Mathematik-Ecke

Philosophie Chat: Hier wird geplaudert über Gott und die Welt.
Benutzeravatar
Jörn Budesheim
Beiträge: 23566
Registriert: Mi 19. Jul 2017, 09:24
Wohnort: Kassel
Kontaktdaten:

Fr 17. Feb 2023, 20:03

AufDerSonne hat geschrieben :
Fr 17. Feb 2023, 19:31
Und da sagt dann eben Jörn, dass Materie schlussendlich auch abstrakt ist, denke ich.
Ich sage nicht, dass Materie abstrakt ist. Wir können gerne sagen, dass Materie konkret ist. Ich spreche allerdings tatsächlich eher nicht von Materie, weil ich denke, dass das ein veralteter Begriff ist, sondern ich spreche lieber von raum-zeitlichen Dingen oder was auch immer passen mag. Das hat allerdings nichts mit Anfassen zu tun: Zeit kann man nicht anfassen, Raum kann man nicht anfassen, Gravitation kann man nicht anfassen, Energie kann man nicht anfassen, Magnetismus kann man nicht anfassen, Sonnenstrahlen, Urknall, ein schwarzes Loch kann man nicht anfassen und so weiter und so fort. Vieles (vermutlich das meiste) davon kann man auch nicht mit den berühmten fünf Sinnen wahrnehmen.

Zahlen hingegen sind abstrakt. Sie existieren nicht in Raum und Zeit. Genauso wenig wie es Sinn macht, die Sieben links vom Jupiter zu suchen, macht es Sinn, sie im Kopf zu suchen.

Auch wenn ich hier in diesem Beitrag nur diese beiden Bereiche erwähne, um deutlich zu machen, dass ich NICHT sage, dass Materie abstrakt ist und sage, dass Zahlen abstrakt sind, habe ich weiter oben schon deutlich gemacht, dass ich mit einer Zweiteilung (konkret/abstrakt o.ä) der Wirklichkeit nichts anfangen kann, es gibt viele andere Bereiche, viele davon werden wissenschaftlich erforscht und sind Bereiche eigenen Rechts.

Und noch eine letzte Bemerkung, ich habe es oben schon erwähnt: Der Ausdruck Existenz, wie ich ihn verstehe, besagt nur, DASS etwas existiert, nicht WAS und WIE es ist. Existenz ist, wie man in der Philosophie manchmal sagt, keine "eigentliche Eigenschaft", kein "reales Prädikat".




Benutzeravatar
Jörn Budesheim
Beiträge: 23566
Registriert: Mi 19. Jul 2017, 09:24
Wohnort: Kassel
Kontaktdaten:

Fr 17. Feb 2023, 20:39

AufDerSonne hat geschrieben :
Fr 17. Feb 2023, 18:49
Die Existenz hängt nicht davon ab, wer was wahrnimmt? Könnte man es so auch sagen?
Das würde ich auch für falsch halten. Manches existiert NUR, wenn es wahrgenommen wird, z.b ein Spiegelbild oder ein Kunstwerk. Man muss den Satz allerdings nicht besonders stark modifizieren, damit er schon eher passt: "Die Existenz hängt nicht generell davon ab, wer was wahrnimmt."




sybok
Beiträge: 374
Registriert: Mi 7. Sep 2022, 17:36

Fr 17. Feb 2023, 20:44

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Fr 17. Feb 2023, 20:03
Ich sage nicht, dass Materie abstrakt ist.
Ich bin nicht sicher, ob "abstrakt" das richtige Wort ist, aber ich glaube es liesse sich glaube ich durchaus dafür argumentieren, vielleicht halt aus einer total anderen Ecke, eine andere Art von abstrakt als bei Mathematik.
Sowohl spirituelle Führer / die Religionen als auch die moderne Physik sagt uns ja eigentlich, dass dieses Kriterium des "anfassen-können" und die Wahrnehmung der Welt auf der Ebene von "Materie" eine Art Täuschung ist (und wenn sich diese beiden Gebiete einig sind, dann muss es ja eigentlich stimmen :D ), etwa Niels Bohr: "Alles, was wir als real ansehen, besteht aus Dingen, die man nicht als real ansehen kann" (ist ein "Internetzitat", aber man findet ja relativ leicht ähnliche Aussagen). Dieses "anfassen-können"-Kriterium für "Realität" scheint mir sehr naiv, aber ich will es auch Niemandem ausreden.

