Zwischen Wissenschaft und Literatur oder Was ist Philosophie?

Philosophie Chat: Hier wird geplaudert über Gott und die Welt.
1+1=3
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Do 22. Sep 2022, 20:10

Ich behelfe mir in solchen Fällen immer mit dem Begriff "Eigengesetzlichkeiten", wenn "Spezialfälle oder -bereiche" wie z.B. Kunst oder Ethik ins Spiel kommen. Dann bleiben diese kompatibel mit den "herkömmlichen Naturgesetzlichkeiten", ja stellen im Grunde deren "Sonderfälle" dar. Dennoch "gehen sie nicht (vollständig) in diesen auf", bewahren also eine gewisse (irreduzible) Eigenständigkeit gegenüber besagten allgemeineren "Naturgesetzen"...




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AufDerSonne
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Do 22. Sep 2022, 20:13

1+1=3 hat geschrieben :
Do 22. Sep 2022, 20:10
Ich behelfe mir in solchen Fällen immer mit dem Begriff "Eigengesetzlichkeiten", wenn "Spezialfälle oder -bereiche" wie z.B. Kunst oder Ethik ins Spiel kommen. Dann bleiben diese kompatibel mit den "herkömmlichen Naturgesetzlichkeiten", ja stellen im Grunde deren "Sonderfälle" dar. Dennoch "gehen sie nicht (vollständig) in diesen auf", bewahren also eine gewisse (irreduzible) Eigenständigkeit gegenüber besagten allgemeineren "Naturgesetzen"...
Und ich helfe mir momentan mit dem Gedanken, dass zwischen der Wissenschaft und dem Leben einfach ein Bruch ist. Das Leben lässt sich in Gottes Namen nicht vorausberechnen. :D



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Jörn Budesheim
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Do 22. Sep 2022, 20:25

Sollte man zwischen den Naturwissenschaften und dem Leben einen Bruch vermuten? Wie erklärt man sich dann die extremen Fortschritte zum Beispiel in der Medizin?




ahasver
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Do 22. Sep 2022, 20:32

Nauplios hat geschrieben :
Mi 21. Sep 2022, 19:39
ahasver hat geschrieben :
Mi 21. Sep 2022, 13:37

Das Erleben ist unvermittelt, nicht kausal verursacht, überhaupt nicht verursacht, einfach da. Es wird nicht von obiger Kausalkette verursacht. Der Nachweis dieser Kausalkette muss aber physikalisch möglich sein. Ist er dies nicht, gibts auch keine Musik.
Wenn ich das richtig verstehe, Ahasver, dann siehst Du ein Problem zwischen der physikalischen Ermöglichung von Erleben einerseits und der operativen Geschlossenheit dieses Erlebens andererseits. Erlebnisse sind auf der einen Seite Erlebnisse eines Bewußtseins, auf der anderen Seite werden jene Erlebnisse erst überhaupt möglich, wenn das Bewußtsein irritierbar ist von etwas, das seinerseits nicht im Bewußtsein ist. Ist das die Fragestellung?
Ich will hier nicht in die Fußstapfen Varelas und Maturanas treten. Beide halten Bewußtsein für ein Produkt des Operierens von Nervensystemen. Genau dem widerspreche ich.



"Ich kann mich auch irren und nichts ist so sicher, als dass alles auch ganz anders ist."

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Jörn Budesheim
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Do 22. Sep 2022, 20:38

AufDerSonne hat geschrieben :
Do 22. Sep 2022, 20:01
Man muss gar nicht die Kunst bemühen.

Das verstehe ich nicht.




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AufDerSonne
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Do 22. Sep 2022, 20:45

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Do 22. Sep 2022, 20:38
AufDerSonne hat geschrieben :
Do 22. Sep 2022, 20:01
Man muss gar nicht die Kunst bemühen.

Das verstehe ich nicht.
Ich meine, dass die Naturwissenschaft die Kunst nicht erklären kann. Sie kann ja nicht einmal die Moral erklären.



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Jörn Budesheim
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Do 22. Sep 2022, 20:52

Hmmm, verstehe ich noch weniger.




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Do 22. Sep 2022, 20:53

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Do 22. Sep 2022, 20:52
Hmmm, verstehe ich noch weniger.
:lol:

Du hast doch gesagt, dass man einmal draufkommen können würde, dass man die Kunst nicht wissenschaftlich erklären kann. Ich meine, dass das schon jetzt klar ist.
Oder habe ich da etwas falsch verstanden?



