gebiet jenseits der Abteilung Attacke versiert ist hätte er in seinen Antworten einem Publikum außerhalb des Bierzelts zeigen können, das nennt man dann wohl Eigentor.



„Die Tiere machen einen ja nachdenklich. Wir gehen doch noch außerdem zum Friseur u. begaunern die Kundschaft, sonst alles ebenso. Sich lausen u. wichsen, – Kinder, Kinder! Das nennt sich Schöpfung!“ (Gottfried Benn, im Brief, nach Zoobesuch der Affen)

Hermeneuticus
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Was verstehst Du unter einer "konservativen Revolution"?




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iselilja
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Di 9. Jan 2018, 05:53

Tosa Inu hat geschrieben :
So 7. Jan 2018, 10:07


Eine konservative Revolution brauchen wir tatsächlich, dass es diese auf hinreichend niveauvoller Ebene nie gegeben hat ist mit ein Grund dafür, dass es jetzt zu einem Rechtsruck auf eher primitiver Ebene kommt. Da die CSU das Image der Regionalpartei hat und pflegt, ist hier eher wenig zu erwarten, dass Dobrindt auf dem Gebiet jenseits der Abteilung Attacke versiert ist hätte er in seinen Antworten einem Publikum außerhalb des Bierzelts zeigen können, das nennt man dann wohl Eigentor.
Ich denke auch, dass Dobrindt Begriffswahl aus der Mottenkiste nun das eigentliche Ziel verfehlen wird, zumal er ja im Interview nun auch erklärt hat, dass es sich hierbei nur um Sprachmuster handelt, die locken sollen. Schon aus diesen zwei Gründen wird seine Strategie nicht aufgehen können. So erreicht man Menschen nicht. Und dass er das beabsichtigt, glaube ich ihm durchaus.




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Hermeneuticus hat geschrieben :
So 7. Jan 2018, 10:25
Was verstehst Du unter einer "konservativen Revolution"?
Inhaltlich die Wertschätzung von Traditionen, die sich über längere Zeit etabliert haben, auch wenn die nicht immer sofort ihren unmittelbaren Nutzen offenbaren. Strukturell, die Bereitschaft sich auf das was man sagt zu verpflichten.



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Di 9. Jan 2018, 05:55

iselilja hat geschrieben :
So 7. Jan 2018, 10:45
Ich denke auch, dass Dobrindt Begriffswahl aus der Mottenkiste nun das eigentliche Ziel verfehlen wird, zumal er ja im Interview nun auch erklärt hat, dass es sich hierbei nur um Sprachmuster handelt, die locken sollen. Schon aus diesen zwei Gründen wird seine Strategie nicht aufgehen können. So erreicht man Menschen nicht. Und dass er das beabsichtigt, glaube ich ihm durchaus.
Das ist ein recht phantasieloses Eindreschen auf das was als 68er angesehen wird, das nur Jawoll Rufe bei denen auslösen wird, die in einem Automatismus alles was für sie links klingt verachten.



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iselilja
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Di 9. Jan 2018, 05:57

Tosa Inu hat geschrieben :
So 7. Jan 2018, 13:55
Das ist ein recht phantasieloses Eindreschen auf das was als 68er angesehen wird, das nur Jawoll Rufe bei denen auslösen wird, die in einem Automatismus alles was für sie links klingt verachten.
Phantasielos trifft es wohl recht gut. Aber irgend etwas werden die etablierten Parteien tun müssen, wenn sie das Feld nicht kampflos übergeben wollen. Das weder die CDU/CSU noch die SPD sich auf eine Revolution ihrer bisherigen Richtung einlässt, dürfte klar sein. Allerdings könnte eine Profilstärkung, die extremere Positionen mit einbezieht - in der momentanen Situation! - die Lage etwas normalisieren. Dass Dobrindt dabei nicht auf Strauss eindreschen wird dürfte klar sein. Er hat ja gewissermaßen im Interview signalisiert, dass das etwas wäre, was die SPD vielleicht für ihre Profilstärkung nutzen sollte. ;)




