Schematische Ostrakisierung

Dieser Teil des Forums befaßt sich mit politischen, sozialen und historischen Aspekten der aktuellen gesellschaftspolitischen Debatten.
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Jörn Budesheim
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Mo 28. Aug 2023, 09:18

Ich will hier mal einen "gefährlichen" Begriff in den Ring werfen: "Gesinnung". Gefährlich, weil er zur Eskalierung des Streits führen kann. Dazu eine Fragestellung, die in der von mir gewählten Formulierung vielleicht sogar eher anstößig ist: Was machen wir mit bedeutenden Werken, wenn sich zeigt, dass die Autorin oder der Autor nicht die richtige Gesinnung hat(te)?

"Anstößig" deshalb, weil es verharmlosend ist, hier nur von Gesinnung zu sprechen, wenn es um Kriegsverbrechen geht, wie es bei Haftmann der Fall ist.




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Jörn Budesheim
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Mo 28. Aug 2023, 09:26

Schematische Ostrakisierung bei Kant? Oder: Wir fest steht er auf dem Sockel?
Nauplios hat geschrieben :
Di 30. Jun 2020, 19:00
Wie beweglich übrigens die Position der "Sichtweisen" im Hinblick auf ihre Metakinetik ist, sieht man am Beispiel Kants auch an der bereitwilligen Inanspruchnahme seiner Schrift Zum ewigen Frieden, die vor fünf Jahren auf dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise gern zitiert wurde, um das "Hospitalitätsrecht" der Flüchtlinge in Europa und insbesondere in Deutschland zu betonen. Mit Immanuel Kant hatte man damit eine gewichtige philosophische Stimme der Vernunft und Humanität im gesellschaftlichen Diskurs um Asyl, Flucht, Migration, Grenzschließungen u.ä. auf seiner Seite. Nach Kant bedeutet:

"Hospitalität (Wirtbarkeit) das Recht eines Fremdlings, seiner Ankunft auf dem Boden eines andern wegen, von diesem nicht feindselig behandelt zu werden. Dieser kann ihn abweisen, wenn es ohne seinen Untergang geschehen kann; so lange er aber auf seinem Platz sich friedlich verhält, ihm nicht feindlich begegnen. Es ist kein Gastrecht, worauf dieser Anspruch machen kann (wozu ein besonderer wohltätiger Vertrag erfordert werden würde, ihn auf eine gewisse Zeit zum Hausgenossen zu machen), sondern ein Besuchsrecht, welches allen Menschen zusteht, sich zur Gesellschaft anzubieten, vermöge des Rechts des gemeinschaftlichen Besitzes der Oberfläche der Erde, auf der, als Kugelfläche, die sich nicht ins Unendliche zerstreuen können, sondern endlich sich doch nebeneinander dulden müssen, ursprünglich aber niemand an einem Orte der Erde zu sein mehr Recht hat, als der andere“ (Kant [AA. Bd II, S.213 ff.)

Im gesellschaftlichen Diskurs der Jahre 2015/2016 wurde auf dieses "Besuchsrecht" von Flüchtlingen unter Bezugnahme auf Kant mit Genugtuung hingewiesen. Kant erschien als Philosoph einer Migrationsethik avant la lettre. - Seine Standfestigkeit auf dem Sockel war gesichert.

Fünf Jahre später hat sich im Zuge der Rassismusdebatte die Sichtweise auf Kant geändert. Nun erscheint er als Mitbegründer des europäischen Rassismus. Kants Statik auf dem Sockel wird neu berechnet.

Dieter Thomä sagte gestern im Deutschlandfunk, wenn man Geschichte von allem säubere, was verdächtig ist, bleibe nicht mehr viel übrig. Von einer Art "Reinlichkeitswahn" und einer "Reinlichkeitspolizei" spricht Thomä, der eigentlich eher die Kunst und die Auseinandersetzung mit der Geschichte im Blick hat. "Man will praktisch die Geschichte säubern von allem, was da vielleicht verdächtig ist."

https://www.deutschlandfunk.de/philosop ... _id=479504

Aus Anlaß der Rassismusdebatte läßt sich gut auf den ikonoklastischen Zug aufspringen. Das bietet sich ohnehin immer bei Zügen an, bei denen erst nach Erreichung der Höchstgeschwindigkeit das Reiseziel durchgesagt wird. ;)




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Quk
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Mo 28. Aug 2023, 10:51

