François Jullien: "Es gibt keine kulturelle Identität"

Ursprünglich in der praktischen Philosophie beheimatet sind Theorien der Gesellschaft heute weitgehend von der Soziologie aufgegriffen worden.
Tosa Inu
Beiträge: 2300
Registriert: Mo 31. Jul 2017, 19:42
Kontaktdaten:

Do 15. Mär 2018, 13:38

„Es war auch kein unverständlicher Zufall, daß der Traum einer germanischen Weltherrschaft zu seiner Ergänzung den Antisemitismus aufrief, und man erkennt es als begreiflich, daß der Versuch, eine neue kommunistische Kultur in Rußland aufzurichten, in der Verfolgung der Bourgeois seine psychologische Unterstützung findet. Man fragt sich nur besorgt, was die Sowjets anfangen werden, nachdem sie ihre Bourgeois ausgerottet haben.“

– Teil V, S. 243 (zitiert aus wiki)
Ich meine hier eine ganz milde interkultuelle Kritik zu spüren. ;)



„Die Tiere machen einen ja nachdenklich. Wir gehen doch noch außerdem zum Friseur u. begaunern die Kundschaft, sonst alles ebenso. Sich lausen u. wichsen, – Kinder, Kinder! Das nennt sich Schöpfung!“ (Gottfried Benn, im Brief, nach Zoobesuch der Affen)

Benutzeravatar
Jörn Budesheim
Beiträge: 23410
Registriert: Mi 19. Jul 2017, 09:24
Wohnort: Kassel
Kontaktdaten:

Do 15. Mär 2018, 13:58

Dennoch liegt der Bezug, den du zum Thema siehst, für mich im Dunkeln. Ich erkenne auch nicht, inwiefern deine Zitate und Ausführungen zu Freud deine Kritik an Jullien begründen.




Benutzeravatar
Friederike
Beiträge: 4950
Registriert: Mi 19. Jul 2017, 07:48

Do 15. Mär 2018, 16:40

Tosa Inu hat geschrieben :
Do 15. Mär 2018, 10:56
Die Lösung ist die Sublimation, was im Grunde bedeutet, die Triebe aufzuschieben, nicht zu beseitigen und die Spannung auszuhalten. Das macht ein reifes Ich aus, dass es Ambivalenzen ertragen kann, also den inneren Konflikt, dass der Mensch, den man liebt, gleichzeitig auch der ist, der einen am meisten auf die Palme bringen und am tiefsten verletzen kann. Klingt theoretisch einfach, ist aber schwer zu ertragen. Ein Versagen dieser Ambivalenzfähigkeit ist ein Abrutschen in die alternierenden Pole der Idealisierung und Entwertung.[...] Jullien will ja, soweit ich das verstehe, sagen, dass nicht die kulturelle Einheit das entscheidende Moment ist, sondern die Spannung zwischen diesen Einheiten, der Übergang, der Prozess der wechselseitigen Integration, aber auch die Möglichkeit sich Versatzstücke aus entfernten Kulturen herauszugreifen und Buddhist zu werden.
Der Sprung kommt mir zwar tollkühn vor, aber einen anderen kriege ich zwischen Freud und Jullien nicht hin. Die Ambivalenzfähigkeit entspricht dem Spannungsaushalten? Bitte entschuldige, daß ich Dich so grauslich verkürze, es ist mein Versuch, den Faden zwischen Triebtheorie und Politik zu finden.




Tosa Inu
Beiträge: 2300
Registriert: Mo 31. Jul 2017, 19:42
Kontaktdaten:

Do 15. Mär 2018, 16:57

Friederike hat geschrieben :
Do 15. Mär 2018, 16:40
Der Sprung kommt mir zwar tollkühn vor, aber einen anderen kriege ich zwischen Freud und Jullien nicht hin. Die Ambivalenzfähigkeit entspricht dem Spannungsaushalten?
Ja.

Spannung aushalten als kulturelle Leistung, also gegensätzliche Strömungen integrieren.
Im Grunde haben wir da einige Übung, aber die These ist, dass der Bogen inzwischen überspannt ist.
Das wäre der Absturz von der Toleranz zur Ignoranz, aber nicht durch eine Absage an die Pluralismus, sondern durch diesen, inbesondere seine Nachahmer verursacht.

