#MeToo: Der Mann und die Frau und die Machtfrage

Dieser Teil des Forums befaßt sich mit politischen, sozialen und historischen Aspekten der aktuellen gesellschaftspolitischen Debatten.
Tosa Inu
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So 21. Jan 2018, 14:38

Alethos hat geschrieben :
So 21. Jan 2018, 14:20
Sie muss sich äussern, klar. Aber wann? Vorher oder nachher?
Alethos hat geschrieben :
So 21. Jan 2018, 14:05
Dass das mit Klugheit, Fingerspitzengefühl zu geschehen hat und sollte, ist ja genau das, was in dieser Diskussion massiv bestritten wird, denn genau die Möglichkeit hatten wir ja bisher, sie hat ja aus Sicht mancher/vieler Frauen nichts genützt. Also muss man zwangsläufig fragen, wo die neuen Grenzen verlaufen. Oder siehst Du noch einen anderen Weg?
Für mich ergibt sich daraus recht zwingend, gerade, wenn es um einen kulturellen Wandell gehen soll, dass das vorher geschieht.
Die Parallele zur Homosexualität wurde gezogen, da ging es einfach darum, dass die Sicht auf Homosexualität von pervers + krank + muss man beiseitigen und notfalls töten (zur Nazizeit), zu gesetzlich verboten + krank + muss man bestrafen (§ 175, war er doch glaube ich?), zu irgendwie pervers + krank aber legal, zu irgendwie anders + vermutlich etwas krank, zu eine weitere normale Spielart der Sexualität und Partnerschaft verändert wurde.

Wo also soll die Reise nun hingehen?
Wie ist die Ausgangspostion? Es soll angeblich normal (im Sinne von: üblicher Verhaltensstatus) sein, dass Männer Frauen mehr oder minder ständig und überall sexuell und Wort und Tat bedrängen und maximal übergriffig sind. Das erlebe ich zwar nicht so, bin aber auch keine Frau. Wenn das also so ist und anders werden soll, wie soll es also werden?
Was soll man tun sagen, wohin soll man schauen und nicht mehr schauen dürfen?

Dass reale sexueller Übergriffe in Form von Vergewaltigungen von niemandem auch nur im Ansatz schöngeredet werden, ist Konsens, was unterhalb dessen an der Tagesordnung und daher zu veränder ist, in keiner Weise. Also sollten sich die Betoffenen äußern, was genau sie zukünftig nicht mehr wollen. Wo ist das Problem, was ist sonst die Alternative?



„Die Tiere machen einen ja nachdenklich. Wir gehen doch noch außerdem zum Friseur u. begaunern die Kundschaft, sonst alles ebenso. Sich lausen u. wichsen, – Kinder, Kinder! Das nennt sich Schöpfung!“ (Gottfried Benn, im Brief, nach Zoobesuch der Affen)

Tosa Inu
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So 21. Jan 2018, 14:58

Völlig d'accord.



„Die Tiere machen einen ja nachdenklich. Wir gehen doch noch außerdem zum Friseur u. begaunern die Kundschaft, sonst alles ebenso. Sich lausen u. wichsen, – Kinder, Kinder! Das nennt sich Schöpfung!“ (Gottfried Benn, im Brief, nach Zoobesuch der Affen)

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Alethos
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So 21. Jan 2018, 15:00

Tommy hat geschrieben :
So 21. Jan 2018, 14:36
Schwieriger wird es bei Handlungen die spontan und schnell sind (wie dein Popoklapser).
Einen solchen Irrtum kann man nur hinterher aufklären, und wenn ansonsten die Chemie zwischen den Beteiligten stimmt, ist das in der Regel auch kein Problem: Mach das bitte nicht nochmal.
Und wenn ein solcher Irrtum geschehen ist, ist dann auch eine Unterhaltung in Bezug darauf wie die Beteiligten zueinander stehen, fällig.
Das heißt auch solche Irrtümer kann man aufklären, wenn man sich klar äußert.
Aber wenn es dir darum geht solche Irrtümer grundsätzlich auszuschliessen, dann sehe ich da keine Möglichkeit (weil wir Menschen nunmal irren).
Ausser man würde solche Handlungen grundsätzlich verbieten, was ich aus genannten Gründen ablehne.
Es kann nämlich auch sein, dass so ein Popoklapser gut ankommt, also das kein Irrtum vorliegt.
Nun, ich verstehe, worum es dir geht. Dir geht es, wenn ich das richtig deute, um eine gute Abwägung zwischen Freiheit zweier Erwachsenen, das zu tun, was beide wollen, und das zu unterlassen, was nur einer will. Und da es in der Regel so läuft, dass zwei Erwachsene sich finden, die dasselbe wollen, dann kann man nicht apriori verbieten, dass man dieses Bestimmte nicht tue, was beide wollen.

