Kein Licht, kein Ton wir kommen schon

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Jörn Budesheim
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Mo 4. Dez 2023, 18:49



Wir sind hier im Smalltalk. Ich will gleich sagen, dass ich das Video bisher nicht komplett gesehen habe, sondern nur bis zu dem Moment, über den ich jetzt hier eine Plauderei starten möchte. Ich bin sozusagen sofort ins Forum gewechselt, um meinen Einwand zu formulieren :)

Die kurze Sequenz, von der ich spreche, beginnt bei 1 Minute 20. Im Wesentlichen geht es um Folgendes: Das Licht mancher Sterne, sagt der Moderator, braucht so lange, um uns zu erreichen, dass die Sterne, die es ausgesandt haben, schon erloschen sind, wenn wir dieses Licht hier sehen. Daraufhin sagt Sabine Hossenfelder, dass das nicht nur für die Sterne gilt, sondern auch für uns selbst, dass wir unser Gegenüber sozusagen immer nur ein kleines Stück aus der Vergangenheit sehen.

Wörtlich heißt es dann: Frage: Was wir wahrnehmen, ist immer nur die Vergangenheit? Antwort: Geht nicht anders!

Ich frage mich, ob das stimmt. Denn die Aussage scheint mir zwei Dinge zu verwechseln: unsere Wahrnehmung und den Input durch das Licht bzw. beim Hören durch den Schall. Wie wir wissen, ist dieser Input nur ein Teil dessen, was für die Wahrnehmung notwendig ist, ein weiterer sehr großer Teil kommt aus dem Gedächtnis, ein anderer Teil aus der Phantasie etc pp.... Aus der Tatsache, dass ein Teil des Inputs aus der Vergangenheit stammt, folgt nicht, dass die Wahrnehmung zeitlich hinterherhinkt, sondern nur, dass der Input aus der Vergangenheit stammt, was daraus gemacht wird, muss nicht davon betroffen sein.




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Quk
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Mo 4. Dez 2023, 19:24

Wenn Du alles, tatsächlich alles, der Gleichzeitigkeit anheim legen möchtest anstatt der Kausalität, wie kann dann überhaupt ein Gespräch zustande kommen?




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Jörn Budesheim
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Mo 4. Dez 2023, 19:34

Quk hat geschrieben :
Mo 4. Dez 2023, 19:24
Wenn Du alles, tatsächlich alles, der Gleichzeitigkeit anheim legen möchtest anstatt der Kausalität, wie kann dann überhaupt ein Gespräch zustande kommen?
Ich will nicht alles der Gleichzeitigkeit opfern, ich bezweifle nur unausgesprochene Argumente in der Behauptung von Hossenfelder. Aus der Tatsache, dass der Licht-Input aus der Vergangenheit kommt, folgt meines Erachtens einfach nicht, dass wir die Gegenwart nicht wahrnehmen können. Denn damit wird ein Teil des Inputs mit der Wahrnehmung insgesamt verwechselt.




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Jörn Budesheim
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Mo 4. Dez 2023, 19:58

Unsere Wahrnehmung speist sich aus vielen Quellen, unter anderem dem Input aus Licht, Schall, Druck, Chemie oder was immer. Und eine weitere sehr wichtige Quelle sind Vorhersagen, die auf Fantasie und Erfahrung beruhen. Daraus, dass es in Quelle 1 (Licht, Schall,...) zu zeitlichen Verzögerungen kommt, folgt schlechterdings nicht, dass die Wahrnehmung verzögert ist. Denn das könnte problemlos von den Vorhersagen wettgemacht werden. Ich sage nicht, dass die Vorhersagen es wett machen. Ich sage, dass es möglich ist, denkbar ist schließlich auch, dass wir mit den Wahrnehmung ein klein bisschen voraus sind... klarerweise sind alle drei Optionen möglich: wir liegen hinterher, wir liegen genau richtig, wir liegen etwas voraus.




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Quk
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Mo 4. Dez 2023, 20:33

Ich denke, sie und ich sprechen nur über diejenige Quelle, die Du Quelle 1 nennst. Die These, dass dazu weitere parallele Prozesse wie Vorausahnungen etc. passieren -- gegen die These gibts keinen Einwand, glaube ich.




