AufDerSonne hat geschrieben : ↑ Di 20. Sep 2022, 11:00
Die Mathematik und die Philosophie sind einfach zwei komplett verschiedene Gebiete. Ich frage mich, ob man sie überhaupt vergleichen kann.
Beide erfassen die Wirklichkeit von einer ganz anderen Seite her.
Hm, ja, heutzutage sind sie leider entkoppelt, oder scheinen es zu sein, und das offenbar sogar gewünscht. Ich sehe das trotzdem anders
:
- Zeno's Paradox gibt Anlass, sich mit dem Unendlichen, mit Folgen und mit Konvergenz zu beschäftigen.
- Das Delische Problem findet der Legende nach sein Ursprung in einem Orakelspruch - noch "schlimmer" als Philosophie: Religion! Und wie bereichernd war es für die Geometrie? Tausende Jahre ungelöste Quelle für die Neugierde.
- Die rationalen und irrationalen Zahlen stehen historisch stark in Verbindung mit den Pythagoräern und deren Harmonielehre, und die waren ja, meinem Kenntnisstand nach, mehr eine Philosophensekte denn Mathematiker, nach der Standarderzählung die ich kenne beginnt dort die Strömung deren Analyse.
- Die gesamte Logik, kommt die letztlich nicht aus der Rhetorik, einer Disziplin der antiken griechischen Philosophen?
- Die bereits Angesprochenen, Gödel und Tarski und der Wiener Kreis, kann man da Mathematik - Physik - Philosophie trennen? Die Frage nach Wahrheit beispielsweise und ob man sie immer herauskitzeln kann sind ja eigentlich ur-philosophische Themen.
Usw.
Da führt mich eine Assoziation auch zu folgendem Zitat:
Nauplios hat geschrieben : ↑ Di 20. Sep 2022, 16:49
Max Weber sagt, die Wissenschaft sei sinnlos, Heidegger schrieb: "Die Wissenschaft denkt nicht". Das ist nicht abwertend gemeint.
Ja, das ist nicht abwertend aber es sollte es mMn sein. Im Gegenteil ist man scheinbar fast stolz darauf und erhebt es zum Paradigma: "physicist are not philosophers" und "shut up and calculate", darauf treffe ich gefühlt periodisch. Das, sozusagen das Vergessen des historischen Zusammenhangs, die Philosophie zu ignorieren und damit eben nicht mehr nachzudenken, halte ich persönlich für einen Fehler. Beispielsweise darin, dass wir scheinbar langsam an einem Punkt sind, wo man sich ja tatsächlich mal fragen könnte, wofür wir das alles machen, wohin geht diese naturwissenschaftliche Reise, die ohne Philosophie sozusagen ohne Kompass unterwegs ist. Und viele Leute scheinen sich Solches ja auch zu fragen. "Brauchen wir wirklich 5G und wenn ja wofür genau?", "Warum genau ist diese undifferenzierte Massenüberwachung notwendig?", "Müssen wir also tatsächlich einen noch stärkeren Teilchenbeschleuniger bauen?", "wie weit soll die Medizin gehen, wie finden wir Zugang zur Vergänglichkeit?" oder Ähnliches. Ich höre in solchen Dingen auf irgendeiner Ebene eine Diskrepanz zwischen Wunsch nach technologischem Fortschritt und dem Wunsch, die eigene Menschlichkeit zu verwirklichen.
Und bisschen "Plauderei":
Die Dinge, Kunst und Wissenschaft, schliessen sich ja glaube ich auch nicht ganz aus, oder? Wenn ich an den Germanistikunterricht am Gymnasium denke, Aufbau von Komödie und Tragödie mit dieser 5-Akt-Struktur, die Versmasse, Jambus und Trochäus, solche Dinge scheinen ja eigentlich relativ stark formalistisch und starr. Umgekehrt, klingt vielleicht kitschig und klischeehaft, aber ich hatte tatsächlich 1,2 Erfahrungen in der Mathematik, die ich mit "literarisch" glaube ich treffender beschreiben würde als etwa mit "tief-analytisch" oder sowas.
Ich weiss nicht, ob es in einem "Trennen!"- Mindset heute noch Jemand wie Heisenberg geben kann. Anscheinend kannte er Werke von Goethe auswendig, sprach Altgriechisch und war angeblich ein exzellenter Klavierspieler. Vielleicht ist es ja kein Zufall, dass Jemandem wie ihm die Revolution mit dem Übergang von alter zu neuer Quantenmechanik gelingt. Folgendes ist vielleicht nur spannend, wenn man sich für Physik interessiert, aber hier spricht er von der modernen Teilchenphysik im Kontext des Streits zwischen Platon und Demokrit:
Werner Heisenberg zum Streit zwischen Plato und Demokrit
Körper hat geschrieben : ↑ Mi 21. Sep 2022, 20:11
Wiki allgemein zu Philosophie:
https://de.wikipedia.org/wiki/Philosoph ... definition
„Philosophie“ lässt sich nicht allgemeingültig definieren, weil jeder, der philosophiert, eine eigene Sicht der Dinge entwickelt. Daher gibt es annähernd so viele mögliche Antworten auf die oben gestellte Frage wie Philosophen.
Im TS wurde das bereits, in meinem Empfinden präziser und auf wesentlich elegantere Weise als bei diesem Wiki-Abschnitt, vorweggenommen. @Nauplios, da müsstest du fast mal überlegen, ob da ein Wiki edit angebracht wäre
Nauplios hat geschrieben : ↑ Mo 19. Sep 2022, 20:13
Ganz bewußt habe ich den Bereich "Plauderei" für dieses Thema gewählt, weil ich nicht glaube, daß sich die Frage nach dem Was der Philosophie auf eindeutige Weise beantworten läßt. Zu heterogen sind die Antworten, welche aus der Philosophie selbst heraus darauf gegeben werden. Doch weist das auf ein Dilemma voraus: die Frage, was es denn mit der Philosophie auf sich hat, ist ihrerseits eine philosophische Frage; sie zu beantworten setzt voraus, das Infrage-Stehende schon in Anspruch genommen zu haben.