Schindlers Liste Kritik

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Stefanie
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Registriert: Mi 19. Jul 2017, 20:09

So 20. Jan 2019, 19:59

Oder, wem gehört die Erinnerung an Auschwitz, und wie darf sie dargestellt werden?

Vor kurzen lief im Fernsehen wieder Schindlers Liste. Zu diesem Film gab es durchaus ernstzunehmende Kritiken, die bei dem Erfolg und Nachhall dieses Films nicht so viel Öffentlichkeit erhielten, wie der Film selber.
Mir ist es, warum auch immer, weiß ich auch nicht so genau, ein Bedürfnis, über den Film und die Kritiken über diesen Film zu berichten.
Zwei Kritiken:

Claude Lanzmann:
„Der Holocaust ist vor allem darin einzigartig, dass er sich mit einem Flammenkreis umgibt, einer Grenze, die nicht überschritten werden darf, weil ein bestimmtes, absolutes Maß an Gräuel nicht übertragbar ist. Wer es tut, macht sich der schlimmsten Übertretung schuldig. Die Fiktion ist eine Übertretung, und es ist meine tiefste Überzeugung, dass jede Darstellung verboten ist. Als ich „Schindlers Liste“ sah, fand ich das wieder, was ich auch bei der „Holocaust“-Fernsehserie empfunden hatte. Übertreten oder trivialisieren läuft hier auf das Gleiche hinaus. Ob Serie oder Film, beide übertreten, weil sie „trivialisieren“ und so die Einzigartigkeit des Holocaust zunichte machen“.
Lanzman drehte eine filmische Dokumentation über die Erinnerungen von Überlebenden des Holocaust -"Shoa -", in denen er Überlebende befragte. Er verzichtete auf die Verwendung von Archivmaterialien, und dem Nachstellen von Szenen. Diese Form der „Darstellung“ des Holocaust bezeichnet er als die einzig zulässige.

Imre Kertesz:
Er hat sich zu einem anderem Film über den Holocaust geäußert, und zwar zu "Das Leben ist schön" von Roberto Benigni. Diesen Film kenne ich nicht. Der Titel des Artikels von Kertesz lautete "Wem gehört Auschwitz". Hier schrieb er zu Schindlers Liste:
Die Zeit 48/1998
(...)Ich weiß, viele stimmen mir nicht zu, wenn ich Spielbergs Film Schindlers Liste Kitsch nenne. (...) Doch warum soll ich als Überlebender des Holocaust und im Besitz weiterer Erfahrungen des Terrors mich darüber freuen, daß immer mehr Menschen diese Erfahrungen auf der Leinwand sehen - und zwar verfälscht? Es ist offenbar, daß der Amerikaner Spielberg, der übrigens in der Zeit des Krieges noch nicht auf der Welt war, keine Ahnung hat - und haben kann - von der authentischen Realität eines nazistischen Konzentrationslagers; warum quält er sich dann aber damit ab, diese ihm unbekannte Welt so auf die Leinwand zu bringen, daß sie in jedem Detail authentisch erscheine? Die wichtigste Botschaft seines Schwarzweißfilmes sehe ich in der am Ende des Films in Farbe erscheinenden siegreichen Menschenmenge; ich halte aber jede Darstellung für Kitsch, die nicht die weitreichenden ethischen Konsequenzen von Auschwitz impliziert und der zufolge der mit Großbuchstaben geschriebene MENSCH - und mit ihm das Ideal des Humanen - heil und unbeschädigt aus Auschwitz hervorgeht. Wenn es so wäre, würden wir heute nicht mehr über den Holocaust reden oder höchstens so wie von einer fernen historischen Erinnerung, wie, sagen wir, von der Schlacht bei El-Alamein. Für Kitsch halte ich auch jede Darstellung, die unfähig - oder nicht willens - ist zu verstehen, welcher organische Zusammenhang zwischen unserer in der Zivilisation wie im Privaten deformierten Lebensweise und der Möglichkeit des Holocaust besteht; die also den Holocaust ein für allemal als etwas der menschlichen Natur Fremdes festmacht, ihn aus dem Erfahrungsbereich des Menschen hinauszudrängen versucht. Doch für Kitsch halte ich auch, wenn Auschwitz zu einer Angelegenheit bloß zwischen Deutschen und Juden, zu etwas wie einer fatalen Unverträglichkeit zweier Kollektive degradiert wird; wenn man von der politischen und psychologischen Anatomie der modernen Totalitarismen absieht; wenn man Auschwitz nicht als Welterfahrung auffaßt, sondern auf die unmittelbar Betroffenen beschränkt."
Er hat seine Kritik an anderen Stellen wiederholt und ergänzt. U.a., dass die volle Wahrheit nur die ermordeten Menschen kennen.

