Gott ist nicht tot

Glaube und Wissen, Wesen und Formen von Religionen, ihre Bedeutung für das menschliche Leben, Grundfiguren religiösen Denkens u.ä. - Darauf wirft die Religionsphilosophie ihren Blick.
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Jörn Budesheim
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So 8. Apr 2018, 16:08

herbert clemens hat geschrieben :
Sa 7. Apr 2018, 14:06
Naturwissenschaftlich lässt sich unsere Welt in der LebensPraxis als sinnvoll geordnet erleben.
Zu diesem Punkt äußert sich Tetens ungefähr ab Minute 16.00 Dort unterscheidet er (natürlich skizzenhaft) drei mögliche Positionen:
  1. Monismus (1) = alles ist Materie = Materialismus
  2. Dualismus = es gibt Geist und Materie, doch wie geht das zusammen?
  3. Monismus (2) = alles ist Geist = Idealismus
Dann führt er das etwas aus, indem er sich zum Idealismus, das heißt also zum Monismus (2) bekennt. Auf die Frage, was die Welt im innersten zusammen hält, setzt er zunächst auf die negative Auskunft: nicht sinnlose, für Moral und Glück und Geist blinde Materie und blinde Naturgesetze halten die Welt im innersten zusammen, sondern: Vernunft, Geist (und ein Christ würde hinzusetzen) Liebe. Mit anderen Worten, wenn ich ihn richtig interpretiere, lässt sich nach Tetens unsere Welt eben gerade nicht naturwissenschaftlich als in der LebensPraxis sinnvoll geordnet erleben, um es dicht an deiner Formulierung auszudrücken, denn der Materialismus scheitert bisher darin uns sinnvoll in das blinde Räderwerk (um ein alte Metapher zu nehmen) zu integrieren.

Hübl plädiert an dieser Stelle für ein "ich hab keine Ahnung", was er besser findet als den Wundern ein weiteres Wunder (einen unerklärten Erklärer) hinzufügen.




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Friederike
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So 8. Apr 2018, 16:37

Jörn Budesheim hat geschrieben :
So 8. Apr 2018, 15:20
Friederike hat geschrieben :
Fr 6. Apr 2018, 10:35
Wenn Tetens den Beweis seiner These lückenlos und fehlerfrei führen könnte, dann wäre dies wohl ein Meilenstein in der langen Streitgeschichte zwischen der Philosophie und der Theologie, oder ist das zu dramatisch ausgedrückt?
Was meinst du damit? Weiter oben wurde ja schon erwähnt, dass Tetens auf keinen Gottesbeweis aus ist. In dem Video sagt er bei Minute 10.40 "Ich glaube an keinen einzigen Gottesbeweis." Der Gedanke, dass es einen Gott geben könnte, ist für ihn eine sehr kühne These. Die These jedoch, dass es nur diese materielle Welt gibt, hält er für ebenso kühn. (Ich meine hingegen, sie ist einfach falsch, aber für einen Glauben an Gott fehlt mir die entsprechende "Musikalität", wie es manchmal heißt.)
Daß Tetens keinen Gottesbeweis führen will, das war mir schon klar. Mein "wenn ... er könnte" bezog sich auf die Positionen des Naturalismus und des Theismus, wobei Tetens lt. der Rezenson ja gerade unbegründeterweise den Sprung über den atheistischen Naturalismus hinwegnimmt und somit seine eigene These nicht lückenlos begründet. Unabhängig davon wollte ich gerade auf Deine Äußerung @epitox gegenüber:
Jörn hat geschrieben : Der Gegensatz, von dem ich sprach, war jedoch ein anderer. Es ging nicht um die Unterscheidung zwischen Philosophie und Theologie, sondern um den Unterschied zwischen den Naturalismus und dem Theismus.
den "Meilenstein" nochmal hervorkramen und fragen, welchen Relevanz denn Tetens These überhaupt haben könnte, wenn es lediglich darum geht, daß es sich beim Naturalismus um eine Theorie handelt, die ohne metaphysische Annahme nicht auskommt und beim Theismus ebenso. "So what" könnte man flapsig formuliert kommentieren. Gut, daß ich mich an die letzte Passage der Rezension erinnert habe, denn die beantwortet die Frage nach der Bedeutung doch ein wenig anders:
R hat geschrieben : Nichtsdestotrotz sehen wir weniger in der theistischen These von Tetens, sondern gerade in der metaphilosophischen Dimension die Stärke des Buches. Das bedeutet: Selbst eingefleischte philosophische Atheisten können und sollten unseres Erachtens Tetens’ Diagnose des heutigen Zustands in der westlichen theoretischen Philosophie zustimmen, ohne sich von Tetens zum Theismus gedrängt zu fühlen. Mit dem metaphilosophischen Aspekt schließt sich der Kreis zu dem Zitat, das wir am Beginn aufgeführt haben: Tetens weist darauf hin, dass auch eine so selbstreflexive Disziplin wie die Philosophie vor der Gefahr einer unreflektierten Entwicklung eines Mainstreams nicht gefeit ist. Begreift man die Philosophie als eine vom Streit getragene Tätigkeit, dann ist diese Leistung als ein Beitrag gegen Dogmatismus aufzufassen. Und das halten wir für nötig und ehrenwert.




