#MeToo: Der Mann und die Frau und die Machtfrage

Dieser Teil des Forums befaßt sich mit politischen, sozialen und historischen Aspekten der aktuellen gesellschaftspolitischen Debatten.
Rosita
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Sa 27. Jan 2018, 14:31

Tommy, sowas kann wirklich nur ein Mann schreiben. :lol: :lol: :lol:

Das kANN ich nicht ernst nehmen.



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Alethos
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Sa 27. Jan 2018, 16:45

Was Tommy fordert, ist gar nicht so abwegig: eine kritische Würdigung des Verhaltens derer, die sich zum Zweck der eigenen Karriereförderung auf ein Machtspiel einlassen, und im Nachhinein so tun, als wären sie reine Opfer eines Systems, dabei aber ausblenden, dass sie Teil dieses Systems waren.

Nehmen wir einmal das Beispiel des Profi-Radrennsports. Es käme uns doch nicht in den Sinn, einen Sportler als Opfer eines Systems zu betrachten, der wissentlich gedopt hat. Hier schreiben wir dem Sportler volle Verantwortung zu. Niemand habe ihn schliesslich gezwungen, um jeden Preis erfolgreich sein zu wollen. Dass das System Spitzenleistungen ohne Doping kaum zulässt, das sei ja rundherum bekannt und, da man den Preis für den Erfolg in dieser Branche kennt, muss man auch die Rechnung zahlen, wenn man sich auf den zweifelhaften Deal mit dem System eingelassen hat.

Offensichtlich gibt es Konkurrenzsituationen, die es den Mächtigen in Systemen erlauben, von den Anwärtern zweifelhafte Taten zu verlangen. Aber die Macht jener Kräfte reicht natürlich nur so weit, wie der Ehrgeiz der Anwärter selbst.

Nun berechtigt diese Diagnose nicht zum Urteil, das System trage keine Verantwortung, wo eine Marktmechanik wirke, gebe es keinen verantwortlichen Agens. Das ist natürlich ein sehr schwaches und meiner Meinung nach ein falsches Argument. Jede Person, die zu ihrem Vorteil die Lage eines anderen ausnutzt, begeht machtmissbräuchliche Übervorteilung und, je nach Handlung, eine strafrelevante Tat. Aber wir dürfen nicht ausblenden, dass auch der Übervorteilte selbstverantwortlich zu handeln angehalten ist. Niemand zwingt den Radsportler, seinem unbedingten Siegeswillen nachzugeben.

Das System mag korrupt sein und schmierige Bosse sind ihre Nutzniesser. Aber diejenigen, die sich auf ein solches Spiel einlassen, dürfen nicht im Nachhinein so tun, als hätten sie von alle dem nichts gewusst. Wer sich durch den eigenen Ehrgeiz in unangenehme Situationen bringt, trägt auch eine Verantwortung. Und das darf man sagen, finde ich, und muss man ernst nehmen, wenn man die wirklichen Opfer von denjenigen Personen unterscheiden will, die heute so tun, als seien sie Opfer gewesen. Das schuldet man den Opfern und dem Kampf gegen das korrupte Ausbeutungssystem.

Im Grunde verstehe ich Tommys Standpunkt als ein Appell gegen die Naivität des Glaubens, die Welt sei eingeteilt in eindeutig gute und eindeutig schlechte Menschen resp. Handlungen. Die Problemlage zeigt, dass es verzwickter ist.

Selbstverständlich aber darf der Blick nicht abschweifen von der Tatsache, dass es sehr viele Frauen gibt, die ohne eigenes Zutun und ohne, dass sie 'mit dem Feuer gespielt hätten', Opfer von sexueller Gewalt in allen Abstufungen werden. Diese Taten gilt es offenzulegen und die Ursachen zu bekämpfen. Das kann aber nur durch eine differenzierte Diskussion geschehen, in der die verschiedenen Ursachen beleuchtet werden.



