Race - Rasse

Dieser Teil des Forums befaßt sich mit politischen, sozialen und historischen Aspekten der aktuellen gesellschaftspolitischen Debatten.
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Stefanie
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Di 5. Dez 2023, 22:13

Anlass war eine kurze Bemerkung von Quk im Thema "Was ist Gesellschaft":
Nur: Anders als im englischen ("race"), (...)
Darüber bin ich gestolpert, etwas zu wenig fand ich dazu in meinem Kopf und fing an zu zu dem Thema im Internet zu suchen.
Und fand z.B. dieses hier:
https://pocolit.com/2021/04/09/race-%e2 ... -auf-race/
Es geht hier hauptsächlich um das amerikanische Englisch und um den geschichtlichen Hintergrund in den USA ud Deutschland.

Die UN Menschenrechtserklärung ist im Original in Englisch.
Dort steht folgendes:
"Everyone is entitled to all the rights and freedoms set forth in this Declaration, without distinction of any kind, such as race, colour, sex, language, religion, political or other opinion, national or social origin, property, birth or other status."

In der offiziellen Übersetzung für Deutsch lautet dieser Artikel:
"Jeder hat Anspruch auf die in dieser Erklärung verkündeten Rechte und Freiheiten ohne irgendeinen Unterschied, etwa nach Rasse, Hautfarbe, Geschlecht, Sprache, Religion, politischer oder sonstiger Überzeugung, nationaler oder sozialer Herkunft, Vermögen, Geburt oder sonstigem Stand."

Die Internetseite der UNO ist so nett und führt auch die Länder auf, in denen die jeweilige Sprache die offizielle Sprache ist. Für Englisch sind das folgende Länder:
Europe - Official Language: Gibraltar, Ireland, Malta, United Kingdom Asia - Official Language: India, Pakistan, Philippines, Singapore Africa - Official Language: Botswana, Cameroon, Gambia, Ghana, Kenya, Lesotho, Liberia, Malawi, Mauritius, Namibia, Nigeria, Sierra Leone, South Africa, Swaziland, Tanzania, Uganda, Zambia Central and South America - Official Language: Anguilla, Antigua & Barbuda, Bahamas, Barbados, Belize, Bermuda, Br. Virgin Isl.s, Dominica, Falklands, Grenada, Guyana, Jamaica, Montserrat, Puerto Rico, St. Kitts & Nevis, St. Lucia, St. Vincent, Trinidad & Tobago, Turks & Caicos Islands, US Virging Islands North America - Official Language: Canada, USA Oceania - Official Language: American Samoa, Australia, Belau, Cook Islands, Fiji, Guam, Kiribati, Marshall Islands, Micronesia, Nauru, New Zealand, Niue, Norfolk Islands, Northern Mariannas, Papua New Guinea, Solomon Islands, Tokelau, Tonga, Tuvalu, Vanuatu, Western Samoa.

Für Deutsch ist das übersichtlicher: Deutschland, Österreich, Schweiz, Lichtenstein, Belgien, Luxemburg.



Das Land, das die Fremden nicht beschützt, geht bald unter.
Goethe

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Stefanie
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Di 5. Dez 2023, 22:31

in dem Artikel über die Übersetzungsprobleme geht es hauptsächlich um die Probleme vom Englisch ins Deutsche.
Was ist nicht gefunden habe, ist der umgekehrte Fall. Wie wird ein deutscher Text in dem Rasse steht' ins Englische übersetzt, insbesondere in den USA. Das Wort race kann es ja eigentlich nicht sein. Nur welches dann? Vielleicht habe ich es übersehen, weil gefunden habe ich nichts.

Die aufgeführten Länder, in denen Englisch die offizielle Sprache ist, haben zum Teil einen unterschiedlichen geschichtlichen und sozialen gesellschaftlichen Hintergrund. Mir stellte sich dann die Frage, wie verstehen andere Länder außerhalb den USA und Großbritannien das "race"? Verstehen diese ganzen Länder race wie in den USA? Wenn jeder ein anderes Verständnis, ist das doch erheblich für das Verständnis der Menschenrechtserklärung. Oder nicht?
In der Schweiz gibt es eine ähnliche Diskussion wie in Deutschland zu Rasse. In Österreich auch. Scheinbar hat man das deutsche Verständnis von Rasse übernommen.
Zu diesen meinen Fragestellungen habe ich bislang nichts gefunden.