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Jörn Budesheim
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So 8. Apr 2018, 16:51

Friederike hat geschrieben :
So 8. Apr 2018, 16:37
"So what"
Ab ca. Minute 23.00 erklärt Tetens das skizzenhaft, indem er den Unterschied zu einem Gottesbeweis aufzeigt. Der Gottesbeweis versucht aufgrund von gewissen Prämissen, die man für wahr hält, Gott als logische Konsequenz zu erweisen. Das ist nicht sein eigenes Vorgehen. Er leitet Gott nicht her, sondern startet damit, wenn ich das so sagen darf. Der Theismus ist die weltanschauliche Rahmenannahme im Lichte derer tetens die Welt betrachtet. Solche Rahmenannahmen können nach Tetens nicht bewiesen werden und sind jedoch prinzipiell unverzichtbar. Das gilt für den der Naturalist ebenso (nach Tetens Einschätzung)

Nun kann man in den nächsten Schritten vergleichen, was die verschiedenen Weltanschauungen für eine Erklärungskraft haben. Die eine Position kommt mit bestimmten Phänomenen gut zurecht, die andere Position hat damit Schwierigkeiten. Tetens macht geltend, dass der Naturalismus mit seinen eigenen Rahmenannahmen große Probleme hat und deswegen schlechter abschneidet als der Theismus.

(Woraus natürlich nur dann Kapital für den Theismus zu schlagen wäre wenn es nur diese beiden Positionen gäbe. Hier könnte man nun einen Ausflug in den Pluralismus machen ... :-))




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epitox
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So 8. Apr 2018, 17:07

Jörn Budesheim hat geschrieben :
So 8. Apr 2018, 16:08
Mit anderen Worten, wenn ich ihn richtig interpretiere, lässt sich nach Tetens unsere Welt eben gerade nicht naturwissenschaftlich als in der LebensPraxis sinnvoll geordnet erleben, um es dicht an deiner Formulierung auszudrücken, denn der Materialismus scheitert bisher darin uns sinnvoll in das blinde Räderwerk (um ein alte Metapher zu nehmen) zu integrieren.
Da hast du Tetens etwas missverstanden. Natürlich gibt es keinen Widerspruch zwischen einer Naturgesetzlichkeit der Welt und unserer Lebenspraxis. Vielmehr ist die Spannung die er beschreibt darauf zurückzuführen, dass uns die naturwissenschaftliche Deutung der Welt nichts über unsere sittliche Praxis sagt. Oder anders gesagt: sie sagt uns nicht wer wir sind, vorher wir kommen und wohin wir gehen. Zu solchen existentiellen Fragen schweigt der Naturalismus nicht nur - sie lassen sich durch ihn nicht einmal formulieren.

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Tosa Inu
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So 8. Apr 2018, 17:13

Friederike hat geschrieben :
So 8. Apr 2018, 16:37
... und fragen, welchen Relevanz denn Tetens These überhaupt haben könnte, wenn es lediglich darum geht, daß es sich beim Naturalismus um eine Theorie handelt, die ohne metaphysische Annahme nicht auskommt und beim Theismus ebenso.
Zugespitzt könnte man auch sagen, dass der Naturalismus die neue Religion geworden ist, obwohl er nach seinem Selbstanspruch ganz anders startete.
Ob die alte darum die bessere oder auch nur gleich gute Lösung ist, ist m.E. noch nicht ausgemacht.



