Fortsetzung "Corona"

Dieser Teil des Forums befaßt sich mit politischen, sozialen und historischen Aspekten der aktuellen gesellschaftspolitischen Debatten.
Benutzeravatar
NaWennDuMeinst
Beiträge: 4640
Registriert: Sa 30. Mai 2020, 12:37

Sa 4. Dez 2021, 15:32

Der Vorsitzende der Innenministerkonferenz, Thomas Strobl (CDU), hat davor gewarnt, dass die geplante Impfpflicht zu einer Radikalisierung der Corona-Proteste führt. Nach Erkenntnissen des Verfassungsschutzes sei davon auszugehen, dass "eine Impfpflicht die aggressive Haltung der Querdenker-Bewegung noch verstärkt", sagte der baden-württembergische Innenminister unserer Redaktion. (Link: Corona-Beschlüsse: Werden Impfgegner jetzt gewalttätig? )

Strobl betonte: "Die Querdenken-Bewegung ist gefährlich für unsere freiheitliche Demokratie, und sie wird noch gefährlicher." Sie glaube eine voranschreitende Diktatur zu erkennen, die Widerstand rechtfertige. Der IMK-Chef rief dazu auf, dem Protest standzuhalten. Im Kampf gegen Corona sei es richtig, eine allgemeine Impfpflicht einzuführen. "Auch wenn es eine zunehmende Radikalisierung geben sollte: Wir lassen uns von Extremisten, Verschwörungsideologen und Antisemiten nicht abhalten, das Richtige zu tun", betonte er.


https://www.morgenpost.de/vermischtes/a ... tuell.html

Ich finde es falsch die Proteste dieser Menschen "Corona-Proteste" zu nennen. Das sind keine Proteste gegen die Pandemie-Maßnahmen der Regierung. Um Corona geht es dabei gar nicht.



But I, being poor, have only my dreams; I have spread my dreams under your feet;
Tread softly because you tread on my dreams.
(William Butler Yeats)

Benutzeravatar
Stefanie
Beiträge: 7168
Registriert: Mi 19. Jul 2017, 20:09

Sa 4. Dez 2021, 15:36

Ottington hat geschrieben :
Sa 4. Dez 2021, 11:07
Müssen die Tests mittlerweile nicht von einer offiziellen Teststation durchführt werden?
Nein, hier nicht.
Für die 3G Regel am Arbeitsplatz kann der Mitarbeiter/in, der/die einen Nachweis braucht, weil ungeimpft, auf diese zwei Tests zurückgreifen. Der Arbeitgeber kann aber zwei feste Termine anbieten, und muss nicht jedem Wunsch entsprechen. Das gilt Bundesweit. Für die anderen Tage muss dann ein Testzentrum her.
In NRW kann sich der Arbeitgeber offiziell unkompliziert als Textstelle für die Mitarbeitenden anmelden, und auch Bescheinigungen ausstellen, z.B. für 2 G Plus. Er muss ein Testkonzept haben und geschulte Mitarbeitende. Für uns kein Problem, und es sollte es auch nicht für große Unternehmen sein. Der Arbeitgeber kann die Bescheinigungen ausstellen, muss aber nicht. Hier In NRW.



Das Land, das die Fremden nicht beschützt, geht bald unter.
Goethe

Nauplios
Beiträge: 2883
Registriert: Mo 27. Mai 2019, 16:12
Kontaktdaten:

Sa 4. Dez 2021, 18:42

NaWennDuMeinst hat geschrieben :
Sa 4. Dez 2021, 11:36

Ab jetzt kommt die Moral eben in Form von Gesetzen.
Das kann man durchaus so sagen, wenn man das Verhältnis von Moral und Recht naturrechtlich bestimmt. In der Rechtsphilosophie gibt es zwei große Traditionen: Naturrecht und Rechtspositivismus. Hinter dem Naturrecht steht die Vorstellung, es gäbe eine Rechtsquelle außerhalb des Rechts, etwa die Natur oder die Vernunft oder Gott oder eben auch die Moral. Man hat dann ein Verbindungsmodell zwischen Moral und Recht und kann Moral aus solchen naturrechtlichen Erwägungen in Recht überführen.