Es muss auch eine hinreichend große Anzahl an Menschen geben, die eine echte pluralistische Einstellung haben, lernt man nur Versatzstücke auswendig und bringt richtig an, was derzeit (ich benutze mal des gefährliche Wort) politisch korrekt ist, befördert man eher den gegenteiligen Prozess. Eine Ausdünnung aller Standpunkt, was was plural aussieht, aber egal bedeutet.

Wenn ich ein erzkonservativer Kathole bin, dann kann mich mit einem Grünen der Erhalt der Schöpfung aka Mutter Natur verbinden, mit dem Moslem verbindet mich, dass ich überhaupt gläubig bin. Mit einer anbiedernden alles voll supie Einstellung kann ich keine Brücken bauen, da hier kein Standpunkt vorhanden ist. Es entsteht auch keine Spannnung, die braucht zwei Pole. Es gibt auch keinen Abstsnd, wenn der andere sch ranwanzt. Und so weiter.



„Die Tiere machen einen ja nachdenklich. Wir gehen doch noch außerdem zum Friseur u. begaunern die Kundschaft, sonst alles ebenso. Sich lausen u. wichsen, – Kinder, Kinder! Das nennt sich Schöpfung!“ (Gottfried Benn, im Brief, nach Zoobesuch der Affen)

Benutzeravatar
Jörn Budesheim
Beiträge: 23410
Registriert: Mi 19. Jul 2017, 09:24
Wohnort: Kassel
Kontaktdaten:

Di 20. Mär 2018, 14:31

qantara.de hat geschrieben : Gibt es aus Historiker-Sicht eine Antwort darauf, ob der Islam zu Deutschland und Europa passt?

Borgolte: Der grundlegende und welthistorisch wohl einzigartig erfolgreiche Mechanismus der Geschichte Europas ist die Fähigkeit zu ständiger produktiven Auseinandersetzung mit fremden Einflüssen. Europas Geschichte ist besonders dynamisch geworden, weil jede erreichte Einheit durch aufbrechende Dissonanzen sogleich wieder in Frage gestellt wurde. Christen, Juden und Muslime haben sich zeitweise bekämpft, aber das führte nie zur kompletten Ausrottung der anderen. In diesen Religionen gab es Schutzvorschriften und es gab Dialog und gelungenes Zusammenleben. Europa war und ist also durch das Wechselspiel von Integrationen und Desintegration geprägt. Das ist anstrengend, aber schöpferisch.

https://de.qantara.de/inhalt/historiker ... her-kultur




Tosa Inu
Beiträge: 2300
Registriert: Mo 31. Jul 2017, 19:42
Kontaktdaten:

Di 20. Mär 2018, 15:29

Gar nicht schlecht, weil pointiert die kontroversen Sichtweisen auf den Punkt bringend, fand ich:




„Die Tiere machen einen ja nachdenklich. Wir gehen doch noch außerdem zum Friseur u. begaunern die Kundschaft, sonst alles ebenso. Sich lausen u. wichsen, – Kinder, Kinder! Das nennt sich Schöpfung!“ (Gottfried Benn, im Brief, nach Zoobesuch der Affen)

Benutzeravatar
Jörn Budesheim
Beiträge: 23410
Registriert: Mi 19. Jul 2017, 09:24
Wohnort: Kassel
Kontaktdaten:

Do 29. Mär 2018, 09:40

Der französische Ausdruck écart wird hier je nach Kontext mit Abstand oder Abweichung übersetzt (Anmerkung des Übersetzers).




Rosita
Beiträge: 271
Registriert: Sa 30. Dez 2017, 00:23
Wohnort: Spanien

Do 29. Mär 2018, 20:23

Ich bin jedenfalls froh Europäerin zu sein, egal wo ich gerade bin und wohne.



Jeder Mensch hat das Recht auf eine eigene Meinung, aber nicht auf eigene Fakten!

Timelaios
Beiträge: 35
Registriert: Sa 26. Sep 2020, 22:59

Di 6. Okt 2020, 11:42

Warum ? ;)




Antworten