Nauplios hat geschrieben :
Mo 25. Jul 2022, 18:27
... will ich in diesem Thread kurz darstellen, um die Frage, wie wir Vergangenheit erfahren und erinnern ins Allgemeine aufzuweiten.
Jörn Budesheim hat geschrieben :
Mo 28. Aug 2023, 08:20
Nochmal Blumenberg: "Ich war mit Erich Rothacker befreundet. Ich mochte ihn. Ich habe gefragt, was er zwischen 1933 und 1945 alles getan habe. Ich bin trotzdem bis zu seinem Tode mit ihm befreundet geblieben. Ich wollte nicht sein, was ich nicht zu sein brauchte: das Weltgericht."
So betrachtet, hatte ich das Ziel des Fadens -- nämlich die "Aufweitung" -- wohl wirklich missverstanden. Vermutlich geht es nur um die Aufweitung der Toleranz gegenüber der Vergangenheit. Nicht das Weltgericht sein zu wollen, bedeutet nach meiner Lesart, Toleranz üben zu wollen. Da dies nicht nur als Toleranz gegenüber der späteren Person Jauß interpretiert werden kann, sondern auch gegenüber der damaligen Verbrechen überhaupt, könnte die Leserschaft jene Toleranz als einen gefährlichen, größeren Zusammenhang interpretieren. Um dieses große Gefährliche rhetorisch zu verkleinern, malt der Sprecher, so vermute ich, ein Bild der Bescheidenheit, indem er sagt, er wolle nicht das Weltgericht sein; das Weltgericht ist etwas ganz großes; er wolle also nicht groß und schon gar nicht größenwahnsinnig sein. Außerdem muss man sich fragen, wer überhaupt verlangt, dass er Weltrichter sei. Er selbst, in seinen frühreren Erwägungen? -- Wenn er mit Weltgericht das Scherbengericht meint, dann klingt "Welt" auf jeden Fall größer als "Scherben", und erst diese rhetorische Vergrößerung auf "Welt" erlaubt die anschließende rhetorische Verkleinerung hin zum Bild der Bescheidenheit. Bescheidene Menschen haben eine kleinere Angriffsfläche.

Hoffentlich habe ich jetzt wenigstenes einen hermeneutischen Kommentar beigetragen :-)




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Quk
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Mo 28. Aug 2023, 12:04

Nauplios hat geschrieben :
Mo 28. Aug 2023, 09:26
Dieter Thomä sagte gestern im Deutschlandfunk, wenn man Geschichte von allem säubere, was verdächtig ist, bleibe nicht mehr viel übrig.
Kommt wohl auch drauf an, wie grob der Besen ist. Der kann viel Unverdächtiges mitreißen.

Vielleicht sollte man die Geschichte kleinteiliger machen, weniger verallgemeinern, und dann versuchen, jedes verdächtige Kleinteil zunächst so scharf wie möglich von den unverdächtigen Großteilen zu trennen, bevor man es auf den Müll wirft.

Also nicht notwendig manches Verdächtige blindlings ignorieren, sondern durchaus ansehen, und so nah wie möglich an dessen Kern herangehen. Das geht besser mit dem Pinsel als mit dem Besen. Archäologen kennen diese Feinarbeit. Historiker stehen diesem Fach doch sowieso schon sehr nahe.




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Mo 28. Aug 2023, 12:42

Quk hat geschrieben :
Mo 28. Aug 2023, 10:51
Da dies nicht nur als Toleranz gegenüber der späteren Person Jauß interpretiert werden kann, sondern auch gegenüber der damaligen Verbrechen überhaupt, könnte die Leserschaft jene Toleranz als einen gefährlichen, größeren Zusammenhang interpretieren.
www.deutschlandfunk.de hat geschrieben : ... für die Nazis galt der Katholik Blumenberg als „Halbjude“. An staatlichen Universitäten konnte er deshalb nicht studieren. Zwei Jahre durfte er noch kirchliche Hochschulen besuchen, musste dann Zwangsarbeit leisten, überlebte den Nationalsozialismus im Versteck. In der Nachkriegszeit absolvierte er Studium, Promotion und Habilitation in atemberaubenden Tempo. Von seinen Erlebnissen in der Nazizeit sprach er später nur sehr selten ... Quelle
Passt das zusammen?