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iselilja hat geschrieben :
So 7. Jan 2018, 14:26
Phantasielos trifft es wohl recht gut. Aber irgend etwas werden die etablierten Parteien tun müssen, wenn sie das Feld nicht kampflos übergeben wollen.
Warum sollte die Lösung aus der Politik kommen? Die Chancen sehe ich bei 0,5%
iselilja hat geschrieben :
So 7. Jan 2018, 14:26
Das weder die CDU/CSU noch die SPD sich auf eine Revolution ihrer bisherigen Richtung einlässt, dürfte klar sein. Allerdings könnte eine Profilstärkung, die extremere Positionen mit einbezieht - in der momentanen Situation! - die Lage etwas normalisieren.
Man müsste erst mal klären, was an der Lage eigentlich unnormal ist. Man erzählt doch ständig und werbewirksam, dass es uns so gut wie nie geht.
iselilja hat geschrieben :
So 7. Jan 2018, 14:26
Dass Dobrindt dabei nicht auf Strauss eindreschen wird dürfte klar sein. Er hat ja gewissermaßen im Interview signalisiert, dass das etwas wäre, was die SPD vielleicht für ihre Profilstärkung nutzen sollte. ;)
Ein Überbietungswettbewerb der potentiellen Koalitionäre, die sich wechselseitig erklären, wer tiefer in der Krise ist, finde ich wenig überzeugend.
Aber ehrlich gesagt, geht Politik mir generell ziemlich am Arsch vorbei.



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Tosa Inu hat geschrieben :
So 7. Jan 2018, 13:52
Hermeneuticus hat geschrieben :
So 7. Jan 2018, 10:25
Was verstehst Du unter einer "konservativen Revolution"?
Inhaltlich die Wertschätzung von Traditionen, die sich über längere Zeit etabliert haben, auch wenn die nicht immer sofort ihren unmittelbaren Nutzen offenbaren. Strukturell, die Bereitschaft sich auf das was man sagt zu verpflichten.
Das überrascht mich nun aber. Denn das ist eine recht magere Auskunft, nachdem Du erst so vollmundig von einer "konservativen Revolution" sprachst. Ich kann in diesen Postulaten vor allem nicht das Umstürzlerische, Kämpferische, Gewaltsame erkennen, das doch mit "Revolution" normalerweise gemeinst ist (und das auf die Herrschaften, für die der Ausdruck "konservative Revolution" ursprünglich geprägt wurde, sehr wohl auch zutraf).

Aber ich weiß nicht, ob es sich lohnt, darüber mit Dir überhaupt zu diskutieren, wo Dir Politik doch so am Allerwertesten vorbei geht. Es sieht nicht so aus, als wolltest Du Dich auf die politische Aussage, wir bräuchten eine "konservative Revolution", wirklich verpflichten... 8-)




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Jörn Budesheim
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Di 9. Jan 2018, 07:00

tagesschau.de hat geschrieben : Was ist die "Konservative Revolution"?

Eine "Konservative Revolution" hat CSU-Politiker Dobrindt gefordert - und dafür viel Kritik geerntet. Denn der Begriff hat eine lange Geschichte und wurde vor allem geprägt durch einen Publizisten, der nach dem Krieg die deutsche Rechte vom Nationalsozialismus reinwaschen wollte.

Bild
Von Silvia Stöber, tagesschau.de

http://faktenfinder.tagesschau.de/konse ... n-101.html




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iselilja
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Di 9. Jan 2018, 08:07

Tosa Inu hat geschrieben :
Di 9. Jan 2018, 05:57
Man müsste erst mal klären, was an der Lage eigentlich unnormal ist. Man erzählt doch ständig und werbewirksam, dass es uns so gut wie nie geht.
Wenn man die Schere zwischen arm und reich mal ignoriert, stimmt das ja auch. Der Gesellschaft insgesamt geht es wohl so gut wie schon lange nicht mehr. Finanziell hat Deutschland in mehreren Bereichen ein fettest PLUS erwirtschaftet. Sogar die Schuldenuhr läuft inzwischen erstmals seit es sie gibt rückwärts.

Dass sich das Wohl einer Gesellschaft nicht allein am finanziellen Aspekt erkennen lässt ist sicherlich eine Ursache für den Unmut der Bevölkerungsschichten, die schon allein am finanziellen Wohlstand nicht teilhaben können - und ergo auch viele andere Aspekte dadurch geschmälert werden.




