Gott ist nicht tot

Glaube und Wissen, Wesen und Formen von Religionen, ihre Bedeutung für das menschliche Leben, Grundfiguren religiösen Denkens u.ä. - Darauf wirft die Religionsphilosophie ihren Blick.
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Friederike
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Fr 4. Mai 2018, 11:24

Ottington hat geschrieben :
Fr 4. Mai 2018, 09:15
Dem Menschen die Freiheit zuzusprechen, im positiven wie auch im negativen Sinne für sein eigenes Dasein selbst verantwortlich zu sein, ist nicht menschenverachtend. Dem mag man jetzt zustimmen oder nicht, aber es wertet den Menschen nicht negativ, sondern positiv durch das Zusprechen der uneingeschränkten Freiheit, alles selber gestalten zu können.
Aber das würde doch im konkreten Fall bedeuten zu sagen, daß ein Mensch, der gewaltsam zusammengeschlagen worden ist (ich versuche, ein möglichst wenig brisantes Beispiel zu nehmen) die Freiheit gehabt hätte, dies verhindern können? Ich setze ein Fragezeichen, weil ich noch nicht sicher bin, ob ich den Punkt, der unter Euch strittig ist, verstanden habe.
Menschen Freiheit zuzusprechen wertet den Menschen positiv, ja, das denke ich auch. Aber wird ein derartiger -"uneingeschränkter"- Freiheitsbegriff denn nicht hohl oder verkehrt er sich nicht geradewegs in sein Gegenteil, wenn er dazu führt zu behaupten, das Opfer habe frei gewählt, Opfer zu sein. Der uneingeschränkte Freiheitsbegriff wäre dann seinerseits menschenverachtend.
NS: Jetzt habe ich verstanden. Es geht darum, ob es sich um eine menschenverachtende Äußerung handelt oder nicht. Als heuristisches Mittel dient die Freiheit.




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Friederike hat geschrieben :
Fr 4. Mai 2018, 11:24
Ottington hat geschrieben :
Fr 4. Mai 2018, 09:15
Dem Menschen die Freiheit zuzusprechen, im positiven wie auch im negativen Sinne für sein eigenes Dasein selbst verantwortlich zu sein, ist nicht menschenverachtend. Dem mag man jetzt zustimmen oder nicht, aber es wertet den Menschen nicht negativ, sondern positiv durch das Zusprechen der uneingeschränkten Freiheit, alles selber gestalten zu können.
Aber das würde doch im konkreten Fall bedeuten zu sagen, daß ein Mensch, der gewaltsam zusammengeschlagen worden ist (ich versuche, ein möglichst wenig brisantes Beispiel zu nehmen) die Freiheit gehabt hätte, dies verhindern können? Ich setze ein Fragezeichen, weil ich noch nicht sicher bin, ob ich den Punkt, der unter Euch strittig ist, verstanden habe.
Menschen Freiheit zuzusprechen wertet den Menschen positiv, ja, das denke ich auch. Aber wird ein derartiger -"uneingeschränkter"- Freiheitsbegriff denn nicht hohl oder verkehrt er sich nicht geradewegs in sein Gegenteil, wenn er dazu führt zu behaupten, das Opfer habe frei gewählt, Opfer zu sein.
Dass diese Theorie inhaltlich fragwürdig ist, dürfte klar sein.




Tosa Inu
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Fr 4. Mai 2018, 11:55

Friederike hat geschrieben :
Fr 4. Mai 2018, 11:24
Aber das würde doch im konkreten Fall bedeuten zu sagen, daß ein Mensch, der gewaltsam zusammengeschlagen worden ist (ich versuche, ein möglichst wenig brisantes Beispiel zu nehmen) die Freiheit gehabt hätte, dies verhindern können? Ich setze ein Fragezeichen, weil ich noch nicht sicher bin, ob ich den Punkt, der unter Euch strittig ist, verstanden habe.
Das kommt auf das Weltbild an, aus dem heraus man antwortet.

Argumentiert man karmisch, würde die Antwort lauten, nein (eigentlich gibt es mehrere karmische Antwortversionen), aber man hätte es 'verdient'. Da gehören dann noch etliche Sätze der Erklärung hinterher, wenn man das ernst meint, aber im Angesicht der maximalen Drohkulisse das doch wohl nicht ernst meinen zu wollen und zu können, ist bereits sonnenklar, dass hier keine Erklärung gewünscht wird, sondern man bereuend in Sack und Asche kriechen sollte, was flechtlicht natürlich unschwer erkannte.
Hier könnte man elegant an epitox anknüpfen und tatsächlich mal kritisch fragen, ob unser "Tja, war eben Pech, einen muss es ja treffen, das warst jetzt du" in allen nur erdenklichen Fällen so großartig ist, wie es uns vorkommen mag.