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Do 22. Sep 2022, 20:57

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Do 22. Sep 2022, 19:51

Warum sollten wir auf naturwissenschaftlicher Basis nicht zu dem Wissen kommen, dass Kunst (um ein Beispiel zu geben) mit den Mitteln der Naturwissenschaft nicht zu erforschen ist, weil die Naturwissenschaft allein dafür nicht die richtigen Such-Raster hat?



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Jörn Budesheim
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Do 22. Sep 2022, 20:58

Ja, das hast du wohl.




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Do 22. Sep 2022, 20:59

Wie ist denn das Zitat oben gemeint?



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Jörn Budesheim
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Do 22. Sep 2022, 21:46

Nicht so wie das: "Du hast doch gesagt, dass man einmal draufkommen können würde, dass man die Kunst nicht wissenschaftlich erklären kann. Ich meine, dass das schon jetzt klar ist." (auf der Sonne)




Körper
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Do 22. Sep 2022, 21:58

Nauplios hat geschrieben :
Do 22. Sep 2022, 14:40
Die Philosophische Hermeneutik sieht das - stark verkürzt - so: Autorität hat das, was Wirkungsgeschichte hat. Die Wirkung eines philosophischen Gedankens bemißt sich - wieder stark verkürzt - daran, wie intensiv er in den Büchern der Philosophen, in ihrer Kommunikation ... vorkommt. Aus dem Anwachsen dieses Vorkommens, dieser Wirkungsgeschichte, speist sich die Autorität des Denkens und des Denkers. - (Wie gesagt: sehr grob und sehr unvollständig dargestellt.)

"Diese Leute" (Platon, Aristoteles, Augustinus, Theomas v. Aquin, Descartes, Kant ....) legen in der Tat große Schneisen in das philosophische Denken. Nun darf man sich das aber auch nicht wie eine gläubige Gemeinde vorstellen. Alles, was Philosophen schreiben, wird auch bestritten - in erster Linie von Philosophen. Es kann hier eben nichts endgültig bewiesen werden. Philosophie sei "der Inbegriff von unbeweisbaren und unwiderlegbaren Behauptungen", schreibt Blumenberg.
Wenn das alles so ist, wie du sagst, dann scheint mir da ein grundlegender Anspruch im Hintergrund mitzuschwingen.

Wenn trotz der unaufgelösten Variationen, der unaufgelösten Widersprüche immer noch an dem Konzept der "grossen Denker" und dem Konzept der "Bestätigung durch Verbreitung" festgehalten wird, dann muss es da etwas geben, an dem sich all die Teilnehmer "festhalten" wollen.
Nauplios hat geschrieben :
Do 22. Sep 2022, 14:40
Unter anderem liegt dieser Bezug auf Autoritäten auch daran, daß Philosophie Denk- und Lebensform ist.
Ist das die Schildkröte, auf der die vier Elefanten die philosophische Welt tragen - der Anspruch, dass das Denken über allem steht?

Wie war das mit der Begründung "weil ich es denken kann"?
Reicht das in der heutigen Philosophie auch noch aus?
Nauplios hat geschrieben :
Do 22. Sep 2022, 18:32
Wenn man sich für einen Moment vorstellt, die Naturwissenschaften hätten eines fernen Tages - in hundert, fünfhundert, tausend Jahren - die biologischen, neurologischen und alle Fragen, die man aus der Sicht dieser Wissenschaften an den Menschen stellen kann - beantwortet, alles, was wir heute "Hörerlebnis" nennen, aber auch jedes andere Erleben wäre wissenschaftlich erklärt, vom Hörerlebnis bis zum Liebeserlebnis ... kurzum: für alles, was den Menschen und die Welt, in der er lebt, betrifft, gäbe es eine wissenschaftliche Erklärung:

Würden die Dichter dann aufhören zu dichten, die Komponisten aufhören zu komponieren, die Maler aufhören zu malen, die Philosophen aufhören zu philosophieren, die geisteswissenschaftlichen Fächer nicht mehr bestehen, die Museen und Konzertsäle geschlossen sein, die Kirchen verwaisen, die Lichtspielhäuser (was für ein Name) verfallen?