Das Problem ist aber genau das: Woran sollte man eindeutig feststellen, dass etwas von beiden gewollt wird und nicht der eine sich bloss einbildet, dass der andere das auch will? Diese Grauzone stellt uns vor gewisse Probleme, weil die Vielfalt der möglichen Empfindungen nicht absehbar ist. Ein Poklapser kann ganz schön sein, auch für die Frau, wenn sie es will. Da habe ich ja überhaupt keine Probleme. Ich sehe auch ein, was ich schon weiter oben sagte, dass diese Handlung an sich moralisch neutral ist. Sie ist weder gut noch schlecht. Wichtig ist, was bei der Person ankommt, die am "receiving end" ist, die also empfängt, was der andere aussendet. Aber genau das ist ja die Schwierigkeit, dass man ohne zu fragen nicht wissen kann, wie jemand etwas empfinden wird. Fragen bedeutet hier nicht, dass man es ausspricht und sagt: "Darf ich dir jetzt einen Poklapser geben?" oder "Darf ich deine Brüste begrapschen?". Das macht man ja in der Regel nicht so, dass man direkt fragt, sondern man macht es so, dass man sich auf ein Spiel einlässt, von dem man weiss, dass beide es gerne spielen. Und im Rahmen dieses Spiels kann es dann erlaubt sein, ohne Frage, dieses oder jenes zu tun. Dann stellt es auch keinen Übergriff dar. Ich würde sonst täglich bei meiner Frau übergriffig werden, wenn das die Definition wäre, denn ich frage sie nicht. Ich gehe davon aus, dass es ok ist. Schliesslich spielen wir das Beziehungsspiel etc.

Aber, was ich sagen will, ist, dass wir von keiner Frau erwarten dürfen, dass sie gegen alle möglichen an sie gerichteten Handlungen im Vorneherein ein klares Nein ausstrahlt. Das geht einfach nicht. Das Nein muss sozusagen als gesetzt gelten, zum Schutz des Individuums. Und das Nein soll aufgeweicht werden können durch ganz klare Zeichen, durch ganz klare Erlaubnisbekundungen.

Und über diese müssen wir uns unterhalten, wenn wir den Graubereich ausleuchten wollen, der uns hier offenbar solche Mühe bereitet und so vielen Männern im Rahmen der #metoo-Enthüllungen zum Verhängnis geworden sein soll.

Ich glaube aber, dass das nur vorgeschobene Argumente sind. Das Problem ist nicht die Uneindeutigkeit der Signale der Frauen. Das mag ein Aspekt des Problems sein, aber vermutlich nicht ein wirklich wichtiger oder aber sicher nicht der wichtigste. Das Hauptthema ist der willentliche Verstoss gegen die sexuelle Integrität in Form von kleinen Gesten oder von schwerwiegenderen Taten.



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So 21. Jan 2018, 15:08

Alethos hat geschrieben :
So 21. Jan 2018, 15:00
Das Problem ist aber genau das: Woran sollte man eindeutig feststellen, dass etwas von beiden gewollt wird und nicht der eine sich bloss einbildet, dass der andere das auch will?
Durch ein explizites Festlegen der Grenzen.
Normalerweise ist das eine subtiles verbales und nonverbales Spiel, bei dem ich davon ausging, dass beide die Regeln kennen.
Ist aber offenbar nicht so, also müssen sie explizit gezogen werden.



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Alethos
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So 21. Jan 2018, 15:44

Tommy hat geschrieben :
So 21. Jan 2018, 14:52
Nur so kann letztlich ein Konsens und eine Regelung gefunden werden, die auch alle annehmen können.
Aber eine Regelung gibt es ja schon. Ich verstehe nicht, was du sonst noch für rechtsrelevante Tatsbestände brauchst, damit es auch alle annehmen können?