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Stefanie
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Mo 4. Dez 2023, 20:44

Merken wir überhaupt diese vermeintliche Zeitverzögerung?



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Jörn Budesheim
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Mo 4. Dez 2023, 20:58

Quk hat geschrieben :
Mo 4. Dez 2023, 20:33
Ich denke, sie und ich sprechen nur über diejenige Quelle, die Du Quelle 1 nennst. Die These, dass dazu weitere parallele Prozesse wie Vorausahnungen etc. passieren -- gegen die These gibts keinen Einwand, glaube ich.
Daraus folgt aber sofort, dass ihre These nicht überzeugend begründet ist. Aus der Tatsache, dass die Quelle 1 zeitverzögert sprudelt, folgert sie offenbar, dass die Wahrnehmung zeitverzögert ist, was aber nicht folgt. Der Fehler beruht darauf, dass sie die anderen Quellen der Wahrnehmung nicht berücksichtigt. Mit anderen Worten, er beruht darauf, dass sie andere wissenschaftliche Erkenntnisse z.B. aus der Hirnforschung nicht auf dem Zettel hat.




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Jörn Budesheim
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Mo 4. Dez 2023, 21:05

Stefanie hat geschrieben :
Mo 4. Dez 2023, 20:44
Merken wir überhaupt diese vermeintliche Zeitverzögerung?
Ich vermute, dass das nicht möglich ist. Um das Argumentes Willen, wollen wir vermuten, dass es eine Zeitverzögerung gibt. Um die Verzögerung zu merken, müsste ich selbst (phänomenal) meine unverzögerte Wahrnehmung mit der verzögerten vergleichen können, und das ist offensichtlich ausgeschlossen. Oder?




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Mo 4. Dez 2023, 21:37

Wahrnehmung ist doch eh etwas anderes als die ggf. physikalischen Vorgänge, die diese affizieren. Wahrnehmung ist, jedenfalls zu einem Großteil, konstruktivistisch.




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Jörn Budesheim
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Mo 4. Dez 2023, 21:52

Es gibt noch ein anderes Problem. In der Szene im Studio sitzen sich der Moderator und die Physikerin gegenüber und sie erklärt die Sache mit der Zeitverzögerung. Aber damit ist die Wahrnehmung natürlich nicht erschöpft, denn schließlich nimmt Hossenfelder wahr, dass ihr ein Mensch gegenübersitzt. Hier macht der Gedanke der Zeitverzögerung meines Erachtens schon gar keinen Sinn mehr.




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Jörn Budesheim
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Mo 4. Dez 2023, 21:58

1+1=3 hat geschrieben : konstruktivistisch
Meines Erachtens hängt in diesem Beitrag viel davon ab, was du unter konstruktivistisch verstehst.

Ich stimme zu, dass die alleinige Betrachtung des aktuellen Inputs von außen viel zu kurz greift.




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Stefanie
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Mo 4. Dez 2023, 22:12

Das Video, bzw. den Text habe ich einmal durchgelesen. Für mich teilweise kompliziert, Relativitätstheorie und sowas, und schwer zu verstehen. Sie sagt, alles ist determiniert mit Ausnahme der Quantensprünge, die sind zufällig. Trotzdem sagt sie, die Zukunft ist schon vorgegeben. Also nichts mit freien Wille.
Um das anzunehmen braucht sie auch diese Zeitverzögerung. Denn, wenn wir eigentlich immer in der Vergangenheit sind, ist ein freier Wille nicht möglich, denn die Vergangenheit lässt sich nicht mehr ändern.
Wenn aber doch diese Zeitverzögerung für uns überhaupt nicht bemerkbar ist, ist unsere Wahrnehmung für uns nicht in der Vergangenheit, sondern jetzt und die Zukunft offen und nicht vorher bestimmbar.

Ich weiß nicht, ob man versteht, wie ich das meine.



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Quk
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Mo 4. Dez 2023, 22:21

Jörn, Quelle 1 gibt es, hast Du gesagt. Wozu soll Quelle 1 Deiner Ansicht nach gut sein, wenn Du ohnehin alle Wahrnehmung radikal der Vorausahnung zuschreibst?