„Die Tiere machen einen ja nachdenklich. Wir gehen doch noch außerdem zum Friseur u. begaunern die Kundschaft, sonst alles ebenso. Sich lausen u. wichsen, – Kinder, Kinder! Das nennt sich Schöpfung!“ (Gottfried Benn, im Brief, nach Zoobesuch der Affen)

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Jörn Budesheim
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So 8. Apr 2018, 17:17

epitox hat geschrieben :
So 8. Apr 2018, 17:07
Da hast du Tetens etwas missverstanden.
Worin unterscheidet sich deine Deutung denn von meiner? Die naturwissenschaftliche Deutung der Welt sagt nichts über unsere sittliche Praxis, weil diese Welt (so wie die Naturwissenschaften sie erklären) eben nicht in der relevanten Weise sinnvoll geordnet ist, denn sie wird allein von blinden Naturgesetzen bestimmt. Dieser Rahmen kann uns uns selbst nicht verständlich machen.




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epitox
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So 8. Apr 2018, 17:38

Jörn Budesheim hat geschrieben :
So 8. Apr 2018, 17:17
epitox hat geschrieben :
So 8. Apr 2018, 17:07
Da hast du Tetens etwas missverstanden.
Worin unterscheidet sich deine Deutung denn von meiner? Die naturwissenschaftliche Deutung der Welt sagt nichts über unsere sittliche Praxis, weil diese Welt (so wie die Naturwissenschaften sie erklären) eben nicht in der relevanten Weise sinnvoll geordnet ist, denn sie wird allein von blinden Naturgesetzen bestimmt. Dieser Rahmen kann uns uns selbst nicht verständlich machen.
Der Unterschied zwischen beiden Aussagen sind erheblich: die Theologie sieht zwischen der Naturgesetzlichkeit der Welt und der Notwendigkeit eines Sittengesetzes keinen Widerspruch, weil sie Gott als Urheber von beidem ansieht. Das weiß auch Tentens. Gott wird begriffen als Urgrund der natürlichen Ordnung, die die Naturwissenschaftler als "Naturgesetze" interpretieren und auf dem Er seine Gnade aufsetzt. "Die Gnade setzt die Natur voraus und vollendet sie". Das Sittengesetz ist dabei schon ein Ausdruck dieser Gnade.

epitox
Zuletzt geändert von epitox am So 8. Apr 2018, 17:44, insgesamt 1-mal geändert.




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Jörn Budesheim
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So 8. Apr 2018, 17:40

Ja und? Das steht in keinem Widerspruch zu dem, was ich gesagt habe.




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epitox
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So 8. Apr 2018, 17:48

Jörn Budesheim hat geschrieben :
So 8. Apr 2018, 17:40
Ja und? Das steht in keinem Widerspruch zu dem, was ich gesagt habe.
Doch! Es gibt zwischen der Wohlgeordnetheit der Welt und der Notwendigkeit der übernatürlichen ("geistigen" bei Tetens) Gnade keinen Widerspruch.

epitox




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Friederike
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So 8. Apr 2018, 17:51

Tosa Inu hat geschrieben :
So 8. Apr 2018, 17:13
Zugespitzt könnte man auch sagen, dass der Naturalismus die neue Religion geworden ist, obwohl er nach seinem Selbstanspruch ganz anders startete.
Ob die alte darum die bessere oder auch nur gleich gute Lösung ist, ist m.E. noch nicht ausgemacht.
... und ich hatte gedacht, das sei schon wieder, wenngleich auch noch nicht so lange, überholt. Na, ich sage wohl besser, es war mein Eindruck, damit ich nicht in die Verlegenheit komme, Beweise/Nachweise zu liefern.