Dass Mathematik nur "in unseren Köpfen" ist, würde ich ablehnen, selbst wenn man offen lassen will, ob sie entdeckt oder erfunden wurde, es ist ganz sicher komplizierter als das. "Kreis" und "Tangente" mögen meinetwegen erfunden sein, aber in der euklidischen Eben bildet die Tangente immer einen rechten Winkel mit dem Radiusvektor, ich kann das nach meiner "Erfindung" nicht mehr entscheiden, es ist dann eine Art Naturgesetzt - aber meiner Meinung nach irgendwo tiefer/reiner/klarer. 19 als Zahl mag erfunden sein, aber ich kann 19 Dinge niemals unter einer anderen Anzahl Personen aufteilen als 1 oder 19, es geht nicht dies anders "zu erfinden" ohne die Definitionen kaputt zu machen (dann ist es aber eine Trivialität und uninteressant). Usw.




Benutzeravatar
Jörn Budesheim
Beiträge: 23566
Registriert: Mi 19. Jul 2017, 09:24
Wohnort: Kassel
Kontaktdaten:

Fr 17. Feb 2023, 20:53

Ja, genau, die mittelgroßen Dinge, die uns umgeben, stehen schon lange im Verdacht, gar nicht zu existieren. Aber das wäre sicher ein anderes Thema.




Benutzeravatar
AufDerSonne
Beiträge: 1294
Registriert: Do 1. Sep 2022, 19:44

Fr 17. Feb 2023, 20:59

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Fr 17. Feb 2023, 20:03
Zahlen hingegen sind abstrakt. Sie existieren nicht in Raum und Zeit. Genauso wenig wie es Sinn macht, die Sieben links vom Jupiter zu suchen, macht es Sinn, sie im Kopf zu suchen.
Im Raum, jein, da könnte man darüber diskutieren (Was ist Raum?). Aber in der Zeit wird es schwieriger. Ich denke nicht, dass man gleichzeitig an zwei verschiedene Zahlen denken kann. Zum Beispiel an 1 und an 19.
Nicht, wenn man sich die Zahlen wirklich "vorstellt". Aber naja, das ist vielleicht spitzfindig.

Was man an unserer Diskussion merkt, ist, dass man enorm aufpassen muss, dass es nicht wieder eine Diskussion darüber gibt, was denn jetzt materiell ist und was nicht.
Offenbar möchte Burkart die Materie als absolut gegeben und unbezweifelbar annehmen. Ich kann ihm da nicht so recht widersprechen, da ich auch einen starken Glauben an die Materie a priori (vor aller Erfahrung) habe.

Es ist halt immer noch gängiges Alltagsverständnis. Real ist, was materiell ist.

Noch eine Frage in die Runde. Was haltet ihr für sicherer. Die Existenz von euch selbst (Descartes) oder die Existenz von Materie?



Ohne Gehirn kein Geist!

Burkart
Beiträge: 2802
Registriert: Sa 11. Jul 2020, 09:59

Fr 17. Feb 2023, 21:01

AufDerSonne hat geschrieben :
Fr 17. Feb 2023, 19:31
Burkart hat geschrieben :
Fr 17. Feb 2023, 19:14
Ich versuche meinen Standpunkt hier nochmal:
Für mich ist etwas real existent, wenn es in unserer (materiellen) Welt irgendwie da ist (also auch grundsätzlich erkennbar ist). (Warum sollte es existieren, wenn es gar nicht in der Welt zu sein scheint?)
Zahlen sind dagegen gerne in einer abstrakten Welt existent, aber eben nicht in der realen.
Kann ich mich damit einverstanden geben. Aber was machst du zum Beispiel, wenn dich jemand fragt, was denn Materie genau ist?
Da ich kein Physiker bin, ist das kaum eine Frage für mich. Inwiefern sollte die Frage für uns wichtig sein?



Der Mensch als Philosophierender ist Ausgangspunkt aller Philosophie.
Die Philosophie eines Menschen kann durch Andere fahrlässig missverstanden oder gezielt diskreditiert oder gar ganz ignoriert werden, u.a. um eine eigene Meinung durchsetzen zu wollen.

Benutzeravatar
AufDerSonne
Beiträge: 1294
Registriert: Do 1. Sep 2022, 19:44

Fr 17. Feb 2023, 21:03

Burkart hat geschrieben :
Fr 17. Feb 2023, 21:01
Da ich kein Physiker bin, ist das kaum eine Frage für mich. Inwiefern sollte die Frage für uns wichtig sein?
Weil du, glaube ich, einen Zusammenhang zwischen Materie und Realität herstellen möchtest.



Ohne Gehirn kein Geist!