Analog und abgeschwächter könnte die die Antwort vor einem psychoanalytischer Hintergrund lauten, dass man die Freiheit haben könnte, wenn es sich bspw. um einen unbewussten Wiederholungszwang handelt, der einen Situationen 'suchen' (aber eben unbewusst) lässt, in denen man Gewalt erfährt. Das gibt es, die Lösung wäre, das Muster bewusst zu machen. (Es gibt auch Versionen karmischer Sichtweisen, die das als Lösung anbieten.)

Unser aller Deutung, die man aber auch kennen muss, wenn man so argumentiert, es wäre naiv hier nicht mit Gegenwind zu rechnen, ist, dass man tatsächlich immer nur zufällig in solche Situationen gerät. Klar, wer mit dem BVB Trikot in den Schalker Fanblock rennt und "Tod allen Schalkern" brüllt, der trägt eine gewisse Mitschuld, aber Deutungen, die eine Affinität zum Unglück in eigenen Sosein angelegt sehen und mehr oder weniger für kurierbar halten oder in einen sehr viel größeren Kontext stellen, sind bei uns nicht gern gesehen, selbst wenn sie konsistent sind.

Pragmatisch könnte man sagen, da wir nicht wissen, welche Sicht nun die wirklich richige ist, wäre die zu bevorzugen, die dem Individuum im Einzelfall am besten in seinem Leid hilft. Für meinen Geschmack hilft ein achselzuckendes "Tja, selbst schuld, wirst du verdient haben, sonst wäre es dir nicht passiert" so wenig, wie ein "Tja Pech gehabt, sowas passiert nun mal dummerweise."
In beiden Fällen müssten da weitergehende Erläuterungen und Hilfen folgen.
Jemand prinzipiell erst mal die niedersten Motive zu unterstellen, halte ich aber in jedem Fall für verfehlt.



„Die Tiere machen einen ja nachdenklich. Wir gehen doch noch außerdem zum Friseur u. begaunern die Kundschaft, sonst alles ebenso. Sich lausen u. wichsen, – Kinder, Kinder! Das nennt sich Schöpfung!“ (Gottfried Benn, im Brief, nach Zoobesuch der Affen)

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Friederike
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Fr 4. Mai 2018, 12:00

@Ottington, ich habe an meinem Beitrag bestimmt eine halbe Stunde herumkorrigiert. Liest Du bitte die letzte Version? Falls ich mich nicht völlig vertue, dann wäre die Theorie nämlich nicht nur fragwürdig, sondern menschenverachtend.




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Fr 4. Mai 2018, 12:37

Tosa Inu hat geschrieben :
Fr 4. Mai 2018, 11:55
Jemand prinzipiell erst mal die niedersten Motive zu unterstellen, halte ich aber in jedem Fall für verfehlt.
Genau. Und wenn ich mir flechtlichts Konzept im Ganzen anschaue, so gut und umfassend es zu diesem Punkt möglich ist, würde ich ihm/ihr keine niederen Motive und ein menschenverachtendes Bild unterstellen.




flechtlicht
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Fr 4. Mai 2018, 12:41

Angenommen, ich gehe im Wald spazieren und es fällt mir ein morscher Ast auf den Kopf, dann bin ich der Meinung, dass es aufgrund meiner seelischen Verfassung geschieht und kein Zufall ist.

Angenommen, ich gehe im Wald spazieren und werde von einem Räuber niedergeschlagen und ausgeraubt oder noch sehr viel schlimmeres, dann habe ich dieses Ereignis durch mein früheres Denken, Empfinden und Handeln, in welcher Sphäre auch immer, hervorgebracht.

Der Täter ist Werkzeug meines Schicksals, von mir gerufen, von Gott und den Engeln meistens abgemildert zugelassen,
aber dadurch nicht von seiner Verantwortung für seine Tat befreit.

Im Affekt hasse ich ihn und wäre im Stande ihn ohne viel Federlesen zu töten. Gott bewahre.

Sobald er bereut und es nicht mehr wieder tut ist ihm mein Verzeihen gewiss.

