Race - Rasse

Dieser Teil des Forums befaßt sich mit politischen, sozialen und historischen Aspekten der aktuellen gesellschaftspolitischen Debatten.
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Jörn Budesheim
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Do 7. Dez 2023, 19:11

Stefanie hat geschrieben :
Do 7. Dez 2023, 18:02
Mein Verständnis dieses Terminus ist aber ein anderer. Es sind eben nicht alle Männer eines bestimmten Alter mit weißer Hautfarbe gemeint. Sondern Männer mit bestimmten Einstellungen und Verhaltensweisen, oft weißer Hautfarbe, die in in einer Zeit erwachsen geworden sind und Karriere gemacht haben, in der diese Einstellungen und Verhaltensweisen von vielen als zulässig gehalten wurden bzw. in der diese nicht offen krisiert wurden, geschweige denn sanktioniert wurden.
Sehe ich sehr ähnlich. Die Feministin Sophie Passmann hat in einem Interviewband zum Thema alter weißer Mann eine Erklärung gewagt, was der Begriff eigentlich bedeutet. Natürlich ist nicht jeder, der alt und weiß ist, ist ein alter, weißer Mann, wichtig ist aus ihrer Sicht: "das Gefühl der Überlegenheit, gepaart mit der scheinbar völligen Blindheit für die eigenen Privilegien". Die Erklärung finde ich gar nicht schlecht, obwohl ich mir nicht sicher bin, ob das klare Gefühl der Überlegenheit zwingend dazu gehört. In diesem Interviewband hat sie übrigens alte weiße Männer, jetzt im wörtlichen Sinne des Ausdruckes interviewt, um herauszufinden, ob sie alte weise Männer im oben skizzierten Sinn sind. Ist schon ziemlich lange her, dass ich darin geschmökert habe, aber ich meine es war sehr unterhaltsam, wenn mich nicht alles täuscht, waren die meisten alten weißen Männer, die von ihr interviewt wurden, keine oder nur sehr dosiert alte weiße Männer.

Ich selbst nutze den Begriff jedoch nicht. Nicht weil ich ihn falsch finde, sondern weil er zu oft falsch verstanden wird.




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Quk
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Do 7. Dez 2023, 20:46

Stefanie hat geschrieben :
Do 7. Dez 2023, 18:02
Ich muss das jetzt fragen.

Quk, der Terminus "Alte weiße Männer" ist für Dich rassistisch, weil es eine All-Aussage ist?
Geht All-Aussage in Richtung Pauschalierung?
Und sowas wie "Alle in eine Topf" werfen?
Ja.

Der Terminus "Alte weiße Männer" ist für mich rassistisch in Bezug auf Hautfarbe und gewissermaßen auch auf das Alter, und auf das Geschlecht natürlich (dazu kann man auch Sexismus sagen. Sex im Sinne von Geschlecht). Rassistisch ist auch derjenige, der Juden verallgemeinert, indem er beispielsweise sagt: "Alle Juden machen gerne Finanzgeschäfte." Finanzgeschäfte sind jetzt nicht notwendig etwas schlechtes (wer hat noch nie etwas mit Zinsen zu tun gehabt?). Nun erkennt man eine Jüdin nicht an einer bestimmten Hautfarbe, sondern an einer bestimmten Religion. Es ist also egal, ob die rassistische Verallgemeinerung auf eine optische Eigenschaft zielt oder auf eine religiöse, geschlechtliche, altersbedingte oder sonst welche. Die Verallgemeinerung ist Unsinn. "Rasse" ist einfach ein anderes Wort für "konstruierte Gruppe". In der Biologie gibts noch Wörter wie "Art" und "Gattung" etc. Das sind "konstruierte Gruppen". Die gibts nicht wirklich. Die sind ausgedacht.