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Di 9. Jan 2018, 09:36

iselilja hat geschrieben :
Di 9. Jan 2018, 08:07
Der Gesellschaft insgesamt geht es wohl so gut wie schon lange nicht mehr
...
Dass sich das Wohl einer Gesellschaft nicht allein am finanziellen Aspekt erkennen lässt ist sicherlich eine Ursache für den Unmut der Bevölkerungsschichten, die schon allein am finanziellen Wohlstand nicht teilhaben können - und ergo auch viele andere Aspekte dadurch geschmälert werden.
Das ist der Punkt. Die Zufriedenheit allein an der Wirtschaftskraft zu messen, wäre etwas dünn. Aber selbst da. Schau Dir mal den Zustand einiger Bereiche der Infrastruktur an. Und dann blende mal in die Bereiche wie Rente, Bildung oder Ängste um die Sicherheit. Der negativste Punkt in meinen Augen, ist aber die prinzipiell andere Sicht auf die Zukunft, bei der es eher darum geht, das was man noch hat irgendwie zu verteidigen, statt tatsächlich neue Visionen zu entwickeln. Die post68er Zeit war vor allem mit der (vielleicht trügerischen, aber doch vorhandenen) Idee verknüpft, ein unaufhaltamer Aufstieg ginge immer so weiter, kurz ein Fortschrittsoptimismus, der primär auf einem Glauben an Fortschrit & Technik beruhte.



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Di 9. Jan 2018, 11:45

psyheu.de hat geschrieben : Die nächste Generation soll es besser haben

Das war die stille Agenda der Nachkriegszeit. Aus Trümmern geboren wurde ein immenser Glaube an den Fortschritt auf allen Ebenen. Die Selbstverständlichkeit mit der man unterstellte, dass es immer weiter bergauf geht, brachte vielleicht erst die anderen Themen, sich um bessere soziale und ökologische Bedingungen zu kümmern, auf die Agenda. Es war genug da, man würde nie wieder Mangel leiden, die Fortschritte von Wissenschaft und Technik waren immens, man schickte Menschen auf den Mond, die Ära der Antibiotika begann, Seuchen verschwanden zusehens und man war der Überzeugung, dass ein paar ernst gemeinte Investitionen auch den Krebs besiegen würden. Es war eine Zeit grundlegend optimistischer Stimmung, dass die nächste Generation es besser haben sollte und würde, war eine tief gefühlte Überzeugung und wurde fast wie eine Art Naturgesetz erlebt.


Allmählich, schleichend, begann dieses Bild feine Risse zu bekommen, erst so, dass es noch niemand merkte, doch dann immer mehr. Fortschrittspessimismus und Technologieskepsis gab es auch vorher schon, aber diese Stimmen wurde in der Breite nicht gehört, die realen Fortschritte sprachen dagegen und wissenschaftlich-technischer Fortschritt hieß zu jener Zeit, noch ganz direkt, dass es den Menschen besser geht. Etwa zeitgleich mit der erstarkenden Ökobewegung kam auch eine Esoterikbewegung auf, die kaum historisch aufgearbeitet ist. Sie war zu Beginn eine kritische Bewegung, nicht politisch kritisch sondern fortschrittsskeptisch, vor allem den Bereich der Medizin und Psychotherapie betreffend. Ausgerechnet jene Bewegungen, die gerade kräftig abräumten. Dass Öko- und Esobewegung überhaupt im breiteren Rahmen Zuspruch bekamen, zeigt bereits, die oben angesprochenen Risse im Bild. Etwa zu Beginn der 1980er nahmen die kritischen Stimmen Fahrt auf, doch die Stimmung war insgesamt noch immer positiv. Es würde weiter bergauf gehen. Vielleicht nicht mehr so schnell, aber Fortschritt und Wachstum waren weiter positiv gefärbte Begriffe.

Drei wichtige Faktoren


Doch dann gab es einen Bruch, der meines Erachtens wichtig ist. ...
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Di 9. Jan 2018, 15:52

iselilja hat geschrieben :
Di 9. Jan 2018, 08:07
die schon allein am finanziellen Wohlstand nicht teilhaben können
Was bleibt von 1968 lautet die Frage des Podcast des Deutschlandsfunks. Ich weiß nicht, ob sich jemand das Feature angehört hat. Als Habermas danach gefragt wurde, soll er "Rita Süssmuth" geantwortet haben. Was heißt das? Eine Langzeitfolge von 68 ist wohl eine ziemlich "allumfassende" Liberalisierung unserer Gesellschaft, gewissermaßen in allen Lebenslagen. (Ob von den 68ern so beabsichtigt oder nicht.)