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Jörn Budesheim
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Sa 27. Jan 2018, 17:27

Alethos hat geschrieben :
Sa 27. Jan 2018, 16:45
Nehmen wir einmal das Beispiel des Profi-Radrennsports.
Wie muss ich mir die Analogie ausmalen. Wo darin trage ich Weinstein, sein System und seine Übergriffe ein, wo die hunderte betroffenen Frauen ein?
Alethos hat geschrieben :
Sa 27. Jan 2018, 16:45
... eine kritische Würdigung des Verhaltens derer, die sich zum Zweck der eigenen Karriereförderung auf ein Machtspiel einlassen, und im Nachhinein so tun, als wären sie reine Opfer eines Systems, dabei aber ausblenden, dass sie Teil dieses Systems waren.
Steht es nach deiner Einschätzung in einem angemessenen Verhältnis zu dem, was Weinstein und vielen, vielen anderen zur Last gelegt wird, dass wir die letzten 10 bis 20 Seiten im wesentlich darüber streiten, welche Mitschuld möglicherweise manche der Opfer auf sich geladen haben? Ich finde das völlig verquer und verdreht, weil plötzlich alle Opfer in Verdacht stehen Täter zu sein.




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Alethos
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Sa 27. Jan 2018, 17:28

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Sa 27. Jan 2018, 11:48
Welche Farbe hat das Wasser?
Ganz sicher ist es so, dass wir sozusagen betriebsblind geboren werden für die Umstände, durch die wir diejenigen sind, die wir sind. Diese unsichtbaren Grenzen zu durchdringen ist nicht ganz einfach, da man sich ihrer überhaupt erst einmal bewusst werden braucht, bevor man sie transzendieren kann.

Nun kann man sich hingeben und es bei der Feststellung bewenden lassen: 'Die Welt ist halt so, sie lässt sich nicht ändern.' oder anderseits den Durchbruch zu einem anderen Selbstverständnis wagen. Das bedeutet aber auch, dass man die eigenen Tabus hinterfragen können muss, man muss sich selbst Gründe geben können, die eine freie, selbstbestimmte Wahl ermöglichen. Dass hier die Kunst mutig voranschreitet, kann uns alle nur hoffnungsvoll stimmen, denn sie liefert Hinterfragungsmotive und eröffnet mehrere Wege in eine mögliche Freiheit.

Und doch braucht eine Gesellschaft Verbindlichkeit der Werte, wie die Fische das Wasser zum Atmen.



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Jörn Budesheim
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Sa 27. Jan 2018, 17:35

Spiegel hat geschrieben : #MeToo-Debatte
Hexen, überall Hexen?

Viele sprechen heute von einer "Hexenjagd", um Männer vor Anschuldigen wegen sexueller Übergriffe zu schützen. Das ist klassische Täter-Opfer-Umkehr - und auf die schlimmste Art geschichtsvergessen.

Kolumne

Auf nahezu magische Art kommen alle, die eine passende Metapher suchen, um zu zeigen, dass Männer die eigentlichen Leidtragenden der #MeToo-Debatte sind, auf den Begriff der Hexenjagd. Es scheint zurzeit eine akute Hexenjagdsaison zu sein: Schauspielstar Liam Neeson sprach davon, dass die Debatte über #MeToo eine Hexenjagd sei. Die "Augsburger Allgemeine" warnte: "#MeToo darf nicht zur Hexenjagd werden". Der Bürgermeister von Bad Hersfeld hat den Regisseur Dieter Wedel verteidigt: "Im Zusammenhang mit den gegen ihn erhobenen Vorwürfen fühle ich mich an eine Hexenjagd erinnert", sagte er. Der Mitarbeiter eines AfD-Abgeordneten, der wegen Vergewaltigung angezeigt worden war, sprach in diesem Kontext von Hexenjagd. In der "Welt" und in Markus Lanz' Sendung wurde der Hexenjagd-Vergleich ebenfalls gezogen. ...

Quelle: http://www.spiegel.de/kultur/gesellscha ... 89301.html




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Alethos
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Sa 27. Jan 2018, 17:52

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Sa 27. Jan 2018, 17:27
Steht es nach deiner Einschätzung in einem angemessenen Verhältnis zu dem, was Weinstein und vielen, vielen anderen zur Last gelegt wird, dass wir die letzten 10 bis 20 Seiten im wesentlich darüber streiten, welche Mitschuld möglicherweise manche der Opfer auf sich geladen haben?
Nein, das steht in keinem Verhältnis. Aber es steht genauso in keinem Verhältnis, wenn wir die Welt einteilen in Hexen und Hexenjäger. Nicht jeder Täter ist ein Weinstein und nicht jede Tat lief gleich ab. Es gibt Umstände, die gewisse Taten begünstigen, und diese müssen thematisiert werden, wenn das Problem gelöst werden soll.