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Jörn Budesheim
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So 8. Apr 2018, 18:53

epitox hat geschrieben :
So 8. Apr 2018, 17:48
Es gibt zwischen der Wohlgeordnetheit der Welt und der Notwendigkeit der übernatürlichen ("geistigen" bei Tetens) Gnade keinen Widerspruch.
Jörn Budesheim hat geschrieben :
Fr 30. Mär 2018, 06:20
  1. die Erfahrungswelt ist im Großen und Ganzen, davon geht [Tetens] aus, so wie die Naturwissenschaften sie beschreiben und erklären. Rationale Theologie, so wie er sie versteht, steht nicht im Widerspruch zu den anerkannten Ergebnissen der Wissenschaften.
herbert clemens hat geschrieben :
Sa 7. Apr 2018, 14:06
Den „ Auinger/Wittgenstein-Thread“ kenne ich nicht, bin philosophisch nicht so bewandert.
Das Verständnisproblem entsteht im Grunde dadurch, dass wir die ganze Zeit nicht sauber zwischen "naturwissenschaftlich" und "naturalistisch" unterscheiden. Und auch wichtige Begriffe wie "transzendental" kehren wir der Einfachheit halber einfach unter den Teppich. Und zudem hast du offensichtlich nicht die gesamte Gesprächsequenz seit dem Neubeginn verfolgt. Ich argumentiere vor dem Hintergrund des Videos mit den dort entsprechend verteilten Rollen, die Hübl (bedingt) mitspielt sowie den der bereits geposteten originalen Materialien aus den Texten Tetens, die ich als bekannt voraus gesetzt habe.

Und die materialistische Sicht und die theistisch/idealistische Sicht bilden dort den paradigmatischen Gegensatz, um den sich das ganze Gespräch ja dreht.




herbert clemens
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Mo 9. Apr 2018, 08:03

Jörn Budesheim hat geschrieben :
So 8. Apr 2018, 16:08
herbert clemens hat geschrieben :
Sa 7. Apr 2018, 14:06
Naturwissenschaftlich lässt sich unsere Welt in der LebensPraxis als sinnvoll geordnet erleben.
Zu diesem Punkt äußert sich Tetens ungefähr ab Minute 16.00 Dort unterscheidet er (natürlich skizzenhaft) drei mögliche Positionen:
  1. Monismus (1) = alles ist Materie = Materialismus
  2. Dualismus = es gibt Geist und Materie, doch wie geht das zusammen?
  3. Monismus (2) = alles ist Geist = Idealismus
Dann führt er das etwas aus, indem er sich zum Idealismus, das heißt also zum Monismus (2) bekennt. Auf die Frage, was die Welt im innersten zusammen hält, setzt er zunächst auf die negative Auskunft: nicht sinnlose, für Moral und Glück und Geist blinde Materie und blinde Naturgesetze halten die Welt im innersten zusammen, sondern: Vernunft, Geist (und ein Christ würde hinzusetzen) Liebe. Mit anderen Worten, wenn ich ihn richtig interpretiere, lässt sich nach Tetens unsere Welt eben gerade nicht naturwissenschaftlich als in der LebensPraxis sinnvoll geordnet erleben, um es dicht an deiner Formulierung auszudrücken, denn der Materialismus scheitert bisher darin uns sinnvoll in das blinde Räderwerk (um ein alte Metapher zu nehmen) zu integrieren.

Hübl plädiert an dieser Stelle für ein "ich hab keine Ahnung", was er besser findet als den Wundern ein weiteres Wunder (einen unerklärten Erklärer) hinzufügen.
Du hast recht, Tetens gebraucht den Ausdruck „blinde Naturgesetze“. Für mich unterscheidet er an dieser Stelle nicht genau genug zwischen Naturalismus und Naturwissenschaften. Die Naturgesetze sind „natürlich“ blind gegenüber sittlichen Fragestellungen, sonst wäre die Freiheit der Ich-Subjekte, der Menschen“ nicht gegeben. Im Sinne seiner sonstigen Gedanken wage ich zu behaupten, dass die Naturgesetze andererseits Ausdruck einer göttlichen Ordnung sind und meine persönlichen Gedanken zu diesem Thema nicht durch das Videozitat widerlegt sind.
Wahrscheinlich sind diese Klarstellungen überflüssig,da epitox in ähnliche Richtung argumentiert.
Aufgrund der plausiblen Rahmenannahme „Gott“ versuchte ich eine Möglichkeit zu veranschaulichen, wie mensch ein religiöses Gen entwickeln könnte: „Ich kann mich täglich darauf verlassen, dass die Natur mir in ihrer grundsätzlichen Ordnung zur Verfügung steht, und ich als geistiges Wesen frei bin, für mich und meine Mitmenschen zu handeln.
Ich ahne, dass Gott die „Liebe“ ist und ich frei bin, dies wahrzunehmen und in mir lebendig zu machen.
Frühlingsspaziergang: Wahrnehmen des Wunders der sprießenden Natur: Buschwindröschen in gleißender Fülle ausgebreitet, versteckt Veilchen violett in sattem Grün, …
Doch habe ich die Freiheit an mich und allem zu zweifeln.“




herbert clemens
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Mo 9. Apr 2018, 08:23