Mit den anderen Sprachen wie Spanisch und Französisch habe ich mich noch nicht beschäftigt, hier besteht die Gefahr, dass ich das entsprechend Wort noch nicht mal erkenne : - )
Mich beschäftigt dieses Thema halt gerade.



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Quk
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Di 5. Dez 2023, 23:01

https://pocolit.com/2021/04/09/race-%e2%89%a0-rasse-10-schwierig-zu-uebersetzende-begriffe-in-bezug-auf-race/ hat geschrieben : Dass der englische Begriff race oft mit Rasse übersetzt wird, ist sehr problematisch. Die Ungleichheit der zwei Begriffe wird zum Beispiel klar, wenn man sich überlegt, dass beim Sprechen über race als Rasse das gleiche Wort benutzt wird, mit dem Hunde in ihrer Art unterschieden werden. Im Englischen gibt es dafür den Begriff breed, der als Gattungsbeschreibung für Tiere und nicht Menschen gilt.
Grund dafür, dass race und Rasse einfach nicht gleichzusetzen sind, ist unter anderem, dass hinter diesen zwei Begriffen deutlich unterschiedliche Diskurse stehen. Im Deutschen wird der Begriff Rasse nach wie vor mit etwas Biologischem verbunden, als würde es “echte” Menschenrassen geben. Die gibt es natürlich nicht, und dennoch können wir nicht ganz auf ein Wort verzichten, das gelebte Realitäten abbildet, die durch Rassismus strukturiert sind. Menschen, die sich mit den englischsprachigen Diskursen zu race, racism und critical whiteness auseinandergesetzt haben, wissen, dass diese auf soziale Konstruktionen verweisen sollen. Deshalb benutzen einige Übersetzungen auch im Deutschen den Begriff Race, der im Gegensatz zu Rasse dazu dient, gesellschaftliche Phänomene zu beschreiben und zu analysieren, die menschengemacht sind und von Institutionen aufrechterhalten werden.
Problematisch ist für manche Leute die deutsche Übersetzung von "race" zu "Rasse" meiner Ansicht nach deshalb, weil vor allem in Deutschland unter der Hitler-Diktatur Rassisten eine unermessliche Katastrophe verursachten. Verheerender Rassismus gab es auch in anderen Ländern, etwa in den USA, aber anders als im Nachkriegsdeutschland, wurde in anderen Ländern die eigene, schlimme Geschichte nicht so sehr aufgearbeitet. Zu der deutschen Aufarbeitung gehört neben dem Verbot rassistischer Handlungen auch das Verbot von Hitler-Symbolen. In anderen Ländern sind solche Symbole weiterhin erlaubt. Vermutlich liegt das daran, dass in Deutschland das Ausmaß besonders katastrophal war und die Einsicht hinterher auch besonders groß. -- Ich denke, Rassismus ist etwas sozialpolitisches, nicht etwas biologisches. Mit Biologie hat das nur insofern zu tun, als die Rassisten für ihre Ideologie sich biologische Argumente zurechtschwafelten. Dieses Geschwafel wiederum mit biologischen Argumenten zu widerlegen, halte ich für genauso sinnfrei, eben weil Rassismus etwas sozialpolitisches ist und nichts biologisches. Hunderassen? Das ist dasselbe Konstrukt. Wenn man lange und kurze Hundehaare bestimmten "Rassen" zuordnen kann, dann kann man auch dunkel- und hellhäutige Menschen verschiedenen "Rassen" zuordnen. Die Idiotie der Rassisten verschwindet nicht, indem man das Wort "Rasse" umbenennt in "Ethnie". Wer sagt, es gäbe keine Rassen -- im sozialpolitischen Sinn --, der muss konsequenterweise auch sagen, es gäbe keine Vielfalt und alle Menschen gehörten zu ein und der selben Ethnie.




