Wachsende AfD kann die Demokratie abschaffen

Dieser Teil des Forums befaßt sich mit politischen, sozialen und historischen Aspekten der aktuellen gesellschaftspolitischen Debatten.
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Stefanie
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Mo 4. Mär 2024, 14:27

Populismus ist verharmlosend.



Das Land, das die Fremden nicht beschützt, geht bald unter.
Goethe

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Stefanie
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Mo 4. Mär 2024, 15:52

Warum fällt es auf fruchtbaren Boden?

Es gibt viele Gründe und/oder Ursachen (es möge sich jeder nach seiner Position den passenden Begriff also Ursache oder Grund heraussuchen ;- )).

Unzureichende Erinnerungskultur (es muss ja mal Schluss sein mit dem ganzen "Mist" so wird oft gesagt), es wird bei uns mehr darüber diskutiert, dass Jim Kopf keine Pfeife mehr im Mund hat und sein Gesicht angepasst wurde und "Neger" gestrichen wurde, als darüber, wie man rechtsextreme Positionen und rassistische Gedankengut erkennt und dagegen vorgeht und bei uns ist immer noch die "Linke" das viel größerer Übel. Söder hat sich neulich wieder mehr mit den Grünen beschäftigt und diese attackiert, als mit der AfD und der Partei von Aiwanger.

Und einfach sich keiner traut, den Kuschelkurs mit den vermeintlichen AfD Protestwähler*innen AfD sein zu lassen.

Wurde ja hier auch gemacht, und mehr oder weniger darüber gelästert, dass wir einen Verfassungsschutz haben, der allerdings in den vorherigen Jahren mehr damit beschäftigt war "Linke" Gefahren zu bekämpfen, als die Rechte Gefahr und die Gefahr im eigenen Haus zu erkennen. Das scheint sich gerade zu ändern.



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Lucian Wing
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Mo 4. Mär 2024, 16:17

Ich kann noch ein Zitat liefern aus Jan-Werner Müllers "Furcht und Freiheit" (Seite 51):
Der erste Eindruck stimmt durchaus: Viele im weitesten Sinne liberale Akteure haben auf Populismus - hier verstanden als eine Form des Antipluralismus - primär mit moralischer Exklusion reagiert. Als Parteien wie die AfD zu erstarken begannen, antworteten viele Politikerinnen und Politiker darauf mit der Forderung nach einem möglichst kompletten Ausschluss: Man wollte nicht mit Populisten in Talkrunden auftreten; wenn sie schon Sitze im Parlament hatten, versuchte man, sie zu ignorieren, oder verließ demonstrativ den Saal, wenn sie das Wort ergriffen … Die Strategie des totalen Ausschlusses war gleich doppelt verfehlt: Sie funktionierte strategisch so gut wie nie (zumindest wenn man davon ausgeht, das strategische Ziel besteht darin, die populistische Partei politisch kleinzukriegen); und sie ist zudem aus einer demokratietheoretischen Sicht zutiefst problematisch. Praktisch ist der Ausschluss kontraproduktiv, weil er das Narrativ der Populisten, die liberalen Eliten kümmerten sich nicht um die Anliegen ihrer Anhänger und sie seien die Einzigen, die Tabuthemen ansprechen, aufs Wunderbarste bestätigt. Sind populistische Parteien einmal in ein Parlament gewählt, steht man vor dem tiefer gehenden demokratietheoretischen Problem, dass man mit einem Ausschluss unter Umständen allen Bürgern, die sie gewählt haben, die politische Repräsentation verweigert. Es wäre ein Kurzschluss anzunehmen, alle Wähler, die ihr Kreuz bei populistischen Parteien gemacht haben, seien selbst ebenfalls eingefleischte Antipluralisten.
Aber ich fürchte, auch das wird nicht mehr durchdringen.



Als ich vierzehn war, war mein Vater so unwissend. Ich konnte den alten Mann kaum in meiner Nähe ertragen. Aber mit einundzwanzig war ich verblüfft, wieviel er in sieben Jahren dazu gelernt hatte. (Mark Twain)

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Lucian Wing
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Mo 4. Mär 2024, 16:38

Stefanie hat geschrieben :
Mo 4. Mär 2024, 15:52
[...] es wird bei uns mehr darüber diskutiert, dass Jim Kopf keine Pfeife mehr im Mund hat und sein Gesicht angepasst wurde und "Neger" gestrichen wurde,
Da kann ich doch noch einen Gedanken von Selk liefern, dem ich zustimmen möchte:
Die Simplifizierbarkeit von Wertkonflikten mittels binärer Identitäts- und Moralschemata könnte eine Erklärung für den Bedeutungsgewinn von culture wars, identity politics und wokeness sein.