Stefanie hat geschrieben :
Do 7. Dez 2023, 18:02
Es sind eben nicht alle Männer eines bestimmten Alter mit weißer Hautfarbe gemeint. Sondern Männer mit bestimmten Einstellungen und Verhaltensweisen, oft weißer Hautfarbe, [...]
Ist das auch eine All-Aussage?
Wenn Du sagst "oft weißer Hautfarbe" -- "oft" -- dann ist das zwar keine Allaussage, aber kaum weniger schlimm. "Oft" ist ebenfalls eine groteske Übertreibung.
Wenn Du sagst, es sind "nicht alle" Männer eines bestimmten Alters mit weißer Hautfarbe gemeint, warum werden diese Eigenschaften "alt, weiß, männlich" dann überhaupt erwähnt beim Kommentieren sexueller Übergriffe? Ich würde so nie sprechen. Wenn eine Person übles anrichtet, dann verurteile ich diese Person -- allein diese Person -- und nicht mit ihr zusammen noch zwei Milliarden andere, die zufällig im selben Alter sind und die selbe Hautfarbe haben. Diese Pauschalisierungs-Denke halte ich für einen der Gründe, warum es überhaupt ständig irgendwo knallt.

Stefanie hat geschrieben :
Do 7. Dez 2023, 18:02
[...] oft weißer Hautfarbe, die in in einer Zeit erwachsen geworden sind und Karriere gemacht haben, in der diese Einstellungen und Verhaltensweisen von vielen als zulässig gehalten wurden bzw. in der diese nicht offen krisiert wurden, geschweige denn sanktioniert wurden. Jetzt im 21. Jahrhundert ist das aber anders und sie es nicht erkennen und annehmen wollen.
Dann bezeichne doch diese Personengruppe auf eine Weise, wie Du es hier erklärst. Anstatt das pauschal dem Alter und der Farbe zuzuordnen. Sag einfach, dieser übergriffige Typ da hat die Zeitenwende noch nicht erkannt. Aber schiebe nicht die Begriffe "alt, weiß, männlich" hinterher, denn das bedeutet nichts anderes als "typisch" -- "Typisch: alt, weiß, männlich". Das ist meiner Meinung nach rassistisches Denken, diese Typisierung -- egal ob negativ oder positiv.

Wenn diese Phrase gesagt wird, fällt nicht das Wort "Zeitenwende" etc., sondern es fallen die Wörter "alt, weiß, männlich". Wie soll ein Zuhörer daraus ablesen, dass der Sprecher über Zeitenwende redet anstatt über "alt, weiß, männlich"? Das Publikum sieht nur den Übergriff und hört den Kommentar "alt, weiß, männlich". Das ist das Framing. In diesem Framing verbindet das Publikum den Übergriff mit "alt, weiß, männlich". Warum? Weil entweder nicht präzise gesprochen wird, oder weil der Sprecher tatsächlich glaubt, dass alle "alten, weißen Männer" potenzielle Übeltäter sind.

Und von solchen Gläubigen gibts nicht wenige. Die blenden aus, dass Vergewaltigungen auf allen Kontinenten vorkommen, in Europa, Afrika, Asien -- überall. Auch Massenvergewaltigungen, in Afrika, Asien, Europa ... und die Täter sind zwischen 12 und 82.




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Quk
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Do 7. Dez 2023, 21:02

https://www.demokratie-leben.de/magazin/magazin-details/wo-kommst-du-eigentlich-her-79 hat geschrieben :
"Positiver" und "negativer Rassismus"

Lanre Aranmolate studiert ebenfalls Psychologie an der Universität Witten/Herdecke und steht kurz vor seinem Abschluss. In seiner Bachelorarbeit forschte er zum Thema "Das Erleben von Schwarzen People of Color in Bezug auf Positivrassismus" und beschäftigte sich mit "positiven" und "negativen Rassismus". Beide Rassismen arbeiten mit Stereotypen und entindividualisieren. Lanre Aranmolate kam in seiner Bachelorarbeit zu der Erkenntnis, dass Schwarze Menschen sowohl "positiven" als auch "negativen Rassismus" als entmenschlichend und verletzend wahrnehmen.