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Quk
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Di 5. Dez 2023, 23:10

Stefanie hat geschrieben :
Di 5. Dez 2023, 22:31
in dem Artikel über die Übersetzungsprobleme geht es hauptsächlich um die Probleme vom Englisch ins Deutsche.
Was ist nicht gefunden habe, ist der umgekehrte Fall. Wie wird ein deutscher Text in dem Rasse steht' ins Englische übersetzt, insbesondere in den USA. Das Wort race kann es ja eigentlich nicht sein. Nur welches dann? Vielleicht habe ich es übersehen, weil gefunden habe ich nichts.
Ich denke, dieses Problem ensteht nur, wenn man von vorn herein zwischen dem englischen und deutschen Wort zu unterscheiden versucht. Dass eine Übersetzung vom deutschen ins englische nicht geht, zeigt ja, dass der englische Begriff alles umfasst: Sowohl die vermeintlich biologische Definition (erdacht von Rassisten weltweit) als auch schlicht die Unterscheidung optischer Merkmale.

Ironischerweise höre ich die rassistische Phrase "alter, weißer Mann" meistens von Leuten, die besonders stark gegen Rassismus vorgehen wollen. Ich sehe da eine gewisse Betriebsblindheit: die eine Blickrichtung ist überbelichtet, die andere unterbelichtet. Beispiel? Rezo, der mit dem blauen Haar. Unfassbar. Also manchmal möchte ich echt aufgeben ...




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Quk
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Mi 6. Dez 2023, 07:55

Guten Morgen. Ich denke, biologische Argumente gegen den Unsinn des Rassismus schießen so sehr am Ziel vorbei wie beispielsweise physikalische Argumente gegen den Unsinn der Astrologie. Wie beim rassistischen Einteilen werden auch in der Astrologie Menschen nach Gutdünken eingeteilt in Gruppen (in 12 Tierkreiszeichen), innerhalb derer angeblich gruppenspezifische Schicksale und Charaktere festzustellen seien. Für die Horoskop-Ersteller ist das so etwas wie Magie oder eine übergeordnete Korrelation. Es nützt nichts, dagegen mit naturwissenschaftlichen Argumenten zu kommen wie etwa, dass die Tierkreiszeichen heute anders positioniert sind als vor 2000 Jahren und so weiter.

Es gibt ganz einfache praktische, untheoretische Argumente gegen all diesen Unsinn: Die Beobachtungen stimmen nicht mit den Voraussagen überein. Punkt.

Es stimmt nicht, dass alle Schwarze dieselben Eigenschaften haben und die selben Dinge tun.
Es stimmt nicht, dass alle Weiße dieselben Eigenschaften haben und die selben Dinge tun.
Es stimmt nicht, dass alle Alte dieselben Eigenschaften haben und die selben Dinge tun.
Es stimmt nicht, dass alle Jungen dieselben Eigenschaften haben und die selben Dinge tun.
Es stimmt nicht, dass alle Frauen dieselben Eigenschaften haben und die selben Dinge tun.
Es stimmt nicht, dass alle Männer dieselben Eigenschaften haben und die selben Dinge tun.
Es stimmt nicht, dass alle im Sternzeichen X Geborenen dieselben Eigenschaften haben und die selben Dinge tun.




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Jörn Budesheim
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Mi 6. Dez 2023, 09:06

In einem Lexikon, das ich als Kind in der Hand hatte, wurde die Menschheit noch in verschiedene Rassen eingeteilt. Ich glaube, es waren etwa ein Dutzend Einteilungen. Solche Lehren wurden zumindest bis ins 20. Jahrhundert hinein verbreitet und in den Schulen gelehrt. Ich kann mich nicht erinnern, dass mir beim Nachschlagen in der Enzyklopädie Zweifel gekommen wären. Das stand im Lexikon!