Benutzeravatar
Jörn Budesheim
Beiträge: 23566
Registriert: Mi 19. Jul 2017, 09:24
Wohnort: Kassel
Kontaktdaten:

Fr 17. Feb 2023, 21:20

AufDerSonne hat geschrieben :
Fr 17. Feb 2023, 21:03
Weil du, glaube ich, einen Zusammenhang zwischen Materie und Realität herstellen möchtest.
Nämlich diesen: "Es lebe der Materialismus!"




Benutzeravatar
AufDerSonne
Beiträge: 1294
Registriert: Do 1. Sep 2022, 19:44

Fr 17. Feb 2023, 21:23

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Fr 17. Feb 2023, 21:20
AufDerSonne hat geschrieben :
Fr 17. Feb 2023, 21:03
Weil du, glaube ich, einen Zusammenhang zwischen Materie und Realität herstellen möchtest.
Nämlich diesen: "Es lebe der Materialismus!"
Ach was! Von der Materie ist doch die Realität meilenweit entfernt! :mrgreen:



Ohne Gehirn kein Geist!

Burkart
Beiträge: 2802
Registriert: Sa 11. Jul 2020, 09:59

Fr 17. Feb 2023, 23:01

AufDerSonne hat geschrieben :
Fr 17. Feb 2023, 21:03
Burkart hat geschrieben :
Fr 17. Feb 2023, 21:01
Da ich kein Physiker bin, ist das kaum eine Frage für mich. Inwiefern sollte die Frage für uns wichtig sein?
Weil du, glaube ich, einen Zusammenhang zwischen Materie und Realität herstellen möchtest.
Wenn ich einen Satz Schachfiguren und deren Realität im Schachspiel betrachte, interessiert mich nicht, ob die Schachfiguren aus Plastik oder Holz oder wie groß die Figuren sind ;)
Du verstehst? Ich sehe Materie als das, wie wir sie üblicherweise in unserem Leben sehen, ihr interner Aufbau ist meist unwichtig.

Wie kamen wir überhaupt auf das ganze Thema... Ach, entscheidend ist für mich eigentlich nur, dass Zahlen nicht im diese materielle Realität passen.



Der Mensch als Philosophierender ist Ausgangspunkt aller Philosophie.
Die Philosophie eines Menschen kann durch Andere fahrlässig missverstanden oder gezielt diskreditiert oder gar ganz ignoriert werden, u.a. um eine eigene Meinung durchsetzen zu wollen.

sybok
Beiträge: 374
Registriert: Mi 7. Sep 2022, 17:36

Fr 17. Feb 2023, 23:27

Burkart hat geschrieben :
Fr 17. Feb 2023, 23:01
AufDerSonne hat geschrieben :
Fr 17. Feb 2023, 21:03
Burkart hat geschrieben :
Fr 17. Feb 2023, 21:01
Da ich kein Physiker bin, ist das kaum eine Frage für mich. Inwiefern sollte die Frage für uns wichtig sein?
Weil du, glaube ich, einen Zusammenhang zwischen Materie und Realität herstellen möchtest.
Wenn ich einen Satz Schachfiguren und deren Realität im Schachspiel betrachte, interessiert mich nicht, ob die Schachfiguren aus Plastik oder Holz oder wie groß die Figuren sind ;)
Treffend ausgedrückt, und schöne Analogie. Die Figur kann sogar, wie heute wahrscheinlich sogar vorherrschend, ja nur in Form von Bits, Bytes und Lichtwellen auf dem Bildschirm dargestellt werden - damit deutet sich mMn schon ziemlich aufdringlich die abstrakte Natur an.
Der Läufer charakterisiert sich auf einer abstrakten Ebene, seine "wahre" "Existenz" würde ich eher dort sehen. So sehe ich auch die Mathematik: Die Sprache ist erfunden, sie gleicht in der Analogie der Darstellung des Läufers, seiner Existenz in der materiellen Welt - kann man so oder so machen, man könnte sogar ein hexagonales Spielfeld nehmen und ihn mittels seiner abstrakten Charakteristika ziemlich "natürlich" übertragen - die Freiheitsgrade sind gross. Aber der Läufer selbst charakterisiert sich scheinbar durch eine "tiefere" Wahrheit, dass er sich nur diagonal bewegt.
In der Mathematik ist es aber meiner Sichtweise nach in einer Hinsicht umgekehrt, was sie so interessant und cool macht: Während man bei Schach mit der Festlegung abstrakter Charakterisierung beginnt und dann eine Darstellung willkürlich wählt, untersuchen wir in der Mathematik die verschiedenen Darstellung um die abstraktere, tiefere Charakterisierung erst frei zu schürfen.




