Spaemanns Gottesbeweis: Warum wir, wenn es Gott nicht gibt, überhaupt nichts denken können

Glaube und Wissen, Wesen und Formen von Religionen, ihre Bedeutung für das menschliche Leben, Grundfiguren religiösen Denkens u.ä. - Darauf wirft die Religionsphilosophie ihren Blick.
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Tarvoc
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So 15. Okt 2017, 20:57

Segler hat geschrieben :
So 15. Okt 2017, 20:32
Wie muss ich mir eine zeitlose aber nicht ewige Wahrheit vorstellen?
Unzeitlich. Ein Satz, der behauptet, dass ein anderer Satz nur zu einem bestimmten Zeitpunkt wahr ist, wäre dann einfach Unsinn (oder allenfalls Rhetorik).



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Segler
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Mo 16. Okt 2017, 09:16

Tarvoc hat geschrieben :
So 15. Okt 2017, 20:57
Segler hat geschrieben :
So 15. Okt 2017, 20:32
Wie muss ich mir eine zeitlose aber nicht ewige Wahrheit vorstellen?
Unzeitlich. Ein Satz, der behauptet, dass ein anderer Satz nur zu einem bestimmten Zeitpunkt wahr ist, wäre dann einfach Unsinn (oder allenfalls Rhetorik).
Mir ist immer noch nicht klar, wodurch sich Unzeitlichkeit und Ewigkeit unterscheiden.




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Jörn Budesheim
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Mo 16. Okt 2017, 09:18

Christina Kosbü hat in ihrer Master Arbeit: "Gott denken – Religionsphilosophischer Ansatz und sozialethische Konkretion bei Robert Spaemann und Volker Gerhardt vor dem Hintergrund der Geschichte der Gottesbeweise" den Beweis Spaemanns kritisch rekonstruiert. Die Arbeit ist öffentlich zugängig > HIER

Ich zitiere für die Diskussion hier daraus den Abschnitt über Spaemanns Beweis. (Ich hab zur besseren Leserlichkeit lediglich ein paar Absätze hinzugefügt und die Hinweise auf die Fußnoten entfernt.)
Christina Kosbü hat geschrieben : 3.4 Moderne Gottesbeweise

3.4.1 Robert Spaemanns „letzter Gottesbeweis“ mithilfe des Futurum exactum: Gott als Bewusstsein, in dem alles, was passiert, für immer aufgehoben ist Robert Spaemanns Gottesbeweis, der 2007 im Pattloch Verlag erschienen ist, soll die Vernünftigkeit des Glaubens an Gott demonstrieren. Er sieht sein Argument für die Existenz Gottes in einer Reihe mit Pascals Wette und Kants Postulat. 195 Im Unterschied zu diesen gründe sein Argument jedoch nicht auf eudämonistischem oder moralischem Interesse, sondern auf der an Nietzsche anknüpfenden Annahme, ohne Gott könne es keine Wahrheit geben. Nach Nietzsche bedingen der Glaube an die Existenz Gottes und der Gedanke der Wahrheit bzw. der Wahrheitsfähigkeit des Menschen einander. Nietzsche stellte die Wahrheitsfähigkeit des Menschen in Frage, indem er davon ausging, dass es möglich sein könnte, dass wir im Absurden leben. Daher könne nach Spaemann nun kein Gottesbeweis mehr geführt werden, der auf der Wahrheitsfähigkeit des Menschen gründet. Sein Ziel ist ein nietzsche-resistenter Gottesbeweis, denn auch er geht davon aus, dass ohne Gott Wahrheit nicht möglich ist.