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Jörn Budesheim
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Mo 28. Aug 2023, 12:47

Quk hat geschrieben :
Mo 28. Aug 2023, 12:04
Also nicht notwendig manches Verdächtige blindlings ignorieren, sondern durchaus ansehen, und so nah wie möglich an dessen Kern herangehen. Das geht besser mit dem Pinsel als mit dem Besen. Archäologen kennen diese Feinarbeit. Historiker stehen diesem Fach doch sowieso schon sehr nahe.
Könnte der Satz nicht genauso gut so heißen: "Also nicht notwendig manches Verdächtige blindlings verurteilen, sondern durchaus ansehen, und so nah wie möglich an dessen Kern herangehen. Das geht besser mit dem Pinsel als mit dem Besen. Archäologen kennen diese Feinarbeit. Historiker stehen diesem Fach doch sowieso schon sehr nahe."




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Mo 28. Aug 2023, 13:28

Nauplios hat geschrieben :
Mo 25. Jul 2022, 18:27
"Hätte nicht diese schematische Ostrakisierung stattgefunden, dann hätte er eher über seine Vergangenheit gesprochen." (Dieter Henrich; Ins Denken ziehen. Eine philosophische Autobiographie; S. 101)
Passt diese Spekulation eigentlich zu dem Umstand, dass auch Blumenberg kaum über die Vergangenheit gesprochen hat?




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Jörn Budesheim
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Mo 28. Aug 2023, 13:31

Blumenberg hat geschrieben : "Ich war mit Erich Rothacker befreundet. Ich mochte ihn. Ich habe gefragt, was er zwischen 1933 und 1945 alles getan habe. Ich bin trotzdem bis zu seinem Tode mit ihm befreundet geblieben. Ich wollte nicht sein, was ich nicht zu sein brauchte: das Weltgericht."
Mir ist das auch sehr fremd, das gebe ich zu. Es wäre aber spannend, mehr darüber zu erfahren.




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Quk
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Mo 28. Aug 2023, 13:57

"Passt das zusammen?"

Oberflächlich betrachtet, wohl nicht. Ich kenne Blumenberg nicht persönlich. Frage: So, wie sich das Gemüt von Jauß vom harten zum weichen gewandelt hat, könnte sich das von Blumenberg umgekehrt vom weichen zum ... nicht harten ... aber zum reduziert-weichen wandeln? Wenn ja, könnte man die Eingangsfrage bejahen, oder? Aber ich weiß es nicht. -- Die kleinteiligere Frage wäre: Hätte Blumenberg damals in seinem Versteck seinen Jäger ebenso gemocht wie er später den älteren Rothacker mochte? Also, wenn wir kleinteiliger fragen, was zusammenpasst, dann fragen wir eigentlich drei Konstellationen ab:
1. Der alte Blumenberg mag den alten Rothacker?
2. Der alte Blumenberg mag den Rothacker insgesamt?
3. Schon der junge Blumenberg mochte den Rothacker insgesamt?

Das Wort "insgesamt" ist bei Charakterfragen natürlich schwierig zu analysieren. Manche Leute unterscheiden zwischen den Taten einer Person und deren Charakter, und sagen so romantische Sätze wie: "Deine ständigen Raubüberfälle liebe ich nicht, aber ich liebe dich!" Was verstehen diese Leute unter dem "Du", beziehungsweise dem "Ich", wenn das etwas ist, das nicht für seine Taten steht?


Ja, statt "ignorieren" könnte man auch "verurteilen" einsetzen, also das Vorzeichen minus zu plus wechseln. Ich fing mit minus an, weil der blumenbergsche Satz, auf den ich mich bezog, mit "kein Weltgericht sein wollen" eine Negation ist, denke ich. (Nicht verdächtigen wollen, ignorieren.) Würde das "kein" fehlen, hätte ich meinen Satz positiv gepolt. Die Trennschärfe beim Putzen gilt natürlich für die negativen als auch positiven Verben.


"Passt diese Spekulation eigentlich zu dem Umstand, dass auch Blumenberg kaum über die Vergangenheit gesprochen hat?"

Hmmm ... jetzt wirds spannend ...




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Jörn Budesheim
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Mo 28. Aug 2023, 14:20

Quk hat geschrieben :
Mo 28. Aug 2023, 13:57
Gemüt
Ich habe versucht, ein paar Dinge zu dem Thema des Fadens zu sagen, die vielleicht im Sinne von Nauplios waren, schwer zu sagen, ob das gelungen ist. Die Wahrscheinlichkeit dürfte nicht sehr hoch zu sein.