Lanre Aranmolate erzählt weiter aus seinem Alltag. "Weiße Menschen sehen mich überhaupt nicht als Mensch, sondern als typisch stereotypischen Schwarzen, wenn ich erzähle, dass ich gern trommle und Basketball spiele und gut in Leichtathletik bin. Deshalb lass ich das inzwischen einfach weg."
"Entindividualisieren". Treffendes Wort, finde ich. Das meine ich, wenn ich "verallgemeinern" sage.




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Jörn Budesheim
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Do 7. Dez 2023, 21:06

Ich bin jetzt etwas über 60 Jahre alt, und wenn ich zurückblicke und an die vielen Zeitungen denke, die ich gelesen habe, dann waren da in der Regel alte weiße Männer abgebildet, wenn es um Politik ging. Beim internationalen Frühschoppen saßen alte weiße Männer. Die Tagesschau berichtete über alte weiße Männer. Wissenschaftssendungen wurden von alten weißen Männern moderiert. Die Documenta in Kassel wurde von wem organisiert? Von alten weißen Männern. Von wem ist die Rede, wenn es um die Geschichte der Philosophie geht? Diese Litanei ließe sich beliebig fortsetzen. So waren die Bilder. Und nicht anders.

Und wir leben glücklicherweise in einer Zeit, in der sich das, wenn auch langsam, ändert. Die Bilder werden bunter und die Menschen, die sie zeigen, auch.

Der alte weiße Mann stirbt langsam aus und das ist gut so.





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Stefanie
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Do 7. Dez 2023, 22:17

O.k. soweit erstmal. Ich hätte noch Nachfragen zu Deinem Beitrag, aber meine dazugehörigen Gedanken schlafen gerade ein, so wie ich gleich. Gute Nacht. Der Beitrag von quk ist gemeint.



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Quk
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Do 7. Dez 2023, 22:50

Gute Nacht, Stefanie. Ich hoffe, meine Ausführungen klangen nicht irgendwie harsch oder so. Ich meine das alles sachlich und konstruktiv. (Habe leider kein Talent im "blumigen Umschreiben", kann nur "direktes Schreiben".) :-)




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Stefanie
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Fr 8. Dez 2023, 07:48

Alles in Ordnung. Jetzt muss ich nur noch auftauen und richtig wach werden.



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Quk
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Fr 8. Dez 2023, 09:55

Einen Gedanken möchte ich denjenigen Menschen mitteilen, deren Rassismus-Definition den Überlegenheitsanspruch enthalten muss:

Der typische "alte, weiße Mann" habe die Zeitenwende nicht mitbekommen, er sei der ewig gestrige und so weiter. Mit anderen Worten: Intellektuell und moralisch sei er unterentwickelt. Wer dieses Urteil ausspricht, hält sich, so scheint es, gegenüber dem "alten, weißen Mann" für intellektuell und moralisch überlegen.

Es ist ja nicht so, dass das Bild vom "alten, weißen Mann" ein gutes Bild ist. Es ist eine Abwertung.

Also, wer meine pure Verallgemeinerungs-Definition des Rassismus nicht teilt, sondern den Überlegenheitsanspruch hinzuziehen will, der hätte selbigen in diesem Fall auch drin, meine ich.




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Jörn Budesheim
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Fr 8. Dez 2023, 10:05

Bei Rassismus gibt es in der Regel Profiteure bzw. eine dominante Gruppe. Darüber hinaus wirken die verschiedenen Formen der Diskriminierung auch zusammen, in diesem Fall Sexismus und Rassismus. Das Benennen der strukturellen Profiteure ist kein Rassismus.