Der Rechtspositivismus vertritt demgegenüber eine strikte Trennung von Moral und Recht. Recht ist danach grundsätzlich ein vom Menschen und seinen Institutionen gesetztes (positum) Recht. Für seine Geltung als Rechtsnorm ist dabei nicht entscheidend, ob es den Erwartungen und Ansprüchen der Moral entspricht oder dem Willen Gottes oder den Anforderungen der Vernunft oder ob es zur Natur des Menschen paßt, sondern ob es ordnungsgemäß gesetzt ist. Deshalb konnte Hobbes schreiben: auctoritas, non veritas facit legem ("Autorität, nicht Wahrheit schafft das Gesetz.")

In der deutschen Rechtsgeschichte spielen beide Auffassungen eine Rolle, was man exemplarisch an der juristischen Aufarbeitung des nationalsozialistischen Unrechts, aber auch des DDR-Unrechts beobachten kann. Es ist diese potentiell mögliche Ungerechtigkeit des (positiven) Rechts, seine Anfälligkeit für Willkür, die den Rechtsphilosophen Gustav Radbruch zu dem bemerkenswerten Satz veranlaßt hat: "Ein guter Jurist ist nur, wer es mit schlechtem Gewissen ist."

Diese Überlegungen lassen sich bis in die Auseinandersetzung zwischen Hans Kelsen und Carl Schmitt zurückverfolgen, der dem staatsrechtlichen Positivismus Kelsens die Macht entgegensetzt als den letztlichen Geltungsgrund des Rechts. - Übrigens: Giorgio Agamben, der sich in seiner Theorie des Souveräns (Homo sacer) auf Carl Schmitts Diktum vom Ausnahmezustand bezieht, schreibt zum Rechtspositivismus:

"Die Hypertrophie des Rechts, die alles gesetzlich zu regeln versucht, lässt durch ihre Exzesse formeller Rechtmäßigkeit den Verlust jeder substanziellen Legitimität umso deutlicher hervortreten. Angesichts des unaufhaltsamen Niedergangs, in dem sich unsere demokratischen Institutionen befinden, muss der Versuch der Moderne, Legalität und Legitimität zur Deckung zu bringen, um die Legitimität der Herrschaft im positiven Recht begründen zu können, als gescheitert betrachtet werden." (Giorgio Agamben; Das Geheimnis des Bösen; S. 11)

Rechtsphilosophisch kommt man also alsbald schnell in stürmische Gewässer, wenn man Moral in Recht aufgehen läßt.




Nauplios
Beiträge: 2883
Registriert: Mo 27. Mai 2019, 16:12
Kontaktdaten:

Sa 4. Dez 2021, 20:25

Was das Potential der Moral zur Selbststeigerung in Hypermoral betrifft, hat Niklas Luhmann diese Einschätzung:

"Außerdem handelt es sich um einen hochinfektiösen Gegenstand, den man nur mit Handschuhen und mit möglichst sterilen Instrumenten anfassen sollte. Sonst infiziert man sich selbst mit Moral ... " (Niklas Luhmann; Gesellschaftsstruktur und Semantik; Bd. III; S. 359)




Benutzeravatar
Jörn Budesheim
Beiträge: 23269
Registriert: Mi 19. Jul 2017, 09:24
Wohnort: Kassel
Kontaktdaten:

Sa 4. Dez 2021, 21:06

NaWennDuMeinst hat geschrieben :
Sa 4. Dez 2021, 11:36
Was ich meinte war, dass die moralischen Appelle jetzt enden. Ab jetzt kommt die Moral eben in Form von Gesetzen.
Nicht weil wir das so wollen. Sondern weil es nicht anders geht.
Auf diese Weise führen Missgunst und Uneinsichtigkeit am Ende zu notwendigen Ungerechtigkeiten. Denn das, was Vertrauen, Vernunft und Einsicht könnten, das können strikte Regeln natürlich nicht. Aber anscheinend geht es nicht anders.