Meiner Ansicht nach ist der Wahrnehmungsprozess ein Zusammenspiel aus Quelle 1 und Vorausahnung. Wenn die Vorausahnung vollzogen ist, ist der Wahrnehmungsprozess noch nicht abgeschlossen. Er ist erst abgeschlossen nach dem Abgleich mit Quelle 1.

Im Zusammenspiel mit Quelle 1 sind zwei Dinge meines Erachtens notwendig:

Erstens. Quelle 1 setzt einen Ausgangspunkt, woran die Vorausahnung überhaupt starten kann. Sie braucht ja Futter. Du stehst vor einer Hausecke und siehst nicht, dass gleich ein Fahrradfahrer um die Ecke fahren wird. Das kannst Du erst vorausahnen, wenn ein Stück des Vorderreifens sichtbar wird.

So, jetzt ensteht eine Vorausahnung anhand von Quelle 1 und anhand der vielen anderen Quellen aus dem Gedächtnis und sonstwo. Du siehst ein lila Vorderstück und die Fahrtrichtung. Jetzt reagierst Du als Fußgänger, Du bleibst stehen, um einen Zusammenprall zu vermeiden. Du erwartest ein komplett lila Fahrrad, das nach links weiterfahren wird.

Zweitens. Quelle 1 bestätigt eine Sekunde später, dass die vorausgeahnte Fahrtrichtung stimmt. Aber der Hinterbereich ist laut Quelle 1 gelb statt lila.

Also, Quelle 1 bedient die Vorausahnung auf zweierlei Weise: Sie gibt einen Anlass für eine Ahnung. Und einen Moment später komplettiert sie die Ahnung. Daraus ergibt sich wieder einen neuen Anlass zu einer weiteren Ahnung. So hangelt sich die Wahrnehmung mit zwei Händen voran. Die eine Hand ist Quelle 1, die andere die Ahnung. Links, rechts, links, rechts ...

So sehe ich das. Und weil Quelle 1 da mitspielt, spielt auch eine Verzögerung mit.




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Mo 4. Dez 2023, 22:34

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Mo 4. Dez 2023, 21:58
1+1=3 hat geschrieben : konstruktivistisch
Meines Erachtens hängt in diesem Beitrag viel davon ab, was du unter konstruktivistisch verstehst.

Ich stimme zu, dass die alleinige Betrachtung des aktuellen Inputs von außen viel zu kurz greift.
Ich habe mir das Video noch nicht angeguckt. Letzte Woche im Wartezimmer beim Arzt in einer "Stern"-Ausgabe war ein Interview mit Frau Hossenfelder, wo sie mir als ziemlich "flat earth"-deterministisch auffiel. Mir scheint, an epistemischen Fragestellungen ist sie nicht sehr interessiert. In ihrem Universum geht's alles sehr "mechanistisch" zu. Mich hat sie so nicht für sich einnehmen können. (Bei YouTube ist sie ja stark vertreten. Vor allem im englischsprachigen Raum.)




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Quk
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Mo 4. Dez 2023, 22:42

Oha, Frau Hossenfelder ist ganz und gar nicht "flat earth". Ich schaue seit einigen Jahren ab und zu in ihren YT-Kanal. Sie ist absolut seriös und redlich. Sie gehört zur internationalen Elite im Bereich der theoretischen Physik, würde ich sagen. Sie diskutiert mit Roger Penrose und vielen anderen dieser Liga.




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Mo 4. Dez 2023, 22:52

Okay. Mir ist das bloß in dem Interview aufgefallen.




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Jörn Budesheim
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Di 5. Dez 2023, 07:38

Quk hat geschrieben :
Mo 4. Dez 2023, 22:21
Jörn, Quelle 1 gibt es, hast Du gesagt. Wozu soll Quelle 1 Deiner Ansicht nach gut sein, wenn Du ohnehin alle Wahrnehmung radikal der Vorausahnung zuschreibst?
Das tue ich nicht.