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Jörn Budesheim
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Fr 8. Dez 2023, 10:18

Dieser etwas längere Artikel geht der Frage nach, ob es Rassismus gegen Weiße gibt? Um das zu beantworten, wird die Wirkweise, die Verbreitung und die Geschichte des Rassismus betrachtet.
Quarks hat geschrieben : Was bedeutet „weiß“ überhaupt?
Wenn es heißt, Rassismus gegen "Weiße" gebe es nicht, hängt das meist mit der Definition des Begriffs "weiß" zusammen.
Von vielen Rassismusforscher:innen wird „weiß“ als mehr als nur eine Hautfarbe gelesen. Der Begriff “weiß” meint demnach nicht alle Menschen mit heller Haut. Er umschreibt – und hier wird es etwas komplizierter – eine soziale Kategorie. Diese bezieht sich nicht allein auf weiße Haut, sondern bezeichnet eine gesellschaftliche Positionierung: Mit „weiß“ ist in Deutschland die Mehrheit an Menschen gemeint, die keiner rassistischen Diskriminierung ausgesetzt sind. [...]




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Stefanie
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Fr 8. Dez 2023, 23:59

Mehrfach ist mir beim nachdenken und schreiben aufgefallen, dass ein Hauptproblem wohl bei dem Begriff Rasse liegt. Es scheint so, dass wir mit einem Begriff hantieren, dessen Inhalt, den er beschreibt, gar nicht gibt. Es gibt keine biologischen Rassen. Rasse steht aber in der UN Menschenrechtserklärung und in Grundgesetz und in weiteren Gesetzen. Als ein Punkt, weswegen Menschen nicht benachteiligt und diskriminiert werden dürfen. Ferner dürfen Menschen nicht wegen dem Geschlecht, der Hautfarbe, Religion, sexuelle Orientierung, Herkunft diskriminiert werden. Der Grund, warum viele sagen, Rasse muss weiterhin in den Texten stehen bleiben, ist der, weil alle wissen, was damit gemeint ist. Weil es eine allgemein gültige Vorstellung darüber gibt, was Rasse und was vor allem Rassismus ist. Mir ist jetzt erstmal keine andere Lösung eingefallen, als weiter mit diesen Begriffen zu hantieren.
Quk
Der Terminus "Alte weiße Männer" ist für mich rassistisch in Bezug auf Hautfarbe und gewissermaßen auch auf das Alter, und auf das Geschlecht natürlich
.
Rassismus liegt also bei Dir dann vor, wenn eine Diskriminierung aufgrund der anderen Punkte - hier Alter, Hautfarbe, Geschlecht - erfolgt. Richtig? Ohne diese Diskriminierung kein Rassismus?
An anderer Stelle kommt dann aber rassistische Verallgemeinerung. Wenn allein die Verallgemeinerung, das Gleichsetzen aller Menschen mit identischer Hautfarbe und Alter oder Religion, sexuelle Orientierung usw. rassistisch ist, wieso dann wie oben zitiert noch der Bezug z.B. Hautfarbe, Alter und Geschlecht? Der Rassismus liegt doch Deiner Meinung nach schon in der Verallgemeinerung. Wenn ich das richtig verstanden habe.
Es gibt viele Mehrfachdiskriminierungen, also eine Person erfährt Diskriminierungen wegen mehrere Punkte, Frau, nicht weiß, behindert. Oder Mann, schwul, nicht weiß und Muslim. Geht das nicht verloren, wenn von rassistischer Verallgemeinerung die Rede ist?

Für mich steht Rassismus für sich alleine. Rassismus liegt nicht erst dann vor, wenn eine Diskriminierung wegen Alter oder Geschlecht etc. vorliegt. Nach dem im Moment gängigen Gebrauch, weil Rasse als eigener Punkt aufgeführt wird.
Fussbalspieler mit dunkler Hautfarbe hören jedesmal, wenn sie am Ball sind, Affenlaute, die von Zuschauern artikuliert werden und oder werden mit Bananen beworfen. Schon öfters passiert. Eindeutig rassistisch. Oder das Zuschreiben von gewissen Fertigkeiten erfolgt allein aufgrund körperliche Merkmale, wie alle Schwarzen sind gute Sprinter oder alle Chinesen können gut Tischtennis spielen. Das ist auch rassistisch, auch wenn es auf den ersten Blick positiv erscheinen mag. Die beiden letzten Beispiele sind rassistische Verallgemeinerungen. Sage ich jetzt mal.
Ein anderes Bespiel. Eine Frau mit dunkler Hautfarbe darf nicht zur Feuerwehr, weil ihr gesagt wird, sie habe als Frau nicht die körperliche Kraft dafür und würde vor allem zudem jeden Monat einige Tage nicht leistungsfähig sein. Die Hautfarbe ist nicht relevant. Diskriminiert wird sie aufgrund ihres Geschlechts, nicht wegen der Hautfarbe. Ist das Rassismus?

