Jörn Budesheim hat geschrieben : ↑ Sa 13. Jan 2018, 07:13
Mit kulturell abgehängt gemeint ist ja, einfach gesagt, dass man die Liberalisierung der Gesellschaft nicht mitmacht.
Da sind zwei u.U. missverständliche Begriffe dabei, nämlich 'abgehängt' und 'Liberalisierung'.
Abgehängt betrifft zum einen die, die aus irgendwelchen Gründen, die meist Bildung, Einkommem, Interessen, wo man einkauft, was man isst ... aus dem Mainstream ausgeschlossen sind, die anderen sind jene (die man durchaus zur Gruppe der kulturell Kreativen zählen könnte), die ein 'Weiter so' in einem grundsätzlichen Sinn nicht wollen, dies dann wirklich aus ideologischen Gründen. Das ist auch keine Frage von klassischem Links und Rechts.
So ist auch 'liberal' ein Begriff, den die bürgerliche Mitte gerne mit links assoziiert, aber den Linken und Ganzlinken stellen sich schon bei dem Begriff sämtliche Nackenhaare auf. Für Linke ist der Mainstream + Presse insgesamt rechts, neoliberal, transatlantisch, für Rechte und Ganzrechte ist es gerade anders herum alles linksgrün, die Presse sowieso. Eigene Welten oder Sinnfelder eben.
Nimmt man den Begriff liberal mal aus der Kampfzone, dann stellt sich die Frage wo Liberalität in Desinteresse umkippt und der Schatten der 68er ist sicher, dass sie beim Blick auf ihr eigenes Biotop, das durchaus straffe Regeln kennt, gerne ausblenden, wie es anderen damit geht, das aber gewohnheitsmäßig in eine Sprache fassen, die nett und manchmal überfürsorglich klingt. Maximale Toleranz hat irgendwann auch mal Züge von kalten Desinteresse.
Bei aller Kritik, die ich daran gleich im Dutzend habe, darf man die Errungenschaften, die zumindest ich nicht missen möchte, aber nicht ausblenden. Ich halte die 68er Revolution für eine der großartigsten Bewegungen überhaupt, gerade deshalb muss man sie kritisieren. In die 1950er will doch niemand ernsthaft zurück, frag mal, wer bereit ist, sein Smartphone abzugeben. Aber die 50er sind eine Chiffre für heile Welt und klare Rollenzuweisungen der Geschlechter, vor allem von einem klaren Ziel und einer optimistischen Grundhaltung. In ländlicheren Regionen war das natürlich auch damals schon alles nicht so lustig. Und so weiter, ein Thema mit vielen Aspekten.
Der wirklich wunde Punkt ist das Wegbrechen Orientierung gebender Strukturen in Familie und Psyche, was ironischerweise vor allen von linken Theoretikern klar erkannt wurde:
„Horkheimer, Adorno und Lasch führen das Auftauchen des Narzissmus als dominanten Charakterzug und die Ausweitung Narzisstischer Persönlichkeitsstörungen als vorherrschende Psychopathologie auf den Zusammenbruch väterlicher Autorität und die Verwässerung mütterlicher Fürsorge im Zuge veränderter familiärer Strukturen und ökonomischer Produktionsprozesse zurück. Die Übernahme elterlicher Funktionen durch Medien, Schule und Sozialeinrichtungen haben zu einer Verwässerung elterlicher Autorität und zur Beeinträchtigung der Fähigkeit von Kindern geführt, starke psychische Identifizierungen mit ihren Eltern auszubilden. Autorität und Autonomie des Vaters werden mehr und mehr durch die Trivialisierung seiner Rolle im Produktionsprozess unterminiert, während Effektivität und Fürsorge der Mutter durch die zunehmende Professionalisierung von Kindererziehung und den Mangel an gesellschaftlicher Anerkennung ihrer Rolle als Trägerin dieser Qualitäten (d.h. Liebe, Zärtlichkeit, Gegenseitigkeit) infrage gestellt werden – Qualitäten, die einer Reduzierung des Menschen auf ein bloßes Anhängsel von Produktionsprozessen entgegenstehen.
Nach Auffassung von Horkheimer, Adorno und Lasch interferiert dieser Schwund elterlicher (insbesondere väterlicher) mit ödipalen und präödipalen Internalisierungsprozessen. Der Ödipuskomplex dient in den Augen dieser Theoretiker nicht nur als Medium zur Internalisierung, sondern auch als Fundament moralischer Autonomie, die ihrerseits zum Hort gesellschaftlichen Widerstands werden kann. Viele Mitglieder unserer Gesellschaft, so die These, entbehrten aufgrund der Abwesenheit des Vaters von zu Hause sowie seiner Machtlosigkeit innerhalb der sozialen Welt einer starker Identifikationsfigur, was den Verlust eines starken Ichs zur Folge habe, das normalerweise den langwierigen Auseinandersetzungen mit einem geliebten und verehrten, wenngleich gefürchteten Vater entspringt. Vielmehr sei der Einzelne, so Lasch (1982), seinen primitiven Phantasien über einen unnötig strengen und strafenden Vater ausgeliefert, mit dem Ergebnis, dass auch das Über-Ich seine primitiven personifizierten Qualitäten behalte und auf die soziale Welt projiziere, die dann als gefährlich und irrational erscheine. Der Zusammenbruch väterlicher Autorität als zentrales Sozialisationsmoment machen so den Weg frei für die direkte Manipulation des Ich durch Massenmedien, Schule, Peergroups und politische Führer. Das Ich-Ideal entspringe nicht der Auseinandersetzung mit dem Vater, sondern einem unterentwickelten Ich bzw. dem direkten Einwirken von Kräften außerhalb der Familie. Eine derartige Aufpfropfung des Ich-Ideals auf das entstehende Ich prädisponiere zu dessen rascher Reprojektion auf äußere Figuren, sowie zu Regressionen, die mit einer Verdichtung von Ich und Ich-Ideal in Richtung narzisstischer Pathologie einhergehen.“
(Diana Diamond, Narzissmus als klinisches und gesellschaftliches Phänomen, in: in Otto F Kernberg (Herausgeber), Hans P Hartmann (Herausgeber), Narzissmus: Grundlagen – Störungsbilder – Therapie, Schattauer 2009, S. 190 f)
Diese Wunde blutet und blutet und kaum einer sieht die Zusammenhänge. Als ich begann mich für das Werk von Wilber zu interessieren, dachte ich, bei aller Zustimmung, dass er mit seiner Kritik am Pluralismus und grünen Bewegungen übertreibt, oder dass das was er natürlich auch mehrfach illustrierte ein typisches Amiphänomen sei. Erst als ich die Existenz derselben Phänomene und die notorische Unfähigkeit linker Denker die stufenweise Entwicklung der Psyche zu sehen und einzupreisen, selbst immer und immer wieder bemerkte - für typische Linke gibt es tatsächlich genau ein Problem, den Neoliberalismus, also äußere Ursachen - wurde mir klar, dass das kein Amiproblem ist. Es ist nur eine traurige Folge linker Denkmuster, die Welt unserer Psyche von der Außenwelt zu einer Einbahnstraßenbeziehung gemacht zu haben. Das Sein bestimmt noch immer das Bewusstsein, aber andersrum? Nein, da müssen stets Gesetze her. Wenn der Pluralismus im Kindergarten nicht eingepflanzt werden konnte, muss man eben regulieren. Wer findet den Fehler?