Ich bin nicht besser als er. Versöhnung ohne Aufrechnen ist die Gnade Gottes ohne die es uns schon längst nicht mehr gäbe.

Glaubt jemand allen Ernstes, all die Greueltaten der Menschheitsgeschichte wären zufällge Ereignisse und Gott mit seinen Engeln wäre überfordert, das Schicksal jedes einzelnen Menschen gerecht zu lenken?

Und nochmals, die Täter sind Täter und die Opfer sind Opfer.

Kein Täter hat Anspruch auf Vergebung gar könnte er sie einfordern indem er sich auf die karmische Gesetzmäßigkeit oder sonst irgendetwas beruft.

Also, irdisch gesehen begeht der Räuber tatsächlich Unrecht aber als Werkzeug Gottes zu meiner Heilung benutzt.




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Jörn Budesheim
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Fr 4. Mai 2018, 13:18

flechtlicht hat geschrieben :
Fr 4. Mai 2018, 12:41
Angenommen, ich gehe im Wald spazieren und werde von einem Räuber niedergeschlagen und ausgeraubt oder noch sehr viel schlimmeres, dann habe ich dieses Ereignis durch mein früheres Denken, Empfinden und Handeln, in welcher Sphäre auch immer, hervorgebracht.
flechtlicht hat geschrieben :
Fr 4. Mai 2018, 12:41
Und nochmals, die Täter sind Täter und die Opfer sind Opfer.
Beide Aussagen können nicht zugleich wahr sein, denn wenn du das Ereignis selbst hervorgebracht hast, dann bist du dafür verantwortlich und kein Opfer. Ich finde es geht weit über das, was akzeptabel ist, den zahllosen Opfern der Geschichte zu sagen, sie hätten diese "Ereignisse" (zum Beispiel den Holocaust) durch ihr früheres Denken, Empfinden und Handeln, in welcher Sphäre auch immer, hervorgebracht. Denn das besagt nichts anderes, als dass die ermordeten Juden - jeder und jede Einzelne selbst schuld waren.




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Fr 4. Mai 2018, 13:34

Ich möchte an dieser Stelle anmerken, dass in diesem Gedankenkonstrukt alle Menschen gleich für ihr Leben und Wirken Rechenschaft tragen müssen. Hinter diesem religiösen Aspekt steckt meiner Meinung nach aber kein anderes gefährliches Gedankengut. Der Holocaust ist als Beispiel zwar tauglich, nur muss man aufpassen, dass man dem Autor nicht noch andere Denkweisen unterstellt.




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Friederike
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Fr 4. Mai 2018, 13:36

Tosa Inu hat geschrieben :
Fr 4. Mai 2018, 11:55
Argumentiert man karmisch, würde die Antwort lauten, nein (eigentlich gibt es mehrere karmische Antwortversionen), aber man hätte es 'verdient'. Da gehören dann noch etliche Sätze der Erklärung hinterher, wenn man das ernst [...]
Das gibt mir die Gelegenheit, auf den Ausdruck "verursachen" (das eigene Leid oder Glück) hinzuweisen, der mich irritiert hat bzw. u.a. dazu geführt hat, an das buddhistische Weltbild zu denken. Im normalen christlichen, abendländischen, philosophischen Ethikdiskurs würde man üblicherweise nicht von "verursachen", sondern von "verantworten" oder "wählen" sprechen. Dies nur als Randbemerkung, weil ich es interessant finde, wie ein einziges Wort diese oder jene Spur legen kann.




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Jörn Budesheim
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Fr 4. Mai 2018, 13:41

Ottington hat geschrieben :
Fr 4. Mai 2018, 13:34
Ich möchte an dieser Stelle anmerken, dass in diesem Gedankenkonstrukt alle Menschen gleich für ihr Leben und Wirken Rechenschaft tragen müssen. Hinter diesem religiösen Aspekt steckt meiner Meinung nach aber kein anderes gefährliches Gedankengut. Der Holocaust ist als Beispiel zwar tauglich, nur muss man aufpassen, dass man dem Autor nicht noch andere Denkweisen unterstellt.
Dass das, was ich da schreibe, aus dem, was flechtlicht selbst sagt, folgt, ist aber meines Erachtens keine Unterstellung. Dazu muss man nur an den entsprechenden Textstellen Beispiele einsetzen. Und wenn sich so eine ungeheuerliche Konsequenz aus dem ergibt, was man denkt und sagt, dann muss man mit diesen Folgen ja irgendwie "umgehen" und dazu Stellung nehmen. Schwer zu glauben, dass flechtlicht mit diesen Konsequenzen noch nie gerechnet hat ...