Der Naturalismus wird von den Gesprächsteilnehmern, so weit ich sehe, nicht geteilt. Es wird auf den „atheistischen Anti-Naturalismus“ verwiesen. Aufgrund meiner sehr beschränkten Kenntnisse von Thomas Nagel wage ich mal die These, dass seine Positionen gar nicht so weit weg sind von theistischen Positionen. Zur Fortsetzung des Gesprächs bin ich gespannt darauf, diese Position erläutert zu bekommen.




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Jörn Budesheim
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Mo 9. Apr 2018, 08:46

herbert clemens hat geschrieben :
Mo 9. Apr 2018, 08:03
Du hast recht, Tetens gebraucht den Ausdruck „blinde Naturgesetze“. Für mich unterscheidet er an dieser Stelle nicht genau genug zwischen Naturalismus und Naturwissenschaften.
Schwer zu glauben, dass er seine eigene Position, die er in dem Gespräch ausführlich vertritt und zu der er ein ganzes Buch geschrieben hat, einfach vergisst. Deutlich wahrscheinlicher dürfte sein, dass er an der fraglichen Stelle einfach etwas anderes gemeint hat, als du denkst :-) Deswegen neige ich zu der Ansicht, dass er blinde Naturgesetze meint, da wo er es sagt. Tetens stellt sich jedoch nicht frontal gegen die Naturwissenschaften. Er folgt schließlich diesen fünf "Maximen":
  1. die Erfahrungswelt ist im Großen und Ganzen, davon geht Tetens aus, so wie die Naturwissenschaften sie beschreiben und erklären. Rationale Theologie, so wie er sie versteht, steht nicht im Widerspruch zu den anerkannten Ergebnissen der Wissenschaften.
  2. Punkt 2 ergibt sich meines Erachtens direkt aus Punkt 1. Tetens geht nicht davon aus, dass Gott Wunder in einem traditionellen Sinne bewirkt und sich durch diese Wunder in der Welt offenbart.
  3. Die fundamentalen Prinzipien des vernünftigen Denkens dürfen nicht außer Kraft gesetzt werden, Widersprüche z.b. sind zu verwerfen.
  4. Gott soll nicht einfach als eine logische Möglichkeit erwiesen werden. An das was logisch möglich ist zu glauben ist viel zu oft abstrus.
  5. Es gibt keine gültigen Gottesbeweise. Und wenn ich richtig verstanden habe, kann es sie auch nicht geben.
Wenn du an früherer Stelle schreibst: "Die Wertung der Naturgesetze als blind kann ich nicht nachvollziehen" entsteht für mich das Problem, dass damit überhaupt nicht klar wird, warum du den Gedankengang Tetens nicht nachvollziehen kannst.




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Jörn Budesheim
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Mo 9. Apr 2018, 08:52

herbert clemens hat geschrieben :
Mo 9. Apr 2018, 08:23
Der Naturalismus wird von den Gesprächsteilnehmern, so weit ich sehe, nicht geteilt.
Das ist nicht ganz richtig. Hübl bekennt sich sozusagen zu einer "soften" Form des Naturalismus, bei der nicht die Physik allein das Maß der Dinge ist, sondern das Ensemble der Wissenschaften. Wobei dieser Punkt nicht ausgeführt wird, so dass offen bleibt, was im einzelnen er damit meint.




herbert clemens
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Mo 9. Apr 2018, 13:50

Ich habe doch deutlich gesagt,dass ich den Gedankengang Tetens nachvollziehen kann, Ich allerdings mit der Begrifflichkeit „blinde Naturgesetze“ Probleme habe. Und habe erläutert, auf welche Weise dieser Begriff stimmig sein kann. Ich denke, dass er in diesem Sinne in voller Übereinstimmung mit seinem Gedankengang und meinen Gedanken von „blinden Naturgesetzen“ spricht. Auch die Maximen behaupten ja nichts Gegenteiliges.
Spannender finde ich ja mehr vom atheistischen Antinaturalismus zu erfahren.