Burkart
Beiträge: 2802
Registriert: Sa 11. Jul 2020, 09:59

Fr 17. Feb 2023, 23:58

sybok hat geschrieben :
Fr 17. Feb 2023, 20:44
Dass Mathematik nur "in unseren Köpfen" ist, würde ich ablehnen, selbst wenn man offen lassen will, ob sie entdeckt oder erfunden wurde, es ist ganz sicher komplizierter als das.
Tja, kann man so sehen, vielleicht weil unsere Köpfen bzw. Denken so kompliziert ist.
"Kreis" und "Tangente" mögen meinetwegen erfunden sein, aber in der euklidischen Eben bildet die Tangente immer einen rechten Winkel mit dem Radiusvektor, ich kann das nach meiner "Erfindung" nicht mehr entscheiden, es ist dann eine Art Naturgesetz
Ist der rechte Winkel nicht einfach deduktiv zu erschließen? Wenn ja, war's das dann nicht schon?
19 als Zahl mag erfunden sein, aber ich kann 19 Dinge niemals unter einer anderen Anzahl Personen aufteilen als 1 oder 19, es geht nicht dies anders "zu erfinden" ohne die Definitionen kaputt zu machen (dann ist es aber eine Trivialität und uninteressant). Usw.
Auch hier ist die Nicht-Teilbarkeit ein deduktives Ergebnis. Dessen Ergebnis kann man natürlich so 1:1 auf echte 19 Dinge und z.B. zwei 2 Personen übertragen. Man könnte aber auch die Dinge 9 zu 8 aufteilen oder noch anders. Wenn man es aber wirklich nicht anders will, hält man sich halt 'sklavisch' 1:1 an die als normal empfundene Aufteilung im deduktiven Nicht-Teilbarkeits-Sinne.



Der Mensch als Philosophierender ist Ausgangspunkt aller Philosophie.
Die Philosophie eines Menschen kann durch Andere fahrlässig missverstanden oder gezielt diskreditiert oder gar ganz ignoriert werden, u.a. um eine eigene Meinung durchsetzen zu wollen.

sybok
Beiträge: 374
Registriert: Mi 7. Sep 2022, 17:36

Sa 18. Feb 2023, 00:17

Burkart hat geschrieben :
Fr 17. Feb 2023, 23:58
Ist der rechte Winkel nicht einfach deduktiv zu erschließen?
Burkart hat geschrieben :
Fr 17. Feb 2023, 23:58
Auch hier ist die Nicht-Teilbarkeit ein deduktives Ergebnis.
Ja genau, das spräche ja dann für Entdeckung,... "deduktiv erschliessen" und "deduktives Ergebnis" - hat das mit Erfindungen zu tun?
Vielleicht willst du darauf hinaus, dass die jeweilige Theorie erfunden sei. Dem würde ich zweifellos zustimmen, aber darauf hinweisen, dass es nicht wirklich die Mathematik gibt, kein in sich abgeschlossenes Theoriengebäude. Oder meine Sichtweise, wie ich zuvor schrieb: Die Sprache (die konkrete Theorie) ist gewissermassen "erfunden", die Inhalte verbergen womöglich aber - z.B. durch Analogien - tiefere Wahrheiten.




Burkart
Beiträge: 2802
Registriert: Sa 11. Jul 2020, 09:59

Sa 18. Feb 2023, 00:29

sybok hat geschrieben :
Fr 17. Feb 2023, 23:27
Burkart hat geschrieben :
Fr 17. Feb 2023, 23:01
AufDerSonne hat geschrieben :
Fr 17. Feb 2023, 21:03

Weil du, glaube ich, einen Zusammenhang zwischen Materie und Realität herstellen möchtest.
Wenn ich einen Satz Schachfiguren und deren Realität im Schachspiel betrachte, interessiert mich nicht, ob die Schachfiguren aus Plastik oder Holz oder wie groß die Figuren sind ;)
Treffend ausgedrückt, und schöne Analogie.
Danke :)
In der Mathematik ist es aber meiner Sichtweise nach in einer Hinsicht umgekehrt, was sie so interessant und cool macht: Während man bei Schach mit der Festlegung abstrakter Charakterisierung beginnt und dann eine Darstellung willkürlich wählt, untersuchen wir in der Mathematik die verschiedenen Darstellung um die abstraktere, tiefere Charakterisierung erst frei zu schürfen.
Wie meinst du das, vielleicht anhand von Beispiel(en)?



Der Mensch als Philosophierender ist Ausgangspunkt aller Philosophie.
Die Philosophie eines Menschen kann durch Andere fahrlässig missverstanden oder gezielt diskreditiert oder gar ganz ignoriert werden, u.a. um eine eigene Meinung durchsetzen zu wollen.