Tosa Inu
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Fr 4. Mai 2018, 15:52

Friederike hat geschrieben :
Fr 4. Mai 2018, 13:36
Tosa Inu hat geschrieben :
Fr 4. Mai 2018, 11:55
Argumentiert man karmisch, würde die Antwort lauten, nein (eigentlich gibt es mehrere karmische Antwortversionen), aber man hätte es 'verdient'. Da gehören dann noch etliche Sätze der Erklärung hinterher, wenn man das ernst [...]
Das gibt mir die Gelegenheit, auf den Ausdruck "verursachen" (das eigene Leid oder Glück) hinzuweisen, der mich irritiert hat bzw. u.a. dazu geführt hat, an das buddhistische Weltbild zu denken. Im normalen christlichen, abendländischen, philosophischen Ethikdiskurs würde man üblicherweise nicht von "verursachen", sondern von "verantworten" oder "wählen" sprechen. Dies nur als Randbemerkung, weil ich es interessant finde, wie ein einziges Wort diese oder jene Spur legen kann.
In der griechischen Tagödie gibt es den Begriff der tragischen Schuld, die gerade darin liegt, dass man in Bedingungen hineingeboren wird, für die man nichts kann und die Suppe auszulöffeln hat, ob man will, oder nicht.

Klassisch Ödipus, der als König Theben retten will, in bester Absicht, aber soveräner Blindheit alles falsch macht, was man falsch machen kann, weil er um seine eigenen Bedingungen nicht weiß.

In welchem Verhältnis Schuld und Verantwortung stehen, das ist eine lohnende Diskussion, könnte zumindest eine sein.



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Friederike
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Fr 4. Mai 2018, 16:07

Herbert hat geschrieben : Ich stimme mit vielen Gedanken überein, besonders die Schlussgedanken sprechen mich an: ... „Gottes Handeln ist Liebeshandeln. ….“ (Biografisch habe ich mich von meiner katholischen Sozialisation getrennt, nach einer humanistisch agnostischen Phase bin ich wieder auf einem Weg den Gott der Liebe als tragend anzunehmen. Ob er nur von der christlichen (welcher?) Theologie her zu begreifen ist?
Hier möchte ich lose anknüpfen und meine Bedenken, die ich heute morgen dargelegt habe, fortführen. In diesem Fall sind es weniger Bedenken als eine Ergänzung, von der ich meine, daß sie in Teil IV völlig außer acht gelassen worden ist und deswegen die Erfahrungen vom Handeln Gottes in der Welt auf das menschliche Handeln verkürzen. Genauer, auf die Ethik verkürzen.

Das Schöpferlob !!! In Form der Freude, der Lust, der Lebendigkeit, des sorgsamen Verwaltens der Erde, den Leib zum "Tempel Gottes" machen, die spielerische Leichtigkeit des Paradieses leben, Gott danken, Ihn ehren ...

Meintest Du übrigens, @'Herbert', ob der Gott der Liebe nur als der christliche Gott oder ob der christliche Gott nur von der Theologie -den Theologinnen- begriffen werden könne?




flechtlicht
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Fr 4. Mai 2018, 18:30

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Fr 4. Mai 2018, 13:18
flechtlicht hat geschrieben :
Fr 4. Mai 2018, 12:41
Angenommen, ich gehe im Wald spazieren und werde von einem Räuber niedergeschlagen und ausgeraubt oder noch sehr viel schlimmeres, dann habe ich dieses Ereignis durch mein früheres Denken, Empfinden und Handeln, in welcher Sphäre auch immer, hervorgebracht.
flechtlicht hat geschrieben :
Fr 4. Mai 2018, 12:41
Und nochmals, die Täter sind Täter und die Opfer sind Opfer.
Beide Aussagen können nicht zugleich wahr sein, denn wenn du das Ereignis selbst hervorgebracht hast, dann bist du dafür verantwortlich und kein Opfer. Ich finde es geht weit über das, was akzeptabel ist, den zahllosen Opfern der Geschichte zu sagen, sie hätten diese "Ereignisse" (zum Beispiel den Holocaust) durch ihr früheres Denken, Empfinden und Handeln, in welcher Sphäre auch immer, hervorgebracht. Denn das besagt nichts anderes, als dass die ermordeten Juden - jeder und jede Einzelne selbst schuld waren.