Es wäre eine Welt der totalen Erkenntnis, keine Fragen blieben mehr übrig, Schönheit etwas, was die Kinder nicht verstehen würden, der Tod nur noch ein der Trauer nicht bedürftiges Aufhören, der Sternenhimmel ohne Faszination, die Liebe eine App ... ;)
Ich bin da tiefenentspannt, denn die Antworten in Bezug auf die "Mental"-Rätsel des Menschen sehe ich nach dem Motto "der Laie staunt und der Fachmann wundert sich" und nicht weil es so sensationell ist, sondern weil es so unspektakulär ist.
Philosophen und deren Sympathisanten erwarten mindestens eine "neue Physik", aber die werden eine Niete ziehen.

Wir haben ja das Musik-Beispiel schon angesprochen und ich habe dir darauf geantwortet.
Lies es vielleicht nochmal nach, ich schrieb, dass du nichts von deinem gewohnten Weltzugang aufgeben musst.
Da läuft nichts auf "Illusion" oder auf "so, jetzt können wir damit aufhören" hinaus.
Nauplios hat geschrieben :
Do 22. Sep 2022, 19:09
Daß die Menschen sich als von Gott in eine Schöpfung eingesetzt verstanden, ist allerdings auch eine Tatsache.
Oje, das riecht nach Gott-Religionspropaganda.
Ist so ein Zeugs in Philosophie verankert?
Kommt daher die philosophische Überheblichkeit in Bezug auf das Denken?




Nauplios
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sybok hat geschrieben :
Mi 21. Sep 2022, 21:24


Da führt mich eine Assoziation auch zu folgendem Zitat:
Nauplios hat geschrieben :
Di 20. Sep 2022, 16:49

Max Weber sagt, die Wissenschaft sei sinnlos, Heidegger schrieb: "Die Wissenschaft denkt nicht". Das ist nicht abwertend gemeint.
Ja, das ist nicht abwertend aber es sollte es mMn sein. Im Gegenteil ist man scheinbar fast stolz darauf und erhebt es zum Paradigma: "physicist are not philosophers" und "shut up and calculate", darauf treffe ich gefühlt periodisch. Das, sozusagen das Vergessen des historischen Zusammenhangs, die Philosophie zu ignorieren und damit eben nicht mehr nachzudenken, halte ich persönlich für einen Fehler. Beispielsweise darin, dass wir scheinbar langsam an einem Punkt sind, wo man sich ja tatsächlich mal fragen könnte, wofür wir das alles machen, wohin geht diese naturwissenschaftliche Reise, die ohne Philosophie sozusagen ohne Kompass unterwegs ist.
Das Reiseziel der Naturwissenschaften läßt sich vielleicht grob erahnen, wenn man an den Reisebeginn und die Umstände dieses Aufbruchs zurückgeht, sich seinerseits auf eine Reise in die frühe Neuzeit macht. Schon drei Jahrhunderte v. Chr. gab es das (vielleicht besser ein) heliozentrische Weltbild, vertreten von Aristarch von Samos, etabliert hat es sich dann erst mehr als ein Jahrtausend später mit Kopernikus, Galilei, dann Newton usw. -

"Bis in die Neuzeit hinein hatte der Himmelsbetrachter sich in unmittelbaren Bezug zur Totalität des Universums setzen zu können geglaubt, wie sie dem antiken und mittelalterlichen Naturverständnis fraglos gewesen war. Der kopernikanische Bruch leitete eine Weltpolitik ein, die nicht nur die Faktizität der menschlichen Perspektive bedeutete, sondern in ihrer Konsequenz auf die absolute und unaufholbare Partialität der Erfahrung hinauslief." (Hans Blumenberg; Die Genesis der kopernikanischen Welt; S. 77)

Die Entstehung der Neuzeit geht einher mit einer Rehabilitation der im Mittelalter diskreditierten theoretischen Neugierde; die spätmittelalterliche Situation hat den Menschen geradewegs gezwungen, sich gegenüber einer Wirklichkeit zu behaupten, die vom theologischen Ordnungsschwung geprägt war. Gegen die sogenannte Säkularisierungsthese Carl Schmitts, wonach alle prägnanten Begriffe der modernen Staatslehre säkularisierte theologische Begriffe seien (vgl. Politische Theologie) führt Blumenberg in aufwändigen historischen Untersuchungen die "Legitimität der Neuzeit" an. Die Entstehung der modernen Naturwissenschaften (und darin besteht die Legitimität ihrer "Neugierde" und ihres Erkenntnisstrebens) in der Neuzeit war möglich und wurde jetzt auch nötig, weil unter den Bedingungen des spätmittelalterlichen Willkürgotts die Selbstbehauptung des Menschen all das ermöglichte und ernötigte, was zur Zeit des Aristarch von Samos noch nicht zwingend war.