(Veith Selk, Demokratiedämmerung, S. 160)

Ist ja eigentlich logisch. Sobald man den Hafen der Werturteile verlässt, wird es ja empirisch und analytisch. Im Prinzip könnte man das im Selbstversuch auch trainieren, indem man einfach über etwas Politisches spricht und alle Adjektive meidet, sofern sie nicht wirklich zum inhaltlichen Verständnis notwendig sind. Wie "inhaltlichen" im vorangegangenen Satz.



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Lucian Wing
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Mo 4. Mär 2024, 18:01

Quk hat geschrieben :
Mo 4. Mär 2024, 13:55
Da stimme ich Friedman auch zu.
Lucian Wing hat geschrieben :
Mo 4. Mär 2024, 13:16
Wie Manow sagt: Man sollte sich doch lieber mit der Frage beschäftigen, warum radikal frei flottierende Brandstifter Erfolg haben.

Die Populisten, wie man bei Selk nachlesen kann, sind ja nur eines der Symptome, an denen die Demokratie(theorie) insgesamt laboriert.
Die Demokratie-Unzufriedenheit kann maximal nur ein paralleles Problem sein; sie stellt meines Erachtens keine Monokausalität zum Rassismus her.
Nein, das behaupte ja weder ich noch Selk. Und es gibt weder in meinem Kopf noch bei Selk eine direkte Demokratie-Unzufriedenheit, sondern es sind bestimmte Entwicklungen der Politik und des Politischen, die zur Unzufriedenheit führen. Rassismus ist dabei keine Sache, die von der Politik erzeugt worden wäre, der sitzt nun einmal im Bereich des Soziokulturellen, und je nach Definition reicht er auch weit hinein in die Milieus, die sich gefeit glauben und trotzdem ihre Kinder nicht an die Schulen um die Ecke schicken.
Quk hat geschrieben :
Mo 4. Mär 2024, 13:55
Es gibt einige Menschen, die ein mehr oder weniger fremdenfeindlich-konservatives Temperament haben, das vom gesellschaftlichen Umfeld kaum beeinflusst werden kann. Solche Leute möchten mit Hilfe demokratischer Mittel ihren Rassismus durchsetzen. Wenn ich jetzt das demokratische System dahingehend "verbessere", dass fremdenfeindliche Temperamente mehr Mitbestimmungsmacht bekommen, dann wird dadurch keineswegs die Wurzel des Problems behoben.

Manche Soziologen lehnen eine solche Temperament-These ab, weil sie meinen, dass jeder Mensch 100% formbar sei durch die soziale Umwelt, also Politik etc., und weil alle Menschen das gleiche Temperament, also das gleiche Persönlichkeits-Potenzial besäßen. Man müsse nur an Stellschrauben der politischen Struktur drehen, und schon würde die Fremdenfeindlichkeit verschwinden. Das halte ich für absurd. Das sind Vorstellungen wie aus dem Maschinenbau, als wären Menschen wirklich alle gleich und zudem ausschließlich von der Umwelt prägbar. Dass das nicht der Fall ist, sieht man nicht nur mit den eigenen Augen; es gibt dazu auch etliche empirische Untersuchungen, weltweit. Philipp Hübl kann da weiterhelfen.

Mit Fremdenfeindlichkeit meine ich hier alles, was fremd ist: Gegen Ausländer, dunkle Hautfarbe, Queer, starke Frauen etc.
Psychologie ist sicher auch ein Ansatz, aber eben nur einer unter vielen. Politik ist dafür nicht zuständig, die muss sich (idealerweise) um die materiellen Interessen der Bürger kümmern. Als Mensch und Bürger wäre ich grundsätzlich auch dankbar, wenn die Exekutive diesem Geschäft nachgeht und sich nicht mit der Psyche ihrer Bürger beschäftigt und sich als Erziehungsbevollmächtigte versteht. Der Populismus, in welcher Form auch immer, ist nur ein Problem für die Demokratie. Vermutlich dasjenige, das am sichtbarsten ist, aber nicht das entscheidende. Selk hat das bis ins letzte Detail durchanalysiert.