. ...



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Stefanie
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Sa 9. Dez 2023, 00:48

Zu dem Terminus Alter weißer Mann. Jetzt könnte man sagen, wo ist der Unterschied zu dem o.g, Beispiel mit dem Tischtennis und den Sprintern, die ich auch als rassistische Verallgemeinerung bezeichnet habe. Der Unterschied liegt in der Hautfarbe weiß.
Ich bin der Meinung, weiße Menschen, Mann wie Frau, erfahren keinen Rassismus aufgrund ihrer Hautfarbe.
Diskriminierungen aufgrund Alter, Geschlecht, Religion usw. aber sehr wohl.

Der Rassismus kam durch die weißen Europäer in die Welt. Südamerika, Nordamerika, Afrika. Der weiße Europäer ersann Theorien, die die Ungleichbehandlung oder noch besser, die nicht menschliche Behandlung von Menschen mit anderer Hautfarbe als weiß, rechtfertigen sollte. Das waren alles Männer, Frauen hatten damals nicht viel zu sagen. Das führte in nahe fast allen Ländern der Welt zu rassistischen Strukturen, die heute noch bestehen. Der weiße Mann hat nie diesen Rassismus erfahren, die weiße Frau auch nicht.
Dieses "Alter weißer Mann" ist für mich keine rassistische Verallgemeinerung. Vor dem geschichtlichen Hintergrund und noch gelebten Rassismus, der vielen auch das Leben kostete, finde ich das nicht angemessen, von Rassismus zu sprechen.

Es ist eine Pauschalierung, die als diskriminierend empfunden werden kann und manchmal auch ist, durchaus. Vor allem, wenn es einfach so hergesagt wird. Das stimmt schon, dann wird es schnell ungerecht. Die Beschreibung, wer damit gemeint ist, ist verbesserungswürdig.
Wenn Du sagst, es sind "nicht alle" Männer eines bestimmten Alters mit weißer Hautfarbe gemeint, warum werden diese Eigenschaften "alt, weiß, männlich" dann überhaupt erwähnt beim Kommentieren sexueller Übergriffe?
Bei den Fällen, in denen diese Bezeichnung aufkam, waren es immer weiße Männer, die wirtschaftliche, finanzielle oder politische Macht hatten. Macht ist ein wichtiger Punkt. Nach meiner Wahrnehmung wird dieses Alt weiß männlich auch nur in diesem Zusammenhang verwendet. Wird es überhaupt heute noch viel verwendet?
Sexuelle Übergriffe gibt es auch woanders, in verschiedenen Konstellationen, unterschiedliche Situationen.
Alt, weiß männlich meint eine spezielle Konstellation, die oben beschriebene Situation.



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Quk
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Sa 9. Dez 2023, 06:39

Stefanie hat geschrieben :
Fr 8. Dez 2023, 23:59
Rassismus liegt also bei Dir dann vor, wenn eine Diskriminierung aufgrund der anderen Punkte - hier Alter, Hautfarbe, Geschlecht - erfolgt. Richtig? Ohne diese Diskriminierung kein Rassismus?
Unter Diskriminierung verstehe ich Absonderung. Absonderung ist im Begriff Rasse schon innewohnend. Man denkt sich eine Rasse, also eine Gruppe aus. Den Gruppenmitgliedern weist man vermeintlich gleiche Eigenschaften zu. Alle Wesen mit Hufen seien Huftiere. Alle Wesen mit großen Nasen seien Juden. Alle alten, weißen, männlichen Menschen seien Zurückgebliebene.