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Jörn Budesheim
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Mo 9. Apr 2018, 13:54

herbert clemens hat geschrieben :
Mo 9. Apr 2018, 08:23
Es wird auf den „atheistischen Anti-Naturalismus“ verwiesen. Aufgrund meiner sehr beschränkten Kenntnisse von Thomas Nagel wage ich mal die These, dass seine Positionen gar nicht so weit weg sind von theistischen Positionen.
Das folgende Zitat dürfte deine These relativ schnell ins Wanken bringen: "Der Gedanke, dass die Beziehung zwischen Geist und Welt etwas Grundlegendes sein, macht viele Menschen unseres Zeitalters nervös. Nach meiner Überzeugung ist das die Äußerung einer Religionsangst [...]. Dabei rede ich aus Erfahrung, denn ich selbst bin dieser Angst in hohem Maße ausgesetzt. Ich will, dass der Atheismus wahr ist, und es bereitet mir Unbehagen, dass einige der intelligentesten und am besten unterrichtest Menschen, die ich kenne im religiösen Sinne gläubig sind. Es ist nicht nur so, dass ich nicht an Gott glaube und natürlich hoffe, mit meiner Ansicht Recht zu behalten, sondern eigentlich geht es geht es um eine Hoffnung, es möge keinen Gott geben! Ich will, dass es keinen Gott gibt, ich will nicht dass das Universum so beschaffen ist." (Thomas Nagel)




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Mo 9. Apr 2018, 14:12

herbert clemens hat geschrieben :
Mo 9. Apr 2018, 13:50
Ich habe doch deutlich gesagt,dass ich den Gedankengang Tetens nachvollziehen kann, Ich allerdings mit der Begrifflichkeit „blinde Naturgesetze“ Probleme habe.
Der Umstand, dass du mit der Begrifflichkeit "blinde Naturgesetze" Probleme hast, wie du selbst sagst, zeigt jedoch womöglich, dass du den Gedankengang Tetens eben doch nicht nachvollziehen kannst. Es ist nämlich wichtig zu begreifen, welche Herausforderungen dieser Begriff darstellt.
herbert clemens hat geschrieben :
Mo 9. Apr 2018, 13:50
Spannender finde ich ja mehr vom atheistischen Antinaturalismus zu erfahren.
An dieser Stelle zeigt sich nämlich, dass diese Dinge zwingend zusammenhängen. Dass die Naturgesetze im gewöhnlichen Gebrauch des Begriffes blind sind, das heißt ja auch, dass sie nicht in die Zukunft blicken. Naturgesetze haben kein Ziel vor Augen. Das grundlegende naturwissenschaftliche und damit naturalistische Paradigma ist, dass man die Natur nicht teleologisch bestimmt. Das was "da draußen" passiert, passiert ohne jeden Plan und Ziel.

Diese naturalistische Metaphysik kritisiert Thomas Nagel in seinem Buch Geist und Kosmos. Er vertritt dort die Ansicht, dass ohne einen teleologischen Aspekt die Entstehung geistigen Lebens unbegreiflich bleiben muss. Das heißt ohne ein Verständnis, warum die Idee der Blindheit der Naturgesetze eine solche Herausforderung ist, kommt man gar nicht weiter beim Verstehen dieser Positionen.

Thomas Nagel will diese teleologischen Aspekte jedoch stark machen, ohne einen Schöpfer annehmen zu müssen. Was Nagel und Tetens also nach meinem bisherigen Verständnis offenbar trennt, ist die Frage, wie man die Welt konzipieren muss, damit man die Naturgesetze gewissermaßen als "sehend" verstehen kann. Was beide jedoch verbindet, ist eine gewisse Nähe zu Formen des objektiven Idealismus.




