Zwischen Wissenschaft und Literatur oder Was ist Philosophie?

Philosophie Chat: Hier wird geplaudert über Gott und die Welt.
Timberlake
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Di 27. Sep 2022, 00:56

Nauplios hat geschrieben :
Di 27. Sep 2022, 00:32


Wolltest Du in jedem Moment Dich vergewissern, ob ein bestimmtes Objekt noch da ist, ob es noch funktioniert ..., dann wärst Du gar nicht mehr lebensfähig. Du gehst nicht über eine Treppe in der Erwartung, daß sie im nächsten Moment zusammenbricht. Du greifst nicht zum Telefon mit der bangen Erwartung, es würde bei Berührung explodieren. Du fährst nicht mit dem Fahrrad durch eine Gasse mit der Befürchtung, die Gasse würde sich im nächsten Moment in eine Wand verwandeln, gegen die Du fährst und stürzt.

Der erkenntnistheoretisch (epistemologisch) orientierte Philosoph wird jetzt überlegen, wie kommen Gegenstände, Tatsachen, Sachverhalte ... in den Kopf? Was gehört alles zur Wirklichkeit? - Wie können wir sie erkenntnistheoretisch erfassen? Wie können wir Wissen von der Wirklichkeit haben? Wie ist unbezweifelbares Wissen vom Schreibtisch möglich? Oder könnte der Schreibtisch auch eine Illusion sein?

Ich ergänze ...

  • Unbegrifflichkeit (3)
    „Wo Verstehen sich nicht einstellt, genügt allemal das Vergnügen. Dieses muß jenes nicht ausschließen, kann es im Hintergrund sogar bereithalten … “
    Hans Blumenberg ..Höhlenausgänge; S. 23


"Weil ihm das allemal genügt" .. wird der erkenntnistheoretisch (epistemologisch) orientierte Philosoph jetzt .. "mit Vergnügen" .. überlegen ...

Gehe ich doch einmal davon aus , dass sich insbesondere bei diesen Fragen wohl kaum ein Verstehen einstellen wird.
Nauplios hat geschrieben :
Di 27. Sep 2022, 00:32
Blumenberg ist an dieser epistemologischen Fragestellung gar nicht so recht interessiert. Ihn interessiert der pragmatische Zusammenhang, in dem der Schreibtisch auftaucht.
Wenn denn mit einem "pragmatische Zusammenhang" gemeint sein sollte , dass eine Treppe "pragmatisch" genau das macht , was sie soll und zwar als solches zu funktionieren und eben nicht im nächsten Moment zusammen zu brechen, so kann ich Blumenberrg nur beipflichten.
Zuletzt geändert von Timberlake am Di 27. Sep 2022, 01:17, insgesamt 1-mal geändert.




Nauplios
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"... allseitig erkennen ..." (Markus Gabriel)

Wenn ich es richtig sehe, Timberlake, dann ist der Neue Realismus von Markus Gabriel vor allem ja ein erkenntnistheoretischer Realismus, der eingebettet ist in eine Diskussion darüber, wie wir Gegenstände (immer im allgemeinsten Sinne) erkennen, ob wir das Ding an sich erkennen oder ob wir es nur als Konstruktion (etwa durch transzendental-logische Kategorien oder Einfärbungen und Verfremdungen durch unsere Sinne, unser Gehirn, unsere Kultur, unsere Epoche ...) haben. Deswegen ist es auch weniger der Idealismus, an dem sich der Neue Realismus abarbeitet und an dem er seine Konturen schärft, als viel mehr der Konstruktivismus. Auch der Konstruktivismus in seinen unterschiedlichen Varianten ist von Haus aus ein erkenntnistheoretisches Unternehmen (s. Kants "kopernikanische Wende")

Bei Blumenberg liegen die Dinge anders. - "Wirklich ist, was nicht unwirklich ist", schreibt er. Das darf man nicht als Definition mißverstehen. Gemeint ist das ex negativo, was ich vorhin angesprochen hatte, welches das Wirkliche charakterisiert. Blumenberg geht es letztlich um ein anthropologisches Programm. Dieses "umständlich, verzögert, selektiv und vor allem metaphorisch" macht das deutlich. Die Wirklichkeit ist das Unverfügbare. Das hat schon einen leicht existentialistischen Sound; vor allem, wenn vom "Absolutismus der Wirklichkeit" die Rede ist, von den Bedingungen der Existenz, die der Mensch nicht in der Hand hat usw. In der eisigen Welt eines "Absolutismus der Wirklichkeit" errichtet der Mensch die Wärmestuben der Kultur und Institutionen und hält die Wirklichkeit auf Distanz ... Ich finde, daß hat doch eine ziemlich andere Intention als die Ab- und Aufklärung der puren Erkenntnis-Situation.

(Im Novemer erscheint die Habilitationsschrift Blumenbergs: Die ontologische Distanz)




Nauplios
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Im Thread "Die Welt im Kopf" hattest Du gestern etwas gepostet über das Schreiben, AufDerSonne; ob es ohne Antwort sinnvoll sei usw.

Ich denke, der Akt des Schreibens ist auch eine Form der Schaffung von Distanz. Schreiben ist eine Weise des Sich-in-ein-Verhältnis-zur-Welt-Setzens (sowie es auch ein Therapeutikum für die Seele sein kann, das wäre noch mal ein spezieller Aspekt).

Ein Literaturwissenschaftler, der diesbezüglich viel zusammengetragen hat, ist Roland Barthes. Die Interessenlage des Forums ist auf so etwas nicht eingestellt; meistens verläuft so etwas unterhalb der Schwelle der Aufmerksamkeit. ;) Das ist schade, wären doch dort (nicht nur bei Barthes) einige Schätze zu heben.