Leider sind auch heute noch Einteilungen in vier oder fünf Rassen üblich: braun, schwarz, rot, gelb und weiß. Solche Einteilungen (mit Variationen) galten lange Zeit als wissenschaftlich gesichert. Ich erinnere mich, vor vielleicht dreißig oder vierzig Jahren in einem Antiquariat in einem nicht sehr alten Buch geblättert zu haben, in dem versucht wurde, den Unterschied zwischen der weißen und der schwarzen Rasse wissenschaftlich zu belegen, wobei die Weißen "natürlich" aufgrund angeblicher Studien als höherwertig eingestuft wurden. Zum Glück hatte ich zu diesem Zeitpunkt schon eine gewisse Lerngeschichte hinter mir. Meine Großeltern hätten das vielleicht noch für bare Münze genommen.

Das hat natürlich eine Geschichte: Gerade seit der Aufklärung wurde viel "wissenschaftlicher" Aufwand betrieben, um die Rassenunterschiede und damit natürlich vor allem die angebliche "Überlegenheit der weißen Rasse" wissenschaftlich zu begründen. Auch Carl von Linné, dem wir den Begriff Homo sapiens verdanken, war ein Rassist. Rassismus war ein wissenschaftliches Konzept, das als gesichert galt. Mit der angeblichen Überlegenheit der weißen Rasse ließen sich natürlich Kolonialismus und andere Gräueltaten "wunderbar" rechtfertigen.

Diese verfehlte "wissenschaftliche" Seite des Rassismus war freilich nur ein Aspekt. Damit verbunden war das, was wir heute Narrative nennen. Ein Narrativ ist ein sinnstiftendes Erzählmuster, das z.B. das Weltbild einer Gruppe oder Kultur bestimmt und oft auch legitimiert. Über Schwarze Menschen (N*) gab es viele stereotype Bilder und Narrative, die mit der Realität sicher nichts zu tun hatten. Im Grunde waren sie eine Art "Gegenbild" zu den zivilisierten Weißen in Europa. Diese Stereotypen und Erzählungen sind bis heute tief in unserer Sprache und auch den Bildern verwurzelt. Sie bilden unter anderem die Grundlage für das, was heute meines Erachtens zu Recht als struktureller Rassismus bezeichnet wird.

Für mich ist die vielfältige Geschichte des Rassismus ein wesentlicher Bestandteil des Rassismus, ebenso wie "das Strukturelle" des Rassismus. Das gehört meines Erachtens streng zusammen. Denn dadurch konnten sich Worte, Bilder, Geschichten und Stereotype tief in unserem Leben verankern.




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Jörn Budesheim
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Mi 6. Dez 2023, 09:17

Quk hat geschrieben :
Di 5. Dez 2023, 23:01
Die Idiotie der Rassisten verschwindet nicht, indem man das Wort "Rasse" umbenennt in "Ethnie".
Der Begriff "Ethnie" hat meines Erachtens eine andere Bedeutung und ist nicht der "Ersatzbegriff" für "Rasse"
https://www.bpb.de/themen/kriege-konflikte/dossier-kriege-konflikte/504249/ethnie-ethnische-gruppe/ hat geschrieben : Ethnie, ethnische Gruppe
Der Begriff leitet sich vom griechischen "éthnos" (Volk, Volkszugehörige) ab. Im Unterschied zum "demos" (Gemeinde, Gesamtheit der Vollbürger einer Polis, Staatsvolk) bezeichnet er eine Gruppe von Menschen, die sich nach gemeinsamer Abstammung, Herkunft, Geschichte, Kultur, gemeinsamen Sitten und Gebräuchen sowie gemeinsamem Siedlungsgebiet definiert. Entscheidend ist nicht, ob die Mitglieder einer solchen Gruppe oder Gemeinschaft tatsächlich blutsverwandt sind (Abstammungsgemeinschaft) oder eine lange gemeinsame Geschichte erlebt haben (Schicksalsgemeinschaft). Ausschlaggebend sind Selbstwahrnehmung und Überzeugung der Mitglieder, einer solchen Gemeinschaft anzugehören.