Ich habe mehrmals auf meine bedingungslose Loyalität zu den Opfern hingewiesen, aus meinen zusammenhängenden Worten lässt sich keine Schuldzuweisung konstruieren, es sei denn durch vorsätzliches Missverstehen.
Für Menschen die Gott nur als vage Möglichkeit mit zweifelhaftem Ruf ansehen und letztlich ihr Schicksal lieber dem Zufall überantworten, damit sie keine Verantwortung für seine "Schläge" übernehmen müssen, ist meine Sichtweise natürlich unbequem. Sie müssten tiefer in sich gehen als sie bereit sind zu akzeptieren.

Das gleiche gilt für Menschen mit einem buchstäblichen Gottesbild: wenn Gott gut und allmächtig ist, wie kann er zulassen, dass all die schrecklichen Dinge passieren?

Beides ist Flucht vor wahrhaftigem Mensch sein in dem er erkennt, dass Gott ihm allzeit näher ist als seine eigene Halsschlagader (frei aus dem Koran) und wir eins sind.

Liebe und Mitgefühl gebieten Elend und Leid eines Menschen ungeachtet seines eigenen Verschuldens zu lindern und zu heilen.
Um seine "Schuld" habe ich mich nicht zu kümmern.

Es ist Geschenk und Gnade Gottes uns immer wieder die Möglichkeit zu einem geschwisterlichen Zusammenfinden zu bieten in dem wir uns gegenseitig unsere unzähligen Untaten verzeihen. Gott hat uns bereits verziehen.

Es wäre weniger als ein halber Flügelschlag eines Engels und alle Menschen wären augenblicklich heil - nein Danke.

Die Vermutung einer grundsätzlichen Unschuld aller neugeborener Menschen ohne karmische Gesetzmäßigkeit im Hintergrund, in einer zufälligen Welt, hat unsere Welt bisher nicht besser gemacht.

Würde es für Dich tatsächlich einen Unterschied machen, wenn Du um die karmische "Schuld"
der Opfer eines Verbrechens wüsstest?



Und welch ungeheuerliche Konsequenz folgt aus bedingungsloser Liebe?
Zuletzt geändert von flechtlicht am Fr 4. Mai 2018, 18:43, insgesamt 1-mal geändert.




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Friederike
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Fr 4. Mai 2018, 18:35

Tosa Inu hat geschrieben : Pragmatisch könnte man sagen, da wir nicht wissen, welche Sicht nun die wirklich richtige ist, wäre die zu bevorzugen, die dem Individuum im Einzelfall am besten in seinem Leid hilft.
Was Du über die psychoanalytische Theorie oder die "Affinität zum Unglück" geschrieben hast, sind, soweit ich informiert bin, doch ohnehin keine Erklärungen, die beanspruchen, auf jede Art des Leidens und Erleidens zuzutreffen und für alle Menschen in jedem Fall gültig zu sein, oder? Insofern meine ich, daß es sich um Sichtweisen handelt, die durchaus kompatibel mit anderen Lösungen sind, und bei denen gar nicht über "richtig" und "falsch" entschieden werden muß bzw. über die -einzig- "wirklich richtige" entschieden werden muß, mit der alle anderen Sichtweisen für falsch erklärt würden.

Zu Deiner pragmatischen Lösung würde ich gerne hinzufügen, daß ich unter der Leid-(Ab)-Hilfe auch verstehe, dem Einzelnen die Entscheidung darüber zu belassen oder finden zu lassen, wie er oder sie sich seine/ihre Beziehung zum eigenen Leid denkt.




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Jörn Budesheim
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Fr 4. Mai 2018, 18:57