Grundsatzlich geht es um die Fragen, wem gehören die Erinnerungen an Auschwitz, und ist es überhaupt möglich, und wie ist es möglich, den Holocaust darzustellen, ohne ihn trivial darzustellen. Kertesz hält den Film von Benigni übrigens für gelungen und angemessen.

Ich halte Schindlers Liste für einen ....gewaltigen, unbedingt zu sehenden Film. Das gilt auch für die Dokumentation von Lanzmann, und den Büchern von Kertesz.

Ein Link
http://www.rpi-loccum.de/material/aufsaetze/schindlw



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Stefanie
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Mi 23. Jan 2019, 20:34

Diese Diskussion erinnert an die berühmten Aussagen von Adorno:

„Nach Auschwitz ein Gedicht zu schreiben, ist barbarisch, und frisst auch die Erkenntnis an, die ausspricht, warum es möglich ward, heute Gedichte zu schreiben.“ 1951
Er hat seine Aussage mit den Jahren verfeinert.

1962:
„Den Satz nach Auschwitz noch Gedichts zu schreiben sei barbarisch, möchte ich nicht mildern“
- „Das Übermaß an realem Leiden, duldet kein Vergessen.“
- „Durchs ästhetische Stilisationsprinzip,..., erscheint das unausdenkliche Schicksal doch, als hätte es irgend Sinn gehabt; es wird verklärt, etwas vom Grauen genommen; damit allein schon wiederfährt den Opfern Unrecht,..“

1966:
„Das perenniende Leiden hat soviel Recht auf Ausdruck wie Gemarterte zu brüllen; darum mag falsch gewesen sein, nach Auschwitz ließe kein Gedicht mehr sich schreiben.

Elli Wiesel hat sich ebenfalls zur künstlerischen Darstellung des Holocaust geäußert:
Wie kann man über eine Situation sprechen, welche jenseits jeder Beschreibung steht? Wie kann man eine Geschichte über die Massenvernichtung schreiben? (...) Kann ein solches Ereignis überhaupt zum Gegenstand von Worten werden? Welche Worte wären dazu notwendig?“ 
Eine Geschichte über Treblinka ist entweder keine Geschichte oder es ist keine Geschichte über Treblinka. Eine Geschichte über Maydarnek ist fast schon eine Gotteslästerung. Nein, es ist eine Gotteslästerung! Treblinka bedeutet Tod, vollkommenen Tod, Tod der Sprache, Tod der Hoffnung, Tod des Vertrauens und der Eingebung. Dieses Geheimnis ist dazu verdammt, unversehrt zu bleiben.
Die Konsequenz ist für ihn, dass über die Geschehnisse zu schweigen ist.
Andererseits sagt er aber auch:
Ich wiederhole, nichts ist in meinen Augen so hässlich, so unmenschlich wie der Versuch, die toten Opfer ihres Todes zu berauben. Daher meine tiefe Überzeugung: jeder, der sich nicht aktiv und ständig mit der Erinnerung beschäftigt und andere mahnt, ist ein Helfershelfer des Mordens. Umgekehrt: wer auch immer dem Verbrechen widersteht, muss ihre Berichte verbreiten, ihre Berichte über Einsamkeit und Verzweiflung, über Stille und Trotz“



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Stefanie
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Fr 25. Jan 2019, 22:15




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