Ein Umstand, der z.B. Missbräuche begünstigt, ist, wenn nur einer abschliessend entscheiden kann, wer eine Rolle in einem Film erhält. Es fehlt also an einer Demokratisierung des Entscheidungsprozesses. Ein weiterer Umstand ist, dass solche Hearings hinter verschlossenen Türen geschehen, also fehlt es an Transparenz. Ein Umstand ist, dass sehr viel Geld und Ruhm lockt, also gibt es ein Problem des falschen Anreizes. Und dann ist ein Umstand auch, dass es Konkurrenzsituationen gibt, die den Druck auf die Konkurrenten erhöhen, Dinge zu tun, die man später bereut.

Selbstverständlich tragen die Täter die Beweislast und selbstverständlich tragen sie die Schuld. Aber wir werden das Problem auch in 100 Jahren nicht los, wenn wir die Ursachen nur bei einzelnen Individuen auffinden wollen, sondern wir müssen schon differenzierter an die Sache herangehen und das Zusammenspiel anschauen und das ganze System durchleuchten.

Ich stehe auf der Seite der Opfer, die meine ungeteilte Solidarität geniessen. Aber ich wehre mich gegen die Darstellung, die Probleme seien nach moralischen Eindeutigkeiten einzuteilen. Jede spezifische Situation verdient auch spezifische Würdigung der Umstände und erst so werden Probleme, die vielfältige Ursachen haben, langsam gelöst werden können.
Zuletzt geändert von Alethos am Sa 27. Jan 2018, 17:59, insgesamt 2-mal geändert.



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Sa 27. Jan 2018, 17:55

Wir haben allerdings nicht allein die Wahl zwischen zwei verfehlten Optionen - zwischen schwarz-weiß und die Mitchuld der Opfer in den Vordergrund zu stellen, oder? Wenn wir also nicht die Mitschuld mancher Opfer in das Zentrum der Betrachtung rücken, bleibt uns nicht nur schwarz-weiß übrig, oder?

Ich bin mir sicher, es gibt angemessene Darstellungen, dessen was vorgefallen ist, die nicht schwarz-weiß sind, die aber auch nicht die falschen ins Zentrum der Aufmerksamkeit Rücken.




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Alethos
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Sa 27. Jan 2018, 18:12

Ja, diese Darstellungen gibt es, und ich denke, man muss die Diskussion insgesamt in ihrer Vielstimmigkeit als diese differenzierte Darstellung unterschiedlicher Positionen ansehen. Und ich denke, die Gesellschaft hält auch kontroverse Ansichten aus.

Es gibt die überwältigende Mehrheit jener, die uneingeschränkt die Taten verurteilen, derer sich (mehrheitlich) Männer schuldig gemacht haben. Ich zähle zu dieser Mehrheit. Nur: kein Problem dieser Dimension ist einfach und daher auch nicht einfach lösbar.

Natürlich gehört die Feststellung des teilweise Verwickeltseins von Frauen in Taten als Randbemerkung über einen Aspekt des Problems zur Diskussion. Aber sie ist nicht die Feststellung des Hauptproblems. Da bin ich einverstanden.



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Sa 27. Jan 2018, 18:19

Ist das dein Gefühl, dass die Diskussion hier vielstimmig ist?




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Sa 27. Jan 2018, 18:23

Nein, mein Gefühl ist, dass diese Diskussion hier nur ein Teil der globalen Diskussion ist und kein repräsentativer Ausschnitt.

Aber mein Gefühl ist auch, dass Tommy eine andere Seite des Problems betonen will, weil sie sonst untergeht. Mein Eindruck.



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Sa 27. Jan 2018, 18:36

Larry Nassar ist zu 175 Gefängnis verurteilt worden. Er ist des Missbrauchs von über 100 Mädchen beschuldigt worden. Mir ist kein Fall bekannt, in dem eins der Opfer für etwas belangt wurde. Und das ist nur einer von vielen, vielen unglaublichen Fällen. Dass wir in diesem Gesamtzusammenhang im wesentlichen streiten, worin die Mitschuld der Opfer liegen könnte, will mir einfach nicht in den Kopf.