Wohin die Reise der Naturwissenschaften gehen wird, ist ungewiss; doch der Blick in die besonderen Umstände ihrer Entstehung kann bei der "Bewertung" dieser Wissenschaften helfen. Das sind jetzt natürlich nur ganz grobe Andeutungen; um hier weiterzukommen, müßte man sich in die Tiefen solcher Studien vorarbeiten.




Nauplios
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Fr 23. Sep 2022, 18:36

Um es noch mal etwas anders zu sagen: die Skepsis gegenüber einer sich verselbständigen und den Kontakt zum Menschen, zur Lebenswelt, zur Wirklichkeit, zur Gesellschaft ... verlierenden Wissenschaft, die unter dem Titel "Wissenschaftsgläubigkeit" authentischere Quellen des Wissens in Stellung bringt u.ä. teile ich nur in sehr geringem Maße. ;)

Ich denke zwar schon, daß Philosophie nicht in Wissenschaft aufgeht, daß man sie nicht unter den Druck szientifischer Erkenntnis-, Methoden- und Wahrheitsansprüche setzen sollte, daß auch sie eine "Legitimität" hat, aber schon allein als ausdifferenziertes System der Gesellschaft ist die Funktion der Wissenschaft für die moderne Gesellschaft unverzichtbar.




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Timberlake hat geschrieben :
Mi 21. Sep 2022, 22:13

Alle Gegenstände der "Welt" sind deshalb für Heidegger nur vorhanden . Vorhandenes , dass erst im Vollzug des menschlichen Lebens im Menschen selbst zur Existenz gerät. Deshalb ist für Heidegger der Mensch weit mehr als nur Vorhandenes. In dem auch in einer Katze selbst oder in einem Baum selbst eine solche Verwandlung von Vorhandenes in Existierendes stattfindet , so würde ich sogar sagen, dass selbst Gegenstände wie eine Katze oder ein Baum mehr als nur Vorhandenes ist. Konsequent wäre eine solche Auffassungs allerdings erst dann , wenn man sie denn auch auf etwas anwendet , was nicht lebt , wie eben den besagten Stein.
Das ist ein guter Hinweis, der den Unterschied zwischen Philosophie und Wissenschaft aufhellen kann. Hat die Philosophie ihre "Gegenstände" auf jene Art wie die Wissenschaften ihre Gegenstände hat, als in der Welt vorkommende, als vorhandene? - Gegen-stand - das impliziert ja immer schon ein Gegen-über Stehendes, ein Objekt, welches sich einer erkennden Subjektivität im Modus eines "Gegen" erweist. In dem Vorhandenen steckt zudem die "Hand", d.h. eine Verfügbarkeit. Der Mensch als Vorhandenes wäre für Heidegger ein Selbstmißverständnis. Der Mensch ist nicht vorhanden wie es Schuhe, Kühlschränke oder Brillen sind; seine Seinsart ist die des Daseins, was Heidegger ontologisch auszeichnet ...

Das Labyrinth der Heidegger' schen Fundamentalontologie verlangt einen zuverlässigen Ariadnefaden, um nach erfolgter Kartographie dieses Seinsdenkens auch wieder herauszufinden. ;) Ich persönlich denke, daß es am besten in niedriger Dosierung seine Wirkung tut, weil es andernfalls berauscht, darin dem Denken Nietzsches nicht ganz unähnlich.




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AufDerSonne hat geschrieben :
Do 22. Sep 2022, 15:56

Was mich aber dünkt. Es gibt Philosophen, die eine starke Ausstrahlung auf die Menschen hatten. Etwa Sokrates. Ich denke, bei Sokrates war es nicht nur seine Philosophie (des Fragens), sondern auch die Art, wie er philosophierte, die ihn populär gemacht hat. Oder meint ihr das Charisma spielt bei einem Philosophen keine Rolle?
Wäre Sokrates nur populär gewesen, hätte man ihn kaum angeklagt. Das Charisma spielt natürlich durchaus eine Rolle. Philosophen zu hören, ist schließlich auch ein Erlebnis. Ob das heute, im Zeitalter der Verfügbarkeit noch so ist und ob es noch lange so bleiben wird, sei dahingestellt.