Die Menschen, die Dobrindt mit seiner verfehlten Rhetorik "zurück gewinnen" will, sind nach meiner Einschätzung nicht im wesentlichen "wirtschaftliche Verlierer", also Menschen, die am finanziellen Wohlstand nicht teilhaben können, sondern viel eher diejenigen, die sich als "kulturelle Verlierer" fühlen, als Verlierer dieser Modernisierung der Gesellschaft, die vor 50 Jahren ihren Lauf genommen hat. Sie würden wohl gerne das Rad der Geschichte zurückdrehen: Homo-Ehe? Nein Danke! Multi-Kulti? Auf keinen Fall! Pluralisierung? Bitte nicht! Daher auch die Rede von der sog. Lügen-Presse. Das heißt wohl einfach, dass diese rückwärts gewandte Weltsicht in unserer modernen Presselandschaft eher ein Randdasein fristet. Diese Leute fühlen sich in unserer repräsentativen Demokratie von der Politik und von den Medien nicht repräsentiert. Das hat Dobrindt ja auch klar ausgesprochen, dass es ihm genau um dieses Klientel geht.

Seine Zielgruppe will eine andere Gesellschaft! Sie will andere Werte, zurück zu traditionellen Formen. Diesen Menschen ist der Slogan der "konservativen Revolution" auf den Leib geschneidert. Und auch der Zusammenhang mit den 68ern ist daher "stimmig".




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Di 9. Jan 2018, 17:31

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Di 9. Jan 2018, 15:52
Die Menschen, die Dobrindt mit seiner verfehlten Rhetorik "zurück gewinnen" will, sind nach meiner Einschätzung nicht im wesentlichen "wirtschaftliche Verlierer", also Menschen, die am finanziellen Wohlstand nicht teilhaben können, sondern viel eher diejenigen, die sich als "kulturelle Verlierer" fühlen, als Verlierer dieser Modernisierung der Gesellschaft, die vor 50 Jahren ihren Lauf genommen hat.
Lustigerweise war es ja Stoiber, der formulierte, dass die Abgehängten und Frustrierten nicht die Politik bestimmen dürften. Damals war Protest noch links.



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Fr 12. Jan 2018, 08:58

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Di 9. Jan 2018, 15:52
Die Menschen, die Dobrindt mit seiner verfehlten Rhetorik "zurück gewinnen" will, sind nach meiner Einschätzung nicht im wesentlichen "wirtschaftliche Verlierer", also Menschen, die am finanziellen Wohlstand nicht teilhaben können, sondern viel eher diejenigen, die sich als "kulturelle Verlierer" fühlen, als Verlierer dieser Modernisierung der Gesellschaft, die vor 50 Jahren ihren Lauf genommen hat. Sie würden wohl gerne das Rad der Geschichte zurückdrehen: Homo-Ehe? Nein Danke! Multi-Kulti? Auf keinen Fall! Pluralisierung? Bitte nicht! Daher auch die Rede von der sog. Lügen-Presse. Das heißt wohl einfach, dass diese rückwärts gewandte Weltsicht in unserer modernen Presselandschaft eher ein Randdasein fristet. Diese Leute fühlen sich in unserer repräsentativen Demokratie von der Politik und von den Medien nicht repräsentiert. Das hat Dobrindt ja auch klar ausgesprochen, dass es ihm genau um dieses Klientel geht.
Ja, da ist was dran. In vielen Fällen fallen kulturelle und wirtschafltiche Ausgrenzung auch zusammen. Was all die Bewegungen, die sozial Ausgegrenzte auffängt sexy macht, ist, dass sie eine kulturelle Identität anbietet, die genau das, was als negativ entwertet ist, ins Positive wendet.
Jörn Budesheim hat geschrieben :
Di 9. Jan 2018, 15:52
Seine Zielgruppe will eine andere Gesellschaft! Sie will andere Werte, zurück zu traditionellen Formen. Diesen Menschen ist der Slogan der "konservativen Revolution" auf den Leib geschneidert. Und auch der Zusammenhang mit den 68ern ist daher "stimmig".
Allerdings sind da auch viele pensionierte Akademiker bei, die weder monetär noch kulturell abgehängt sein dürften.

Zudem hat auch die 68er Bewegung ihre Schattenseiten, wenngleich der Gewinn bei weitem überwiegt. Ich würde es so bei 80:20 ansetzen.



„Die Tiere machen einen ja nachdenklich. Wir gehen doch noch außerdem zum Friseur u. begaunern die Kundschaft, sonst alles ebenso. Sich lausen u. wichsen, – Kinder, Kinder! Das nennt sich Schöpfung!“ (Gottfried Benn, im Brief, nach Zoobesuch der Affen)

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