Spaemann leitet seinen Gottesbeweis aus der Grammatik, genauer gesagt aus dem Futurum exactum, her. Die Struktur des Gottesbeweises ist folgende:

1.1 Wir nehmen die gegenwärtigen Tatsachen als Wahrheiten an.

1.2 Diese Wahrheiten besitzen Ewigkeitscharakter.

2.1 Zur Vergangenheit gehört immer eine Gegenwart, deren Vergangenheit sie ist.

2.2 Diese Wahrheiten hängen nicht am Erinnertwerden, sondern sind unabhängig davon wahr.

3. Es muss also ein Bewusstsein geben, in dem diese Wahrheiten aufgehoben sind. Dieses Bewusstsein ist Gott.

Spaemann geht im ersten Schritt davon aus, dass alles, was wir jetzt erleben, als Wahrheit betrachtet werden kann und zudem ewige Geltung hat, da wir alles andere nicht denken können. Wenn in diesem Moment eine Diskussion geführt wird, wird es auch in Zukunft immer wahr sein, dass diese Diskussion tatsächlich stattgefunden hat. Insofern sind Tatsachenwahrheiten ewige Wahrheiten. Rolf Schönberger definiert die Wahrheit, von der Spaemann spricht, etwas näher. Es sei hier von Wahrheit in einem nicht-relativen Sinne die Rede, d.h. Wahrheit werde als Kategorie verstanden. Das Unterscheidungsvermögen, mit dessen Hilfe der Mensch Wahres von Unwahrem unterscheiden kann, könne mit der Rationalität gleichgesetzt werden, wie dies bereits in der antiken Philosophie getan worden sei. Zwar sei damit keine Garantie gegeben, dass der Mensch auch wirklich das Wahre als das Wahre erfasse, jedoch habe die vom Menschen erkannte Wahrheit den Status von Absolutheit.

Im zweiten Schritt, der keine neue Prämisse, sondern eher eine Erläuterung zum ersten Schritt ist, nimmt Spaemann an, dass zur Vergangenheit immer eine Gegenwart gehört, deren Vergangenheit sie ist. Alles Vergangene war einmal gegenwärtig wie die Diskussion im vorangehenden Beispiel. Aber zu jeder Gegenwart gehört untrennbar die Vergangenheit. Das Futurum exactum ist untrennbar mit dem Präsens verbunden. Nun stellt Spaemann sich die Frage nach der Seinsart dieser Wahrheit. Sie könne zunächst im Bewusstsein der Menschen angenommen werden. Schönberger unterscheidet zwischen einer rein physikalischen Sichtweise der Zeit und derjenigen, die der Mensch mit Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft benennt. Er erläutert, dass diese Zeitstufen immer an ein Wesen geknüpft seien. Für dessen Bewusstsein könne die Gegenwart nicht einfach der Punkt sein, „an dem die anrollende Zukunft in die Vergangenheit umschlägt“ . Doch mit dem angenommenen Bewusstsein des Menschen tritt bei Spaemann sogleich das Problem der Erinnerung auf, die irgendwann nicht mehr ist, wenn alle Menschen, die von der Tatsache wussten, nicht mehr sind. Man könnte annehmen, dass damit auch die Wahrheit der Tatsache verschwindet, doch dies könne der Mensch nicht denken, denn wenn etwas irgendwann einmal nicht mehr wahr sein wird, dann ist es auch in der gegenwärtigen Situation nicht wahr.

Daraus folgt nach Spaemann, dass es ein Bewusstsein geben muss, in dem alle Wahrheiten auf ewig aufgehoben sind. Dieses nennt er Gott. Hier stellt sich sogleich die Frage, warum man für die Tatsachenwahrheiten ein ewiges Bewusstsein denken muss, indem sie aufgehoben sind, auch wenn sich kein Mensch mehr erinnern kann. Spaemanns Denkweise passt zu seinem Gesamtgottesbild, das sich als eher personal und greifbar darstellt. Ebenso ist auch seine Deutung eines Bewusstseins, in dem alles aufgehoben ist, eine greifbare Vorstellung, jedoch kommt sie einem menschlichen Bewusstsein sehr nahe. Auch Schönberger hält Spaemanns Schlussfolgerung für „am meisten diskussionswürdig [...]“ und stellt sich ebenfalls die Frage, inwieweit es notwendig ist, für Wahrheit einen Ort denken zu müssen.