Timberlake
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Di 27. Sep 2022, 01:58

Nauplios hat geschrieben :
Di 27. Sep 2022, 01:14
"... allseitig erkennen ..." (Markus Gabriel)

Wenn ich es richtig sehe, Timberlake, dann ist der Neue Realismus von Markus Gabriel vor allem ja ein erkenntnistheoretischer Realismus, der eingebettet ist in eine Diskussion darüber, wie wir Gegenstände (immer im allgemeinsten Sinne) erkennen, ob wir das Ding an sich erkennen oder ob wir es nur als Konstruktion (etwa durch transzendental-logische Kategorien oder Einfärbungen und Verfremdungen durch unsere Sinne, unser Gehirn, unsere Kultur, unsere Epoche ...) haben. Deswegen ist es auch weniger der Idealismus, an dem sich der Neue Realismus abarbeitet und an dem er seine Konturen schärft, als viel mehr der Konstruktivismus. Auch der Konstruktivismus in seinen unterschiedlichen Varianten ist von Haus aus ein erkenntnistheoretisches Unternehmen (s. Kants "kopernikanische Wende")

Bei Blumenberg liegen die Dinge anders. - "Wirklich ist, was nicht unwirklich ist", schreibt er. Das darf man nicht als Definition mißverstehen.
Um auf das Thema dieses Threads zurück zu kommen, wenn es denn bezüglich der Philosophie um Wirklichkeit geht, so würde ich sie in dem Maße als unwirklich bezeichnen, wie sie sich von der Wissenschaft entfernt und der Literatur annähert.
  • "Warum es die Welt nicht gibt – dafür aber Einhörner
    Das Leben findet, durch die zeitliche und räumliche, sowie perspektivische Begrenzung nur in Fragmentierungen statt, etwas Ganzes gibt es also nicht, weil es keine Totalität gibt. Folglich existiert für jeden Menschen seine individuelle Wirklichkeit, eben so, wie er persönlich sie entsprechend der Zeit, dem Ort und all dem persönlichen Material, das er mitbringt – das, was Gabriel das Unabdingbare nennt, also jenes im Menschen, was man nicht zu einem Ding machen kann; die Seele wenn man so will – erlebt. Somit existiert auch das Einhorn, von dem du letzte Nacht vielleicht geträumt hast; das meint zumindest Gabriel. Denn, hast du letzte Nacht von einem Einhorn geträumt, so ist dieser Traum für dich eine Wirklichkeit, es gab ihn ja, also gab es auch das Einhorn – jedenfalls in der Wirklichkeit deines Traumes"

.. und wenn in der Literatur ein Einhorn erwähnt wird , dann ist dieses Einhorn genau so unwirklich , wie das es einem Traum erscheint.
  • "Warum es die Welt nicht gibt – dafür aber Einhörner
    Markus Gabriel kam zur Philosophie, als er auf dem Weg zur Grundschule einen Tropfen Wasser ins Auge bekam und es die Laterne vor ihm plötzlich doppelt gab. So fragte er sich, was wäre, wenn er von nun an für immer einen Tropfen Wasser im Auge hätte und deshalb alles immer doppelt sähe. Woher wüsste er dann, ob es diese Laterne nicht vielleicht wirklich zweimal gibt? Warum privilegieren wir eigentlich eine bestimmte Abbildung und erklären diese zur Wirklichkeit? Diese Episode beschreibt der Philosoph als sein „philosophisches Urerlebnis“.
Gut möglich , dass Markus Gabriel von diesem "philosophisches Urerlebnis“ seiner Zeit so "traumatisiert" wurde , dass er instinktiv nach einem "Konstrukt" gesucht hat , dass es ihm ermöglicht, dennoch von zwei "wirklichen" Laternen aus zu gehen. So wäre die eine Laterne wirklich .. im dem Sinne! .. , das sie wirklich gesehen wurde und die andere Laterne wäre wirklich .. im Sinne! .. einer optischen Täuschung. Ein "Konstruktivismus" , den ich aus naheliegenden Gründen , semantisch für hochprolematisch halte .. gelinde gesagt . So kam Markus Gabriel vermutlich auf den Begriff "Sinn! ..feldontologie"
Nauplios hat geschrieben :
Di 27. Sep 2022, 00:32


Diese Video bringt übrigens sehr schön auf den Punkt , was man unter dem Einfluß einer solchen Sinnfeldontologie über kurz oder lang "erleidet" ;)




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Di 27. Sep 2022, 06:10

Nauplios hat geschrieben :
Di 27. Sep 2022, 00:32


Der erkenntnistheoretisch (epistemologisch) orientierte Philosoph wird jetzt überlegen, wie kommen Gegenstände, Tatsachen, Sachverhalte ... in den Kopf? Was gehört alles zur Wirklichkeit? - Wie können wir sie erkenntnistheoretisch erfassen? Wie können wir Wissen von der Wirklichkeit haben? Wie ist unbezweifelbares Wissen vom Schreibtisch möglich? Oder könnte der Schreibtisch auch eine Illusion sein?