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Alethos
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Sa 27. Jan 2018, 20:08

Es geht meines Erachtens nicht nur um so krasse Fälle wie den von Nassar oder Weinstein. Da ist die Sachlage doch klar. Es geht auch um Graubereiche und um die Frage, was erlaubt ist und was nicht. Wenn man diese Schwierigkeiten ausblendet, kann man der Komplexität des Problems einfach nicht gerecht werden.



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Rosita
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Sa 27. Jan 2018, 21:14

Für mich ist der berufliche Bereich am wichtigsten, weil man da oft abhängig ist.
Ich habe mich hier eingeklingt, als Tommy sagte im Büro seien Vertraulichkeiten in Ordnung und wenn Frauen das nicht möchten, sollten sie halt nein sagen.

Das kann ich nicht akzeptieren, denn ich habe in meinem Leben schon so oft nein sagen müssen und immer kam ich mir als Spielverderberin vor. Denn genauso wurde es von der Gegenseite angesehen. Es wurde suggeriert, man sei verklemmt, nicht locker genug usw.

Ich habe garnichts gegen kennenlernen in der Firma oder im Job. Denn genau da lernen sich tatsächlich viele Paare kennen.

Ich habe meinen zweiten, inzwischen verstorbenen, zweiten Mann auch in unserer Firma, kennengelernt.

Aber er hat mich nicht im Büro angebaggert, sondern wir hatten eine Stammkneipe, wo wir uns zusammensetzten und uns unterhielten.
Im Büro haben wir uns neutral verhalten, ohne verbergen zu wollen, dass wir uns treffen.

Ansonsten lehne ich körperliche Vertraulichkeiten zwischen Kollegen oder Unbekannten strikt ab.



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Jörn Budesheim
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Sa 27. Jan 2018, 22:08

Alethos hat geschrieben :
Sa 27. Jan 2018, 20:08
Wenn man diese Schwierigkeiten ausblendet, kann man der Komplexität des Problems einfach nicht gerecht werden.
Wenn man jedoch im Wesentlichen "diese Schwierigkeiten" einblendet, dann wird man der Komplexität des Problems gerecht?




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Jörn Budesheim
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So 28. Jan 2018, 07:22

#MeToo: Der Mann und die Frau und die Machtfrage
Byung-Chul Han - in "Was ist Macht?" - hat geschrieben : Hinsichtlich des Machtbegriff herrscht immer noch ein theoretisches Chaos. Der Selbstverständlichkeit des Phänomens steht eine totale Unklarheit des Begriffs gegenüber. Für den einen bedeutet sie Unterdrückung. Für den anderen ist sie ein konstruktives Element der Kommunikation. Die juristische, die politische und die soziologische Vorstellung von der Macht stehen einander unversöhnt gegenüber. Die Macht wird bald mit der Freiheit, bald mit dem Zwang in Verbindung gebracht. Für die einen beruht die Macht auf dem gemeinsamen Handeln. Für die anderen steht sie mit dem Kampf eine Beziehung. Die einen grenzen die Macht von der Gewalt scharf ab. Für die anderen ist die Gewalt nichts anderes als in eine intensivierte Form der Macht. Die Macht wird bald mit dem Recht, bald mit der Willkür assoziiert.
Byung-Chul Han - in "Was ist Macht?" - hat geschrieben :
Logik der Macht