"Ich war mit Erich Rothacker befreundet. Ich mochte ihn. Ich habe gefragt, was er zwischen 1933 und 1945 alles getan habe. Ich bin trotzdem bis zu seinem Tode mit ihm befreundet geblieben. Ich wollte nicht sein, was ich nicht zu sein brauchte: das Weltgericht." (Blumenberg)

Für mich ist das schwer zu verstehen. Es ist mir fremd, habe ich oben geschrieben, vielleicht ist das die falsche Ausdrucksweise, denn ich habe eine gewisse Sympathie dafür, ohne es begründen zu können. Schwer zu sagen. Ich weiß auch nicht, wie ich das Thema angehen soll. Aber mein Gefühl sagt mir: nicht psychologisieren. Ich kann aber auch das nicht begründen.
Quk hat geschrieben :
Mo 28. Aug 2023, 13:57
Das Wort "insgesamt" ist bei Charakterfragen natürlich schwierig zu analysieren.
Kürzlich habe ich einige Sachen zu Medea gelesen/gesehen. Eine Kritikerin war mit einer (feministischen) Neuinterpretation nicht einverstanden, weil die Figur nur eindimensional gut war, es gab nie etwas an ihr auszusetzen. Das erinnert mich an diesen Thread :-) Menschen sind selten eindimensional. Wie kann jemand wie Haftmann einerseits so "kunstsinnig" und andererseits ein Nazi sein? Für mich überstrahlt das Zweite das Erste, bei Nolde ist es ähnlich. Vielleicht brauche ich Nachhilfe in Ambiguitätstoleranz ...




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Jörn Budesheim
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Mo 28. Aug 2023, 15:55

Schematische Ostrakisierung
Dass es so etwas damals gab, müsste man allerdings auch erst mal plausibel machen, hat jemand Quellen?




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Quk
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Mo 28. Aug 2023, 16:33

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Mo 28. Aug 2023, 14:20
... ich habe eine gewisse Sympathie dafür, ohne es begründen zu können. Schwer zu sagen. Ich weiß auch nicht, wie ich das Thema angehen soll. Aber mein Gefühl sagt mir: nicht psychologisieren. Ich kann aber auch das nicht begründen.
Ich denke, das ist halt unser altes Dilemma zwischen Vergebung und Gräuelabwehr. Es ist ein Riesensalat aus verschiedenen Emotionen und Erwägungen; je nach Stimmung und Lektüre dominiert mal die eine oder andere -- im Stundenwechseltakt ...




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Jörn Budesheim
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Mo 28. Aug 2023, 21:37

Der Romanist Hans Robert Jauß stellt 1967 fest, daß Literaturgeschichtsschreibung und akademische Literaturinterpretation eine wesentliche Instanz vernachlässigten: den Leser ...

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Timberlake
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Di 29. Aug 2023, 13:40

Quk hat geschrieben :
Mo 28. Aug 2023, 10:51
Nauplios hat geschrieben :
Mo 25. Jul 2022, 18:27
... will ich in diesem Thread kurz darstellen, um die Frage, wie wir Vergangenheit erfahren und erinnern ins Allgemeine aufzuweiten.
Jörn Budesheim hat geschrieben :
Mo 28. Aug 2023, 08:20
Nochmal Blumenberg: "Ich war mit Erich Rothacker befreundet. Ich mochte ihn. Ich habe gefragt, was er zwischen 1933 und 1945 alles getan habe. Ich bin trotzdem bis zu seinem Tode mit ihm befreundet geblieben. Ich wollte nicht sein, was ich nicht zu sein brauchte: das Weltgericht."
So betrachtet, hatte ich das Ziel des Fadens -- nämlich die "Aufweitung" -- wohl wirklich missverstanden. Vermutlich geht es nur um die Aufweitung der Toleranz gegenüber der Vergangenheit. Nicht das Weltgericht sein zu wollen, bedeutet nach meiner Lesart, Toleranz üben zu wollen. Da dies nicht nur als Toleranz gegenüber der späteren Person Jauß interpretiert werden kann, sondern auch gegenüber der damaligen Verbrechen überhaupt, könnte die Leserschaft jene Toleranz als einen gefährlichen, größeren Zusammenhang interpretieren. Um dieses große Gefährliche rhetorisch zu verkleinern, malt der Sprecher, so vermute ich, ein Bild der Bescheidenheit, indem er sagt, er wolle nicht das Weltgericht sein; das Weltgericht ist etwas ganz großes; er wolle also nicht groß und schon gar nicht größenwahnsinnig sein.
Wir wollen doch bitteschön an "dieser Stelle" nicht vergessen, dass die Nazis genau das für sich in Anspruch nahmen und zwar sich größenwahnsinnig , als ein Weltgericht über das Judentum auf zuführen. Um an "dieser Stelle" das Thema Schematische Ostrakisierung einmal auf das Judetum durch die Nazis "auf zuweiten". Ohne an "dieser Stelle" beide schematischen Ostrakisierungen gleich setzen zu wollen.