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Mo 4. Mär 2024, 18:07

Hat der bisherige Umgang mit der AfD und ihrer Wähler*innen irgendetwas gebracht? Ist die Anzahl der Wählei*innen zurückgegangen, ist die AfD in der Defensive?
Nein. Im Gegenteil.


Zitate der AfD
https://www.volksverpetzer.de/analyse/2 ... ke-zitate/

https://jugendstrategie.de/hasserfuellt ... e-der-afd/

Wer trotz dieser Aussagen, und es gibt noch mehr, die AfD wählt, wählt diese nicht mehr aus Protest.



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Lucian Wing
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Mo 4. Mär 2024, 18:43

Stefanie hat geschrieben :
Mo 4. Mär 2024, 18:07

Wer trotz dieser Aussagen, und es gibt noch mehr, die AfD wählt, wählt diese nicht mehr aus Protest.
Das mag alles richtig sein. Aber es erklärt immer noch nichts. Nimm mal an, 2025 erhielte die AfD tatsächlich 20 % der Stimmen bei der BTW.

Das sind Menschen, die haben, Jungwähler mal ausgenommen, vor 15 Jahren, als die AfD noch nicht existierte, Linkspartei, SPD, CDU oder gar nicht gewählt - diese Reihenfolge etwa zeigen Wählerwanderungen. Geht man mal davon aus, dass jemand vor allem dann, wenn man die Hübl-Erklärung nehmen würde, nicht über Nacht so wird, gab es diese Leute also schon immer; sie kommen nicht aus dem Nichts, nur haben sie halt vorher ihr Kreuz bei den anderen gemacht. Und zwar genau als die Charaktere, die sie waren und sind. Müsste man jetzt nicht fragen: irgendetwas muss passiert sein, das sich mit Charakterologie nicht mehr erklären lässt, aber was?

Daher interessiert mich, welche Ursachen und Gründe es dafür gibt. Da hilft mir weder die alte Fromm-Studie über den autoritären Charakter noch neue Einlassungen von Hübl über konservative Charaktere. Denn wie gesagt, die Leute waren immer da und haben - manche brav konservativ - ihr Kreuz bei den anderen gemacht. Die Ursachen und Gründe müssen also woanders zu suchen sein. Wenn wir sie kennen, kann es auch eine sinnvolle Strategie geben. Die m.E. politisch sein muss. Weder moralischer Furor noch rechtliche Keulen, die sich bei anderen Mehrheiten gegen einen selbst richten können, helfen aus meiner Sicht weiter. Demokratie ist halt ein anstrengendes Geschäft.



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Mo 4. Mär 2024, 19:50

Enthemmung nennt das Friedman.
Die AfD wurde und wird wie jede Partei behandelt. Sitzt in Ausschüssen, ist im Bundestag vertreten, kann dort in Debatten sagen was sie will, Höcke schaltet und waltet wie er will. Bis auf wenige Ausnahmen hatten die Zitate aus den geposteten links keinerlei Auswirkungen für diejenigen, die diese Sätze sagten.
Jeder und jede kann sehen, dass nichts passiert, man kommt nicht vor Gericht, verliert nicht seinen Job, wenn man die AfD wählt, oder politisch für diese tätig ist. Ja sogar Richter kann man sein, Anwalt und sogar als Frau mit einer Frau verheiratet sein.
Viele machten ihr Kreuzchen bei den konservative Parteien, weil es keine andere Partei gab, die wählbar war. Die NPD war und ist, auch schon vom Namen her, nicht wählbar. Aber jetzt gibt es eine Alternative, eine richtige Partei. Mit Geld im Hintergrund. Sie ist im Fernsehen, die Köpfe bekommen ihr Sommerinterview wie die anderen, sind in Talkshows usw. Und die BILD als inoffizielle Parteizeitung. DIe BILD hat die Demos gegen Rechts übrigens tot geschwiegen.
Ergo, die AfD kann man wählen und darf man wählen.
Der Rassismus war immer da, Antiseminitismus auch, nicht immer so auf den ersten Blick sichtbar. Und man wollte es nicht sehen. Wer auf Rassismus und Antiseminitismus aufmerksam machte, wurde nicht ernst genommen oder als Links diskreditiert.
Betrug, Selbstbetrug, Betäubung, Selbstbetäubung nennt das Friedman. Die Gefahr nicht erkannt, ich sage auch, nicht erkennen wollen.
Aufklärung, laut sagen, was die AfD ist, alles nutzen was möglich, auch juristische Möglichkeiten wie den Geldhahn zudrehen. Diejenigen stärken, die gegen die AfD, aufhören politisch zu schachern. Nur politisches Handeln reicht nicht. Und wenn politisches handeln meint, wie in der Frage der Flüchtlingssituation, Elemente der AfD Politik zu übernehmen, wie geschehen, ist das meiner Meinungen nach falsch. Die AfD muss den Status einer nicht wählbaren Partei erhalten.