Unter Macht versteht man gewöhnlich die folgende Kausalrelation: Die Macht von Ego ist die Ursache, die bei Alter gegen dessen Willen ein bestimmtes Verhalten bewirkt. Sie befähigt Ego dazu, seine Entscheidungen, ohne auf Alter Rücksicht nehmen zu müssen, durchzusetzen. So beschränkt Egos Macht Alters Freiheit. Alter erleidet den Willen Egos als etwas ihm Fremdes. Diese gewöhnliche Vorstellung von der Macht wird deren Komplexität nicht gerecht. Das Geschehen der Macht erschöpft sich nicht in dem Versuch, Widerstand zu brechen oder Gehorsam zu erzwingen. Die Macht muß nicht die Form eines Zwanges annehmen. Daß sich überhaupt ein gegenläufiger Wille bildet und dem Machthaber entgegenschlägt, zeugt gerade von der Schwäche seiner Macht. Je mächtiger die Macht ist, desto stiller wirkt sie. Wo sie eigens auf sich hinweisen muß, ist sie bereits geschwächt.
Byung-Chul Han - in "Was ist Macht?" - hat geschrieben : [...] es ist nämlich das Zeichen einer höheren Macht, dass der Machtunterworfene von sich aus gerade das, was der Machthaber will, ausdrücklich will, dass der Machtunterworfene dem Willen des Machthabers wie seinem eigenen Willen folgt oder sogar vorgereift [...]
Je mächtiger die Macht ist, desto stiller und untergründiger wirkt sie, meint Han. Widerstand, der erst noch zu brechen wäre, ist nicht in Sicht und Gehorsam wird nicht erzwungen, sondern ist oft vorauseilend und kommt als Selbstverständlichkeit oder Folgsamkeit daher. Vielleicht fühlt sie sich für die davon betroffenen sogar als Freiheit an? Was ist Macht? Was ist Freiheit? Wie erkennen wir sie? Woran erkennt der Fisch das Wasser? Ulrich Beck schreib dazu: "Selbstverständlichkeit, Vergessen und Größe der Macht korrelieren positiv. Man kann geradezu sagen: Wo niemand über Macht spricht, ist sie fraglos da, in ihrer Fragwürdigkeit zugleich sicher und groß. Wo macht Thema wird, beginnt ihr Zerfall."




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Jörn Budesheim
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So 28. Jan 2018, 11:47

Und noch ein Zitat von Han.
Das Zwangsmodell wird der Komplexität der Macht nicht gerecht. Die Macht als Zwang besteht darin, eigene Entscheidung gegen den Willen des anderen durchzusetzen. So weist sie einen sehr geringeren Vermittlungsgrad auf. Ego und Alter verhalten sich zueinander antagonistisch. Ego findet keine Aufnahme in Alters Seele. Mehr Vermittlung enthält dagegen jene Macht, die nicht gegen den Handlungsentwurf des Anderen, sondern aus ihm heraus auswirkt. Eine höhere Macht nämlich die, die die Zukunft des Anderen bildet, und nicht die, die sie blockiert. Statt gegen eine bestimmte Handlung Alters vorzugehen, beeinflusst oder bearbeitet sie das Handlungsfeld oder -vorfeld Alters so, dass sich Alter freiwillig, auch ohne negative Sanktionen, für das entscheidet, was Egos Willen entspricht. Ohne jede Gewaltausübung nimmt der Machthaber Platz in der Seele des Anderen.




Rosita
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So 28. Jan 2018, 13:50

[Aber Rosita, das ändert doch nichts daran, dass es dein Recht ist "NEIN" zu sagen.
Es ist Dein Recht "verklemmt" und "nicht locker genug" zu sein, ganz egal ob das nun stimmt oder nicht.
Und es ist auch das recht der Anderen das so zu sehen, ganz egal ob das nun stimmt oder nicht.
Ja denkst Du denn, das ginge nicht uns allen so? Was meinst Du wie oft ich mich irgendwo als Spielverderber hinstellen lassen muss nur weil ich eben laut und deutlich sage dass ich etwas nicht will.]

Tommy, darum geht es doch (mir) garnicht. Natürlich habe ich das Recht NEIN zu sgaen. Aber was soll das?
Ich habe jetzt schon so oft gesagt. Ich, aber auch sehr viele andere Frauen, wollen nicht betatscht werden. Auch nicht "zärtlich" über die Schulter gestreichelt. Das muss jeder Mann respektieren. Darauf haben Frauen und auch Männer ein Recht!
Aber ich finde ich kann darauf keine Rücksicht nehmen und ich nehme auch keine Rücksicht darauf.
Weil Alles andere ja bedeuten würde, dass ich mich ständig nur dem Willen der Anderen unterordne, sobald diese mein Verhalten kritisieren.
Und genau da gehen unsere Meinungen diametral auseinander. Du gehst davon aus ein Recht zu haben, Dich Frauen in einer Art zu nähern sie sie nicht möchten. Wohlgemerkt, ich beziehe mich immer hauptsächlich auf den beruflichen Bereich. Privat ist das wieder etwas anderes, da kann man gehen wenn man das nicht möchte, ohne dass es Nachwirkungen hat.



