Wie im Himmel, so auf Erden

Philosophie Chat: Hier wird geplaudert über Gott und die Welt.
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Nauplios
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So 24. Jan 2021, 20:06

"Traditionellerweise werden Anthropologie und Geschichte einander gegenübergestellt - ihre gegenwärtige Annäherung in der doppelten Form einer Historisierung der Anthropologie wie einer Anthropologisierung der Geschichte muß daher auf den ersten Blick irritieren." (Wolf Lepenies; Geschichte und Anthropologie; S. 325) -




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Jörn Budesheim
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So 24. Jan 2021, 20:21

Nauplios hat geschrieben :
So 24. Jan 2021, 20:01
Ich denke, daß ausgehend von einer invarianten Natur des Menschen, auf anthropologische Konstanten zu schließen ..., daß das Anregungspotential solcher Vorstellungen an Überzeugungskraft verloren hat.
Für mich hat das seine Überzeugungskraft nicht verloren, weil ich die existenzialistische Antwort eben für überzeugend halte. Die Art und Weise, wie wir uns bestimmen, ist dabei nicht konstant, konstant ist nur, dass wir uns bestimmen.




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Jörn Budesheim
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So 24. Jan 2021, 20:55

Nauplios hat geschrieben :
So 24. Jan 2021, 20:01
Die "Historizität des Menschen"
Gibt es nicht Gesellschaftsformen, die heute noch leben wie vor 10000en Jahren, die also keinen geschichtlichen Prozess hinter sich haben?




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Stefanie
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So 24. Jan 2021, 20:57

Jörn Budesheim hat geschrieben :
So 24. Jan 2021, 09:04
Stefanie hat geschrieben :
Sa 16. Jan 2021, 19:33
Reicht das nicht?
Das ist meines Erachtens gar nicht die Frage. Denn: ob es reicht oder nicht, mehr gibt es nicht :)
Na eben. Und das "mehr gibt es nicht" ist doch aus-reichend, wir haben uns. Ganz schön viel, finde ich.
Nauplios:
Der Mensch ist in seiner Ganzheit kein isolierbares Teilchen, das man unter dem Mikroskop im Labor unter sterilen Bedingungen erforschen kann. Man kann ihn nur "haben" in seinem historisch bedingten Eingebettetsein in einer Welt, die von Ergebnissen der Wissenschaft, von Glaubensoffenbarungen der Religion, von kollektiven Erinnerungen, von Erzählsträngen des Mythos, von der Sprache, vom Unaussprechlichen der Mystik, von Erfahrungen an der Kunst, von Ausdifferenzierungen von Systemen, von den sozialen Habitus, von der Verteilung von Kapital und Ressourcen usw. beeinflusst wird. -
Die Ergebnisse der Wissenschaft, Erzählungen etc.
Genau.
Wir leben im 21. Jahrhundert, die große Mehrheit der Menschen glaubt nicht mehr, dass ihnen der Himmel auf den Kopf fällt und die Erde eine Scheibe ist.
Es ist dunkel draußen und ich bin mir zu 100% sicher, dass es in ein paar Stunden wieder hell ist. Ich weiß auch warum. Mystisch ist das nicht. Interessant, schön, oft spannend was sich am Himmel tut, aber nicht mystisch. Das war für Menschen in der Antike anders. Ich bin mir aber auch sicher, dass der heutige Grieche und Griechin keine Probleme mehr damit haben, dass es eliptische Bahnen sind.
Romantisch, o.k. ja, aber bei Mythos und co. habe ich eine Sperre. Wenn etwas als mythisch angesehen wird, wurde es oft gefährlich. Kopernikus und Galileo haben da so ihre Erfahrungen gemacht.

Die Evolution wird meistens betrachtet, als ob sie beendet sei. Gerade was den Menschen angeht. Na ja, die Evolution ist nicht beendet, sie ist immer da. Allein die körperliche Veränderung der Menschen in den letzten Jahrhunderten...wir werden immer größer, als Beispiel. Die Evolution bei Viren erleben wir gerade live. Vieles wissen wir noch nicht. Wenn wir das alles wieder als mythisch ansehen, und dann auch so handeln, wie "früher", also mit Angst, Festhalten an dem Bestehenden um fast jeden Preis usw. Haben wir doch eigentlich nichts gelernt, oder?