Doch er hält es für richtig, die Seinsart der Wahrheit näher zu bestimmen und zu definieren, was genau denn Wahrheit besagt. Spaemanns Versuch, den ontologischen Status der Wahrheit zu bestimmen, hält er also durchaus für sinnvoll. Das göttliche Bewusstsein dürfe jedoch gerade keines sein, was der Zeit unterliegt. Insofern stelle sich die Frage, inwieweit dann die „Gegebenheitsweise für das endliche Bewusstsein seinerseits anwesend sein kann“ Genau hier liegt auch der Knackpunkt, anhand dessen meines Erachtens Zweifel aufkeimen, ob Spaemann seine eigene Anforderung, einen nietzsche-resistenten Gottesbeweis zu schaffen, erfüllt hat. Denn auch Spaemann setzt auf die Wahrheitsfähigkeit des Menschen, wenn er von der Grammatik ausgeht. Damit setzt er voraus, dass die vom Menschen geschaffene Grammatik und deren zeitliche Struktur wahre Tatsachen sind.

Und genau an dieser Stelle wird der Beweis zirkulär, denn er setzt genau das voraus, was er eigentlich beweisen will: die Wahrheitsfähigkeit des Menschen und damit die Existenz Gottes. Stefan Groß argumentiert ähnlich, wenn auch er kritisiert, „daß [Spaemanns] Argument nur für diejenigen Sinn macht, die auch an Gott glauben“, und zudem die Frage stellt, ob nicht letztendlich der allwissende Gott bereits als Bewusstsein vorausgesetzt werde, womit ebenfalls ausgesagt ist, dass Spaemanns Argument ohne die vorherige Annahme der Existenz Gottes nicht überzeugend ist. Zudem stellt Groß die Frage in den Raum, warum es einen allwissenden Gott braucht, wenn die Welt und die Menschheit bereits verschwunden sind, und inwiefern Gott dann noch etwas mit seinem Wissen von der Welt anfangen kann.

Diese Fragen wirken blasphemisch und sind im Hinblick auf den Gottesbeweis Spaemanns nicht weiterführend, denn es geht nicht darum, was es bringt, dass Gott existiert oder nicht existiert, sondern darum, ob er es tut. Dennoch hat Groß mit seiner Kritik auch Recht. Denn es bleibt die Frage, die auch Schönberger stellt, warum es einen Ort braucht, der die Tatsachen aufhebt, damit garantiert ist, dass etwas auch wirklich immer geschehen sein wird. Warum sollte eine Tatsache nicht mehr wahr sein, nur weil sich niemand mehr daran erinnert? Ein Bewusstsein zu denken, in dem alle Dinge aufgehoben sind, bedeutet nichts anderes als einer Tatsache nur dann Wahrheit zuzuschreiben, wenn jemand sich an sie erinnert, in diesem Fall das absolute Bewusstsein. Aber warum sollte dies der Fall sein? Kann nicht etwas, das geschehen ist, wahr sein, auch ohne dass sich jemand erinnert? Genau dies nimmt Spaemann an und muss dann aber zugleich doch wieder ein Bewusstsein denken, das sich erinnert. Dieser Schluss ist aber nicht zwangsläufig.




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Tarvoc
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Mo 16. Okt 2017, 11:37

Letztendlich läuft der Spaemannsche Gottesbeweis einfach insgesamt darauf hinaus, aus der Tatsache, dass das denkende Subjekt seine eigene Endlichkeit nicht denken kann, Gott abzuleiten. Diese Ableitung sollte eigentlich nicht erst seit Nietzsche, sondern schon seit Kant philosophisch gegessen sein. Dass sie immer wieder versucht wird, hat m.E. eher religionspolitische als philosophische Grunde. Hier im Speziellen ist u.A. darauf hinzuweisen, dass der Beweis hinterrücks so tut, als gäbe es bezüglich unserer eigenen Endlichkeit eben doch etwas zu denken - bzw als könne Sprache auch dann noch stattfinden, wenn es keine Sprecher mehr gibt. Wenn man das durchschaut, zieht auch der Beweis nicht mehr. Wie man es auch dreht und wendet, von welcher Seite man es auch betrachtet: Der Satz "Auch in zehn Billionen Jahren wird es noch wahr sein, dass wir gestern hier zusammen gesessen haben" ist weder wahr noch falsch, sondern ganz präzise das, was man in der analytischen Philosophie Unsinn nennt.