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epitox
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Jörn Budesheim hat geschrieben :
Mo 9. Apr 2018, 14:12

An dieser Stelle zeigt sich nämlich, dass diese Dinge zwingend zusammenhängen. Dass die Naturgesetze im gewöhnlichen Gebrauch des Begriffes blind sind, das heißt ja auch, dass sie nicht in die Zukunft blicken. Naturgesetze haben kein Ziel vor Augen. Das grundlegende naturwissenschaftliche und damit naturalistische Paradigma ist, dass man die Natur nicht teleologisch bestimmt. Das was "da draußen" passiert, passiert ohne jeden Plan und Ziel.

Diese naturalistische Metaphysik kritisiert Thomas Nagel in seinem Buch Geist und Kosmos. Er vertritt dort die Ansicht, dass ohne einen teleologischen Aspekt die Entstehung geistigen Lebens unbegreiflich bleiben muss. Das heißt ohne ein Verständnis, warum die Idee der Blindheit der Naturgesetze eine solche Herausforderung ist, kommt man gar nicht weiter beim Verstehen dieser Positionen.
Nagels Position ist aus zweierlei Gründen absurd:

1. Ob Naturgesetze nun blind sind oder als zielführend (also "sehend") erkannt werden, ändert an den Konsequenzen die diese Eigenschaftszuschreibungen, sowohl für den Naturalismus als auch für die Naturwissenschaft haben, absolut nichts, denn die Naturgesetze bewirken in der Natur nichts. Nagels Forderungen sind deswegen sinnlos.

2. Nagel leugnet zwar Gott, aber führt ihn dennoch hintenherum als einen profanen "natürlichen" "Gott" ein. Er ist so etwas wie eine "profane Naturgottheit". Das ist ein absolutes Novum - so etwas gab es in der Menschheitsgeschichte bisher nicht... Diese Gottheit ist dabei eine Art von säkularisiertem christlichen Gott, der allerdings nicht Schöpfer ist ( denn Nagels Welt ist ungeschöpflich), aber Ziel und Motor des innerweltlichen Naturfortschritts darstellt.

Alles im allem eine groteske theologische Verdrehung, um Vorstellungen zu kitten (Leib/Seele, Körper/Geist), die nicht zusammenpassen.

epitox




herbert clemens
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Do 12. Apr 2018, 08:43

Vorbemerkungen: Danke für die anstrengende Arbeit der Verschriftlichung des Videobeitrages, Jörn. Dadurch wurde doch manches deutlicher. (ein im Wesentlichen angenehmes Forum mit sachlichen Beiträgen)
Ich habe ja keinen umfassenden philosophischen Hintergrund und wenig Kenntnisse zu Tetens und Nagel. Ich liebe (philo) die Weisheit (sophia) und versuche mich ihr selber denkend zu nähern.
(Hoffentlich nicht zu ) verkürzt ist mir die Position von jeglichem Naturalismus nicht überzeugend. (Wahrscheinlich gehöre ich zu den „objektiven Idealisten“ (Smiley))
Naturgesetze erscheinen mir als nützliche Beschreibungen der Wirklichkeit, die das Alltagshandeln der Menschen durch ihre voraussagbare Ordnung erleichtern. (Sie sind blind gegenüber menschlichen Zwecken und geben keinen Sinn vor.) Sie sind für mich aber durchaus ein Hinweis darauf, dass die Welt in ihren Grundlagen sinnvoll geordnet ist. „Monistisch“ spreche ich deshalb von einer geistigen Dimension der Wirklichkeit.
Ist es plausibel, wie Thomas Nagel diese geistige Dimension nur vom Ende her, „teleologisch“, anzunehmen? Ist die Idee einer schöpferischen göttlich-geistigen Welt nicht mindestens genauso plausibel?
Durch das Zitat von Nagel weiter oben wird ja nur zum Ausdruck gebracht, dass er an dieser Stelle seines Lebens „Angst“ davor hat, dass es Gott gibt, und er nicht „will“, dass es ihn gibt. (Leider finde ich das kleine Büchlein von Nagel nicht, wo er gelassener der Möglichkeit göttlich-geistigem gegenüber ist. Vielleicht ist dies aber nur mein Wunschdenken?)
Für die Frage, ob und wie die geistige Dimension der Wirklichkeit vorstellbar ist, müssen wir also weiter nach Antworten suchen. Können wir Gott in der je eigenen Erfahrung verifizieren?




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