Kurzer Blick zum Eingangszitat.
Ich war verblüfft, das Jürgen Drews offenbar eine Zeile aus dem Vater Unser verwendet. Nun ja.
Die vorherigen Zeilen wurden bislang nicht genannt, die gehören dazu. (Auch Atheisten kennen das Vater Unser.)
Vater unser im Himmel
Geheiligt werde dein Name.
Dein Reich komme.
Dein Wille geschehe,
wie im Himmel, so auf Erden.

"Dein Wille geschehe ". In dem Moment, als ich diese Zeile realisierte, war klar, Stefanie und ein nicht existierendes überirdische Wesen, kommen nicht zueinander. In Gottesdiensten, die ich durchaus Besuche, also Hochzeiten, Taufen und Beerdigungen halte ich mich an die Regeln, seufze aber oft still vor mich hin oder verdrehe unsichtbar die Augen (vor allem bei Taufen), singe nicht mit (wäre auch eine Zumutung für alle), stehe auf, wenn es sein muss, usw. aber das Vater Unser spreche ich nie weder still noch leise mit. Gibt dann schon mal schräge Blicke. Und zwar Wegen Dein Wille geschehe.... nee nicht mit mir. Das evangelische Glaubenskenntnis sage ich natürlich auch nicht.

Himmel und Nacht, Kosmos scheint oft auch im 21. Jhd. nicht ohne Mythos und Gott auszukommen. Ich finde das immer irgendwie ausschließend und in sich geschlossenen, für "Gottlose".



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Nauplios
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Jörn Budesheim hat geschrieben :
So 24. Jan 2021, 20:21

Für mich hat das seine Überzeugungskraft nicht verloren, weil ich die existenzialistische Antwort eben für überzeugend halte. Die Art und Weise, wie wir uns bestimmen, ist dabei nicht konstant, konstant ist nur, dass wir uns bestimmen.
Ja, die "existenzialistische Antwort" konturiert sich durch eine Absetzbewegung von der tradierten Anthropologie. Der Mensch ist nichts anderes, als wozu er sich macht heißt es bei Sartre. Die eigentümliche Freiheit des Menschen bedeutet, daß er nicht Traditionen und Konventionen gegenüber verantwortlich ist, sondern daß er sich selbst gegenüber verantwortlich ist. Zu dieser Freiheit ist er "verurteilt". Was er ist, wird der Mensch durch sich selbst. -




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Jörn Budesheim hat geschrieben :
So 24. Jan 2021, 20:55
Nauplios hat geschrieben :
So 24. Jan 2021, 20:01
Die "Historizität des Menschen"
Gibt es nicht Gesellschaftsformen, die heute noch leben wie vor 10000en Jahren, die also keinen geschichtlichen Prozess hinter sich haben?
Ich denke, diese Frage ließe sich eher an die Ethnologie richten. Clifford Geertz hat dazu ein interessantes Konzept vorgelegt. Unter dem Titel Dichte Beschreibung entwickelt Geertz eine deutende Theorie von Kultur. Am balinesischen Hahnenkampf versucht Geertz Gesellschaften wie Texte zu lesen. - Ein anderer Ansprechpartner wäre auch die strukturale Anthropologie von Claude Lévi-Strauss. - Die Historische Anthropologie, so wie sich mit Beginn der 80er Jahre in Deutschland entwickelt, hat mit solchen Ansätzen nur sehr wenige gemeinsame Schnittflächen.