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Jörn Budesheim
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Mi 6. Dez 2023, 09:24

Quk hat geschrieben :
Di 5. Dez 2023, 23:01
... weil vor allem in Deutschland unter der Hitler-Diktatur Rassisten eine unermessliche Katastrophe verursachten. Verheerender Rassismus gab es auch in anderen Ländern, etwa in den USA, aber anders als im Nachkriegsdeutschland, wurde in anderen Ländern die eigene, schlimme Geschichte nicht so sehr aufgearbeitet.
Stimmt das? Wie gut der Antisemitismus der Nazis aufgearbeitet wurde, kann ich nicht sagen. Wenn ich die aktuelle Lage in Deutschland betrachte, würde ich Zweifel anmelden. Beim Rassismus der Nazis etwa gegen Schwarze und Sinti und Roma meine ich, dass das noch nicht so gut aufgearbeitet wurde, wie ich es mir wünschen würde.

Ich selbst würde zwischen Rassismus und Antisemitismus unterscheiden, das ist nicht einfach dasselbe, auch wenn es natürlich Übereinstimmungen geben mag. Der Unterschied liegt in den Narrativen. Der Rassismus hat einen seiner Ursprünge in der vermeintlichen Überlegenheit der weißen Rasse. Demgegenüber ist einer der verschiedenen Narrative des Antisemitismus ganz anders geartet. Teil dieser Erzählung - genauer: Verschwörungstheorie - ist unter anderem, dass "die" Juden angeblich im Hintergrund die Fäden ziehen und ähnliche Absurditäten.

Während beim Rassismus sich die Rassisten in der Regel überlegen fühlen, sie selbst sind oben, die unterlegenen Rassen sind unten, ist es beim Antisemitismus eher umgekehrt, die Juden sind "die da oben (im Hintergrund)".




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Jörn Budesheim
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Mi 6. Dez 2023, 09:31

Ich habe mir vor einiger Zeit Christian Geulens "GESCHICHTE DES RASSISMUS" besorgt und heute morgen ein wenig darin geblättert. Leider schreibt er nicht direkt über die Übersetzungsprobleme. Aber die Geschichte des Begriffs ist natürlich ein Thema. Kurz gesagt, sie ist sehr vielfältig und verzweigt. Hier ein Zitat, das sich eher auf meinen eigenen Text oben bezieht.
Christian Geulen, "GESCHICHTE DES RASSISMUS" hat geschrieben : Der Rassenbegriff faszinierte Philosophen wie Voltaire oder Kant ebenso wie diejenigen, die an der Naturgeschichte im engeren Sinne interessiert waren, wie etwa Johann Friedrich Blumenbach oder Christoph Meiners. Was diesen Begriff besonders anziehend machte, war sein Versprechen, eine natürliche – und das hieß vor allem: von den Lehren der Kirche unabhängige – Ordnung der Welt und der in ihr lebenden Menschen zu erschließen und beschreibbar zu machen.

Anfänglich war dies insbesondere für die Systematiker unter den Naturphilosophen von Relevanz, die mit viel Aufwand immer ausgefeiltere Modelle und Nomenklaturen der Menschheit und ihrer verschiedenen Untergruppen entwarfen. Dabei sollte man sich nicht nur einfache Aufteilungen in weiße, schwarze, gelbe und rote Rassen oder willkürliche Hierarchien der Höher- und Minderwertigkeit vorstellen. Vielmehr bot sich der Rassenbegriff aufgrund seiner multiplen Bedeutung an, klimatisch-geografische, historisch-politische und natürlich-körperliche Aspekte miteinander zu verbinden und aus ihrer Verschränkung die Eigenschaften der Rassen auch rational zu erklären.

Diese Systematiken waren zugleich Medien der rassentheoretischen Selbstzelebrierung. In unzähligen geografischen Berechnungen, körperlichen Vermessungen und historischen Darstellungen wurden die weißen Europäer als die ästhetisch wie moralisch allen anderen überlegene Rasse präsentiert. Wesentlicher Bezugspunkt dieses normativen Gefälles in den meisten aufgeklärten Rassentheorien war jedoch der Stolz auf die eigene Erkenntnisleistung, und erst in zweiter Linie der Anspruch auf Beherrschung der weniger entwickelten Rassen.