Das Streben nach bestimmten sozialen Anliegen nenne ich Ismus.
Das Streben nach Gruppeneinteilungen (Rasseneinteilungen), welche auch immer, nenne ich Rassismus.
Das Streben nach Aktionen, welche auch immer, nenne ich Aktionismus.
Das Streben nach Freiheit (Liberalität), welche auch immer, nenne ich Liberalismus.
Das Streben nach Gemeinschaft (Sozialität), welche auch immer, nenne ich Sozialismus.
Das Streben nach Geschlechtseinteilungen (englisch sex = Geschlecht), welche auch immer, nenne ich Sexismus (eine Unterart des Rassismus).
Und so weiter.

Wenn man das Streben nach einem bestimmten Anliegen etwas dämpft, wird das Anliegen weniger -istisch. Vielleicht auch weniger ideologisch.

Diese Ismen müssen nicht notwendig schlecht gemeint sein; sie können auch gut gemeint sein. Also je nach persönlicher Ansicht, kann man den Liberalismus gut oder schlecht finden -- schaue ich auf die Freiheit eines Geringverdieners oder auf die freie Fahrt auf der Autobahn? Oder Rassismus: Ich kann gutmeinend die Vorstellung haben, alle Schwarzen seien tolle Basketballspieler und klasse Tänzer. Das ist zwar kein negativer, sondern ein positiver Rassismus, aber ich nenne das trotzdem Rassismus. Siehe oben den Begriff "Entindividualisierung".

Individuen werden einfach zusammengefasst und damit abgesondert von jenen, die Individuen bleiben dürfen.

Es gibt auch Paradoxa: Wenn ein alter, weißer Mann sagt: "Der übergriffige Kerl da drüben ist ein typischer alter, weißer Mann!", dann gibt der Sprecher dieses Satzes zu erkennen, dass er schon weiterentwickelter ist, obwohl er selbst auch alt und weiß ist. Er behält aber den Rassismus bei, indem er selbst sich als Individuum herausstellt und alle anderen alten Weißen entindividualisiert.

Oder, wenn eine Deutsche sagt: "Oje, diese Angst ist mal wieder typisch deutsch. Kein Mut in Sicht." -- Die Sprecherin gibt zu erkennen, dass sie keine Angst hat und mutig ist, obwohl sie deutsch ist. Trotzdem hat sie das Bedürfnis, sich zu überhöhen, indem sie sich eine Gruppe ausdenkt (die "Deutschen"), diese dann absondert und deren Mitglieder entindividualisiert, damit die Sprecherin selbst als Individuum heraussticht. Als ob sie eine Dame von Welt sei im Gegensatz von Deutschland, das nur einen winzigen Teil der Welt ausmacht. Abgesehen davon, dass diese Verallgemeinerung paradox ist: Sie ist nicht wahr. Angst und Mutlosigkeit gibt es in Deutschland nur teilweise, und ebenso teilweise gibt es sie in anderen Ländern.

Ich will damit sagen, dass solche Pauschal-Sprüche manchmal auch einfach nur unüberlegt aus dem Rückenmark geschossen kommen. Ich meine, man sollte sich das bewusst machen und darüber nachdenken.




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Quk
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Sa 9. Dez 2023, 07:31

Stefanie hat geschrieben :
Sa 9. Dez 2023, 00:48
Der Rassismus kam durch die weißen Europäer in die Welt.
Ich vermute, Rassismus gibt es, seit es Gehirne gibt. Ganz bestimmt gab es ihn schon im alten Ägypten (siehe Moses), im antiken China, bei den Ureinwohnern Nord- und Lateinamerikas, und so weiter. Und es gab ihn wahrscheinlich seit je her in verschiedenen Dosierungen, von zart bis grob. Nur Extrembeispiele als Rassismus zu bezeichnen, halte ich nicht für hilfreich bei der Lösung dieser Problematik. Extrembeispiele scheinen hier nur als Entschuldigung zu dienen für zartere Formen des Rassismus.