Nauplios hat geschrieben :
Di 26. Jul 2022, 03:18


Es sind hoch dotierte Gastprofessuren, die Jauß 1973 an die Columbia University führen, 1976 zur Elite-Universität nach Yale und Berkeley (1983). Er kann es sich sogar leisten, einen Ruf nach Yale abzulehnen.

Elite-Universität - das Wort hat an dieser Stelle einen seltsamen Klang.


Wo hätte denn in Nazideutschland in gleicherweise die Möglichkeit bestanden , jenseits dessen , auch als Jude zu hochdotierten Gastprofessuren an einer Elite-Universität zu kommen. Wenn das Wort Elite-Universität einen seltsamen Klang hat , dann ganz sicher an "dieser Stelle" .

Dazu an "dieser Stelle" nur mal ..
Nauplios hat geschrieben :
Mo 25. Jul 2022, 18:27
"Hätte nicht diese schematische Ostrakisierung stattgefunden, dann hätte er eher über seine Vergangenheit gesprochen." (Dieter Henrich; Ins Denken ziehen. Eine philosophische Autobiographie; S. 101)

"Was mich zu der Entscheidung gebracht hat, in die Waffen-SS einzutreten, war keine wirkliche Anhängerschaft an die Nazi-Ideologie." (Hans Robert Jauss im Gespräch mit Maurice Olender; Le Monde; 06. September 1996)
.. dergleichen für einen Juden in Nazideutschland übersetzt ..
  • "Hätte nicht diese schematische Ostrakisierung stattgefunden, dann hätte er eher über seine "jüdische" Vergangenheit gesprochen."

    "Was mich zu der Entscheidung gebracht hat, in die "jüdische" Religion einzutreten, war keine wirkliche Anhängerschaft an die "Jüdisch" -Ideologie."
Ich korrigiere ..
  • "Was mich zu der Entscheidung gebracht hat, in die "jüdische" Rasse einzutreten, war keine wirkliche Anhängerschaft an die "Jüdisch" -Rasse ."
Lässt sich doch nur vor dem Hintergrund eines Rassen- und ganz gewiss nicht eines Religionswahns , die s.g. Endlösung der Judenfrage erklären.




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Jörn Budesheim
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Di 29. Aug 2023, 16:03

Kannst du mir in einfachen Worten erklären, wofür oder wogegen du in diesem Beitrag argumentierst?




Timberlake
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Di 29. Aug 2023, 16:46

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Di 29. Aug 2023, 16:03
Kannst du mir in einfachen Worten erklären, wofür oder wogegen du in diesem Beitrag argumentierst?
Ganz einfach , ich argumtiere dafür , dass man das Thema schematische Ostrakisierung an Hand weiterer Beispiele erweitert und somit dagegen , dass man sich dabei auf das Beispiel von Hans Robert Jauss beschränkt!

Beispielsweise , wie in dem Beitrag 67204 vorgeführt , die schematische Ostrakisierung der Juden durch die Nazis. Also einer schematische Ostrakisierung , die der von Hans Robert Jauss , nach Ende des zweiten Weltkrieges vorausging. In diesem Zusammenhang würde sich übrigens auch , die "schematische Ostrakisierung" der Angehörigen der Stasi nach der s. g. Wende von 1989 anbieten. Als jemand, der seinen Wehrdienst im Wachregiment „Feliks Dzierzynski“ ableistete , das dem Ministerium für Staatssicherheit der DDR unterstand , wäre ich übrigens diesbezüglich de facto in der gleichen Situation wie Hans Robert Jauss . Ohne jetzt , aus naheliegenden Gründen , den Dienst in die Waffen SS mit dem Dienst im Wachregiment „Feliks Dzierzynski“ vergleichen zu wollen.
Das Gebäude , in Adlershof, wo ich seiner Zeit untergebracht war, ist übrigens einer der wenigen , die durch eine Nachnutzung erhalten geblieben sind.
Jörn Budesheim hat geschrieben :
Mo 28. Aug 2023, 09:18
Ich will hier mal einen "gefährlichen" Begriff in den Ring werfen: "Gesinnung". Gefährlich, weil er zur Eskalierung des Streits führen kann. Dazu eine Fragestellung, die in der von mir gewählten Formulierung vielleicht sogar eher anstößig ist: Was machen wir mit bedeutenden Werken, wenn sich zeigt, dass die Autorin oder der Autor nicht die richtige Gesinnung hat(te)?
"glücklicherweise" kann ich nicht mit bedeutenden Werken glänzen , so dass sich von daher die Frage , ob ich die richtige Gesinnung hat(te) eher nicht stellt ;)