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So 21. Jan 2018, 20:35

Tommy hat geschrieben :
So 21. Jan 2018, 14:52
Aber kann dieser Typ Frau wirklich für alle sprechen?
Insofern ist es wichtig, dass eben nicht nur diese Frauen zu Wort kommen, sondern alle. Und dass sie diese Möglichkeit auch wahrnehmen.
Und die Männer natürlich auch.
Nur so kann letztlich ein Konsens und eine Regelung gefunden werden, die auch alle annehmen können.
Nein, niemand kann für alle sprechen. Wie Frau etwas empfindet dürfte recht individuell sein. Aber genau das ist ein wichtiges Argument, und zwar dafür dass Mann nie weiß, wie das "receiving end" dem bevorstehenden Poklapser gegenüber steht. Könnte gut ankommen oder schlecht. Wir wissen es, wie du schon gesagt hast, erst danach. Und genau aus diesem Grund darf man nicht voreilig übergriffig werden.

Nach deinem Motto müssten Männer auch kein Problem damit haben, wenn ein homosexueller Mann ihnen an den Po fasst. Dass du evtl. hetero bist, weiß der ja nicht. Aber kann man ja rausfinden, danach sind wir schlauen :-)




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So 21. Jan 2018, 21:32

Tommy hat geschrieben :
So 21. Jan 2018, 14:44
Rosita hat geschrieben :
So 21. Jan 2018, 14:37
Ich finde, wir drehen uns hier im Kreis.
Das finde ich nicht.
Zumindest sind wir in Ansätzen darin übereingekommen, dass auch Frau eine Verantwortung hat solche Situationen aufzulösen, und dass das nicht allein in der Verantwortung des Mannes liegt.

Tommy, da sind wir uns ganz und gar nicht einig. Denn eine solche Situation sollte es garnicht geben im Job, dann braucht es eine Frau auch nicht aufzulösen.

Ich gehe mal davon aus, Du bist noch relativ jung. Du siehst das evtl. im "Angriffmodus". Ich habe schon einiges erlebt und kann Dir sagen, dass es wirklich nicht einfach war, sich in einer Männerwelt zu bewegen. Was ich in der Nachsicht vor allem entschieden ablehne, ist, wenn Frauen in die Situation gebracht werden "Nein" sagen zu müssen. Es geht sehr häufig mit Beleidigungen und wenn man Pech hat auch tätlichen Angriffen einher. Die Stimmung ist auf jeden Fall auf dem Nullpunkt. Ich war oft auf Messen oder habe Vorträge in ganz Deutschland gehalten. Das waren Situationen wo man für Männer geradezu Freiwild war. Ich fand das alles andere als lustig. Schade, dass Dir als Mann das nicht passiert, dann würdest Du vielleicht anderes darüber denken.



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Mo 22. Jan 2018, 15:06

Tommy hat geschrieben :
Mo 22. Jan 2018, 14:58
Und jetzt komm mal vom Klapsen weg und überlege dir dass das dann auch für alles andere gilt, was ungefragt passiert.
Ja, z.B. in die Hecke ziehen und Sex haben. Könnte man doch auch später klären, ob der andere das will. Ob etwas übergriffig ist, entscheidet der Receiver.




Rosita
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Mo 22. Jan 2018, 15:16

SorryTommy,

so langsam verliere ich die Contenance. Wie stellst Du Dir denn das NEIN vor. Wenn der Mann bereits übergriffig wird, oder schon vorher?

Kein Mann hat das Recht mich zu berühren oder betatschen. Mein Körper gehört mir. Das muss einfach respektiert werden.

Ich glaube das ist auch gängige Rechtsprechung.



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Mo 22. Jan 2018, 15:16

Tommy hat geschrieben :
Mo 22. Jan 2018, 15:11
Und Fakt ist auch, dass als Beweismittel dafür, dass er das auch tatsächlich so gesehen hat, dazu gehört, dass er seinen Willen dem anderen gegenüber klar und deutlich geäußert hat (durch Nein sagen, durch Abwehrgesten, durch weglaufen etc).
Jaa, aber das ist doch entscheidende Punkt beim Popoklatscher. Der Popo wird doch meistens nicht gefragt, ob er das will. Er wird einfach beklatscht. Und solange du das Beklatscht-werden-wollen nicht in irgendeiner Form im Vorfeld klären kannst, kann (!) es ein Übergriff sein.

A und B dürfen sich schon berühren, wenn ein wie auch immer geartetes positives Feedback besteht. So förmlich wie von dir oben als Beispiel genannt muss es doch gar nicht sein.