Blumenberg ist an dieser epistemologischen Fragestellung gar nicht so recht interessiert. Ihn interessiert der pragmatische Zusammenhang, in dem der Schreibtisch auftaucht. "Wirklich" ist kein Prädikat, daß Du im Regelfall von einer Sache aussagst. Eher schon "schön", aber daß der schöne Schreibtisch "wirklich" ist, würdest Du ja nicht hinzufügen, wenn Du ihn beschreiben müßtest. Würde bei Dir eingebrochen und der Schreibtisch würde gestohlen, dann würdest Du bei der Berner Kantonspolizei sagen: "Er ist braun, hat mosaikartige Intarsien, drei eingearbeitete Flächen aus Leder, wiegt 30 kg und hat unten an der rechten Seite eine kleine Macke." Aber Du würdest nicht hinzufügen: "Und außerdem ist er auch wirklich."
Schön, hast du so ausführlich geantwortet (@Nauplios).
Zuerst einmal. Bei der Geschichte meines Schreibtischs liegst du ziemlich falsch. :) Er ist ein Unikat von meinem Schwager, der Schreiner ist. Er ist aus dunkelbraunem schönem Holz gefertigt und hat das Tischbein in der Mitte. Also nur ein Bein. Auf dem Schreibtisch ist der Bildschirm und die Tastatur und noch ein Drucker.
Ich glaube nicht, dass wir die Wirklichkeit "im Hinterkopf" haben. Das allerwirklichste ist doch das, was wir direkt wahrnehmen, meistens vor allem sehen mit den Augen. Oder auch schon mal spüren mit den Händen. Also, es ist das wirklich, was uns gerade bewusst ist. Alles andere ist ja eigentlich Erinnerung. Wir haben es "früher" einmal wahrgenommen. In diesem Sinne habe ich manchmal das Gefühl, die Menschen sind nicht sehr intelligent. Also mich eingeschlossen. Nicht sehr intelligent in dem Sinne, dass nur das eine Bedeutung für uns hat, was uns gerade bewusst ist.
Aber "zu leben" beginnt mein Schreibtisch erst dann, wenn alle die Erinnerungen dazu kommen, die mit ihm zu tun haben. Da hast du recht. Nur, die Erinnerungen machen ihn nicht wirklicher oder unwirklicher. Aber sie verleihen ihm eine zusätzliche Qualität, einen Wert.
Damit wäre die Frage, was alles zur Wirklichkeit gehöre, beantwortet. Nicht viel. Oder das, was uns gerade bewusst ist.
Wenn wir sicher sein wollen, dass etwas wirklich ist, dann versuchen wir oft uns vorzustellen, wie es wäre, wenn das Objekt nicht da wäre. Da bin ich bei dir. Wirklich ist also etwas, wenn es nicht da sein könnte. Und was das für Folgen hätte, wenn besagter Gegenstand nicht da wäre. So spüren wir den Gegenstand besonders deutlich. Aha, er ist also doch da (,weil ich ihn nicht wegdenken kann)!
Zum Schluss möchte ich noch einmal sagen, was mir wichtig ist. Die Wirklichkeit ist nicht im Kopf, sie ist vor uns. Sie ist das, womit wir es zu tun bekommen. Die Dinge (der Außenwelt) existieren unabhängig vom Menschen. In diesem Punkt scheint es immer wieder Verwirrung zu geben. Die Wirklichkeit machen nicht wir, im Gegenteil, sie macht uns. Mein Tisch wird auch noch da sein, wenn ich tot bin. Und die Stadt Bern gab es auch schon vor meiner Geburt. Der Außenwelt, oder der dinglichen Welt, ist es völlig egal, ob es mich gibt oder nicht, sofern ich sie nicht durch mein Handeln verändere.



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AufDerSonne hat geschrieben :
Di 27. Sep 2022, 06:10

Damit wäre die Frage, was alles zur Wirklichkeit gehöre, beantwortet.
Das ging ja fix. Wenn Du die anderen Fragen, welche sich die Philosophie in den letzten zweieinhalbtausend Jahren gestellt hat, auch so schnell beantworten kannst - woran ich keinen Zweifel hab' - können wir bis heute Abend durch sein.




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Di 27. Sep 2022, 08:41

Nauplios hat geschrieben :
Di 27. Sep 2022, 08:09
AufDerSonne hat geschrieben :
Di 27. Sep 2022, 06:10

Damit wäre die Frage, was alles zur Wirklichkeit gehöre, beantwortet.
Das ging ja fix. Wenn Du die anderen Fragen, welche sich die Philosophie in den letzten zweieinhalbtausend Jahren gestellt hat, auch so schnell beantworten kannst - woran ich keinen Zweifel hab' - können wir bis heute Abend durch sein.
:lol:



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Di 27. Sep 2022, 12:23

Timberlake hat geschrieben :
Di 27. Sep 2022, 00:09
Wie dem auch sei , um auf das Thema dieses Threads zurück zu kommen , solche sprachphilosophischen Betrachtungen würde ich nicht zwischen der Wissenschaft und der Literatur verorten, sonder klar außerhalb von beidem. Das ist ein Paradebeispiel für Philosophie , wenn man so will , in Reinstform...
Diese konkrete sprachphilosophische Betrachtung fällt deshalb so schräg aus, weil keine Antwort auf die Frage "Was ist Bedeutung?" vorliegt.
Das Sonderbare ist nun aber, dass es in der Philosophie eine gewisse "Einigkeit" darüber gibt, dass man diese Frage "von einem Bedeutungs-Objekt ausgehend" betrachten muss.
In der Folge werfen Philosophen mit Existenzen um sich und dann wird es halt sonderbar.
(egal ob es nun ein "Frege" ist, der "Begriff und Gegenstand" trennt und irgendwie ein "drittes Reich" phantasiert, oder ein "Gabriel", der ganze "Sinnfelder" als Existenz ausruft)

Auch hier strahlt meiner Ansicht nach wieder eine "Überheblichkeit rund um das Denken" heraus.
"Allein durch das Denken" soll man auf einen grünen Zweig ("natürlich eine Denkwelt-Existenz") kommen können.

Du kritisiert an meinen Beiträgen, dass ich solche Verrücktheiten durch Einwände rund um den Körper und sein Nervensystem zurückhole (was du mit "Leib-Seele-Problem" ausdrücken möchtest), aber ist es nicht eine klar erkennbare Tendenz in der Philosophie, ständig unhaltbare Ansprüche in Bezug auf dieses Körper-Geist-Problem zu erheben?

Das Entfernen von einer möglichen Lösung für das Körper-Geist-Problem ist doch der Grund, weshalb du bei deinem sprachphilosophischen Beispiel weder Wissenschaft noch Literatur erkennen kannst.




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Di 27. Sep 2022, 14:05

Körper hat geschrieben :
Di 27. Sep 2022, 12:23
Auch hier strahlt meiner Ansicht nach wieder eine "Überheblichkeit rund um das Denken" heraus.
"Allein durch das Denken" soll man auf einen grünen Zweig ("natürlich eine Denkwelt-Existenz") kommen können.

Du kritisiert an meinen Beiträgen, dass ich solche Verrücktheiten durch Einwände rund um den Körper und sein Nervensystem zurückhole (was du mit "Leib-Seele-Problem" ausdrücken möchtest), aber ist es nicht eine klar erkennbare Tendenz in der Philosophie, ständig unhaltbare Ansprüche in Bezug auf dieses Körper-Geist-Problem zu erheben?