Holm Tetens würde hier ja in diesem Thread schon wiederholt zitiert, diese Darstellung aus seinem Buch "Gott Denken" ist drastisch.
Holm Tetens, in Gott Denken, Strasser über Straflager in Nordkorea zitierend hat geschrieben : »Was der ehemalige Kommandant des Straflagers mit der Nummer 22, der jetzt in Südkorea für die dortige Regierung arbeitet, zu sagen hat, sagt er ohne mit der Wimper zu zucken. Er hat selbst viele Menschen umgebracht, regulär exekutiert. Dabei empfand er kein Mitleid. Jahrelang hat er viele Menschen gefoltert. Das hat ihm Spaß gemacht. […] Als Kommandant des Lagers 22 konnte er beobachten, wie an Gefangenen chemische Waffen erprobt wurden. Oft wurden ganze Familien dem Giftgas ausgesetzt, an dem sie qualvoll zugrunde gingen, nicht ohne dass die Eltern häufig versuchten, ihren erstickenden Kindern zu helfen, indem sie sie beatmeten, was völlig sinnlos war. Die Menschen starben in Räumen, die von oben durch eine Glasscheibe eingesehen werden konnten: dort saßen Ärzte und Gefängnispersonal. Während sich die Familien, die dem Gas ausgesetzt wurden, meistens in der Mitte des Raumes zusammendrängten, postierten sich allein stehende Personen an den Wänden. Das war so. Niemand unter den Beobachtern hinter der Glasscheibe hatte Mitleid mit den Sterbenden. Ihre Qualen erweckten nichts, Interesse zwar, doch keine Gefühle. […] Im amerikanischen Exil berichtet eine ehemalige Nordkoreanerin, die das Straflager überlebte und der es irgendwann zu fliehen gelang, von Frauen, die schwanger ins Lager eingeliefert wurden. Gleich nachdem sie entbunden hatten, wurden ihre Babys von den Gefängnisaufsehern zertreten. Die Neugeborenen schrien, während ihr Genick unter den Stiefeln brach, die Mütter, vor deren Augen das geschah, verfielen dem Wahnsinn.«
Meinst du, dass die Babys, die von den Gefängnisaufsehern zertreten wurden und ihre Mütter, haben das Leid, was sie erlitten haben, selbst verursacht haben?

Die Nazis haben Millionen Juden ermordet. Hätten sie alle "zufällig" auch noch die "nötige" karmische Schuld, um ihren Tod und die Quälen selbst zu verursachen? Wie kann das sein?




flechtlicht
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Fr 4. Mai 2018, 19:55

Sie wurden von Verbrechern gequält und ermordet. Gott ist allmächtig und gut. Es gibt keinen Zufall.
Der einzige der daraus auf die Schuld der Opfer drängt bist Du.




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Jörn Budesheim
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Fr 4. Mai 2018, 19:59

Du hast die Frage allerdings nicht beantwortet. Ging es auch diesen Menschen nicht schlechter als sie es selbst verursacht haben?




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epitox
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Fr 4. Mai 2018, 20:02

Friederike hat geschrieben :
Fr 4. Mai 2018, 10:27
In dem "ermächtigt sein" schwingt für mich eine Haltung mit, die dem Liebeshandeln bzw. der Liebe entgegensteht ... nein, der Demut, das ist es. Und dem "Nächsten die göttliche Liebe zuzusprechen" transportiert für mich ebenfalls eine hochmütige Haltung.
Nein, ganz im Gegenteil. :)

In der "Ermächtigung" liegt ja gerade der höchste Grad der menschlichen Würde vor - eine Würde, die von Gott her vergeben wird: der Mensch ist und bleibt nicht bloß Liebesobjekt Gottes, sondern er bekommt Teilhabe an Gottes Schöpfungshandeln. Der Mensch bekommt die Liebe, die Gott selber ist, in einer Weise, in der sich diese Liebe dem anderen schöpferisch, wirkmächtig mitteilt. Gott gibt sich also selber in der Gabe der Liebe. Die Liebe ist also Selbstgabe Gottes. Sie wird nun in unserem Tun sowohl zur Mitgabe in unserer menschlichen Gabe, als auch zur Mithandlung in unserer menschlichen Handlung. Das Menschsein (im Sinne des zu sich selbst gekommene Menschen) bedeutet, dass er der Wirklichkeit göttlicher Handlung Gestalt verleihen darf.

epitox




flechtlicht
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Fr 4. Mai 2018, 22:27

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Fr 4. Mai 2018, 19:59
Du hast die Frage allerdings nicht beantwortet. Ging es auch diesen Menschen nicht schlechter als sie es selbst verursacht haben?
Ich hab sie allerdings anders beantwortet als wie Du es gerne hören wolltest. Daran besteht kein Zweifel.




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Jörn Budesheim
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Sa 5. Mai 2018, 06:09

Ich frage mich gerade selbst, was ich denn gerne hören würde ... dies hier: ich würde gerne hören, wie du deine Ansichten argumentativ vertrittst und mit den Konsequenzen und Fragen umgehst, die sich aus ihnen ergeben.




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