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Mo 25. Jan 2021, 01:45

Stefanie hat geschrieben :
So 24. Jan 2021, 20:57


Wir leben im 21. Jahrhundert, die große Mehrheit der Menschen glaubt nicht mehr, dass ihnen der Himmel auf den Kopf fällt und die Erde eine Scheibe ist.
Es ist dunkel draußen und ich bin mir zu 100% sicher, dass es in ein paar Stunden wieder hell ist. Ich weiß auch warum. Mystisch ist das nicht. Interessant, schön, oft spannend was sich am Himmel tut, aber nicht mystisch.
Das Mystische. - Im Tractatus logico-philosophico schreibt Wittgenstein: "Es gibt allerdings Unaussprechliches. Das zeigt sich, es ist das Mystische." (6.522) - Vorher heißt es an einer anderen Stelle: "Nicht wie die Welt ist, ist das Mystische, sondern daß sie ist." (6.44) -

Der Mythos. - Nahezu das Gegenteil des Mystischen, des "Unaussprechlichen", ist der Mythos. Denn der Mythos, die Erzählung, könnte gar kein Mythos sein, wenn er "unaussprechlich" wäre.

Mystisch geht zurück auf mysterion = das Geheimnis. - Mythos hingegen bedeutet "Erzählung", "Rede".

Ich habe ja in der Aufzählung beides erwähnt, den Mythos und das Mystische; jedoch bedeuten beide Unterschiedliches.




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Mo 25. Jan 2021, 02:10

Wie groß der Einfluß mystischen Denkens auf die europäische Geistesgeschichte gewesen ist, mag man etwa daran sehen, daß die (christliche) Mystik es in den Rang einer religionswissenschaftlichen Kategorie geschafft hat. Ähnliches gilt für die jüdische Kabbala, die auf eine noch ältere Tradition zurückschauen kann. - All das kann man für sich (!) mit beschwingter Handbewegung abtun, doch ändert es nichts an der Bedeutung mystischer Traditionen im jüdischen (und damit auch europäischen) Geistesleben. Ein Referenzautor ist in diesem Zusammenhang Gershom Scholem: Zur Kabbala und ihrer Symbolik. Scholem war ab 1925 Dozent für Jüdische Mystik an der Hebräischen Universität von Jerusalem. Walter Benjamin hat sich mit der Kabbala auseinandergesetzt, Sigmund Freud.




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Mo 25. Jan 2021, 03:20

Stefanie hat geschrieben :
So 24. Jan 2021, 20:57

Wenn etwas als mythisch angesehen wird, wurde es oft gefährlich. Kopernikus und Galileo haben da so ihre Erfahrungen gemacht.
De revolutionibus orbium coelestium ist Papst Paul III. gewidmet. Kopernikus stand ja seit seines Lebens in kirchlichen Diensten. Seine Verächter waren u.a. die Protestanten. - Die größten Förderer Galileis saßen in Rom. Galilei pflegte zur Kurie durchaus gute Verbindungen. Einer seiner größten Bewunderer war ja Papst Urban VIII. Der erste Konflikt mit der Indexkongregation endete damit, daß Galilei die Heliozentrik als Hypothese führen mußte, nicht als Tatsache. Der Kampf gegen Galilei wurde vor allem - wie bei Kopernikus - von Wittenberg aus geführt. Zum Verhängnis wurde Galilei dann die Figur des Simplicio im Dialog über die zwei Weltsysteme , in der die Zeitgenossen den bis dahin Galilei gegenüber freundlich gesonnenen Urban VIII zu erkennen meinten. Jetzt wurde die Sache ernst. Es kam zum Inquisitionsprozeß von 1633. Wie schon zuvor Kopernikus konnte aber auch Galilei das kopernikanische System nicht ausreichend beweisen. Galilei mußte abschwören und wurde zu lebenslanger Kerkerhaft verurteilt. Faktisch aber stand er auf seinem Landgut bei Florenz unter Hausarrest. Galilei konnte weiter forschen, mit anderen Wissenschaftlern korrespondieren. - Die Auseinandersetzung mit der Kirche war das eine, aber eine besondere Schwierigkeit lag im Aristotelismus der Scholastik!