Benutzeravatar
Stefanie
Beiträge: 7168
Registriert: Mi 19. Jul 2017, 20:09

Sa 4. Dez 2021, 22:52

In der letzten Zeit bin ich oft verständnislos und zwar in dem Sinne, dass ich vieles einfach nicht mehr verstehe. Mein Verstand streikt irgendwie.
Es war hier von Eigennutz die Rede, wenn es um das impfen geht. Ich bin bislang davon ausgegangen, das nahezu jeder Menschen nicht schwer erkranken will, keine schlimmen Schmerzen haben will, und wenn es möglichn ist ist, alle diese Möglichkeiten ergreift, nicht an einer Krankheit zu sterben.
Es ist für nicht verständlich, wenn jemand schwer an covid erkrankt ist, und trotzdem dabei bleibt, dass die Entscheidung gegen eine Impfung richtig war und seinen Tod in Kauf nimmt. Im Gegensatz zu machen Krebsarten, bei denen eine Überlebungschance ganz gering ist, ist die Chance, eine schwere covid Erkrankung zu überleben mit einer Impfung sehr sehr sehr hoch. Mega hoch. Warum ergreift man dann diese Möglichkeit nicht? Im eigenen Interesse.

Dies lief vor ein paar Tagen im WDR:
https://www1.wdr.de/mediathek/video/sen ... --104.html
Ab Minute 14.

Die lange Reportage über diese Intensivstation gibt es hier.
https://www.ardmediathek.de/video/doku- ... jNjY2VkNQ/



Das Land, das die Fremden nicht beschützt, geht bald unter.
Goethe

Benutzeravatar
Stefanie
Beiträge: 7168
Registriert: Mi 19. Jul 2017, 20:09

Sa 4. Dez 2021, 23:05

Für die, die was gegen FPP2 Masken haben....


https://www.tagesschau.de/inland/corona ... n-101.html


Mit einem kleinen Filmchen, wie man sie denn tragen soll. Dieses metallteil hat seinem Sinn.
Selbst, wenn sie nicht perfekt sitzen, sind diese Masken die bessere Wahl.



Das Land, das die Fremden nicht beschützt, geht bald unter.
Goethe

Nauplios
Beiträge: 2883
Registriert: Mo 27. Mai 2019, 16:12
Kontaktdaten:

So 5. Dez 2021, 01:28

Stefanie hat geschrieben :
Sa 4. Dez 2021, 22:52

Es ist für nicht verständlich, wenn jemand schwer an covid erkrankt ist, und trotzdem dabei bleibt, dass die Entscheidung gegen eine Impfung richtig war und seinen Tod in Kauf nimmt. Im Gegensatz zu machen Krebsarten, bei denen eine Überlebungschance ganz gering ist, ist die Chance, eine schwere covid Erkrankung zu überleben mit einer Impfung sehr sehr sehr hoch. Mega hoch. Warum ergreift man dann diese Möglichkeit nicht? Im eigenen Interesse.
Wie wäre die Situation auf den Intensivstationen zur Zeit wohl, wenn wir keinen Impfstoff hätten? -

"Ich glaube an die Kraft der Vernunft", sagt Prof. Hallek am Ende der Dokumentation: "Wenn man den Tod, das Leiden auf den Intensivstationen nicht sieht, dann kann man's als Bürger natürlich nicht verstehen."

Diese gute Dokumentation von Monika König und Jens Eberl über eineinhalb Jahre auf der Intensivstation in Köln dürfte die Kraft der Vernunft nicht überfordern. Und doch ist diese Kraft im Falle des 64-Jährigen, der bis zum Schluß seine Entscheidung, sich nicht impfen zu lassen, für richtig hält, offensichtlich überfordert. Der Mann stirbt.

Eine ähnliche Dokumentation gab es im vergangenen Jahr vom SWR. Ich hab' sie damals im ersten Corona-Thread verlinkt. Man steht sprach- und fassungslos vor der Tatsache, daß Menschen davon unbeeindruckt sind, weil die Kraft der Vernunft nicht hinreicht, durch Impfung einem Schicksal zu entgehen, das vermeidbar, zumindest aber stark reduzierbar ist.

Den 64-Jährigen, der an seiner Entscheidung, sich nicht impfen zu lassen, festhält - hätte ihn diese Dokumentation zum Umdenken bewegt? - Wahrscheinlich nicht. Seine Selbsteinschätzung ("Ich bin hart im Nehmen") hätte es nicht zugelassen.