Benutzeravatar
Jörn Budesheim
Beiträge: 23566
Registriert: Mi 19. Jul 2017, 09:24
Wohnort: Kassel
Kontaktdaten:

Sa 18. Feb 2023, 08:36

sybok hat geschrieben :
Fr 17. Feb 2023, 23:27
Während man bei Schach mit der Festlegung abstrakter Charakterisierung beginnt und dann eine Darstellung willkürlich wählt, untersuchen wir in der Mathematik die verschiedenen Darstellung um die abstraktere, tiefere Charakterisierung erst frei zu schürfen.
Ist die Darstellung der Figuren wirklich willkürlich? Im Match zwischen Fischer und Spassky soll um jede Nuance gefeilscht worden sein, wenn ich mich an die Berichte, die ich darüber gelesen habe, richtig erinnere. Ich selbst spiele sehr oft online und ich lege größten Wert auf eine angenehme Darstellung. Aber das nur am Rande.

Ich habe gestern, wenn ich zwischendurch Zeit hatte, über die Gemeinsamkeiten bzw. Unterschiede zwischen Schach und Mathematik nachgedacht. Ich bin noch nicht wirklich zu einem Ergebnis gekommen, aber egal ... Man könnte hier das nächste große Fass aufmachen: Gibt es Möglichkeiten? Ich für meinen Teil würde sagen: Ja, die gibt es. Da es das Schachspiel gibt, war es möglich, und wenn es Möglichkeiten gibt, hat es das Schachspiel als Möglichkeit "schon immer" gegeben. In dem Moment, in dem Schach zum ersten Mal gespielt wurde, wurde eine existierende Möglichkeit ergriffen.

Aber wenn man nun an die Außerirdischen aus dem Video denkt und sich fragt, ob sie Schach spielen, ist die Antwort wahrscheinlich nein. Warum? Weil es einfach zu unwahrscheinlich ist? Was heißt das? Hängt es mit der "unergründlichen Effektivität der Mathematik in den Naturwissenschaften" zusammen? Die Mathematik ist für die Naturwissenschaften ein unverzichtbares Werkzeug. Das kann meines Erachtens nicht bloß ein Zufall sein und es spricht auch nicht wirklich dafür, dass die Zahlen nicht in unserer Welt passen. Ich weiß nicht, ob man mit diesem Gedanken etwas anfangen kann, vielleicht eher nicht, aber da Schach jetzt ein Thema geworden ist, dachte ich, ich versuche es mal :)

Als Antidot:

Wenn nicht mehr Zahlen und Figuren
Novalis

Wenn nicht mehr Zahlen und Figuren
Sind Schlüssel aller Kreaturen
Wenn die, so singen oder küssen,
Mehr als die Tiefgelehrten wissen,

Wenn sich die Welt ins freie Leben
Und in die Welt wird zurück begeben,
Wenn dann sich wieder Licht und Schatten
Zu echter Klarheit werden gatten,

Und man in Märchen und Gedichten
Erkennt die wahren Weltgeschichten,
Dann fliegt vor Einem geheimen Wort
Das ganze verkehrte Wesen fort.




sybok
Beiträge: 374
Registriert: Mi 7. Sep 2022, 17:36

Sa 18. Feb 2023, 09:35

Burkart hat geschrieben :
Sa 18. Feb 2023, 00:29
In der Mathematik ist es aber meiner Sichtweise nach in einer Hinsicht umgekehrt, was sie so interessant und cool macht: Während man bei Schach mit der Festlegung abstrakter Charakterisierung beginnt und dann eine Darstellung willkürlich wählt, untersuchen wir in der Mathematik die verschiedenen Darstellung um die abstraktere, tiefere Charakterisierung erst frei zu schürfen.
Wie meinst du das, vielleicht anhand von Beispiel(en)?
Ist eine vereinfachte und überspitzte Darstellung, um meinen Punkt zu illustrieren:
Wenn ich darüber nachdenke, bin ich immer wieder aufs Neue über die absolute Genialität des Descart'schen Koordinatensystems erstaunt. Ich weiss, für uns ist das absolut natürlich und kaum noch einen Gedanken wert. Aber es erlaubt erste Verknüpfungen der scheinbar grossen Strömungen der Mathematik: der Geometrie und der Algebra. Der Mathematikunterricht der Schule bildet die geschichtliche Entwicklung eigentlich gut ab: Bis zu diesem Punkt sind die bereiche getrennt: Du hast das Fach Geometrie wo du Dinge konstruierst und "Bilder" hast. Dann hast du das Fach Algebra, wo du rechnen lernst, wie die natürlichen Zahlen funktionieren, was eine negative Zahl ist usw. Wie in der Geschichte werden dann entsprechende Fragen gestellt, in der Geometrie geht es bereits um Charakterisierungen der Figuren und Flächen und in der Algebra beginnst du Gleichungen zu lösen und die Frage zu stellen, wann sie überhaupt lösbar sind, was für Typen von Gleichungen es gibt etc. Das sind völlig unabhängige Dinge, total andere Charakteristik - zeichnen und zählen - das Eine hat überhaupt rein gar nichts mit dem Anderen zu tun (es kommen Zahlen bei beiden vor, aber das tun sie auch in anderen Gebieten schon, wie der Buchhaltung oder der Physik).