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Segler
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Mo 16. Okt 2017, 20:04

Tarvoc hat geschrieben :
Mo 16. Okt 2017, 11:37
Der Satz "Auch in zehn Billionen Jahren wird es noch wahr sein, dass wir gestern hier zusammen gesessen haben" ist weder wahr noch falsch, sondern ganz präzise das, was man in der analytischen Philosophie Unsinn nennt.
Warum wird irgendwann eine unbestreitbare Tatsache zum Unsinn?




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Alethos
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Mo 16. Okt 2017, 21:57

Ich denke, die Aussage, dass etwas einmal Gewesens in 10-Billionen Jahren noch wahr sein wird, kein Unsinn sein muss. Dass etwas gewesen ist zum Zeitpunkt y, wird solange wahr bleiben, wie es erinnert wird, weil das, was in der Vergangenheit liegt und in einem Präsens nicht mehr fortdauert, von der Veränderbarkeit ausgeschlossen bleibt. Es lässt sich denken, dass etwas in 10-Billionen Jahren noch erinnert wird.

10-Billionen Jahre sind aber nichts im Vergleich zur Ewigkeit, und gerade Ewigkeit halte ich für ein unsinniges Konzept. Warum ich das für unsinnig halte, ist reine Einstellungssache, z.B. weil ich kein ewiges, göttliches Bewusstsein denken möchte, es ist für mich keine praktibable Vorstellung. Das führt mich zum Gegenargument zu Spaemann.

Denkt man die Faktizität des Vergangenen als etwas, das eines Bewusstseins bedarf, weil es erinnert wird und nur in der Erinnerung fordauert, so scheint mir der Schluss unumgänglich, dass dieses Bewusstsein ewig sein müsse, wenn die Faktizität ewig sein soll. Für ein ewiges Bewusstsein braucht es natürlich eine Vorstellung des Bewusstseins als göttliches, weil nur dieses die Ewigkeit in ihrer Unendlichkeit denkbar werden lässt. Jedenfalls sehe ich hier keinen plausiblen Einwand, der dagegen spräche, diesem ewigen Bewusstsein das Attribut göttlich zu verleihen.

Aber, und das ist die Schwachstelle des ganzen Arguments: Mit welcher Begründung müssen wir ein ewiges Bewusstsein denken, wenn sich auch denken lässt, dass Erinnerungen verblassen können? Wozu braucht es einen Gott, um die Ewigkeit des Bewusstseins zu denken, wenn sich genauso gut und noch viel besser die Endlichkeit des Bewusstseins fassen lässt? Falls wir ein ewiges Bewusstsein postulieren wollen, müssen wir mit der Ewigkeit ein überzeitliches, ewiges Bewusstsein denken. Ich glaube aber, wir müssen gar keine ewigen Erinnerungen und folglich auch kein ewiges Bewusstsein postulieren.



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Tarvoc
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Di 17. Okt 2017, 06:45

Segler hat geschrieben :
Mo 16. Okt 2017, 20:04
Warum wird irgendwann eine unbestreitbare Tatsache zum Unsinn?
Ich sagte nicht, dass eine Tatsache zu Unsinn wird, sondern dass ein Satz Unsinn ist. Wie ich dazu komme, habe ich ja gesagt.

(Das mit der Unbestreitbarkeit war hoffentlich als Witz gemeint. Ich sag' dazu mal lieber nichts, sonst wird's hier Off-Topic.)



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Segler
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Di 17. Okt 2017, 07:21

Tarvoc hat geschrieben :
Mo 16. Okt 2017, 11:37
Der Satz "Auch in zehn Billionen Jahren wird es noch wahr sein, dass wir gestern hier zusammen gesessen haben" ist weder wahr noch falsch, sondern ganz präzise das, was man in der analytischen Philosophie Unsinn nennt.
Und ich behaupte, dass dieser Satz aus genau den gleichen Gründen ebenfalls Unsinn ist.