Als meine Lebensgefährtin und ich uns vor gut eineinhalb Jahren mit dem Corona-Virus infizierten, waren die Bilder aus Bergamo wenige Wochen alt. Sie (Vorerkrankung Asthma) kam ins Krankenhaus (mußte gottseidank nicht intensivmedizinisch behandelt werden), mich hinderte an der Selbsteinweisung die Versorgungslage von Murphy.

Für uns war Ende letzten Jahres klar: Wir lassen uns impfen. Eine Fernsehdokumentation hat es zu diesem Entschluß nicht gebraucht. Dokumentationen wie diese vom WDR machen vermutlich Unvernünftige so wenig vernünftig wie sie Vernünftige noch vernünftiger machen. Es sind Monumente des Schreckens und Erschreckens über das Ausbleiben des Schreckens gleichermaßen.




Nauplios
Beiträge: 2883
Registriert: Mo 27. Mai 2019, 16:12
Kontaktdaten:

So 5. Dez 2021, 01:55

Stefanie hat geschrieben :
Sa 4. Dez 2021, 22:52

In der letzten Zeit bin ich oft verständnislos und zwar in dem Sinne, dass ich vieles einfach nicht mehr verstehe. Mein Verstand streikt irgendwie.
Auf halbem Weg zwischen Florenz und Fiesole befindet sich noch heute ein ganz besonderes Landhaus. In dieses Haus flüchteten 1348 sieben Frauen und drei Männer. In Italien wütete damals die Pest und die zehn Menschen begeben sich für zehn Tage in eine Art Vorsorge-Quarantäne. An jedem dieser Tage wird jemand dazu bestimmt, ein Thema vorzugeben, zu dem sich jeder der Anwesenden eine Geschichte auszudenken hat. Zehn Geschichten täglich, zehn Tage lang. -

Das ist die Rahmenhandlung für Boccaccios Decamerone (δέκα=zehn und ἡμέρα=Tag), einer Sammlung von 100 Novellen.

Was machte man 1348 während der Pest? - Geschichten erzählen. - Gut, eine Forum-Software ist kein Landhaus in der Toskana, aber ... ;)




Benutzeravatar
Jörn Budesheim
Beiträge: 23269
Registriert: Mi 19. Jul 2017, 09:24
Wohnort: Kassel
Kontaktdaten:

So 5. Dez 2021, 06:13

Stefanie hat geschrieben :
Sa 4. Dez 2021, 22:52
In der letzten Zeit bin ich oft verständnislos und zwar in dem Sinne, dass ich vieles einfach nicht mehr verstehe. Mein Verstand streikt irgendwie.
Vor kurzem habe ich von dem Fall Christine Maggiore gelesen. Bei ihr war AIDS diagnostiziert worden und kurz nach der Diagnose entwickelte sie sich zur AIDS Leugnerin. Sie ging damit auch in die Öffentlichkeit und gewann Gefolgsleute... Sehr vereinfacht gesagt, war sie der Ansicht, dass die Pharmaindustrie die Krankheit erfunden hatte, um Geschäfte zu machen. Selbst der Tod ihrer eigenen kleinen Tochter Eliza Jane konnte sie nicht von ihrem ihrem Weg abbringen. Aus dem Text:

"Die Autopsie ergab, dass Eliza Jane einer durch Aids begründeten Lungenentzündung zum Opfer gefallen war. Ihr Gehirn zeigte deutliche Spuren einer von HIV verursachten Encephalitis, und ihre Lungen waren von einem Pilz befallen, der bei sehr vielen Aids-Toten zu finden ist. Der Autopsiebericht beschrieb ein Kind, dessen Körper deutliche Spuren chronischer Krankheit offenbarte. Es war untergewichtig und deutlich zu klein für sein Alter. Der verantwortliche Gerichtsmediziner James Ribe vom Los Angeles Coroner’s Office bezeichnete die Ergebnisse als eindeutig und frei von Zweifel: Eliza Jane war an Aids gestorben. Sie war dreieinhalb Jahre alt geworden. Ließ dieser Schicksalsschlag das Lügengebäude platzen, in dem Christine Maggiore seit Jahren lebte? Nein. Die Untersuchungsergebnisse seien politisch motiviert, behauptete sie; man wolle ihre Arbeit torpedieren und habe nur versucht, Argumente gegen sie zu sammeln." (Sebastian Herrmann, Starrköpfe überzeugen)

Wer sich selbst so ein Lügengebäude aufgebaut hat, kommt da oft sehr schlecht wieder raus. Die Wahrheit allein kann hier nicht helfen, schätze ich. Vor kurzem hatte ich hier einen Link gepostet, da ging es um die Arbeit eines Arztes, der sehr viele Skeptiker überzeugt hatte. Eine seiner Methoden war, Personen ins Spiel zu bringen, denen die Skeptiker vertrauten, z.b. weil sie aus ihrem Kulturkreis kamen oder diversen anderen Gründen.