Stefanie hat geschrieben :
Sa 9. Dez 2023, 00:48
Wenn Du sagst, es sind "nicht alle" Männer eines bestimmten Alters mit weißer Hautfarbe gemeint, warum werden diese Eigenschaften "alt, weiß, männlich" dann überhaupt erwähnt beim Kommentieren sexueller Übergriffe?
Bei den Fällen, in denen diese Bezeichnung aufkam, waren es immer weiße Männer, die wirtschaftliche, finanzielle oder politische Macht hatten.
Aber aus diesem "immer" kannst Du nicht rückschließen, dass Weiße "immer" derart mächtig seien. Die meisten weißen Männer sind keine Weinsteins, keine Trumps, keine Pussygrabber.

Das sind falsche Umkehrschlüsse.

Wenn Du siehst, dass alle Tischtennissieger Chinesen sind, glaubst Du dann, alle zwei Milliarden Chinesen seien gute Tischtennisspieler?

Tischtennis ist nichts böses. Aber kannst Du Dir vorstellen, dass einem Chinesen es leid sein kann, wenn er immer gefragt wird, wie gut er Tischtennis spiele?

Lederhosen und Dirndl sind auch nichts böses. Aber wirkt ein Amerikaner nicht dümmlich, wenn er meint, alle Deutschen liefen den ganzen Tag in bayerischen Trachten herum? Joe sieht in Texas auf dem dortigen Oktoberfest Leute in bayerischen Trachten. Diese Leute haben immer einen deutschen Akzent. Sein Umkehrschluss: Alle Deutschen laufen so rum.

Das Problem ist zum einen die Entindividualisierung ("Chinesen spielen nie Fußball, Deutsche tragen nie Jeans"), zum anderen die Wissenslücken.




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Lucian Wing
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Sa 9. Dez 2023, 10:25

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Do 7. Dez 2023, 21:06

Der alte weiße Mann stirbt langsam aus und das ist gut so.
Das hat mich beim gelegentlichen Lesen hier doch sehr amüsiert und zu einer kleinen Replik inspiriert. Denn es klingt irgendwie nach dem guten alten Frontier-Motto: Nur ein toter Indianer ist ein guter Indianer.

Man kann den Prozess des Aussterbens natürlich nicht beschleunigen wie einige mexikanische Provinzen die Ausrottung der Apachen durch die Skalpgesetze zwischen 1830 und 1890, aber vielleicht könnte man auf einen nach deiner Lesart glücklicherweise jung verstorbenen Politiker zurückgreifen, der als Jungspund mal das sozialverträgliche Frühableben ins Gespräch brachte. Das wäre dann eine Prozessbeschleunigung des Guten.

Die Krux an der Sache ist, dass nach dem Erfolg des Prozesses nichts anderes passiert, als dass dann 50-jährige die neuen alten weißen Männer sind. Preisfrage: Wann würde man dann den Prozess stoppen? Wenn 20-jährige die alten weißen Männer sind? Oder es solange fortsetzen, bis man die neuen alten weißen Männer innerhalb der heute schon legalen halbgaren Fristenlösung packt?

Bärbel: Nee, ne?
Dietmar: Mann, Mann, Mann!



Als ich vierzehn war, war mein Vater so unwissend. Ich konnte den alten Mann kaum in meiner Nähe ertragen. Aber mit einundzwanzig war ich verblüfft, wieviel er in sieben Jahren dazu gelernt hatte. (Mark Twain)

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Jörn Budesheim
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Wenn das Netz aus rassistischen Begriffen, Erzählungen, Bildern und Kategorien irgendwann verschwindet und mit ihm die darauf beruhenden Benachteiligungen und Privilegien, dann muss nichts an diese Stelle treten. Danach wird es natürlich immer noch Männer geben, die alt und weiß sind, aber keine alten weißen Männer mehr und auch keine N* etc.