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Mo 22. Jan 2018, 17:51

Ottington hat geschrieben :
Mo 22. Jan 2018, 15:16
A und B dürfen sich schon berühren, wenn ein wie auch immer geartetes positives Feedback besteht. So förmlich wie von dir oben als Beispiel genannt muss es doch gar nicht sein.
Wie stellst Du Dir das denn dann im realen Leben vor?
Wie sähe ein unmissverständliches positives Feedback denn aus?
Woran kann ich das zukünftig erkennen, welches Verhalten übergriffig ist?
Und bitte nicht sagen, dass man das mit etwas Lebenserfahrung schon merkt und einschätzen kann. Das denke ich zwar persönlich auch, aber es ist ja als Lösung hier ausgeschieden.

PS: Tommys Antwort habe ich erst danach gelesen.



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Jörn Budesheim
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Fr 26. Jan 2018, 19:28

Ich hab das Gefühl, wir erleben hier im Forum gerade so etwas wie "die Ruhe nach dem Sturm".

#MeToo: Der Mann und die Frau und die Machtfrage ist offenbar ein Thema, welches hoch emotional besetzt ist! Bei Männern wie bei Frauen. Zwei User haben dem Forum deswegen den Rücken gekehrt. Das ist erstaunlich und natürlich ein herber Verlust in vieler Hinsicht. Deswegen wollte ich eigentlich nicht weiter Öl ins Feuer gießen, aber andererseits ist #MeToo sooo dauerhaft präsent, dass man daran eigentlich gar nicht vorbei kommt ...

Regisseur Dieter Wedel gerät jetzt zunehmend in den Fokus. Und mit ihm auch die ARD. Dieser Artikel aus der FAZ behandelt viele Fragen, die hier in diesem Thread auch ein Thema waren. Zum Beispiel: Warum haben die Frauen nicht früher geredet? Nun: teilweise haben sie früher geredet, wurden aber nicht gehört. Aber es gibt auch andere Gründe, die in diesem Artikel recht gut dargestellt werden.
Betroffene fanden kein Gehör

Die Fragen, die sich an Berichte betroffener Frauen knüpfen, sind in den Monaten seit den ersten Aussagen gegen den amerikanischen Filmmogul Harvey Weinstein im vergangenen Oktober immer dieselben: Warum nicht früher? Warum hat niemand, der jetzt die Vorfälle bestätigt, damals geredet, gehandelt? Warum ließ sich das Schweigekartell nicht brechen, und warum wurde den Männern, die jetzt sexueller Übergriffe und sexueller Gewalt beschuldigt sind, nicht früher das Handwerk gelegt?

Opfer sprechen, wenn sie sprechen können. Das ist eine Antwort auf die erste Frage und gilt auch hier. Die MeToo-Debatte, die Time’s-Up-Bewegung haben ein Klima geschaffen, in dem es betroffenen Frauen – die (wie auch in dem neuerlichen Artikel in der „Zeit“ nachzulesen ist) zur Zeit der Vorfälle kein Gehör, keine Unterstützung fanden oder aber den Rat bekamen, den Mund zu halten – möglich geworden ist, ihre Geschichten zu erzählen.

http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/d ... 17085.html




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Alethos
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Fr 26. Jan 2018, 21:14

Ich werfe, auch um die Fraktion der #metoo-Kritiker zu stärken, aber auch, um nicht das Gefühl aufkommen zu lassen, gewisse Ansichten seien hier tabu, folgenden Gedanken in den Raum:

Es kann bei einigen Übergriffsmeldungen der letzten Wochen der Eindruck des Offenbarungsexzesses aufkommen. Die Wirkung der Aufschreie verblasst mit jeder Meldung (naja, #shetoo). Und man fragt sich: Kann es sein, dass diese Übergriffe alle wirklich stattgefunden haben? Und man fragt sich, ob denn alle Handlungen wirklich so abnormal gewesen sein können, wenn sie offensichtlich so weitverbreitet waren, wie es heute scheint? Aber man fragt sich auch, ob diese Häufung von Comingouts nicht auch dadurch zustande kommt, dass man heute etwas als Übergriff wertet, was früher gar keiner war resp. als keiner angesehen wurde.

Mit diesen Gedanken geht einher der leise Verdacht, dass die Empörung in Teilen auch konstruiert sein könnte, insofern die damalige Handlung erst heute, rückwirkend, als Übergriff gewertet wird. Die rückwirkende Bewertung einer Handlung als übergriffig kann zur Folge haben, dass die Fallzahlen heute aufgebläht werden.