Das Entfernen von einer möglichen Lösung für das Körper-Geist-Problem ist doch der Grund, weshalb du bei deinem sprachphilosophischen Beispiel weder Wissenschaft noch Literatur erkennen kannst.
Ich glaube, dass man in der Theorie nur mit dem Denken weiterkommen kann. Allerdings geht es wahrscheinlich nicht um das, bei dem was du sagst. Das finde ich das Schöne bei allen theoretischen Gebieten, dass man mit folgerichtigem Denken neues Wissen erschließen kann. Aber das ist dann die hohe Schule. Da muss man zuerst ein gutes Fundament haben. Egal ob in der Physik, Philosophie oder Mathematik.

Bist du Materialist? Weil du sagst, dass du die Dinge gerne auf den menschlichen Körper und das Nervensystem beziehst. Unser Körper ist wichtiger als der Geist. Ohne Körper, kein Geist. Das ist klar, denn ohne Gehirn, kein Geist.
Also muss der Körper wichtiger sein als der Geist. Wenn wir sterben, geht ja der Körper kaputt, nicht der Geist. Das vielleicht als Beweis, dass unser Körper sehr wichtig ist.

Entsteht das Körper-Geist-Problem nicht erst dann, wenn man die beiden trennt? Eigentlich gehören der Körper und der Geist ja zusammen. Was ist das Körper-Geist-Problem? Ich kenne es drum gar nicht.



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Di 27. Sep 2022, 15:53

AufDerSonne hat geschrieben :
Di 27. Sep 2022, 14:05
Bist du Materialist? Weil du sagst, dass du die Dinge gerne auf den menschlichen Körper und das Nervensystem beziehst.
Langsam, "Materialismus" ist die Behauptung, dass es nur Materielles gibt.
Das kann ich nicht vertreten, weil ich keinen Überblick über Existenz(en) haben kann.
=> ich behaupte also nicht, dass es nur Materielles gibt. (natürlich behaupte ich auch nicht das Gegenteil, sondern ich behaupte die Inkompetenz des Menschen bzgl. der "Was gibt es?"-Frage)

Wenn es nun darum geht "Was ist der Mensch?" bzw. "Wie funktioniert der Mensch?", dann verwende ich nur die Zellen und deren Vorgänge, wobei ich keinerlei Zauberkunststück à la "Emergenz" annehme.
Dadurch wirst du bestimmt verleitet, meine Haltung als "Materialismus" einzuordnen.
AufDerSonne hat geschrieben :
Di 27. Sep 2022, 14:05
Unser Körper ist wichtiger als der Geist. Ohne Körper, kein Geist. Das ist klar, denn ohne Gehirn, kein Geist.
Ich habe keine Ahnung, was "Geist" sein soll.
Der Körper ist in seinem Nervensystem aktiv und baut Zusammenhänge auf.
Wenn "Descartes" feststellt, dass er nicht der Körper sei, sondern ein "denkendes Ding", dann sage ich "nö, der in seinem Nervensystem aktive Körper ist das denkende Ding".
AufDerSonne hat geschrieben :
Di 27. Sep 2022, 14:05
Entsteht das Körper-Geist-Problem nicht erst dann, wenn man die beiden trennt?
Ja, und philosophisch gesehen kommt die Trennung wohl von der Idee, Körper und Seele als Bestandteile des Menschen anzusehen, was schon deutlich religiöse Züge hat.
Die spezialisierte Trennung in "Körper und Geist" sehe ich darin begründet, dass in der Philosophie "das Luftige" als Basis für die Seele und auch das gesamte Universum angenommen wurde.
"Geist" und Luft sind schon unmissverständlich eng verwandt.




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Di 27. Sep 2022, 16:12

Körper hat geschrieben :
Di 27. Sep 2022, 15:53
Wenn es nun darum geht "Was ist der Mensch?" bzw. "Wie funktioniert der Mensch?", dann verwende ich nur die Zellen und deren Vorgänge, wobei ich keinerlei Zauberkunststück à la "Emergenz" annehme.
Dadurch wirst du bestimmt verleitet, meine Haltung als "Materialismus" einzuordnen.
Für mich bedeutet Materialismus noch ein bisschen mehr. Es gibt Materie, Bewegung (von Materie) und leerer Raum. Nur Materie, nein, das glaube ich auch nicht
Was gibt es sicher? Alles, was wir mit den Händen berühren können. In dem Sinne bin ich Materialist. Das heißt nicht, dass es nicht noch anderes gäbe. Aber die Frage, die mich interessiert ist nicht, was gibt es, sondern, was gibt es ganz sicher. Und meine Antwort ist eben alles Materielle. Ich definiere Materie eigentlich so. Was soll sie sonst sein?

Wenn ich dich richtig verstehe, dann sagst du, der Mensch sei ein biologisches Wesen? Also wegen den Zellen. Mir ist klar, dass man dazu kein Materialist sein muss. Ich finde das eine interessante Ansicht. Denn die Zellen gibt es. Das ist ja bewiesen, dass wir aus Zellen bestehen, im Gehirn aus Neuronen (also Hirnzellen). Und sowieso macht es keinen Sinn den Menschen auf die Atome zu reduzieren, aus denen er besteht, was ja viele versuchen. Deshalb finde ich die Idee mit den Zellen interessant.

Nur noch eines. Also denken können wir ja schon. Jeder Mensch hat Gedanken. Auch ein Bewusstsein. Wie sagst du denn diesen Dingen?



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Di 27. Sep 2022, 19:44

AufDerSonne hat geschrieben :
Di 27. Sep 2022, 16:12
Nur noch eines. Also denken können wir ja schon. Jeder Mensch hat Gedanken. Auch ein Bewusstsein. Wie sagst du denn diesen Dingen?
Bei solchen Formulierungen muss man vorsichtig sein, denn gerade in der Philosophie stellt man sich gerne bereits beim Einstieg ein Bein und danach kann man das nicht mehr ausgleichen.

"Ich habe Gedanken" steht für meine Fähigkeit, eine planende Reaktion zu durchlaufen.
"Ich habe ein Bewusstsein" steht für meine Fähigkeit, die Zusammenhänge meiner Reaktionen aufzubauen - also nicht nur, dass ich auf etwas reagiere, sondern dass ich auch auf meine Reaktion reagiere.

Du merkst vermutlich schon wohin der Hase läuft: ich lasse es nicht zu, mit einer Formulierung zu starten, die rund um meine Fähigkeiten einen separaten Objektcharakter suggeriert.