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Lucian Wing
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Sa 9. Dez 2023, 12:14

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Sa 9. Dez 2023, 11:25
Wenn das Netz aus rassistischen Begriffen, Erzählungen, Bildern und Kategorien irgendwann verschwindet und mit ihm die darauf beruhenden Benachteiligungen und Privilegien, dann muss nichts an diese Stelle treten. Danach wird es natürlich immer noch Männer geben, die alt und weiß sind, aber keine alten weißen Männer mehr und auch keine N* etc.
Das klingt genau so, wie die Erzählungen der Marxisten über das Endstadium Kommunismus. Eine utopische, eigentlich dystopische Welt. Was dem Marxismus Klasse und Klassenfeind waren, dem Faschismus Volk und Volksfeind, das ist der identitären Wokeness die Gruppe und der Gruppenfeind. Das gemeinsame Grundmuster ist die Schmitt'sche Freund-Feind-Unterscheidung und das heilsgeschichtliche Endstadium der Reinheit nach dem wie auch immer herbeigeführten Untergang des Feindes.

Rein logisch gesehen kann es nach Erfüllung deiner im ersten Satz genannten Bedingungen kein Netz, jedenfalls kein freies Netz mehr geben.

Würde man deine in meinen Augen dystopische Phantasie ins Positive übersetzen, sähe die Welt des Textes so aus, wie der humanoide Roboter Adam sie in McEwans Roman "Maschinen wie ich" beschreibt:
Wir werden in einer geistigen Gemeinschaft leben und zu jedem Kopf unmittelbaren Zugang haben. Die Vernetzung wird so weit gehen, dass die individuellen Knotenpunkte der Subjektivität sich auflösen in einem Ozean von Gedanken, wofür das Internet nur ein kruder Vorläufer ist. Und da wir in den Köpfen aller leben werden, wird jede Verstellung unmöglich. Unsere Erzählungen kreisen nicht länger um endlose Missverständnisse. Unsere Literaturen verlieren ihren ungesunden Nährboden. Der lapidare Haiku, die stille, klare Wahrnehmung und Feier der Dinge, wie sie sind, wird die einzige noch notwendige Form sein.
Eine elaborierte Form dessen, was einige Jahrzehnte vor diesem Roman dem Münchener im Himmel als Frohlocken und Hosianna-Singen angekündigt wurde.



Als ich vierzehn war, war mein Vater so unwissend. Ich konnte den alten Mann kaum in meiner Nähe ertragen. Aber mit einundzwanzig war ich verblüfft, wieviel er in sieben Jahren dazu gelernt hatte. (Mark Twain)

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Jörn Budesheim
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Sa 9. Dez 2023, 12:45

Eine Welt ohne Rassismus ist für mich eine Utopie. Ich denke, wir könnten es sogar erreichen, wenn wir nicht vorher unsere Lebensbedingungen auf diesem Planeten schrotten.




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Lucian Wing
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Jörn Budesheim hat geschrieben :
Sa 9. Dez 2023, 12:45
Eine Welt ohne Rassismus ist für mich eine Utopie. Ich denke, wir könnten es sogar erreichen, wenn wir nicht vorher unsere Lebensbedingungen auf diesem Planeten schrotten.
In einer Welt, in der es keine biologischen und keine geistigen Unterschiede mehr gibt, wären Rassismus und Diskriminierung ausgestorben.

Wenn du das Zitat von McEwan verstanden hast, müsste das auch klar sein: Es müssen auch "die Knotenpunkte der Subjektivität" aufgelöst sein. Erst dann verwischen alle rassismus- und diskriminierungsfähigen Eigenschaften in diesem Ozean der reinen Gedanken.

Bis dahin aber wird es immer Freund und Feind geben und bestenfalls Länder, in denen die real existierende Wokeness oder ein woker Gruppenkörper die Grundlage für die Unterdrückung des Feindes beleiben wird.

(Spannend wäre, wie ein woker humanoider Roboter aussehen schon rein äußerlich aussehen würde.)



Als ich vierzehn war, war mein Vater so unwissend. Ich konnte den alten Mann kaum in meiner Nähe ertragen. Aber mit einundzwanzig war ich verblüfft, wieviel er in sieben Jahren dazu gelernt hatte. (Mark Twain)

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