Das Koordinatensystem von Descartes ist der absolute Hammer:

Plötzlich kannst du eine Gleichung, ein Objekt aus der Algebra, mit einer Kurve in der Ebene, ein Objekt aus der Geometrie, identifizieren! Antworten auf geometrische Probleme kannst du plötzlich super einfach berechnen und umgekehrt algebraische Probleme durch massiv erhöhte Anschaulichkeit viel besser verstehen. Das eine liefert Aussagen über das Andere. Ich verstehe beispielsweise nun, dass eine quadratische Gleichung dann lösbar ist, wenn ihre geometrische Repräsentation als Kurve in der Ebene bestimmte Lagekriterien erfüllt. Koeffizienten in Gleichungen erhalten eine spezifische geometrische Charakteristik.

Dieser Zusammenhang wird weiter abstrahiert durch die Geschichte und das Schulsystem.

Der wirklich abgefahrene Höhepunkt dieser Geschichte ist die Galoistheorie, durch die wir erkennen, dass den jahrtausendealten(!) klassischen Probleme der Geometrie, ja quasi der "geometrische Konstruktion" an sich, sowie DEM Interesse in der Algebra, die Frage nach der analytischen Lösung von Polynomen, diese eine gleiche Theorie zugrunde liegt!

Von der Entdeckung oder Erfindung von Algebra und Geometrie über das Koordinatensystem bis hin zur Galoistheorie: Wir beginnen zu zählen und zu zeichnen, abstrahieren davon die Zahlen und die Konstruktion, die Algebra und die Geometrie, entdecken mit dem Koordinatensystem einen weitreichenden Zusammenhang und bei der Galoistheorie sogar eine gemeinsame Theorie. Dinge zählen und Bilder zeichnen ist das Gleiche, so, wie dem hölzernen und dem digitalen Läufer die gleiche Charakteristik zugrunde liegt.




sybok
Beiträge: 374
Registriert: Mi 7. Sep 2022, 17:36

Sa 18. Feb 2023, 10:05

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Sa 18. Feb 2023, 08:36
Ist die Darstellung der Figuren wirklich willkürlich? Im Match zwischen Fischer und Spassky soll um jede Nuance gefeilscht worden sein, wenn ich mich an die Berichte, die ich darüber gelesen habe, richtig erinnere. Ich selbst spiele sehr oft online und ich lege größten Wert auf eine angenehme Darstellung. Aber das nur am Rande.
Würde mich nicht überraschen, wenn Fischer mit einem Mikroskop die Figuren auf Mikrometer genau untersucht hätte :mrgreen: .
Aber ja, das ist mir auch sehr wichtig, am Brett muss ich beispielsweise auch immer erst die Figuren richten (der Kopf des Springers darf nicht Feigheit offenbarend und Flucht anzeigend zu mir zeigen, er muss für den Kampf gerüstet nach vorne zeigen :D ), was ja auch sehr viele Spieler machen.
Ich glaube es gibt sogar eine Analogie: Schlussendlich ist die Darstellung mMn sozusagen "für die Natur" schon egal, der Läufer hat ja unabhängig von der Darstellung immer die gleiche Charakteristik, aber es gibt persönliche Präferenzen bezüglich der Ästhetik. In der Mathematik haben die Dinge auch eine spezifische Charakteristik, aber wie man diese einem Schüler beibringt, welche Erklärung er versteht, ist, meiner Erfahrung nach ganz ähnlich zur bevorzugten Darstellung der Schachfigur, von persönlichen Präferenzen abhängig, irgendwo eine Frage der Ästhetik und des Geschmacks.
Jörn Budesheim hat geschrieben :
Sa 18. Feb 2023, 08:36
Gibt es Möglichkeiten? Ich für meinen Teil würde sagen: Ja, die gibt es. Da es das Schachspiel gibt, war es möglich, und wenn es Möglichkeiten gibt, hat es das Schachspiel als Möglichkeit "schon immer" gegeben. In dem Moment, in dem Schach zum ersten Mal gespielt wurde, wurde eine existierende Möglichkeit ergriffen.