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Jörn Budesheim
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Quk hat geschrieben :
Mo 4. Dez 2023, 22:21
Und weil Quelle 1 da mitspielt, spielt auch eine Verzögerung mit.
Ich stimme deiner zwar Argumentation nicht zu, aber mit deinem Fahrradbeispiel hast du Sabine Hossenfelder schon selbst widerlegt, weil es zeigt, dass es nicht stimmt, dass das, was wir wahrnehmen, immer nur die Vergangenheit ist.
Quk hat geschrieben :
Mo 4. Dez 2023, 22:21
Du stehst vor einer Hausecke und siehst nicht, dass gleich ein Fahrradfahrer um die Ecke fahren wird. Das kannst Du erst vorausahnen, wenn ein Stück des Vorderreifens sichtbar wird.
Sternstunden hat geschrieben : Yves Bossart: Was wir wahrnehmen, ist immer nur die Vergangenheit?
Sabine Hossenfelder: Geht nicht anders!
Halten wir zunächst fest, wie hier die "Beweislage" ist. Sabine Hossenfelder stellt hier eine generelle Behauptung auf. Sie meint, dass wir immer nur die Vergangenheit wahrnehmen. Wenn wir also Beispiele finden, wo es anders ist oder wo die Aussage gar nicht passt, weil die Verhältnisse ganz anders geartet sind, dann ist Sabine Hossenfelder widerlegt. Dazu muss ich auch nicht das Gegenteil von ihr behaupten, also etwa, dass wir immer die Zukunft oder die Gegenwart wahrnehmen. Ich muss nur zeigen, dass die Aussage manchmal falsch ist oder manchmal kategorial nicht passt. Dann ist die These widerlegt. Noch einmal: Der Hinweis, dass es oft auch kausale "Verzögerungen" geben kann, rettet die Theorie dann nicht. Wahr ist sie nur, wenn sie immer eine sowohl sinnvolle als auch wahre Sicht bietet.

Dass Sabine Hossenfelder falsch liegt, kann man leicht an Deinen eigenen oder ähnlichen Beispielen sehen. Ich variiere das ein wenig: Ich sehe ein Stück des Vorderreifens um die Ecke kommen und sehe damit ein "Fahrrad" kommen. (Das ist objektiv, was heißt, ich kann damit richtig oder falsch liegen.) Solche begrifflichen Fähigkeiten, die Teil unserer Wahrnehmung sind, müssen berücksichtigt werden. Fahrräder fahren in Richtungen (Oha!). Ich sehe im Beispiel, dass es eine Kollision geben wird, wenn ich nicht selbst ausweiche. Also mache ich einen Schritt zur Seite, bevor etwas passiert. An dieser Stelle kommt bereits etwas ins Spiel, das in dem Bereich, in dem Sabine Hossenfelder forscht, gar nicht vorkommt: Vernunft. Die Tatsache, dass das Fahrrad auf mich zukommt, also Gefahr droht (auch kein physikalischer Begriff, dennoch etwas sehr Reales), spricht dafür, entsprechende Maßnahmen zu ergreifen. Schon ist Normativität im Spiel. Mit der Relation des "für-etwas-sprechens" befinden wir uns bereits in einem anderen kategorialen Kontext.

Was nehmen wir also in einer solchen Situation wahr: Da kommt ein Fahrrad - wir haben also etwas kategorisiert. Es droht Gefahr. Das spricht für Vorsicht. Man kann eine solche Situation nicht erfassen, indem man sagt: Wir nehmen immer nur die Vergangenheit wahr. Das ist falsch und unterkomplex und wird unserem Leben nicht gerecht.




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Jörn Budesheim
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Di 5. Dez 2023, 08:37

Ich stelle mir ein anderes Beispiel vor, reine Phantasie, aber möglich. Sabine Hossenfelder ist ein junges Mädchen, sagen wir dreizehn Jahre alt. Irgendwo liest sie zufällig eine Einführung in die Relativitätstheorie. Das fasziniert sie. Sie will mehr wissen, kauft sich von ihrem Taschengeld weitere Bücher. Physik ist ihr Ding, das merkt sie schnell. Sie will Physikerin werden, das steht fest. Schon in der Schule glänzt sie in diesem Fach. Sie macht ein brillantes Abitur, studiert Physik und wird nebenbei ein YouTube-Star.