Friedman benennt übrigens Thilo Sarrazin als einen der Schleusenöffner für die AfD.



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Lucian Wing
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Mo 4. Mär 2024, 20:49

Stefanie hat geschrieben :
Mo 4. Mär 2024, 19:50
Die AfD muss den Status einer nicht wählbaren Partei erhalten.
Einen solchen Status gibt es nicht in der Demokratie. Es wäre die politische Aufgabe der anderen Parteien, ihre Wähler zu gewinnen.

Falls du damit ein Verbot meinst, so bin ich bei Manow: wenn überhaupt, rettet die Demokratie den Rechtsstaat, nicht umgekehrt. Oder bei Müller, der meint, dass man mit einem Ausschluss unter Umständen allen Bürgern, die sie gewählt haben, die politische Repräsentation verweigert.

Ich glaube es würde genügen, wenn die übrigen Parteien, einschließlich der drei Neugründungen plus der bereits in Bayern an der Regierung beteiligten, gute Politik bzw. gute Angebote machen. In Holland hat sogar der radikalste aller Populisten die Wahl gewonnen, und das Land ist sowenig untergegangen wie Schweden oder Finnland, wo die jeweils direkt oder indirekt mitregieren. Und heute hat sogar Frau Le Pen in Frankreich für die Verankerung der Abtreibung in der Verfassung gestimmt. Insofern sag heute ich einmal: ein bisschen Optimismus würde vielleicht auch ein bisschen helfen, einen etwas kühleren Kopf zu bewahren. Die deutsche Demokratie wäre nur dann am Ende, wenn man tatsächlich nach einem guten Wahlergebnis für die Alternativler die Partei verbieten lassen würde. Davon würden sich die Institutionen (siehe das Interviewzitat von Manow) aus meiner Sicht nicht erholen. Dann könnte man den Osten komplett abschreiben.



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Mo 4. Mär 2024, 21:16

Ich rede nicht von einem Verbot. Um ein Verbotsverfahren einzuleiten ist es zu spät. Das wäre bis zur nächsten Bundestagswahl nicht abgeschlossen. Aber mit dem Urteil zur NPD und zur Parteienfianzierung gibt es eine Blaupause, um dies bei der AfD auch anzuwenden.
Ich meine, die AfD zu einer unbedeutenden Partei zu machen, so dass sie nicht mehr gewählt wird.
Das schafft die Politik nicht ohne uns Bürger und Bürgerinnen. Wie sind nicht irgendein Land in Europa. Unsere Verantwortung ist größer.

Gute Politik... die besteht derzeit darin, ein Hauptthema der AfD zu besetzen und europaweit Migrationsregelungen zu vereinbaren, die eine Schande für Europa sind. So nicht.
Und nicht um des angeblichen Volkeswillen z.B. Rechtsstaatsgrundsätze wie ne bis idem abschaffen zu wollen. So auch nicht.

Politische Bildung stärken, mit den Leuten reden, erklären, etc..
Es ist ein leichtes in Bonn gegen die AfD auf die Straße zu gehen, aber nicht in Sonneberg. Das geht so nicht.