Aber wenn man nun an die Außerirdischen aus dem Video denkt und sich fragt, ob sie Schach spielen, ist die Antwort wahrscheinlich nein. Warum? Weil es einfach zu unwahrscheinlich ist? Was heißt das? Hängt es mit der "unergründlichen Effektivität der Mathematik in den Naturwissenschaften" zusammen? Die Mathematik ist für die Naturwissenschaften ein unverzichtbares Werkzeug. Das kann meines Erachtens nicht bloß ein Zufall sein und es spricht auch nicht wirklich dafür, dass die Zahlen nicht in unserer Welt passen. Ich weiß nicht, ob man mit diesem Gedanken etwas anfangen kann, vielleicht eher nicht, aber da Schach jetzt ein Thema geworden ist, dachte ich, ich versuche es mal :)
Interessanter Gedanke. Vielleicht geht die Geschichte mit den Möglichkeiten in Richtung eben dieser "tieferen Wahrheiten". Schach und Go beispielsweise scheinen eine schwer zu fassende Verwandtschaft zu besitzen. Würden wir Go nicht kennen und kämen dann Aliens und würden uns Go zeigen, könnte ich mir vorstellen, dass wir sagen würden: "Oh, das ist ja ihre Version von Schach". So in der Richtung könnte ich mir das mit Mathematik vorstellen. Ich fand es nämlich interessant, dass diese Gruppe (Lurie, Tao, Taylor, Donaldson, Kontsevich) das irgendwo trennte: "Mathematik scheint entdeckt zu werden, aber bezüglich Aliens ist vieles unserer Mathematik wohl von unserer Physiologie abhängig". Vielleicht wie bei Schach und Go, es gibt vielleicht diese, wie du sagst, Möglichkeiten, diese "Klasse" von Spielen die man auf die unterschiedlichsten Arten realisieren kann, aber es steckt trotzdem tieferes dahinter (2 Spieler, ein Brett, Figuren, Kampf, vollständige Information, ...) .




Burkart
Beiträge: 2802
Registriert: Sa 11. Jul 2020, 09:59

Sa 18. Feb 2023, 10:08

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Sa 18. Feb 2023, 08:36
sybok hat geschrieben :
Fr 17. Feb 2023, 23:27
Während man bei Schach mit der Festlegung abstrakter Charakterisierung beginnt und dann eine Darstellung willkürlich wählt, untersuchen wir in der Mathematik die verschiedenen Darstellung um die abstraktere, tiefere Charakterisierung erst frei zu schürfen.
Ist die Darstellung der Figuren wirklich willkürlich?
Na ja, die sind historisch bzw. haben sich entwickelt (wie ja auch die Schachregeln).
Im Match zwischen Fischer und Spassky soll um jede Nuance gefeilscht worden sein, wenn ich mich an die Berichte, die ich darüber gelesen habe, richtig erinnere.
Das war Psychokrieg, Machtgehabe, wer sich wie/wo am besten durchsetzt.
Ich selbst spiele sehr oft online und ich lege größten Wert auf eine angenehme Darstellung. Aber das nur am Rande.
Klar, z.T. kannst du dir online vermutlich auch das Schachfiguren-Ausssehen aussuchen... oder wenn nicht, habe ich gerade eine mögliche Neuerung für die Plattformen "entdeckt".
Beim Online-Poker ist es ein wenig so, z.B. ob mit 2 oder 4 Farbendeck (z.B. Kreuz auch schwarz wie Pik aber aber grün). Ok, ob man beim Schach nun auch gleich mit rot gegen grün spielen können will... ;)
Ich habe gestern, wenn ich zwischendurch Zeit hatte, über die Gemeinsamkeiten bzw. Unterschiede zwischen Schach und Mathematik nachgedacht. Ich bin noch nicht wirklich zu einem Ergebnis gekommen, aber egal ...
Ein wesentlicher ist, dass Schach sehr speziell ist, sehr spezielle Regeln hat, historisch gewachsen.
Nehmen wir die Umwandlungsregel (wobei dies eher als "Spielkram" bzw. eine Feinheit erscheinen mag...)
Wenn man sie annimmt als: "Wenn ein Bauer auf die letzte Reihe zieht, wandelt er sich unmiitelbar in eine beliebige Figur außer König und Bauer um", dann ist dies Matt in einem Zug:
Weiß:Ka5, Bb7, Tc7; Schwarz: Ka7, Ta8
Bild
Man könnte hier das nächste große Fass aufmachen: Gibt es Möglichkeiten? Ich für meinen Teil würde sagen: Ja, die gibt es. Da es das Schachspiel gibt, war es möglich, und wenn es Möglichkeiten gibt, hat es das Schachspiel als Möglichkeit "schon immer" gegeben. In dem Moment, in dem Schach zum ersten Mal gespielt wurde, wurde eine existierende Möglichkeit ergriffen.
Eine Frage ist dann, wie sinnvoll man eine Möglichkeit annimmt, dass sie ergriffen wird bzw. werden kann. Man ist ja (lange) im Raum der Fiktion(en).
Aber wenn man nun an die Außerirdischen aus dem Video denkt und sich fragt, ob sie Schach spielen, ist die Antwort wahrscheinlich nein. Warum? Weil es einfach zu unwahrscheinlich ist?
Weil sie höchstwahrscheinlich nicht unsere Historie (Kultur...) haben.
Was heißt das? Hängt es mit der "unergründlichen Effektivität der Mathematik in den Naturwissenschaften" zusammen? Die Mathematik ist für die Naturwissenschaften ein unverzichtbares Werkzeug. Das kann meines Erachtens nicht bloß ein Zufall sein und es spricht auch nicht wirklich dafür, dass die Zahlen nicht in unserer Welt passen.
Mathematik ist sicher kein Zufall, weil die Quantifizierung sehr wichtig in Wissenschaften u.a. ist. Und trotzdem habe ich noch nie eine Zahl über die Straße laufen sehen, sehe sie weiter als (wenn auch sehr grundlegende und damit gerne gefühlt scheinbar in unserer Welt) abstrakte Größe an.
Ich weiß nicht, ob man mit diesem Gedanken etwas anfangen kann, vielleicht eher nicht, aber da Schach jetzt ein Thema geworden ist, dachte ich, ich versuche es mal :)