So etwas passiert. Und das ist ein Paradebeispiel für das, was ich Geist und Freiheit nenne. Sie stellt sich vor, wie sie sein will, und richtet ihr Leben danach aus: Sie ist frei und (zu guten Teilen) selbstbestimmt. Auch weil es bei uns zum Glück so ist, dass Frauen studieren können, das ist leider nicht in allen Teilen der Welt so.

Zurück zum Anfang der Fantasie: Sie liest einen Text über Einstein. Wir sehen immer nur die Vergangenheit? Was bedeutet das beim Lesen eines Textes? Nichts. Sie nimmt schließlich die Bedeutung des Textes wahr. Wir können uns diese Situation nicht angemessen vorstellen, nur indem wir allein den Weg des Lichts rekonstruieren, auch wenn das in der Situation natürlich neben anderem auch eine Rolle spielt.




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Quk
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Di 5. Dez 2023, 10:00

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Di 5. Dez 2023, 08:26
Ich sehe im Beispiel, dass es eine Kollision geben wird, wenn ich nicht selbst ausweiche. Also mache ich einen Schritt zur Seite, bevor etwas passiert. An dieser Stelle kommt bereits etwas ins Spiel, das in dem Bereich, in dem Sabine Hossenfelder forscht, gar nicht vorkommt: Vernunft. Die Tatsache, dass das Fahrrad auf mich zukommt, also Gefahr droht (auch kein physikalischer Begriff, dennoch etwas sehr Reales), spricht dafür, entsprechende Maßnahmen zu ergreifen. Schon ist Normativität im Spiel. Mit der Relation des "für-etwas-sprechens" befinden wir uns bereits in einem anderen kategorialen Kontext.
Diesem Sachverhalt widerspricht niemand, da bin ich mir sicher. Wir benutzen mal wieder nur unterschiedliche Begriffszuweisungen. Für mich zum Beispiel ist Vernunft nicht das gleiche wie Wahrnehmung. Du hast einmal geschrieben, Verstand und Vernunft sei für Dich das gleiche. Für mich ist es der Verstand, der die Sinnesreize zu einem Bild zusammenfügt; und es ist die Vernunft, die daraus eine Handlung veranlasst. Über Vernunft redet Hossenfelder wahrscheinlich nicht in dem Video (ich habe es noch nicht gesehen.).

Aber abgesehen davon: Warum ist es Dir so wichtig, dass unsere Reaktionen nicht immer auf Vergangenes folgen? Ich meine, auch Deine Vorausahnung fußt auf gespeicherter Erfahrung. Man lernt ein Leben lang. Wenn aktuell etwas passiert, das einem gespeichertem Erlebnis ähnelt, greift man zurück auf diesen Speicher der Vergangenheit. Strikt gesagt ist die Gegenwart unendlich kurz, also nur ein mathematischer Punkt ohne Ausdehnung. In so einem Punkt kann kein Geschichtsverlauf sein. Verläufe gibt es also nur in der Vergangenheit und in der Zukunft. Die Zukunft haben wir noch nicht erlebt. Und was wir erlebten, ist nun Vergangenheit. Alles, was wir im Wissens-Rucksack haben, ist Vergangenheit. Der Punkt zwischen Zukunft und Vergangenheit ist unendlich klein. In der Alltagssprache oder in Geschichtswissenschaften erlaubt der Begriff "Gegenwart" eine großzügige Auslegung; zur "Gegenwart" zählen kann da die letzte Nanosekunde oder sogar ein ganzes Jahrzehnt. In der Physik aber muss das streng mathematisch ausgelegt werden, meiner Ansicht nach. Die elektrischen Ströme vom einen Gehirnteil zum anderen benötigen eine Zeit, die länger ist als null. Jeder, aus einer Quelle gesendeter, und an einem Ziel angekommene Reiz, egal ob es ein Vernunftreiz sei oder ein Wahrnehmungsreiz oder Erinnerungsreiz, kommt aus der Vergangenheit im Bereich von Pikosekunden oder so. Sabine Hossenfelder ist Physikerin.




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