Gute Frage. Also angefangen zu suchen. Über die Ergebnisse könnte man eine ganz lange Abhandlung schreiben.
Hannah Arendt staunte, dass die Welt existiert und nicht nichts ist. So in der Richtung hatte ich das bislang verstanden.
Ich fange mal mit einer Einleitung an, die ich zitiere, weil sie mir gefällt.
Quelle: https://www.kindergartenpaedagogik.de/f ... ogik/1055/
Wir gewinnen im Staunen neuartige Erkenntnisse von der Welt, lernen uns selbst oder unsere Psyche anders kennen und begegnen den anderen anders als zuvor. Im Staunen spielt sich somit zugleich ein Erkenntnis-, Psycho- und Soziodrama ab. In der Art, wie und worüber wir staunen, zeigt sich, was für uns Erkennen bedeutet - Staunen ist ein Erkenntnisdrama; ferner zeigt sich im Staunen ein Psychodrama, wie wir uns selbst verstehen, und schließlich zeigt sich im Staunen ein Soziodrama, wie wir uns zu den anderen verhalten. So ist etwa der See mit den Bäumen und Häusern ringsherum von Eis und dickem Raureif überzogen. Sein Anblick ruft bei einer Frau den staunenden Ausruf hervor: "Da sieht man richtig den Frost!" Ihr Begleiter dagegen kommentiert nüchtern: "Ich sehe nur, dass der See zugefroren ist." Sieht man einmal von naheliegenden Deutungen wie einer gestörten Beziehung, schlechter Laune oder sprachlichen Spitzfindigkeiten ab (man kann nicht ein Abstraktum wie Frost, wohl aber konkrete, frostige Dinge sinnlich wahrnehmen), scheint diese Szene zunächst typisch zu sein für eine rollenspezifische Arbeitsteilung. Die Frau ist kompensatorisch "als Frau" für romantische Gefühle zuständig, der Mann dagegen "als Mann" für das unmittelbar Praktische und Greifbare. Über alle rollenspezifischen Differenzen hinaus aber leben wir alle bis in den letzten Winkel des Erdglobus und schließlich des gesamten Universums in einer wissenschaftlich-technischen Welt, die allem und jedem nur durch menschliches Messen, Zählen und Wiegen einen Sinn verleiht.
Der Soziologe Max Weber spricht daher in seiner berühmten Rede "Wissenschaft als Beruf" (1917) von einer "entzauberten Welt", in der "prinzipiell keine geheimnisvollen, unberechenbaren Mächte" mehr gelten, sondern "alle Dinge - im Prinzip - durch Berechnen" beherrschbar seien. In ihr bleibt kein Platz mehr übrig für etwas, über das wir wirklich staunen können, einfach so. In der "entzauberten Welt" bleiben für ein zweckfreies Staunen höchstens vereinzelte Momente für Verliebte, Dichter, fromme Seelen, einfache Gemüter oder Spinner und Kinder übrig. Der Realist oder der Mann von Welt dagegen lässt sich durch nichts aus der Fassung bringen. Coolness gilt besonders bei Jugendlichen als Zeichen des Erwachsenseins, der perfekten Selbst- und Weltbeherrschung, wie wir sie uns in den Film- und Computerhelden selber vormachen.
Wir staunen zwar im Alltag über vieles, das wir so nicht erwartet haben, nicht verstehen können oder uns bisher nicht vorstellen konnten, über großartige Rekorde im Sport, Neues aus Wissenschaft und Technik, besondere Leistungen oder spektakuläre Ereignisse. Die Wunder des Alltags aber nehmen wir selten als staunenswert wahr: den zugefrorenen See, den Aufgang und Untergang der Sonne, die weite Landschaft, die hohen Berge, den Sternenhimmel, die blühende Blume, das neugeborene Kind, das Lächeln eines Menschen. Ein Staunen, das uns innehalten lässt und uns zum Nachdenken über den Sinn der Welt und unseres Daseins bringt, hat in unserem Alltag kaum einen Platz. Unser Staunen ist meistens auf Brauchbares und Nützliches eingestellt; wir sind neugierig auf Raritäten und Monströses und suchen einen Kitzel, der uns aus dem Alltagstrott befreien soll. Unser Staunen gilt immer größeren Rekorden und Superlativen, verweilt aber kaum beim Einzelnen und dem zunächst Unscheinbaren. Einfach so staunen, "baff" oder "außer sich sein" und innehalten gilt dem Zeitgeist der aufgeklärten Moderne als sentimentale Spinnerei. Staunen, so scheint es, tun nur die Dummen und die Kinder. Der aufgeklärt Zeitgenosse fragt nur spitz: "Was gibt's denn da zu staunen?"