Als Antidot:

Wenn nicht mehr Zahlen und Figuren
Novalis

Wenn nicht mehr Zahlen und Figuren
Sind Schlüssel aller Kreaturen
Wenn die, so singen oder küssen,
Mehr als die Tiefgelehrten wissen,

Wenn sich die Welt ins freie Leben
Und in die Welt wird zurück begeben,
Wenn dann sich wieder Licht und Schatten
Zu echter Klarheit werden gatten,

Und man in Märchen und Gedichten
Erkennt die wahren Weltgeschichten,
Dann fliegt vor Einem geheimen Wort
Das ganze verkehrte Wesen fort.
Klingt nett... sorry, nur leider kann ich persönlich damit nur bedingt was anfangen, ich bin mehr für direktere Worte.



Der Mensch als Philosophierender ist Ausgangspunkt aller Philosophie.
Die Philosophie eines Menschen kann durch Andere fahrlässig missverstanden oder gezielt diskreditiert oder gar ganz ignoriert werden, u.a. um eine eigene Meinung durchsetzen zu wollen.

Benutzeravatar
Jörn Budesheim
Beiträge: 23566
Registriert: Mi 19. Jul 2017, 09:24
Wohnort: Kassel
Kontaktdaten:

Sa 18. Feb 2023, 10:16

Burkart hat geschrieben :
Sa 18. Feb 2023, 10:08
Na ja, die sind historisch bzw. haben sich entwickelt
Und wie soll ich mir das Argument vorstellen? Wie lautet die Brückenregel, bzw. die Schlussregel?

Alle Dinge, die sich historisch entwickelt haben, sind willkürlich
Die Form der Schachfiguren hat sich historisch entwickelt
Also ist die Form der Schachfiguren willkürlich

Alle Dinge, die sich historisch entwickelt haben, sind willkürlich
Unser Wissen über die Gesetze der Natur hat sich historisch entwickelt
Also ist ist unser Wissen über die Gesetze der Natur willkürlich




Benutzeravatar
Jörn Budesheim
Beiträge: 23566
Registriert: Mi 19. Jul 2017, 09:24
Wohnort: Kassel
Kontaktdaten:

Sa 18. Feb 2023, 10:21

Burkart hat geschrieben :
Sa 18. Feb 2023, 10:08
Das war Psychokrieg, Machtgehabe, wer sich wie/wo am besten durchsetzt.
Vielleicht, meine Interpretation ist etwas anders: Ich glaube, Fischer war einfach in allem ziemlich "speziell" bzw. "prinzipiell", und leider nicht nur im Positiven. Es gibt die Anekdote, dass ihm ein Werbevertrag, ich glaube für Rasierwasser, angeboten wurde, den er ablehnte, weil er dieses Rasierwasser nicht benutzen würde.




Antworten