Wir leben in äußerst komplexen arbeitsteiligen Gesellschaften. Sehr viele der Wahrheiten, die für unser Leben von größter Bedeutung sind, können wir niemals selbst überprüfen, weil uns dazu z.b. einfach die Fähigkeiten fehlen. Wenn Menschen jedoch der Autorität der Wissenschaft überhaupt nicht mehr vertrauen, dann können sie nicht weitere wissenschaftliche Fakten überzeugen. Dann braucht es andere Strategien, um das Vertrauen zurückzugewinnen.

Damit ist man zugleich bei einem wichtigen Punkt im Verhältnis von Recht und Moral. Wenn viele Menschen das Vertrauen in das Recht verloren haben, weil sie der Ansicht sind, dass das gesetzte Recht nicht den wirklichen, außerrechtlichen moralischen Anforderungen genügt, dann kann das schwerwiegende Folgen für die Gesellschaft haben. Was passiert in einer Gesellschaft, wenn zu viele Menschen denken, dass das geltende Recht nicht richtig und ungerecht ist?

Dazu noch ein ganz einfacher Gedanke: die Frage, ob das Richtige richtig ist, beantwortet sich von selbst. Während die Antwort auf die Frage, ob das geltende Recht richtig ist, auch zuungunsten des geltenden Rechts ausfallen kann. Deswegen ist es so wichtig, dass wir in einer Demokratie leben und Gesetze geregelt geändert werden können, mit dem Ziel das Recht am Richtigen zu orientieren.




Benutzeravatar
NaWennDuMeinst
Beiträge: 4640
Registriert: Sa 30. Mai 2020, 12:37

So 5. Dez 2021, 07:21

Jörn Budesheim hat geschrieben :
So 5. Dez 2021, 06:13
Wer sich selbst so ein Lügengebäude aufgebaut hat, kommt da oft sehr schlecht wieder raus.
Ich vermute dazu bedarf es der Hilfe von Psychologen.
Man stelle sich vor was die Frau alles investiert hat in ihrem jahrelangen Kampf gegen die Pharmaindustrie.
Ich schätze zum Schluß hat sie sich als Person vollständig mit diesem Kampf identifiziert.
Zuzugeben dass sie sich geirrt hat, würde bedeuten zuzugeben, dass das alles sinnlos gewesen wäre.
Manche Menschen halten dann lieber an ihrem Irrtum fest, weil sie das Eingeständnis ihres Irrtums wie eine Art Selbstauflösung erleben würden.
Das lässt das eigene Ich dann nicht zu. Kann es gar nicht.



But I, being poor, have only my dreams; I have spread my dreams under your feet;
Tread softly because you tread on my dreams.
(William Butler Yeats)

Benutzeravatar
Jörn Budesheim
Beiträge: 23269
Registriert: Mi 19. Jul 2017, 09:24
Wohnort: Kassel
Kontaktdaten:

So 5. Dez 2021, 07:38

In grundlegenden Fragen ändert man seine Meinung ja auch nicht wie die Unterwäsche :) Jede/r kann sich das ja mal selbst fragen, wann er/sie zuletzt eine tief verwurzelte Überzeugung geändert hat.