Dazu nur mal zum Vergleich ..
  • „Das musste raus, endlich. Die Sache verlief damals so: Ich hatte mich freiwillig gemeldet, aber nicht zur Waffen-SS, sondern zu den U-Booten, was genauso verrückt war. Aber die nahmen niemanden mehr. Die Waffen-SS hingegen hat in diesen letzten Kriegsmonaten 1944/45 genommen, was sie kriegen konnte. Das galt für Rekruten, aber auch für Ältere, die oft von der Luftwaffe kamen, ‚Hermann-Göring-Spende‘ nannte man das. Je weniger Flugplätze noch intakt waren, desto mehr Bodenpersonal wurde in Heereseinheiten oder in Einheiten der Waffen-SS gesteckt. Bei der Marine war’s genauso. Und für mich, da bin ich meiner Erinnerung sicher, war die Waffen-SS zuerst einmal nichts Abschreckendes, sondern eine Eliteeinheit, die immer dort eingesetzt wurde, wo es brenzlig war, und die, wie sich herumsprach, auch die meisten Verluste hatte.“
    Günter Graß ... Interview in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 12. August 2006
.. auch in meiner Erinnerung war übrigens das Wachregiment „Feliks Dzierzynski“ zuerst einmal nichts Abschreckendes, sondern eine Eliteeinheit. Zumal man , im Vergleich zur NVA , mit der sehr viel besseren Ausgangsuniform der Offiziere ausgestattet wurde.




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Vielleicht kann mir das ja jemand übersetzen?




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Di 29. Aug 2023, 18:16

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Di 29. Aug 2023, 18:12
Vielleicht kann mir das ja jemand übersetzen?
Ok .. möglicherweise , waren ich wieder eimal zu unverständlich . Dann belasse ich es mal bei diesen "einfachen Worten" ..
Timberlake hat geschrieben :
Di 29. Aug 2023, 16:46
Jörn Budesheim hat geschrieben :
Di 29. Aug 2023, 16:03
Kannst du mir in einfachen Worten erklären, wofür oder wogegen du in diesem Beitrag argumentierst?
Ganz einfach , ich argumtiere dafür , dass man das Thema schematische Ostrakisierung an Hand weiterer Beispiele erweitert und somit dagegen , dass man sich dabei auf das Beispiel von Hans Robert Jauss beschränkt!

Zuletzt geändert von Timberlake am Di 29. Aug 2023, 18:21, insgesamt 1-mal geändert.




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Di 29. Aug 2023, 18:19

Verstehe ich nach wie vor nicht.




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Di 29. Aug 2023, 18:25

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Di 29. Aug 2023, 18:19
Verstehe ich nach wie vor nicht.
Was bitteschön gibt es an den von mir geäußerten Wunsch , das Thema "Schematische Ostrakisierung" an weiteren Beispielen zu diskutieren "nach wie vor" nicht zu verstehen ? Dazu nur mal zur Erinnerung ..
Jörn Budesheim hat geschrieben :
Ich bin ein Freund von Beispielen. Nehmen wir ...
Auch ich bin ein Freund von Beispielen . Nehmen wir .... nur mich ..
Timberlake hat geschrieben :
Di 29. Aug 2023, 16:46
Als jemand, der seinen Wehrdienst im Wachregiment „Feliks Dzierzynski“ ableistete , das dem Ministerium für Staatssicherheit der DDR unterstand , wäre ich übrigens diesbezüglich de facto in der gleichen Situation wie Hans Robert Jauss .
Zuletzt geändert von Timberlake am Di 29. Aug 2023, 18:46, insgesamt 3-mal geändert.




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