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Tarvoc
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Di 17. Okt 2017, 08:28

Behaupten kann man ja bekanntlich alles. Im Gegensatz zu dir formuliere ich allerdings auch Begründungen.



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Segler
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Di 17. Okt 2017, 15:33

Tarvoc hat geschrieben :
Di 17. Okt 2017, 08:28
Behaupten kann man ja bekanntlich alles. Im Gegensatz zu dir formuliere ich allerdings auch Begründungen.
Dann begründe bitte diesen Satz:
Tarvoc hat geschrieben :
Mo 16. Okt 2017, 11:37
Der Satz "Auch in zehn Billionen Jahren wird es noch wahr sein, dass wir gestern hier zusammen gesessen haben" ist weder wahr noch falsch, sondern ganz präzise das, was man in der analytischen Philosophie Unsinn nennt.
Bisher ist er nur eine Behauptung, oder habe ich die Begründung tatsächlich übersehen?




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Tarvoc
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Di 17. Okt 2017, 16:15

Segler hat geschrieben :
Di 17. Okt 2017, 15:33
oder habe ich die Begründung tatsächlich übersehen?
Würde mich nicht überraschen. So wie ich das sehe, übersiehst du bis auf die ein bis zwei Sätze, die du dir jeweils aus den Beiträgen anderer Leute herausgreifst, ganz generell alles an ihnen.

Ich nehme daher auch erstmal darauf verzichten, mich auch nur selbst zu zitieren, geschweige denn das nochmal auszubuchstabieren.



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Jörn Budesheim
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Di 17. Okt 2017, 16:36

Segler hat geschrieben :
Di 17. Okt 2017, 15:33
Bisher ist er nur eine Behauptung, oder habe ich die Begründung tatsächlich übersehen?
Eine mögliche Begründung ist folgende: Ein wahrer Satz ist zeitlos wahr, weil sein Inhalt gar keine "Ausdehnung" in der Zeit hat. So wie sein Inhalt auch kein Gewicht hat. Zu sagen, dass der Satz daher nichts wiegt, wäre ein ähnlicher Unsinn. Der Inhalt eines Satzes ist kein physikalisches Ding, das man vermessen könnte, nach Ausdehnung, Gewicht und Dauer. Aus diesem Umstand jedoch zu folgern, dass der Satz doch eine große zeitliche Ausdehnung habe, ist irgendwie seltsam.

Nichts desto trotz bin ich nicht ganz so sicher, dass der Satz, "Auch in zehn Billionen Jahren wird es noch wahr sein, dass wir gestern hier zusammen gesessen haben" sinnlos ist. Denn wenn ich sage, dass es auch noch morgen (wie viel Zeit verstreicht ist schließlich völligegal) wahr ist, dass wir hier gesessen haben - dann klingt das ziemlich verständlich und nicht unbedingt sinnlos, finde ich :-)




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Di 17. Okt 2017, 17:05

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Di 17. Okt 2017, 16:36
Nichts desto trotz bin ich nicht ganz so sicher, dass der Satz, "Auch in zehn Billionen Jahren wird es noch wahr sein, dass wir gestern hier zusammen gesessen haben" sinnlos ist. Denn wenn ich sage, dass es auch noch morgen (wie viel Zeit verstreicht ist schließlich völligegal) wahr ist, dass wir hier gesessen haben - dann klingt das ziemlich verständlich und nicht unbedingt sinnlos, finde ich :-)
Die Frage ist, ob das mehr ist als eine bloße Redewendung. Gebrauchsfälle solcher Äußerungen sind ja recht beschränkt und überschaubar. Bis auf wenige Ausnahmefälle reden wir so normalerweise nicht.



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Jörn Budesheim
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Ja, das kann sein. Meinen Kopf würde ich dafür aber nicht verwetten.