Beim Übergang zu "jeder Mensch hat Gedanken" (und analog auch "jeder Mensch hat ein Bewusstsein") ergibt sich das Problem, dass ich die planende Fähigkeit eines anderen Menschen nur indirekt über ein, zu mir ähnliches Verhalten deuten kann.

Für eine Analyse hat das natürlich Konsequenzen, denn meine Ansichten über mich selbst, mögen zwar ähnlich sein, wie die anderer Menschen (jeweils über sich), aber man kann nicht vertreten, dass deshalb etwas Einheitliches in der Welt vorhanden ist.
In der Folge sage ich zu "Gedanken existieren" und "Bewusstsein existiert":
-> Nein, so verallgemeinert kann man das nicht vertreten. Ich werde garantiert nicht über den Gedanken eines anderen Menschen "stolpern".

Die Frage beschränkt sich demnach auf "wie komme ich, als Körper, als Zell-Organismus, zu meiner Vorstellungswelt?"
Auch hier gilt wieder Vorsicht, denn es geht nicht um eine Vorstellungswelt, der ich gegenüberstehe, sondern die Frage ist, wie kommt es zu meinen Reaktionen, zu meinen Überzeugungen?
Ich musste nie herausbekommen, dass es eine "Vorstellungswelt" ist, ich musste nie Lernen, was "Farben" sind oder wie man Hören nicht mit Sehen verwechselt.
=> Es wäre also falsch, sich als Akteur in Bezug auf eine Vorstellungswelt zu sehen - ich handle nicht in meiner Vorstellungswelt, sondern meine Vorstellungswelt ist das Verstehen meiner Handlungen.
Ich bin letztlich "nur" überzeugt, eine Vorstellungswelt zu haben.

"Überzeugung" ist ein derart mächtiger Umstand, dass ich regelrecht ausgeliefert bin.
Man sieht das sehr schön an den "schrägen Linien".
Meine Reaktion rastet hier ein und ich habe keine Möglichkeit für einen Ausweg, obwohl ich die Korrektur meiner Überzeugung anstrebe (die Linien sind ja nicht schräg).
Mit "Einrasten" ist das Erreichen der Überzeugung gemeint, aber auch das Fortsetzen von Anschlussreaktionen, die dem "eingerasteten Umstand" nicht widersprechen können (sonst wäre es keine Überzeugung).

In Bezug auf "meine Vorstellungswelt" bedeutet dies, dass es ausreicht, dass ich (also meine Reaktion als Körper) auf die entsprechende Überzeugung einraste.
Muss da eine Vorstellungswelt vorhanden sein?
-> Nein, aus den "schrägen Linien" kann man entnehmen, dass es zwar zu einem Anlass kommen muss, aber es muss keine 1:1 Entsprechung vorliegen.
Ich bin also letztlich kein Beweis-Werkzeug dafür, dass ich eine Vorstellungswelt aufbaue.
(wie oben gesagt: für die Vorstellungswelt von anderen Menschen bin ich sowieso kein Beweis-Werkzeug)

Wie du siehst, strebe ich keinerlei "Mental-Ontologie" an.
In der Philosophie kommt es vermutlich auf Basis von Tradition (allein schon durch den Begriff "Geisteswissenschaft") zu einem ganz anderen Abbiegen.
Mir fällt auf, dass man sich dort nicht wirklich mit dem Zustandekommen des Menschen und seiner Fähigkeiten beschäftigt, sondern mit dem Behaupten einer Welt, die all das enthalten soll, was der Mensch von sich zu wissen glaubt.
Das Denken soll hier die (alleinige) Richtschnur sein.
(Das zieht natürlich ein Echo in ganz andere Fragestellung hinein, weshalb man letztlich immer wieder auf die Frage "Was ist der Mensch?" bzw. "Wie funktioniert der Mensch?" zurückkommt.)

Mein Ansatz gewährt dem Denken nicht diesen Stellenrang.
Der Körper ist ein Zell-Organismus und mit den normalen Zellfunktionen (einschliesslich Spezialisierung der Nervenzellen) muss man ohne Zauberei auskommen, um den Menschen zu erklären.
Die Strategie ist hier, das Zustandekommen des Denkens zu erklären (zumindest prinzipiell) und für all die "Mental-Eindrücke" aufzudecken, um was es wirklich geht, ohne dass die Eindrücke als falsch/illusorisch dastehen müssen.




Timberlake
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Do 29. Sep 2022, 00:30

Körper hat geschrieben :
Di 27. Sep 2022, 19:44
Die Frage beschränkt sich demnach auf "wie komme ich, als Körper, als Zell-Organismus, zu meiner Vorstellungswelt?"
Danke , dass du mich darin bestätigt hast , was dir ein ganz besonderes Vergnügen bereitet und deshalb von dir zu den unterschiedlichsten Themen zur Sprache gebracht wird ...

Timberlake hat geschrieben :
Di 27. Sep 2022, 00:09


Wie dem auch sei , um auf das Thema dieses Threads zurück zu kommen , solche sprachphilosophischen Betrachtungen würde ich nicht zwischen der Wissenschaft und der Literatur verorten, sonder klar außerhalb von beidem. Das ist ein Paradebeispiel für Philosophie , wenn man so will , in Reinstform und nicht zu vergessen möglicherweise auch deswegen Vergnügen bereitet . Dem genügt Markus Gabriel "Neuer Realismus" allemal.

Körper hat geschrieben :
Mo 26. Sep 2022, 22:12
ahasver hat geschrieben :
Mo 26. Sep 2022, 19:52
Ich sehe nicht. Das sehen, hören, fühlen, denken... erzeugt erst sein Subjekt- also mich.
Naja, die Situation des Subjektes ist über den Körper vorhanden.
Wie übrigens auch solche Diskussionen über das Leib-Seele-Problem . Ein Problem , dass .. so oft , wie es von ihm hier schon , zu den unterschiedlichsten Themen zur Sprache gebracht wurde .. offenbar insbesondere Körper , ein ganz besonderes Vergnügen bereitet. Wird sich auch diesbezüglich wohl kaum ein Verstehen einstellen.