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So 28. Jan 2018, 14:58

Ich ziehe mal ein Fazit:

Weil Du meinst, es gibt Frauen die das unter Umständen gut finden im Büro oder Job in körperlichen Kontakt mit Männern zu treten, leitest Du davon ein Recht ab, das auszutesten und dann, wenn es schon passiert ist, kann dann die Frau ja oder Nein sagen?

Oder fragst man vorher, "Darf ich Dich berühren oder nicht?"

Derjenige der in Aktion tritt, muss die Situation klären und nicht erwarten, dass Frauen das für sie tun.



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Jörn Budesheim
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So 28. Jan 2018, 17:01

Byung-Chul Han - in "Was ist Macht?" hat geschrieben : [...] Die Macht unterdrückt die Natur, die Instinkte, eine Klasse, die Individuen; und ist im zeitgenössischen Diskurs diese hundertmal wiederholte Definition der Macht als einer unterdrückenden zu finden, so hat sie nicht der zeitgenössische Diskurs erfunden: Hegel hatte es als erster gesagt, dann Freud, dann Reich. Wie dem auch sei: >Organ der Unterdrückung< ist im gegenwärtigen Vokabular die quasi automatische Benennung der Macht.«

In Wirklichkeit stellt die Unterdrückung nur eine bestimmte, nämlich eine vermittlungsarme oder vermittlungslose Form der Macht dar. Die Macht aber beruht nicht auf der Repression. Immer wieder distanziert sich Foucault von dieser negativen Konzeption der Macht: »Man muß aufhören, die Wirkungen der Macht immer negativ zu beschreiben, als ob sie nur >ausschließen<, >unterdrücken<, >verdrängen<, >zensieren<, >abstrahieren<, >maskieren<, >verschleiern< würde.

In Wirklichkeit ist die Macht produktiv; und sie produziert Wirkliches.« Sie ist »dazu bestimmt, Kräfte hervorzubringen, wachsen zu lassen und zu ordnen, anstatt sie zu hemmen, zu beugen oder zu vernichten«. Zu dem Zusammenhang zwischen Körper und Macht schreibt Foucault: »Der Grund dafür, daß die Macht herrscht, daß man sie akzeptiert, liegt ganz einfach darin, daß sie nicht nur als neinsagende Gewalt auf uns lastet, sondern in Wirklichkeit die Körper durchdringt, Dinge produziert, Lust verursacht, Wissen hervorbringt, Diskurse produziert; man muß sie als ein produktives Netz auffassen, das den ganzen sozialen Körper überzieht und nicht so sehr als negative Instanz, deren Funktion in der Unterdrückung besteht.

Foucaults Hinweise zur Produktivität der Macht werden selten zur Kenntnis genommen. Dazu hat Foucault [selbst beigetragen ...]




Tosa Inu
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So 28. Jan 2018, 18:26

psyheu hat geschrieben : Was ist Macht überhaupt? Nach einer klassischen Studie von John R.P. French Jr. und Robert Alan Dahl ist Macht „die Fähigkeit von Akteur A einen Akteur B zu einer Handlung zu bewegen, etwas zu tun, was Akteur A von ihm verlangt, abzüglich der Wahrscheinlichkeit, dass der Akteur B die von Akteur A gewollte Handlung auch ohne den Einfluss von Akteur A getan hätte.“[1]

Gemäß Max Weber ist Macht, „jede Chance, innerhalb einer sozialen Beziehung den eigenen Willen auch gegen Widerstreben durchzusetzen, gleichviel worauf diese Chance beruht.“[2]

Breiter fasst die Sozialwissenschaft Macht, nämlich als „die Fähigkeit einer Person oder Interessengruppe, auf das Verhalten und Denken einzelner Personen, sozialer Gruppen oder Bevölkerungsteile einzuwirken.“[3]

Macht ist also der Einfluss, die Fähigkeit, das Verhalten oder Denken anderer zu steuern.

Es gibt viele offene Formen der Macht und vermutlich noch mehr versteckte.
(Quelle)



„Die Tiere machen einen ja nachdenklich. Wir gehen doch noch außerdem zum Friseur u. begaunern die Kundschaft, sonst alles ebenso. Sich lausen u. wichsen, – Kinder, Kinder! Das nennt sich Schöpfung!“ (Gottfried Benn, im Brief, nach Zoobesuch der Affen)

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