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Jörn Budesheim hat geschrieben :
Di 17. Okt 2017, 17:09
Ja, das kann sein. Meinen Kopf würde ich dafür aber nicht verwetten.
Das wohl eher nicht. Ich denke aber mal, dass die Diskussion hier gezeigt hat, dass man Spaemanns Argument von sehr vielen verschiedenen Richtungen und Gesichtspunkten aus angreifen kann. Ich vermute mal, hier im Thread wurden bisher auch nur ein Bruchteil der möglichen Angriffspunkte durchexerziert - und das sind ja jetzt auch schon einige. Ich glaube nicht, dass man letztlich auf diesen spezifischen Aspekt angewiesen ist. Letztlich geht es ja nur darum, zu zeigen, dass es sich bei dem, was Spaemann sagt, keineswegs um universale Denknotwendigkeiten handelt.



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Jörn Budesheim
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Di 17. Okt 2017, 18:13

Tarvoc hat geschrieben :
Di 17. Okt 2017, 17:32
Ich denke aber mal, dass die Diskussion hier gezeigt hat, dass man Spaemanns Argument von sehr vielen verschiedenen Richtungen und Gesichtspunkten aus angreifen kann.
Das sehe ich genau so.




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Jörn Budesheim
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Di 17. Okt 2017, 18:33

Es soll auch von Goedel einen Beweis geben, ich glaub irgendwo hab ich den.




Tosa Inu
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Di 17. Okt 2017, 20:01

Ich verstehe gleich zwei Dinge nicht.
Zum einen finde ich, dass es überhaupt keinen erkennbaren Grund gibt, warum ein wahrer Satz von jetzt morgen, in 1.000 oder unendlich vielen Jahren nicht ebenfalls noch wahr sein soll. Schwieriger ist vermutlich zu kapieren, dass etwas auch schon wahr sein könnte, bevor es eingetreten ist.
Aber davon abgesehen verstehe ich auch nicht, wieso das ein Beweis dafür ist, dass es Gott geben soll. Wenn ich das richtig verstehe, soll Gott gewährleisten, dass die Wahrheit vonn jetzt auch die Zeit überdauert, in der niemand mehr da ist, der weitergeben kann, dass da hier und jetzt was wahr ist.
Na und? Wahr ist es dennoch. Wahrheit ist nicht davon abhängig, dass sie erkannt wird.
Wenn niemand mehr bezeugen kann, dass ich jetzt diese Zeilen schreibe, ist dennoch wahr, dass ich sie geschrieben habe, es kann halt nur keiner bezeugen. Aber es braucht keinen Gott um das wahr zu machen.



„Die Tiere machen einen ja nachdenklich. Wir gehen doch noch außerdem zum Friseur u. begaunern die Kundschaft, sonst alles ebenso. Sich lausen u. wichsen, – Kinder, Kinder! Das nennt sich Schöpfung!“ (Gottfried Benn, im Brief, nach Zoobesuch der Affen)

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Jörn Budesheim
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Di 17. Okt 2017, 20:29

Dazu gab es weiter oben schon einen Einwand von Segler, wenn ich mich nicht irre. Ich will versuchen, dass nachzuvollziehen, denn es ist nicht ohne Raffinesse: Wenn Wahrheit die Übereinstimmungsrelation (wie in der Korrespondenztheorie der Wahrheit) gesehen wird, dann braucht es zwingend eine Subjektseite, damit unsere Intuition, dass das Wahre auch nach dem Untergang der Welt noch wahr ist, sich erfüllt. Und da wir selbst diese Subjektseite nicht mehr einnehmen können, da wir nach dem Untergang der Welt nicht mehr existieren, setzt Spaemann dafür das unendliche Bewusstsein Gottes ein. (So meine Rekonstruktion, könnte natürlich auch falsch sein.)




Tosa Inu
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Di 17. Okt 2017, 21:46

So hatte ich das auch in Erinnerung und es ist in meinen Beitrag schon eingeflossen.
Es wäre dann etwas einfach wahr, könnte aber nicht bezeugt oder rekonstruiert werden.
Damit gehen wir ständig um, ich ärgere mich darüber, Herr K. lässt das z.B. völlig kalt, aber ich würde als Konsequenz meines Ärgers keinen Gott aus dem Ärmel ziehen. Hm.



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