Die Offenbarungskadenz ist jedenfalls erstaunlich und mich würde es nicht überraschen, wenn im Hype um das Phänomen die eine oder andere Anklage von einer gewissen denunziatorischen Dynamik motiviert wäre und dadurch Fehldeutungen provozierte. Eine Hexenjagd der modernen Art sozusagen. Nicht, dass die vermeintlichen Täter alle unschuldig seien und selbst Opfer exzessiver Moralisierungslust, ich meine es ganz und gar nicht so. Aber, es würde mich tatsächlich verwundern, wenn unter all diesen vielen Klagen nicht die eine oder andere Übertreibung zu finden wäre, die durch vieles getrieben sein mag, nur nicht durch die Angemessenheit der Empörung.

Wir müssen aufpassen, dass aus #metoo nicht eine #dudochauch?-Bewegung wird.
Jedenfalls müssen wir zusehen, dass #metoo nicht zu einer Modeerscheinung verkommt, durch die man sich gedrängt fühlen könnte, auch noch die kleinste Geste als übergriffig zu deuten. Sei es, weil man im Trend liegen will, sei es, weil man sich mit Opfern solidarisch zeigen will, sei es, weil man tatsächlich einen unangenehmen Moment erleben musste. Nicht jeder unangenehme Moment sollte tatsächlich auch als Übergriff gewertet werden, manchmal kann auch ein Missverständnis vorliegen oder man kann auch Opfer seiner eigenen Überempfindlichkeit sein. Auch nicht an jedem unagenehmen Moment ist man immer und zu jederzeit völlig schuldlos beteiligt. Man darf denn auch auch an die Selbstverantwortung eines jeden appellieren sagen zu können: Stopp! Das will ich nicht!

Eine Überdiagnostizierung von Übergriffen kann Immunisierungswirkungen haben und schadet der Bewegung insgesamt, das will ich sagen. Ich will zudem verdeutlichen, dass zum Gegenstand der Diskussion auch der Hinweis gehören darf, dass nicht jedes Opfer ganz ohne Verantwortung ist. Das muss, auch im Sinne der Prävention, thematisiert werden dürfen.



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Fr 26. Jan 2018, 22:43

Alethos,

ich wundere mich überhaupt nicht, dass die Opfer nicht ausgesagt haben, beziehungsweise erst heute im Schutz von Vielen aussagen.

Zuerst wurden sie genötigt für ihre Karriere einen ekelhaften Preis zu bezahlen, dann sollten sie sich dem Unglauben von Vorgesetzten und Kollegen aussetzten und sich demütigen lassen? Wenn sie zur Polizei gegangen wären, hätten diese einflussreichen Männer alles daran gesetzt das Opfer unglaubwürdig aussehen zu lassen. Das Geld sich die besten RA zu leisten hatten sie ja im Gegensatz zu ihren Opfern.

Wie vergeblich es ist sich zu wehren, sieht man an den Vergewaltigungsopfern von Priestern oder Lehrern in Waisenhäuser.
Nicht passiert, auch wenn es versprochen wird. Da ist man versucht sich zu wünschen, dass alles unterm Tisch geblieben wäre.



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Alethos
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Sa 27. Jan 2018, 09:42

Rosita hat geschrieben :
Fr 26. Jan 2018, 22:43
Alethos,

ich wundere mich überhaupt nicht, dass die Opfer nicht ausgesagt haben, beziehungsweise erst heute im Schutz von Vielen aussagen.
Das deckt sich mit dem Bericht, den ich unten verlinke.

Aber ist ein zugeworfener Kuss wirklich als Übergriff zu werten?

https://www.nzz.ch/international/80-pro ... ld.1351703



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Sa 27. Jan 2018, 10:30

@ Alethos

Ein zugeworfener Kuss? Ja, da sollte man denken das ist harmlos.

Es kommt darauf an, wie! Es kann wie eine Drohung wirken.
Man stelle sich vor, 20 Soldaten und 3 Soldatinnen, da wirkt ein zugeworfener Kuss wie ein "Versprechen".
Da würde mir es auch eiskalt den Rücken runter laufen. .



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Sa 27. Jan 2018, 10:44

Ok, ja. Es ist entscheidend, wie etwas in einem Kontext gedeutet werden kann. Somit rückt die Deutung des Empfängers wieder in den Vordergrund: So wie ich dein Verhalten erlebe an mir, soll die Richtschnur für die Bewertung deines Verhaltens sein.