Ich würde euch doch bitten , bei allem Vergnügen , was euch das Diskutieren des Leib-Seele-Problemn bereitet, das eigentliche Thema dieses Threads , als da bekanntlich wäre "Zwischen Wissenschaft und Literatur oder Was ist Philosophie?" nicht gänzlich aus den Augen zu verlieren.
Zuletzt geändert von Timberlake am Do 29. Sep 2022, 01:18, insgesamt 1-mal geändert.




Timberlake
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Do 29. Sep 2022, 00:48

Körper hat geschrieben :
Di 27. Sep 2022, 12:23
Timberlake hat geschrieben :
Di 27. Sep 2022, 00:09
Wie dem auch sei , um auf das Thema dieses Threads zurück zu kommen , solche sprachphilosophischen Betrachtungen würde ich nicht zwischen der Wissenschaft und der Literatur verorten, sonder klar außerhalb von beidem. Das ist ein Paradebeispiel für Philosophie , wenn man so will , in Reinstform...
Diese konkrete sprachphilosophische Betrachtung fällt deshalb so schräg aus, weil keine Antwort auf die Frage "Was ist Bedeutung?" vorliegt.
Das Sonderbare ist nun aber, dass es in der Philosophie eine gewisse "Einigkeit" darüber gibt, dass man diese Frage "von einem Bedeutungs-Objekt ausgehend" betrachten muss.
In der Folge werfen Philosophen mit Existenzen um sich und dann wird es halt sonderbar.
(egal ob es nun ein "Frege" ist, der "Begriff und Gegenstand" trennt und irgendwie ein "drittes Reich" phantasiert, oder ein "Gabriel", der ganze "Sinnfelder" als Existenz ausruft)



  • Ein drittes Reich (im Sinne der Drei-Welten-Lehre) muß anerkannt werden. Was zu diesem gehört, stimmt mit den Vorstellungen darin überein, daß es nicht mit den Sinnen wahrgenommen werden kann, mit den Dingen aber darin, daß es keines Trägers bedarf, zu dessen Bewußtseinsinhalte es gehört. So ist z. B. der Gedanke, den wir im pythagoreischen Lehrsatz aussprachen, zeitlos wahr, unabhängig davon, ob irgendjemand ihn für wahr hält. Er bedarf keines Trägers. Er ist wahr nicht erst, seitdem er entdeckt worden ist, wie ein Planet, schon bevor jemand ihn gesehen hat, mit andern Planeten in Wechselwirkung gewesen ist.
    Gottlob Frege: Der Gedanke. Eine logische Untersuchung, in: Beiträge zur Philosophie des deutschen Idealismus

In dem Gottlob Freges sein "drittes Reich" an solchen zeitlos wahren Gedanken , wie den pythagoreischen Lehrsatz festmacht , würde ich dieses Dritte Reich klar bei dem verorten , was man als ... Wissenschaft! .. bezeichnet .



  • "Warum es die Welt nicht gibt – dafür aber Einhörner
    Das Leben findet, durch die zeitliche und räumliche, sowie perspektivische Begrenzung nur in Fragmentierungen statt, etwas Ganzes gibt es also nicht, weil es keine Totalität gibt. Folglich existiert für jeden Menschen seine individuelle Wirklichkeit, eben so, wie er persönlich sie entsprechend der Zeit, dem Ort und all dem persönlichen Material, das er mitbringt – das, was Gabriel das Unabdingbare nennt, also jenes im Menschen, was man nicht zu einem Ding machen kann; die Seele wenn man so will – erlebt. Somit existiert auch das Einhorn, von dem du letzte Nacht vielleicht geträumt hast; das meint zumindest Gabriel. Denn, hast du letzte Nacht von einem Einhorn geträumt, so ist dieser Traum für dich eine Wirklichkeit, es gab ihn ja, also gab es auch das Einhorn – jedenfalls in der Wirklichkeit deines Traumes"
..und in dem Markus Gabriel seinen "neuen Realismus" an solchen zeitlos phantastischen Gedanken festmacht , wie einem erträumten Einhorn, so würde ich diesen "Neuen Realismus" bei dem verorten , was man als ... Literatur! .. bezeichnet.


Um mich an dieser Stelle bezüglich meiner o.g. Behauptung , dass dieser "Neuen Realismus" sich außhalb der Wissenschaft und Literatur befände, zu korrigieren, jedes für sich genommen, wäre womöglich tatsächlich .. Philosophie! . Somit ein jeder , an Hand dieser beiden Philosophen, quasi in der Lage versetzt wird, zu beurteilen , zu welcher Art Philosophie er tendiert .

Tendiert er zur wissenschaftlichen Seite oder zur literarischen Seite der Philosophie

Wohin ich tendiere , sollte an meinen Beiträgen mittlerweile deutlich geworden sein. Wenn man sich denn die Rückmeldungen , auf meine Beiträge vergenwärtigt , offenbar einer Seite , die weit weniger Vergnügen bereitet ...
  • Unbegrifflichkeit (3)
    „Wo Verstehen sich nicht einstellt, genügt allemal das Vergnügen. Dieses muß jenes nicht ausschließen, kann es im Hintergrund sogar bereithalten … “
    Hans Blumenberg ..Höhlenausgänge; S. 23
Jörn Budesheim hat geschrieben :
Sa 24. Sep 2022, 12:50
Hogrebe hat auch etwas zu dem Thema des Fadens zu sagen: "Relevante Philosophie sei eine solche genannt, die sich an den Grenzen des Wissens aufhält und dennoch amüsiert."
.. oder halt einer Seite . weil sie sich am Wissen aufhält und eben deswegen möglicherweies nicht amüsiert , die weit weniger "relevant" ist. Das würde allerdings ich für "sonderbar" halten oder wie man es nimmt , auch nicht ..... siehe . "Sie lernen praktisch hier nichts!" .. Heidegger ;)




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Jörn Budesheim
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Do 29. Sep 2022, 14:37

Nauplios hat geschrieben :
Mo 19. Sep 2022, 20:13
Ganz bewußt habe ich den Bereich "Plauderei" für dieses Thema gewählt, weil ich nicht glaube, daß sich die Frage nach dem Was der Philosophie auf eindeutige Weise beantworten läßt. Zu heterogen sind die Antworten, welche aus der Philosophie selbst heraus darauf gegeben werden. Doch weist das auf ein Dilemma voraus: die Frage, was es denn mit der Philosophie auf sich hat, ist ihrerseits eine philosophische Frage; sie zu beantworten setzt voraus, das Infrage-Stehende schon in Anspruch genommen zu haben.