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Di 5. Mär 2024, 12:58

Stefanie hat geschrieben :
Mo 4. Mär 2024, 21:16
Wie sind nicht irgendein Land in Europa.
Dieser Gedanke zieht sich seit der Reichsgründung mit unterschiedlichen Vorzeichen wie ein roter Faden durch die kollektive Eigenwahrnehmung. Aus meiner Sicht kann man nicht gleichzeitig ein "guter" (also normaler) Europäer und ein besonderer Europäer qua deutscher Herkunft sein. Ich denke mir schon lange, man sollte die Reichsgründung rückabwickeln. Dann wäre Schluss mit dieser Einstellung, dass man nicht ebenso ein Land wie Portugal oder Polen, Schweden oder die Schweiz, Italien oder Irland sei. Aber wahrscheinlich ist es tatsächlich so, dass die verspätete Nation (Plessner) ihre Verspätung nicht mehr kompensieren und deshalb nicht zur Normalität der anderen aufschließen kann.



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Di 5. Mär 2024, 13:10

Es geht um die Zeit zwischen 1933 und 1945. Das sollte doch gerade bei dem der Gefährdung der Demokratie durch die AfD, die Zunahme von antisemitischen und rassistischen Vorfällen und Gewalttaten deutlich sein, was gemeint ist, wenn Deutschland diesbezüglich nicht irgendein Land in Europa ist. Einhergehend mit einer besonderen Verantwortung.



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Di 5. Mär 2024, 13:36

Die AfD ist das Symptom für viel umfassendere Widersprüche, an denen die Demokratien mindestens europaweit laborieren. Natürlich ist die AfD einerseits spezifisch deutsch, aber alles das gibt es in fast allen westlichen Staaten teilweise noch ausgeprägter, in den östlichen sowieso (Ungarn, Polen, Slowakei etc.). Auch das war ja ein Punkt im Interview mit Manow, dass man sich einbildete, in Deutschland könne es so etwas nicht geben. Als wären wir was Besonderes. Gibt es aber, weil hier die gleichen Widersprüche am Werk sind wie in allen anderen europäischen Ländern auch. In Italien (dort regieren die Neo-Faschisten sogar). In den Niederlanden. In Spanien. In Frankreich. In Schweden. In Finnland. In Belgien. Verschont geblieben innerhalb der EU-Staaten ist bisher weitgehend nur Irland sowie das Nicht-EU-Land Norwegen.

Man muss sich mit der AfD als Partei ganz bestimmt nicht abfinden - aber damit, dass solche Parteien im Augenblick nicht verschwinden werden. Kaum zerlegt sich eine dieser Parteien, steht die nächste bereit.



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Di 5. Mär 2024, 13:48

Es ist nicht sehr zielführend, aus dem Zeit Interview zu zitieren. Das könnte ich nur lesen, wenn ich bezahle. Was ich aber nicht mache. Ich hatte schon geschrieben, dass ich diesen Artikel nicht lesen kann.



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Di 5. Mär 2024, 13:54

Die AfD ist das Symptom für viel umfassendere Widersprüche, an denen die Demokratien mindestens europaweit laborieren. Natürlich ist die AfD einerseits spezifisch deutsch, aber alles das gibt es in fast allen westlichen Staaten teilweise noch ausgeprägter, in den östlichen sowieso (Ungarn, Polen, Slowakei etc.)

Die Situation in anderen Ländern ist nicht dafür zu verwenden, um unser Versagen im Umgang mit der AfD, und um unseres Versagen, dass man in Deutschland als Jude keine Kippa mehr tragen sollte, wenn man ohne Folgen nach Hause gehen will, zu entschuldigen.

Ich kann diese Aussagen nicht mehr hören und lesen, in anderen Ländern ist das auch so, und sogar noch schlimmer, als in Deutschland.



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Di 5. Mär 2024, 14:07

Stefanie hat geschrieben :
Di 5. Mär 2024, 13:48
Es ist nicht sehr zielführend, aus dem Zeit Interview zu zitieren. Das könnte ich nur lesen, wenn ich bezahle. Was ich aber nicht mache. Ich hatte schon geschrieben, dass ich diesen Artikel nicht lesen kann.
Ich habe nur zitiert, was ich eingestellt habe daraus.

Übrigens: im Augenblick sind es Palästina-Freunde, die Juden verprügeln oder niederschreien an den Unis, nicht AfD-Studenten. So viel sollte man schon zur Kenntnis nehmen. Auch in den USA sind es nicht die Trump-Freunde, die sich antisemitisch aufführen.