Wir müssen feststellen, dass hier sehr viel Potenzial für Missverstehen liegt. Wie soll es möglich sein, jedes Empfinden, das jeweils stark von der diese Empfindung habenden Person abhängt, mithin auch (aber nicht nur) individuell ist, fehlerfrei zu deuten? Wie kann ich wissen, ob meine Mitarbeiterin, der ich im voll besetzten Büro zur Anerkennung ihrer hervorragenden Leistungen auf die Schulter klopfe, dies als Übergriff wertet oder nicht? Bei meinen männlichen Kollegen ist es ja überhaupt kein Problem. Nun soll ich aber die Leistungen einer Frau und eines Mannes gleich würdigen. Das würde bedeuten, dass ich dem Mann auf die Schulter klopfen darf, der Frau aber nur mündlich ausdrücken kann, dass sie einen guten Job gemacht hat.

Und was, wenn mein euphorisches Lob als Anmache gedeutet wird? Keine normale Frau wird das so deuten, das ist mir klar: Aber nicht jede Empfindung ist rational verständlich zu machen.
Also müssen doch andere, klare Kriterien hin, die es erlauben eindeutig zu beurteilen, was geht und was nicht geht?

Man kann auch einen Witz in den falschen Hals kriegen, weil sich jemand verletzt fühlt, auch hier zählt die Empfindung als Massstab. Aber ist die persönliche Empfindung jederzeit und in jedem Fall zweifelsfrei richtig?



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Jörn Budesheim
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Sa 27. Jan 2018, 11:48

Alethos hat geschrieben :
Sa 27. Jan 2018, 10:44
Aber ist die persönliche Empfindung jederzeit und in jedem Fall zweifelsfrei richtig?
Nein. Welche Farbe hat das Wasser?

Auch unsere Gefühle sind fallibel. Was immer wir sind, Kinder unserer Zeit sind wir in irgendeiner Hinsicht alle. Da wir in bestimmte "Üblichkeiten" hineingeboren und hinein sozialisiert wurden, werden wir viele dieser "Üblichkeiten" mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit auch als angemessen und richtig empfinden, selbst wenn sie falsch sind. Aber es sind schließlich Lernprozesse möglich. Jede Generation ist ein Teil davon. Ich denke, daher ist ein moralischer Fortschritt, wie das die Philosophin Susan Neiman nennt, möglich und auch beobachtbar. Und zwar sowohl auf individueller Ebene als auch auf gesellschaftlicher Ebene. (Die sich "irgendwie" gegenseitig konstituieren.)

Das kann meines Erachtens dazu führen, dass dem Einzelnen durch eine gesellschaftliche Entwicklung die Augen geöffnet werden und er erkennt, dass das, was er als richtig empfunden hat, eigentlich falsch war. Und umgekehrt können Einzelne solche gesellschaftlichen Entwicklungen anstoßen. Im Zeitalter von Social-Media kann das lawinenartig funktionieren. Das können Fort- aber auch Rückschritte sein.




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Tommy hat geschrieben :
Sa 27. Jan 2018, 01:38
Zuerst wurden sie genötigt für ihre Karriere einen ekelhaften Preis zu bezahlen
Oder: Sie haben diesen Preis ganz freiwillig bezahlt um sich Vorteile zu erkaufen.
Das ist auch so ein Punkt der mich massiv stört: Obwohl hier keiner genau weiss wie es wirklich war, wird automatisch davon ausgegangen, dass diese Frauen genötigt wurden, nur weil sie das behaupten.
Das ist unlogisch.

Ein Filmstudio das Schauspielerinnen beschäftigt, die nichts zu bieten haben, als ein gutes Wort des Studiochefs und sonst nichts, wird nicht lange überleben.
.
Es ist doch eher wahrscheinlich, dass geeignete Schauspielerinnen nur dann die Rolle bekamen, wenn sie willfährig waren.
Beispiel Gwyneth Paltrow, deren genialer Film "Shakespeare in love" wir sonst wahrscheinlich nie gesehen hätten.

Später diese Demütigungen zuzugeben, ist sicher nicht leicht gewesen und es ist ebenso unlogisch zu glauben, dass das jemand freiwillig macht.



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Sa 27. Jan 2018, 13:39

Tommy,

Du kannst es vielleicht vermuten, aber wissen kannst Du es nicht.
Ich will nicht ausschliessen, dass es Frauen gab die aktiv sich um Rollen bemüht haben und in diesem Zusammenhang den Studiochef verführt haben.

Das Verbrechen ist aber nicht diese Tatsache, sondern dass Frauen es überhaupt nötig hatten das zu tun und nicht ein neutrales Carsting Büro die beste Schauspielerin ausgewählt haben. Das ist ein schmuddeliges Verhalten und zwar von der Filmfirma. Das wird sich jetzt hoffentlich auch ändern. .



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