An der Existenz einer Naturordnung, innerhalb derer die europäischen Rassen an der Spitze standen, zweifelte niemand. Die Frage des sich daraus ergebenden Umgangs mit den außereuropäischen Völkern, etwa im Hinblick auf die Sklaverei, schied jedoch die Geister. Doch wichtiger als die Auseinandersetzung darüber war den meisten Wissenschaftlern die möglichst umfassende Sammlung, Sichtung und Systematisierung rassengeschichtlicher Befunde und Belege. Dies war besonders relevant, da das Hauptziel der Wissenschaft in dieser Epoche – als Reflex des Universalismus – ein enzyklopädisch vollständiges Weltwissen war ...




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Jörn Budesheim
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Mi 6. Dez 2023, 16:04

Quk hat geschrieben :
Mi 6. Dez 2023, 07:55
Die Beobachtungen stimmen nicht mit den Voraussagen überein. Punkt.
Ein Rassist, der glaubt, Schwarze seien gewalttätiger und krimineller als Weiße, kann sich durch seine "Beobachtungen" bestätigt fühlen, weil sie mit seinen "Vorhersagen" übereinstimmen: Schließlich sitzen in den Gefängnissen der USA weit mehr Afroamerikaner als Weiße. Dass die Tatsachen andere sind, wird er vermutlich ausblenden: Die ungleiche Verteilung geht auf über hundert Jahre Ungerechtigkeit im Justizsystem zurück. Rassistische Polizisten sind dabei nur ein Problem ... Der Rassismus kann sich also eine Realität schaffen, die ihn bestätigt!




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Quk
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Mi 6. Dez 2023, 16:24

Das ist leider das Problem. Das gilt auch für Horoskop-Gläubige: Ein Treffer von zehn, und schon seien "alle" so. Noch ein alter, weißer Mann, der schäbig ist, und schon sind "alle" so. Und so weiter. Aber ich meine, die Beweise, dass das empirisch nicht der Fall ist, sind die einzigen Beweise, die wir haben.




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Stefanie
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Mi 6. Dez 2023, 19:30

Quk
Dass eine Übersetzung vom deutschen ins englische nicht geht, zeigt ja, dass der englische Begriff alles umfasst: Sowohl die vermeintlich biologische Definition (erdacht von Rassisten weltweit) als auch schlicht die Unterscheidung optischer Merkmale.
Ach so...ich glaube, ich habe um zu viele Ecken gedacht. Wahrscheinlich.
Also steckt in race auch diese vermeintliche biologische Definition.

Nee, aber wieso geht dann die Übersetzung nicht?

Scheinbar nicht mein Tag heute.



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Do 7. Dez 2023, 10:36

Quk hat geschrieben :
Mi 6. Dez 2023, 16:24
Das ist leider das Problem. Das gilt auch für Horoskop-Gläubige: Ein Treffer von zehn, und schon seien "alle" so.
Das scheint mir mehr ein "confirmation bias" zu sein. In meinem Beispiel ging es eher darum, dass der Rassismus der dominanten Gruppe eine Realität schafft, die den Rassismus der dominanten Gruppe bestätigt, da es de facto mehr Schwarze in den Gefängnissen gibt.




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Quk
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Do 7. Dez 2023, 11:41

Stimmt, Dein Beispiel geht tiefer. Dass Schwarze häufiger im Knast sitzen als Weiße, ist für die Rassisten nicht nur ein "Bestätigungs-Treffer", sondern von vorn herein und ungerechterweise verursacht durch allerlei bewusste und unbewusste Benachteiligungen im Polizei-Alltag, in der Justiz, und so weiter.

"Bestätigungs-Treffer" meine ich dem Sinn, dass nicht alle Schwarzen im Knast sitzen. Ich bin Antipauschalist; für mich reicht schon eine Ausnahme, um eine All-Aussage zu verwerfen. Selbst wenn, sagen wir, 99 von 100 Sachsen AfD wählen würden, sage ich nicht: "Alle Sachsen wählen AfD". Das wäre eine Beleidigung des einen Sachsen, der vehement gegen die AfD protestiert.

Rassisten machen All-Aussagen.