Benutzeravatar
Jörn Budesheim
Beiträge: 23269
Registriert: Mi 19. Jul 2017, 09:24
Wohnort: Kassel
Kontaktdaten:

So 5. Dez 2021, 08:04

Nauplios hat geschrieben :
Sa 4. Dez 2021, 18:42
"Die Hypertrophie des Rechts, die alles gesetzlich zu regeln versucht, lässt durch ihre Exzesse formeller Rechtmäßigkeit den Verlust jeder substanziellen Legitimität umso deutlicher hervortreten. Angesichts des unaufhaltsamen Niedergangs, in dem sich unsere demokratischen Institutionen befinden, muss der Versuch der Moderne, Legalität und Legitimität zur Deckung zu bringen, um die Legitimität der Herrschaft im positiven Recht begründen zu können, als gescheitert betrachtet werden." (Giorgio Agamben; Das Geheimnis des Bösen; S. 11)

Rechtsphilosophisch kommt man also alsbald schnell in stürmische Gewässer, wenn man Moral in Recht aufgehen läßt.
Dass man das, was Recht ist und das, was richtig ist, nicht zur Deckung bringen kann, ist allerdings kein Argument dafür, dass das Recht sich nicht am Richtigen orientieren sollte. Und es ist auch kein Argument dagegen, dass Moral und Recht Bereiche sind, die sich "überlappen". Und insbesondere ist es kein Argument für den Slogan "keine Macht der Moral".

Wann spricht man denn von einem Unrechtsstaat? Z.b. dann, wenn dort das geltende Recht der Moral keine Macht zu billigt, sondern allein den Machthabern.




Benutzeravatar
NaWennDuMeinst
Beiträge: 4640
Registriert: Sa 30. Mai 2020, 12:37

So 5. Dez 2021, 08:08

Jörn Budesheim hat geschrieben :
So 5. Dez 2021, 07:38
In grundlegenden Fragen ändert man seine Meinung ja auch nicht wie die Unterwäsche :)
Das stimmt. Aber ich frage mich schon, warum diese Frau das zu einer grundlegenden Frage in ihrem Leben gemacht hat.
Ich meine das muss man ja nicht, und viele Menschen halten ganz andere Dinge für grundlegend.
Oder anders gefragt: Wieso war ihr das so wichtig?



But I, being poor, have only my dreams; I have spread my dreams under your feet;
Tread softly because you tread on my dreams.
(William Butler Yeats)

Benutzeravatar
Jörn Budesheim
Beiträge: 23269
Registriert: Mi 19. Jul 2017, 09:24
Wohnort: Kassel
Kontaktdaten:

So 5. Dez 2021, 09:19

Entscheidende habe ich leider nicht dazu geschrieben: sie ist auf die schiefe Bahn geraten, nachdem sie selbst mit aids infiziert war!




Nauplios
Beiträge: 2883
Registriert: Mo 27. Mai 2019, 16:12
Kontaktdaten:

So 5. Dez 2021, 10:23

Es gibt bei Emile Durkheim eine wunderbare Metapher, mit der er die Frage "Wie ist soziale Ordnung möglich?" einkleidet. Möglich wird sie durch ein "lien social", ein soziales Band, das die Individuen miteinander verbindet. Die "Zerreißfestigkeit" des sozialen Zusammenhalts hängt wesentlich von diesem sozialen Band ab. Das Problem gesellschaftlicher Ordnung ist für Durkheim ein moralisches. Die Moral hat hier gleichsam ein Ordnungsmonopol; Recht ist geronnene Moral, beide haben dieselbe Quelle und ihre Stärke ist zugleich die Stärke des sozialen Bandes:

"Recht und Moral sind die Gesamtheit der Bande, die uns untereinander und mit der Gesellschaft verbinden. (...) Moralisch ist alles, könnte man sagen, was Quelle der Solidarität ist, alles, was den Menschen zwingt, mit dem anderen zu rechnen, seine Bewegungen durch etwas anderes zu regulieren als durch die Triebe seines Egoismus und die Moralität ist umso fester, je zahlreicher und fester diese Bande sind." (Emile Durkheim; Über soziale Arbeitsteilung; S. 468)

Für Durkheim ist es vor allem die Religion (vgl. Die elementaren Formen des religiösen Lebens), die - völlig unabhängig von der Wahrheit ihrer Botschaft - das soziale Band (heute würde man vielleicht vom gesellschaftlichen Zusammenhalt sprechen) stärkt. - Auch Durkheim beobachtet den Prozess der Ausdifferenzierung gesellschaftlicher Subsysteme, der mit einer gewissen sozialen Kälte einhergeht. Moral, Solidarität, religiöses Leben u.ä. treten dann in Erscheinung, um das soziale Band nicht reißen zu lassen, sind mit einem Wort Arnold Gehlens Wärmestuben in der Eiszeit funktionaler Differenzierung.