Zwischen Wissenschaft und Literatur - auch dieser Verortung wird in der Philosophie selbst widersprochen, begründet durch die Sorge, der Gattungsunterschied zwischen beiden könnte verwischt werden. Ist denn dieser Gattungsunterschied markant? -

Bei den Naturwissenschaften - von interdisziplinärer Zusammenarbeit abgesehen - gibt es Gegenstandsbereiche, mit denen sich die Einzelwissenschaften beschäftigen; gibt es einen solchen Gegenstandsbereich auch für die Philosophie? - Und darüberhinaus: hat die Philosophie überhaupt Gegenstände (oder einen Gegenstand) im Modus des Gegenständlichen? - Oder ist damit nicht bereits eine Vorentscheidung für eine bestimmte Denkform gefallen, welche die Philosophie auf einen propositionalen Aussagezusammenhang festlegt? - Welche anderen Sprachformen sind zugelassen? Erzählungen? - Damit ist man dann bei der Literatur und Dichtung, in alten Begriffen: bei Mythos und Logos.
Ich bin ein Freund von Beispielen. Nehmen wir
  1. "die" Poesie,
  2. "die" Philosophie,
  3. "die" Hirnforschung.
Geht es (der ganz groben Richtung nach) nicht bei allen drei Bereichen um den Menschen?
  1. Be-Kant ist: Die drei Fragen "Was kann ich wissen, was soll ich tun, was darf ich hoffen?" laufen auf die Frage zu: "Was ist der Mensch?" Kathrin Glüer schreibt ganz ähnlich in "Donald Davidson": "Wer wir sind, und wo unser Ort ist in der Welt — diesen Fragen gilt letztlich das philosophische Interesse, sie motivieren, wenn auch häufig nur indirekt, noch die kleinsten Detailfragen [z.b.] einer Bedeutungstheorie. [Wie bei Donald Davidson]"
  2. Auch die Idee, dass es in der Kunst um den Menschen geht, ist meines Erachtens nicht ganz von der Hand zu weisen. In irgendeiner Form gehört die Kunst (auch, wenn auch wohl nicht nur, oder?) zur Selbstbeschreibung des Menschen.
  3. In der Hirnforschung mag es um das Gehirn im Allgemeinen gehen, aber das menschliche Gehirn steht wohl im Zentrum. (Auch andere Wissenschaften tragen zu der Frage bei, was unser Platz im Universum ist.)
At first glance scheint es wohl so, dass die drei den gleichen Gegenstand untersuchen, den Mensch nämlich. Dennoch ist offensichtlich, wie verschieden die drei Bereiche sind. Liegt es nur an der "Methode" oder besser dem "Wie"? Oder werden verschiedene Aspekte des Gegenstands untersucht? Ich würde mal ganz unvorsichtig behaupten: Philosophie und Poesie (Kunst) überschneiden sich mehr als Philosophie und Hirnforschung (Naturwissenschaften). Der Grund ist, dass beide den Menschen als Menschen betrachten aus der sog. "Teilnehmer-Perspektive". Wenn auch auf ganz verschiedene Weise. Grob vereinfacht (vielleicht ganz falsch): Die Kunst ist intuitiv, die Philosophie diskursiv. Das sind die Pole - Übergänge sind denkbar.

Die Hirnforschung hingegen betrachtet den Menschen (vom Prinzip her) von der Seite, also aus der Perspektive der dritten Person. Obwohl sie natürlich gar nichts erwirtschaften könnte, wenn sie nicht Anfragen an das Subjekt stellen könnte. Sonst gäbe es keine Antwort auf die Frage, wie im Gehirn Schmerz realisiert ist. Denn ohne Einbeziehung des Subjekts gäbe es die Frage gar nicht.




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Jörn Budesheim hat geschrieben :
Do 29. Sep 2022, 14:37

Geht es (der ganz groben Richtung nach) nicht bei allen drei Bereichen um den Menschen?
Ich hatte gerade diesen Gedanken: Kann man den Menschen isoliert betrachten? Kann es nur um den Menschen gehen?
Geht es nicht wenigstens noch um die Welt, in der er lebt? Man braucht doch etwas, womit man den Menschen vergleichen kann?
Zum Beispiel die Natur, ein Tier, eine Pflanze. Macht es Sinn, was ich sage?



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Auch wenn man den Menschen nicht isoliert betrachten kann, kann man ihn doch betrachten. Dass es um den Menschen geht, heißt nicht zugleich, dass man ihn isoliert betrachten müsse.




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Do 29. Sep 2022, 16:03

Und der Übergang von Poesie, Philosophie und Hirnforschung zum Menschen ist mir nicht klar.
Alle drei werden von Menschen betrieben. Ja. Also sind Tätigkeitsfelder der Menschen.
Aber wieso soll es gerade um den Menschen gehen?

Ein Gedicht kann von allem Möglichen handeln.
Die Philosophie sowieso.
Gut, die Gehirnforschung handelt dann nur vom Menschen, ok. Obschon ich denke, dass Tierversuche eine wichtige Rolle spielen.

Aber deine Aussage ist ja, dass Poesie und Philosophie mehr miteinander zu tun haben als Gehirnforschung und Philosophie.
Dabei denken wir wohl daran, dass Poesie und Philosophie die Sprache brauchen, die Gehirnforschung vielleicht mehr das Skalpell.
Aber ist jetzt Philosophie Wissenschaft oder Literatur? Wenn ich an die Metaphysik von Aristoteles denke... Mehr Wissenschaft.