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Do 7. Dez 2023, 15:02

Quk hat geschrieben :
Do 7. Dez 2023, 11:41
Rassisten machen All-Aussagen.
Rassisten halten ihre Rasse für überlegen. Deshalb glauben sie, das Recht oder sogar die Pflicht zu haben, minderwertige Rassen zu zivilisieren. Dann wird es schwierig mit den Allaussagen, die dann nicht mehr für alle gelten, sondern nur noch für die, die noch nicht zivilisiert sind, was aber den Rassismus im Kern beibehält. Ich glaube nicht, dass es möglich ist, Rassismus einfach als eine besondere Form falscher Verallgemeinerungen zu betrachten, dann lässt man zu viel aus, was wichtig ist, z.B. die angebliche wissenschaftliche Fundierung des Rassismus.




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Quk
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Do 7. Dez 2023, 17:28

Dein Gedanke ist schon ein Schritt weiter über dem Kern des Rassismus. Meiner Auffassung nach besteht der Kern notwendig darin, allen Mitgliedern einer konstruierten Gruppe die selben Eigenschaften zuzuweisen. Und diese Eigenschaften müssen nicht notwendig lauten: "unterlegen", "minderwertig", "böse" etc. Sie können auch lauten: "ehrgeizig", "sparsam", "jähzornig", "sanftmütig", "stark", "schwach" etc. Ich glaube, wenn man allen Mitgliedern positive Eigenschaften zuordnet, dann nennen das einige Leute "positiven Rassismus". Kann das sein? Jedenfalls legt der Ismus hier die Betonung buchstäblich auf "Rasse", nicht auf "Überlegenheit". Wenn die Betonung auf "Überlegenheit" läge, könnte man das Superiorismus nennen oder irgendwas in der Richtung.




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Jörn Budesheim
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Do 7. Dez 2023, 17:49

Da werden wir uns wahrscheinlich nicht einigen können, weil das meiste, was du nach diesen Kriterien ansprichst, meiner Meinung nach gar nicht unter Rassismus fällt. Ich verstehe nicht, warum du, wo du doch sonst so für Vielfalt bist, die verschiedenen Begriffe wie positive und negative Diskriminierung, Vorurteile, Irrtümer, falsche Verallgemeinerungen bzw. Übergeneralisierungen etc pp alle in einen Topf werfen willst.

Es ist auch nicht egal, ob wir von einem individuellen Phänomen sprechen, das nur Einzelne betrifft, oder von einem "sozialen" Phänomen, das oft nur historisch und in gesamtgesellschaftlichen Zusammenhängen zu verstehen ist, z.B. weil es unterdrückte und dominante Gruppen gibt. All das sind Differenzierungen, die man meiner Meinung nach nicht einfach unter den Tisch fallen lassen kann.




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Stefanie
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Do 7. Dez 2023, 18:02

Ich muss das jetzt fragen.

Quk, der Terminus "Alte weiße Männer" ist für Dich rassistisch, weil es eine All-Aussage ist?
Geht All-Aussage in Richtung Pauschalierung?
Und sowas wie "Alle in eine Topf" werfen?

Mein Verständnis dieses Terminus ist aber ein anderer. Es sind eben nicht alle Männer eines bestimmten Alter mit weißer Hautfarbe gemeint. Sondern Männer mit bestimmten Einstellungen und Verhaltensweisen, oft weißer Hautfarbe, die in in einer Zeit erwachsen geworden sind und Karriere gemacht haben, in der diese Einstellungen und Verhaltensweisen von vielen als zulässig gehalten wurden bzw. in der diese nicht offen krisiert wurden, geschweige denn sanktioniert wurden. Jetzt im 21. Jahrhundert ist das aber anders und sie es nicht erkennen und annehmen wollen.
Ist das auch eine All-Aussage?



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Do 7. Dez 2023, 18:09

Ich meine, rassistische Einstellungen und Handlungen, waren schon vor sagen wir mal 40 Jahren rassistisches Verhaltensweisen und Handlungen. Das gilt auch für sexistische Einstellungen und Handlungen. Mit dem Unterschied zu heute, dass diese damals nicht in dem Maße kritisiert und nicht sanktioniert worden sind, wie es heute der Fall. Und damals erst recht nicht, wenn auch noch Macht dazu kam.



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Do 7. Dez 2023, 18:55

Rassismus ist immer mit Macht und Machtgefällen verbunden.




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