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Di 5. Mär 2024, 14:17

Das ist wie mit dem Finger auf Andere zeigen, aber nicht auf sich selbst.



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Di 5. Mär 2024, 14:33

Stefanie hat geschrieben :
Di 5. Mär 2024, 14:17
Das ist wie mit dem Finger auf Andere zeigen, aber nicht auf sich selbst.

Ich verprügle weder Juden noch sonstwen.



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Di 5. Mär 2024, 15:18

Du weißt ganz genau, wie das gemeint ist.

Ich bin davon ausgegangen, dass es einen Konsense darüber gibt, dass die AfD eine nicht haltbare Partei ist, und zwar gerade in Deutschland nicht zu akzeptieren ist. Da habe ich mich wohl getäuscht.



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Di 5. Mär 2024, 20:48

Stefanie hat geschrieben :
Di 5. Mär 2024, 15:18
Du weißt ganz genau, wie das gemeint ist.

Ich bin davon ausgegangen, dass es einen Konsense darüber gibt, dass die AfD eine nicht haltbare Partei ist, und zwar gerade in Deutschland nicht zu akzeptieren ist. Da habe ich mich wohl getäuscht.
Vielleicht, vielleicht ist es aber einfach so, dass wir aus völlig unterschiedlichen Gründen in Online-Foren schreiben.

Nehmen wir mal folgenden Satz:

"The AfD sucks."

Für diesen Satz gilt aus meiner Sicht, dass er

(a) urteilstheoretisch völlig in Ordnung
(b) demokratietheoretisch, politiktheoretisch, analytisch unterkomplex ist.

Im Hinblick auf (a) ist er freund-/feindstiftend, im Hinblick auf (b) erkenntnistheoretisch bedeutungslos.

Ich bin 2010 in Internetforen gegangen, weil ich abseits aller intellektuellen Zirkel lebe und arbeite und mit meinen Interessen Literatur und (analytische und praktische) Philosophie Gedankenaustausch gesucht habe. An der wechselseitigen Bestätigung von Werturteilen ist mein Interesse jenseits des ein wenig Lästerns nicht sehr groß, lieber reibe ich mich an Gewissheiten, wie sie in solchen Urteilen oft zum Ausdruck kommen.

In einem der Foren, in denen ich eine zeitlang schrieb, hat man nach der BTW 2017 innerhalb weniger Monate mehr als 5.000 Strangseiten wie dieser über die AfD gefüllt. Im Nachhinein könnte man die Quintessenz der negativen Beiträge wahrscheinlich tatsächlich in dem obigen Satz zusammenfassen, für die positiven müsste ich mir einen ähnlich kurzen und griffigen Satz am besten mit einem fäkalen Adjektiv ausdenken.

Kurzum: mich interessiert die AfD als solche nicht sonderlich, mich interessiert einfach der Zusammenhang zwischen den demokratischen Regimen und dem europaweiten Erstarken mehr oder weniger extremer rechtspopulistischer Parteien. Die psychologische Erklärung, wie Quk sie angeboten hat, überzeugt mich dabei nicht, weil diese Menschen ja innerhalb eines Jahrzehnts von den anderen Parteien rübergewechselt sind und diese Parteien folglich zuvor ja ebenfalls autoritär orientiert gewesen sein müssten. Mir ist das zu ahistorisch, auch wenn ich aus meiner Fromm-Lektüre noch weiß, dass man es trotzdem auf dem Schirm haben muss. Zudem müsste man dann ja sinnvollerweise auch anfangen, die Psychologie der Gegenseite auszuleuchten. Besser, man fängt nicht an, auch die Psychologie noch in das politische Gemetzel zu ziehen.

Ansonsten sei noch gesagt: so wie ich religiös völlig unmusikalisch bin, geht es mir auch ideologisch. Ich bin für nichts begabt, nicht einmal für den mir nicht unsympathischen (philosophischen) Liberalismus wie man ihn bei Rorty, Berlin und Marquard findet. Bei meiner Selk-Lektüre habe ich immerhin eine Alternative zwischen Liberalismus und Kommunitarismus entdeckt, die das Unbehagen an den beiden Positionen vielleicht kompensieren und auf einen Nenner bringen könnte.



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