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Do 29. Sep 2022, 18:40

Timberlake hat geschrieben :
Do 29. Sep 2022, 00:48
In dem Gottlob Freges sein "drittes Reich" an solchen zeitlos wahren Gedanken , wie den pythagoreischen Lehrsatz festmacht , würde ich dieses Dritte Reich klar bei dem verorten , was man als ... Wissenschaft! .. bezeichnet .
Willst du ernsthaft für Freges "drittes Reich" den Wissenschaftsstatus ausrufen, weil er irgendwo in seinem Text "den Lehrsatz des Pythagoras" erwähnt, wobei aus seinem Text noch nicht einmal hervorgeht, ob er den Lehrsatz korrekt einsetzen könnte?
Timberlake hat geschrieben :
Do 29. Sep 2022, 00:48
..und in dem Markus Gabriel seinen "neuen Realismus" an solchen zeitlos phantastischen Gedanken festmacht , wie einem erträumten Einhorn, so würde ich diesen "Neuen Realismus" bei dem verorten , was man als ... Literatur! .. bezeichnet.
Du hast hiermit sowohl in Bezug auf "Frege", als auch in Bezug auf "Gabriel" die Formulierung "zeitloser Gedanke" verwendet.
Das ist eine Formulierung, die nach dem Augenblinzel-Motto aufgestellt wird "das darf man nicht wörtlich nehmen, sondern man muss verstehen, wie es gemeint ist".

Philosophie ist hier aber die "Disziplin", die das dummerweise exakt wörtlich nimmt und sowohl "Frege", als auch "Gabriel" begeben sich auf die Jagd nach der "zeitlosen Existenz".

Diese Philosophen sind doch deutlich seltsam unterwegs.
=> In der Philosophie gibt es demnach nachhaltig Platz für Seltsames, und zwar dauerhaft.

Aus der Antwort zu "Was ist Philosophie?" muss ableitbar sein, weshalb man dort das Seltsame nicht loswird.




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Jörn Budesheim hat geschrieben :
Do 29. Sep 2022, 14:37


Die Hirnforschung hingegen betrachtet den Menschen (vom Prinzip her) von der Seite, also aus der Perspektive der dritten Person. Obwohl sie natürlich gar nichts erwirtschaften könnte, wenn sie nicht Anfragen an das Subjekt stellen könnte. Sonst gäbe es keine Antwort auf die Frage, wie im Gehirn Schmerz realisiert ist. Denn ohne Einbeziehung des Subjekts gäbe es die Frage gar nicht.
Man kann die Perspektiven der dritten Person, des Teilnehmers (vielleicht auch der zweiten Person als Perspektive eines alter ego) durchaus eröffnen. Und dann leuchtet es ein, daß der Hirnforscher nicht sein eigenes Gehirn untersucht, sondern Gehirne von Probanden, von Testpersonen, gegebenenfalls Gehirne von Toten usw. Man kann diese beiden Bereiche - hier das Gehirn, dort der Forschende, der natürlich ein eigenes Gehirn hat - ganz gut auseinanderhalten. Das wäre die Perspektive der dritten Person. Der Hirnforscher hat einen Gegenstand; ihm steht etwas gegenüber.

"Anfragen an das Subjekt" - damit kommt ein Player ins Spiel, der es etwas komplizierter macht. Das Subjekt ist in erkenntnistheoretischer Hinsicht sowohl reflektierter Gegenstand als auch reflektierender Gegenstand. "Subjekt" heißt Teilnehmerperspektive, weil es das Objekt in der Perspektive der Subjektivität hat. Subjekt und Objekt stehen sich in erkenntnistheoretischer Hinsicht gegenüber und man hat dann oft eine transzendental-logische Struktur, weil das Subjekt sich selbst zum Objekt machen kann. Es nimmt an beiden Seiten der Erkenntniskonstellation teil. Diese Teilnehmerperspektive läßt das Subjekt auf beiden Seiten vorkommen. Auch das Subjekt hat einen Gegenstand. Die Perspektive hat sich natürlich geändert (gegenüber der Perspektive der dritten Person in der Gehirnforschung), aber eine Per-spektive ist es immer noch, d.h. eine Sicht auf einen Gegenstand.

Jetzt kommt Heidegger. :-) Er sagt (sinngemäß): als Akteur im Rahmen einer Erkenntniskonstellation, als Subjekt, ist der Mensch von vornherein verfehlt. Er wird in seiner Existentialität verkürzt als etwas, das Objekte gegenüber hat, das Erkenntnis über dies und das hat, das Wissenschaft betreibt usw. Aber das ist ein mangelhafter Zuschnitt. Der Mensch ist Dasein, ein In-der-Welt-Sein. Nicht über die spezielle erkenntnistheoretische Konstellation ist dieses Dasein zu verstehen, sondern über eine "Hermeneutik der Faktizität". Die Existenz des menschlichen Daseins, sein Charakter des Geworfenseins ... all das ist nicht mehr Erkenntnistheorie (wie kommt die Welt in den Kopf ... wie kommt das Subjekt zu seinen Objekten ... u.ä.), sondern "Fundamentalontologie".

Natürlich muß man diesem Vorschlag Heideggers, der am Ende auf die Frage des Seins und seiner Vergessenheit (die Heidegger u.a. in der modernen Subjektphilosophie verortet) hinausläuft, nicht folgen; nur bleibt die Frage nach der Art der Gegenständlichkeit des philosophischen Denkens, ob es sich von der Wissenschaft tatsächlich nur durch eine andere Perspektivität unterscheidet, die in sich natürlich stimmig ist.

Heidegger habe ich hier eigentlich nur als das prominenteste Beispiel einer Philosophie angeführt, die in Erkenntnistheorie nicht aufgeht. Seine Philosophie ermöglicht natürlich den Brückenschlag zur Dichtung. (Das ist bei Gadamer aber auch so.) - Wenn man die Nähe von Philosophie und Kunst betonen will, dann bieten sich Denkweisen an, die in der Kunst nicht nur eine Angelegenheit des Geschmacks oder einen nur spezifischen Gegenstandsbereich sehen, sondern solche, bei denen diese "Nähe" (Hogrebe) nicht diskreditiert wird; und natürlich solche, bei denen Kunst eine Legitimität hat, weil ihre Verfahren das menschliche In-der-Welt-Sein zum Ausdruck (Expressivität) bringen können, ohne einem rein diskursiven Austausch von Argumenten gewachsen sein zu müssen. -

So ungefähr. :-)




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