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Mo 25. Jan 2021, 04:05

Die neuzeitliche Naturwissenschaft hat ihren eigenen Mythos: es ist der Mythos von Galilei. Dieser Mythos versichert, man habe im dunklen Mittelalter die Spekulationen des Aristoteles hochgeschätzt, die sich um Beobachtungen nicht kümmerten, aber Galilei habe der Wissenschaft die Bahn gebrochen, indem er die Welt so beschrieb, wie wir sie wirklich erfahren. Wie jeder Mythos drückt auch dieser ein Stückchen Wahrheit aus. Sicher hat er recht mit der hohen Schätzung Galileis, aber ich glaube, er entstellt vollkommen die Natur von Galileis wahrer Leistung. Ich wäre bereit, diese Leistung zu charakterisieren, indem ich in jedem Punkt genau das Gegenteil des Mythos ausspräche. Daher sage ich: Das späte Mittelalter war in keiner Weise das dunkle Zeitalter; es war eine Zeit hoher Kultur, von gedanklicher Energie sprühend. Jene Zeit übernahm die Philosophie des Aristoteles, weil er sich mehr als irgendein anderer der sinnlichen Wirklichkeit annahm. Aber die Hauptschwäche des Aristoteles war, daß er zu empirisch war. Deshalb brachte er es nicht zu einer mathematischen Theorie der Natur. Galilei tat seinen großen Schritt, indem er wagte, die Welt so zu beschreiben, wie wir sie nicht erfahren. Er stellte Gesetze auf, die in der Form, in der er sie aussprach,
niemals in der wirklichen Erfahrung gelten und die dadurch niemals durch irgendeine einzelne Beobachtung bestätigt werden können, die aber dafür mathematisch einfach sind. (...)

Aber warum gelang es ihm nicht, die Kirche zu überzeugen? Ich fürchte, ich muß antworten: weil er eben nicht eine klar erkennbare wissenschaftliche Wahrheit gegen mittelalterliche Rückständigkeit verteidigte. Die Dinge lagen eher umgekehrt: er konnte nicht beweisen, was er behauptete, und die Kirche seiner Zeit war nicht mehr mittelalterlich. (...)

Wir können also sogar behaupten, daß die Inquisition von Galilei nicht mehr verlangte, als das er nicht mehr sagen sollte, als er beweisen konnte. Er war der Fanatiker in dieser Auseinandersetzung.
(Carl Friedrich von Weizsäcker; Die Tragweite der Wissenschaft; S. 107)




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Mo 25. Jan 2021, 04:13

"Das späte Mittelalter war in keiner Weise das dunkle Zeitalter; es war eine Zeit hoher Kultur, von gedanklicher Energie sprühend." (Carl Friedrich von Weizsäcker; a.a.O. S. 107) - Das "finstere" Mittelalter - dieser Topos, den insbesondere das sich als Aufklärung verstehende Zeitalter liebt, weil es sich damit in seiner Helligkeit und Vernunft beglaubigen zu können wähnt, verstellt im Grunde den eigentlichen Prozeß der Genesis der Neuzeit.




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Mo 25. Jan 2021, 04:33

"Das Urteil der kirchlichen Fachleute, das der Anweisung an Galilei im ersten Prozess zugrunde lag, war sachlich einwandfrei (...) und hatte auch die rechte soziale Intention, die Intention nämlich, die Öffentlichkeit vor den Machenschaften der Wissenschaftler zu schützen. (...) Gegeben die Situation der Zeit und die damals vorliegende Evidenz, war das Urteil ja völlig angebracht." (Paul K. Feyerabend, Christian Thomas [Hg.]Wissenschaft und Tradition; S. 192)

Naja gut ... sooo weit muß man jetzt vielleicht auch nicht gehen ... :)