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Körper hat geschrieben :
Do 22. Sep 2022, 09:55

Deine eigene Erwartungshaltung siehst du nicht als Fehlerquelle an, die durch das, was unkompliziert vorliegt, korrigiert werden muss.
Du unterwirfst deine Ansichten nicht den Umständen.
Das ist Philosophie.
Zur Geschichte der Philosophie gehört schon sehr früh der Spott über die Philosophie. Ein Zeugnis dafür ist die berühmte Thales-Anekdote:

"Es wird erzählt, […] dass Thales, als er astronomische Beobachtungen anstellte und dabei nach oben blickte, in einen Brunnen gefallen sei und dass eine witzige, reizende thrakische Magd ihn verspottet habe: Er strenge sich an, die Dinge im Himmel zu erkennen, von dem aber, was ihm vor Augen und vor den Füßen liege, habe er keine Ahnung." (Platon; Theaitetos; 174a)

Die thrakische Magd - das war noch vor den Gender Studies. ;)




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Fr 23. Sep 2022, 19:55

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Do 22. Sep 2022, 19:51
Nauplios hat geschrieben :
Do 22. Sep 2022, 18:32
Wenn man sich für einen Moment vorstellt, die Naturwissenschaften hätten eines fernen Tages - in hundert, fünfhundert, tausend Jahren - die biologischen, neurologischen und alle Fragen, die man aus der Sicht dieser Wissenschaften an den Menschen stellen kann - beantwortet, alles, was wir heute "Hörerlebnis" nennen, aber auch jedes andere Erleben wäre wissenschaftlich erklärt, vom Hörerlebnis bis zum Liebeserlebnis ... kurzum: für alles, was den Menschen und die Welt, in der er lebt, betrifft, gäbe es eine wissenschaftliche Erklärung:

Würden die Dichter dann aufhören zu dichten, die Komponisten aufhören zu komponieren, die Maler aufhören zu malen, die Philosophen aufhören zu philosophieren, die geisteswissenschaftlichen Fächer nicht mehr bestehen, die Museen und Konzertsäle geschlossen sein ...
Wie hier die Antwort ausfällt, hängt doch auch davon ab, was man sich ausmalt an naturwissenschaftlicher Kenntnis für die Zukunft. Wenn man der alten, sehr alten philosophischen Idee anhängt, dass es nichts gibt als Atome und Leere, wird man wahrscheinlich schwarz sehen.

Aber was, wenn die Naturwissenschaften im Verbund mit den vielen anderen Wissenschaften herausbekommen, dass viel mehr in unseren Wirklichkeiten sich genauso verhält, wie es uns lebensweltlich scheint? Warum sollten wir auf naturwissenschaftlicher Basis nicht zu dem Wissen kommen, dass Kunst (um ein Beispiel zu geben) mit den Mitteln der Naturwissenschaft nicht zu erforschen ist, weil die Naturwissenschaft allein dafür nicht die richtigen Such-Raster hat?
... es sei denn, daß die Kunst (wie alle Kultur) eines Tages durch die Naturwissenschaften "atomisiert" würde und auf "Natur" (biochemische Vorgänge oder was auch immer) zurückgeführt würde. - Davon gehe ich nicht aus. Daß die Naturwissenschaften und die Kunst in einem Verhältnis der Kooperation stehen, kann ich mir durchaus vorstellen. Vermutlich gibt es Projekte dieser Art längst, aber da bin ich nicht auf dem Laufenden.




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Jörn Budesheim
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Fr 23. Sep 2022, 20:05

Mein Punkt ist ein anderer :) warum soll man davon ausgehen, dass die Fortschritte in den Naturwissenschaften die Kunst (z.b) fragwürdig machen sollten? Genauso gut möglich wäre es, dass die Fortschritte in den Naturwissenschaften, die Dinge unseres Lebens, wie die Kunst, aber auch vieles andere in ihrer Existenz festigen. Warum sollte es nicht denkbar sein, dass auch die Naturwissenschaften herausbringen, dass sich dabei einfach um Bereiche eigenen Rechts und eigener Ordnung handelt.

Es ist zwar ein ganz alter philosophischer (!) Topos, der oft durch naturwissenschaftliche Fortschritte bestätigt wird, dass die Dinge oft nicht so sind, wie sie scheinen. Aber es gibt keinen Grund anzunehmen, dass das ein metaphysisches Gesetz ist. Warum sollte es nicht auch in die entgegengesetzte Richtung laufen?

Der (natur-)wissenschaftliche Fortschritt könnte doch zeigen, dass Musik genauso real ist, wie irgendetwas. Damit wäre dann nicht zugleich gesagt, dass die Naturwissenschaft mit ihren Mitteln, die Musik erforschen könnte.




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