Da diese Vorstellung ihrerseits eine gewisse Abwärme erzeugt, kann man sie erst mal so stehen lassen. ;)




Benutzeravatar
NaWennDuMeinst
Beiträge: 4640
Registriert: Sa 30. Mai 2020, 12:37

So 5. Dez 2021, 11:59

Für mich kommt man der Frage danach ob, wann und in welchem Maße Moral angebracht ist, am besten näher, wenn man sich mal die Frage stellt aus welchen Gründen Menschen überhaupt Moral (als die Einhaltung moralischer Grundsätze) fordern.
Wie kam denn die Moral überhaupt "in die Welt"?



But I, being poor, have only my dreams; I have spread my dreams under your feet;
Tread softly because you tread on my dreams.
(William Butler Yeats)

Benutzeravatar
Jörn Budesheim
Beiträge: 23269
Registriert: Mi 19. Jul 2017, 09:24
Wohnort: Kassel
Kontaktdaten:

So 5. Dez 2021, 15:06

NaWennDuMeinst hat geschrieben :
So 5. Dez 2021, 11:59
Für mich kommt man der Frage danach ob, wann und in welchem Maße Moral angebracht ist, am besten näher, wenn man sich mal die Frage stellt aus welchen Gründen Menschen überhaupt Moral (als die Einhaltung moralischer Grundsätze) fordern.
Wie kam denn die Moral überhaupt "in die Welt"?
Mensch und Moral sind gleich ursprünglich oder anders gesagt zusammen mit den Menschen "kam die Moral in die Welt". Die Menschen fordern auch keine Moral, sondern sind (zunehmend) sensibel für die Forderungen der Moral.




Burkart
Beiträge: 2747
Registriert: Sa 11. Jul 2020, 09:59

So 5. Dez 2021, 16:07

Jörn Budesheim hat geschrieben :
So 5. Dez 2021, 15:06
NaWennDuMeinst hat geschrieben :
So 5. Dez 2021, 11:59
Für mich kommt man der Frage danach ob, wann und in welchem Maße Moral angebracht ist, am besten näher, wenn man sich mal die Frage stellt aus welchen Gründen Menschen überhaupt Moral (als die Einhaltung moralischer Grundsätze) fordern.
Wie kam denn die Moral überhaupt "in die Welt"?
Mensch und Moral sind gleich ursprünglich oder anders gesagt zusammen mit den Menschen "kam die Moral in die Welt".
Ist das wirklich so?
Wenn wir evolutionsbedingt von einem Menschen ausgehen, der die gleichen Vorfahren wie Affen hat: Haben dann Affen auch eine Moral?
Wenn nicht, wie hat sich die denn beim Menschen "auf einmal" eingestellt?
Wenn doch: Welche anderen Tiere haben dann alle noch eine Moral?
Die Menschen fordern auch keine Moral, sondern sind (zunehmend) sensibel für die Forderungen der Moral.
Na ja, vermutlich gilt beides; eine Moral hinsichtlich der Vergrößerung der Arm-Reich-Schere u.ä. dürfte es schon geben (oder welches Wort passt hier ggf. besser als "Moral"?).



Der Mensch als Philosophierender ist Ausgangspunkt aller Philosophie.
Die Philosophie eines Menschen kann durch Andere fahrlässig missverstanden oder gezielt diskreditiert oder gar ganz ignoriert werden, u.a. um eine eigene Meinung durchsetzen zu wollen.

Benutzeravatar
Friederike
Beiträge: 4950
Registriert: Mi 19. Jul 2017, 07:48

So 5. Dez 2021, 17:09

Burkart hat geschrieben :
So 5. Dez 2021, 16:07
Na ja, vermutlich gilt beides; eine Moral hinsichtlich der Vergrößerung der Arm-Reich-Schere u.ä. dürfte es schon geben (oder welches Wort passt hier ggf. besser als "Moral"?).
Bei "arm" und "reich" geht es um die Vorstellungen von Gerechtigkeit, denke ich, und den Wert "Gerechtigkeit" würde ich der Moral zuordnen. Aber genaugenommen verstehe ich nicht, was Du sagen willst. :oops:




Gesperrt