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Mo 25. Jan 2021, 05:21

Stefanie hat geschrieben :
So 24. Jan 2021, 20:57

Die Evolution wird meistens betrachtet, als ob sie beendet sei. Gerade was den Menschen angeht. Na ja, die Evolution ist nicht beendet, sie ist immer da. Allein die körperliche Veränderung der Menschen in den letzten Jahrhunderten...wir werden immer größer, als Beispiel. Die Evolution bei Viren erleben wir gerade live. Vieles wissen wir noch nicht. Wenn wir das alles wieder als mythisch ansehen, und dann auch so handeln, wie "früher", also mit Angst, Festhalten an dem Bestehenden um fast jeden Preis usw. Haben wir doch eigentlich nichts gelernt, oder?
"Wenn wir das alles wieder als mythisch ansehen ..." - Mir scheint, da liegt ein Mißverständnis vor, Stefanie. Der Mythos war nie weg.
Für Blumenberg ist der Mythos durch die Aufklärung nicht überholt, aber auch kein schönfärberisches Mittel zur „Wiederverzauberung“ der Welt, was verzückte Besinnlichkeitsromantiker manchmal fordern. Für die geistige Welt des Menschen ist der Mythos genauso wichtig, wie es die Institutionen für das Zurechtfinden in der sozialen Wirklichkeit sind. Der Mythos nimmt dem Menschen die existenzielle „Angst“, die Blumenberg von Kierkegaard und Heidegger geerbt hat. Er trägt zur „Lesbarkeit der Welt“ bei, die schon in Blumenbergs gleichnamigem Klassiker aus dem Jahr 1979 bis zur Entzifferung des genetischen Codes reicht. Auch dieser ist eine Form der „absoluten Metapher“, ein nicht mehr in einfachere Ausdrücke  übersetzbares sprachliches Bild, dem Blumenberg in seiner berühmten „Metaphorologie“ auf der Spur war. Mittels Metapher, so Blumenberg, hilft der Mythos dem Menschen, dem „Absolutismus der Wirklichkeit“ standzuhalten.
(aus: Hans Peter Kunisch; Arbeit am Mythos, Sammelrezension im Philosophie-Magazin)

https://www.philomag.de/buecher/arbeit-am-mythos

Weder "Festhalten am Bestehenden um jeden Preis" noch "Handeln wie 'früher'". Stattdessen beschreiben, was ist.




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Nauplios
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Mo 25. Jan 2021, 05:40

Stefanie hat geschrieben :
So 24. Jan 2021, 20:57

Kurzer Blick zum Eingangszitat.
Ich war verblüfft, das Jürgen Drews offenbar eine Zeile aus dem Vater Unser verwendet. Nun ja.
Die vorherigen Zeilen wurden bislang nicht genannt, die gehören dazu. (Auch Atheisten kennen das Vater Unser.)
Vater unser im Himmel
Geheiligt werde dein Name.
Dein Reich komme.
Dein Wille geschehe,
wie im Himmel, so auf Erden.

"Dein Wille geschehe ". In dem Moment, als ich diese Zeile realisierte, war klar, Stefanie und ein nicht existierendes überirdische Wesen, kommen nicht zueinander. In Gottesdiensten, die ich durchaus Besuche, also Hochzeiten, Taufen und Beerdigungen halte ich mich an die Regeln, seufze aber oft still vor mich hin oder verdrehe unsichtbar die Augen (vor allem bei Taufen), singe nicht mit (wäre auch eine Zumutung für alle), stehe auf, wenn es sein muss, usw. aber das Vater Unser spreche ich nie weder still noch leise mit. Gibt dann schon mal schräge Blicke. Und zwar Wegen Dein Wille geschehe.... nee nicht mit mir. Das evangelische Glaubenskenntnis sage ich natürlich auch nicht.

Himmel und Nacht, Kosmos scheint oft auch im 21. Jhd. nicht ohne Mythos und Gott auszukommen. Ich finde das immer irgendwie ausschließend und in sich geschlossenen, für "Gottlose".
Umso bemerkenswerter ist ja, daß auch die "Gottlosen" den Himmel haben und den Kosmos. Und ebenso bemerkenswert ist, daß wir den Kosmos und den Sternenhimmel auch sehen können. Für die "Evolution" ist das ja eigentlich nicht so selbstverständlich, daß sie den Menschen mit der Gabe ausstattet, mehr zu sehen als für die Bedingungen seines Lebens, das sich doch vornehmlich auf der Erde abspielt, notwendig ist. Sterne zu sehen ist evolutionsökonomisch betrachtet doch eher eine Zugabe, ein Luxus. Hätte es nicht auch gereicht, bis zur Erdkrümmung sehen zu können? - Aber Sterne? - Womöglich auch noch solche, die gar nicht mehr da sind! - Was sich die Evolution dabei wohl gedacht hat. :o




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Jörn Budesheim
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Mo 25. Jan 2021, 11:44

Stefanie hat geschrieben :
So 24. Jan 2021, 20:57
Ich weiß auch warum. Mystisch ist das nicht. Interessant, schön, oft spannend was sich am Himmel tut, aber nicht mystisch.
Ich finde schon. Mystisch ist, dass es überhaupt etwas gibt und nicht nichts und dass es uns gibt, die das fragen. Die Naturwissenschaften haben darauf keine Antwort, teilweise auch, weil sie für Sinnfragen gar nicht zuständig sind. Der Mythos versucht das zum Beispiel mit Schöpfungsgeschichten zu erklären. In säkularer Zeit haben diese aber keine Allgemeinverbindlichkeit und so bleibt die Frage stehen.




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Säkularisierung -

"Alle prägnanten Begriffe der modernen Staatslehre sind säkularisierte theologische Begriffe." So schreibt es Carl Schmitt in seiner Politischen Theologie von 1922 (S. 49) -

Was ist davon zu halten?




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Mo 25. Jan 2021, 13:41

Denkbar ist, dass es etwas Drittes gibt, was beide (unterschiedlich und verschieden präzise) beschreiben.




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Hans Peter Kunisch hat geschrieben :
Mo 25. Jan 2021, 05:21
"Wiederverzauberung“ der Welt
Aber genau das ist nötig und meines Erachtens auch möglich. Das sollte sogar das Motto der neuen Aufklärung sein!




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Stefanie
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Mo 25. Jan 2021, 22:19

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Mo 25. Jan 2021, 11:44
Stefanie hat geschrieben :
So 24. Jan 2021, 20:57
Ich weiß auch warum. Mystisch ist das nicht. Interessant, schön, oft spannend was sich am Himmel tut, aber nicht mystisch.
Ich finde schon. Mystisch ist, dass es überhaupt etwas gibt und nicht nichts und dass es uns gibt, die das fragen. Die Naturwissenschaften haben darauf keine Antwort, teilweise auch, weil sie für Sinnfragen gar nicht zuständig sind. Der Mythos versucht das zum Beispiel mit Schöpfungsgeschichten zu erklären. In säkularer Zeit haben diese aber keine Allgemeinverbindlichkeit und so bleibt die Frage stehen.
Damit werde ich nicht warm.
"dass es überhaupt etwas gibt und nicht nichts und dass es uns gibt, die das fragen." Ist für mich etwas Normales, ein Fakt. Was Positives.
Und Platt gesagt: es ist wie es ist.
Uns gibt es. Alles um uns herrum auch. Wir wissen mittlerweile viel, wie wir enstanden sind, was sich wie entwickelt hat. Es gibt noch viele Lücken, wie und wann erfolgte der Schritt zum Menschen, Urknall ja oder nein, usw.
Wir wissen nicht alles, eigentlich noch nicht viel, und das ist etwas, was wir akzeptieren und mit dem wir leben müssen.
Dass es uns gibt, reicht mir. Damit haben wir schon genug zu tun, im positiven Sinne.
Ein Löwe döst vor sich hin, nachdem er eine erlegte Antilope verspeiste, und ist zufrieden. Er stellt sich diese Fragen nicht. Wir dagegen schon, als einziges Lebewesen auf der Erde, immer wieder stellen wir die Frage, wie sich im Kreis drehen, und wollen was beantworten, was wir im Moment nicht beantworten zu können.
Ich bezweifel, dass wir es je beantworten können. Auch das empfinde ich nicht als schlimm.

Vor Jahren las ich "Vom Anfang und den letzten Dingen" von Heinz Hüsser. Ich müsste noch mal reinschauen.



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Di 26. Jan 2021, 00:47

Stefanie hat geschrieben :
Mo 25. Jan 2021, 22:19

es ist wie es ist. (...)

Uns gibt es. Alles um uns herum auch. (...)

Dass es uns gibt, reicht mir. (...)

Er [der Löwe] stellt sich diese Frage nicht. (...)

Auch das empfinde ich nicht als schlimm. (...)
Eigentlich wollte ich gerade einen milden Einspruch gegen die Losung von der Wiederverzauberung der Welt einlegen. Doch der Duktus dieser anorexia cogitandi läßt mich mutlos zurück. -




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