Essen

Philosophie Chat: Hier wird geplaudert über Gott und die Welt.
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Stefanie
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So 13. Jul 2025, 17:19

https://www.spektrum.de/kolumne/die-sel ... en/2277132

Wie viel Philosophie steckt im Essen?
Erst kommt das Fressen und dann die – Selbsterkenntnis!
(...)
Die bloße Nahrungsaufnahme ist doch eine eher primitive Lebensäußerung. Traditionell wird sie oft in einem Atemzug mit dem Ausscheiden besprochen, etwa bei dem englischen Renaissancehumanisten Thomas Morus (1478–1535), der bei einer Erörterung der menschlichen Lustempfindungen die »Erneuerung der Bestandteile des Körpers« und das »Abstoßen jener Stoffe, an denen der Körper Überfluss hat« in einem Satz nennt.
(...)
Insgesamt aber wird in der Philosophie dem Essen eher wenig Beachtung geschenkt. Es scheint auf den ersten Blick als Anlass zur Diskussion eine Rolle zu spielen – Platons berühmtes »Gastmahl«, das »Symposion«, ist jedoch eher ein Trinkgelage, das altgriechische Wort kommt vom Verb für »trinken«. Passend zur klischeehaften Verbindung von Denken und Alkohol. Aber bei etwas so Allgegenwärtigem und Lebenswichtigem wie Essen muss philosophisch doch etwas herauszuholen sein!

Der vielleicht berühmteste philosophische (oder zumindest philosophisch lesbare) Text über das Essen ist eine Miniatur von Walter Benjamin (1892–1940) mit dem Titel »Frische Feigen«. Benjamin beschreibt darin einen Ausflug in ein Dorf im Umland von Neapel. Dort kauft er am Wegesrand aus »Müßiggang« und »Verschwendung« ein halbes Pfund frische Feigen, woraufhin er bemerkt, dass er nichts hat, um sie einzupacken. Folglich muss er sie so schnell wie möglich aufessen. Diese Erfahrung ist für ihn Anlass, über Essen, ja geradezu über Fressen nachzudenken: darüber, was es heißt und mit einem macht, eine große Menge eines einzelnen Nahrungsmittels hemmungslos, maßlos zu verzehren. Beim Vertilgen der Feigen macht Benjamin mehrere Stadien durch. Nach einer Überwältigung durch das alles durchdringende, klebrige Zeug kommt Überdruss, dann Ekel, zum Schluss aber nur noch Gier und Hass. Essen wird zur bloßen Vernichtung: »Der Biß hatte seinen ältesten Willen wiedergefunden.«
(...)
Hochgestochen ausgedrückt ist »Frische Feigen« eine kleine, essayistische Studie in Leibphänomenologie. Der Text findet in etwas, was anscheinend ganz subjektiv und intim, auf jeden Fall körperlich und ungeistig ist, etwas Elementares wieder, was sich reflektieren und objektivieren lässt. Letztlich tauchen verschiedene spezifische Aspekte des Menschseins in dieser Beschreibung des »Fraßes« auf: Wir sind in der Lage, zu essen, weil es uns Spaß macht, auch wenn wir keinen Hunger haben; sind dann aber doch wieder so »tierisch«, dass wir eventuell sogar weiteressen, wenn es längst schon keinen Spaß mehr macht. Unsere Fähigkeit zur Aggression und zur Vernichtung kann sich in den harmlosesten Situationen ebenso plötzlich zu Wort melden wie jene zum Genuss und zur Hingabe.
(...)
Und zum anderen würde ich fragen, warum es denn edler und intellektueller sein soll, in sich hineinzuhorchen, wenn man an der Existenz der Außenwelt zweifelt; sich fragt, ob man wirklich wach ist; oder andere klassische philosophische Gedankengänge hegt, die mit dem Meditieren über subjektive Erfahrungen ihren Anfang nehmen. Die gemischten Empfindungen, wenn man viel zu viel von etwas isst, sind sicher Allgemeingut genug, um sich damit zumindest für einen Moment philosophisch zu beschäftigen.
Hier ist der erwähnte Text von Benjamin.
https://www.textlog.de/benjamin/kleine- ... lder/essen



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Timberlake
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So 13. Jul 2025, 22:56

Als jemand, der bekanntlich in Kant sein "Fressen" gefunden hat, habe ich dazu sogleich, schon allein aus Neugier, im Internet dazu suchen lassen , also zum Essen und Kant. Mit folgenden und ich finde doch sehr bemerkenswerten Ergebnis.
diepresse.com hat geschrieben :
»Dem Körper die Ehre«: Kant und das Essen

Essen und Trinken war dem zeitlebens schwächlichen, doch niemals kranken Kant wichtig. Er sprach so gern über Probleme der Küche, dass sein Ex-Student und Freund, der Schriftsteller Theodor Gottlieb von Hippel, ihm beharrlich vorschlug, doch auch eine „Kritik der Kochkunst“ zu schreiben. Zumindest in der Theorie folgte Kant auch in diesem praktischen Fach seinem Prinzip, dass Pflicht vor Neigung gehe. So werde „die Diätetik vor allem in der Kunst das Leben zu verlängern (nicht es zu genießen) ihre Geschicklichkeit oder Wissenschaft zu beweisen haben“, schrieb er im „Streit der Fakultäten“.
Dennoch erteilt Kant im Teil „Streit mit der medizinischen Fakultät“ auch nützliche Ratschläge. „Im gesunden Zustande und der Jugend ist es das Geratenste, in Ansehung des Genusses, der Zeit und der Menge nach, bloß den Appetit zu befragen“, schreibt er. Doch im Alter empfehle sich, dass die bewährte „Abfütterung für den sich weigernden Appetit die gehörige Ausnahme mache“. In diesem Sinn plädiert Kant für „derbere Kost und anreizenderes Getränk (z. B. Wein)“ für die appetitschwachen Senioren. Er selbst gab zu jeder Speise seinen selbst gemischten englischen Senf dazu.
Es hätte mich auch schon sehr gewundert, wenn Kant nicht auch zum Essen seinen selbst gemischten englischen Senf hinzugegeben hätte. Ohne es von Kant zu wissen, so folge übrigens auch ich beim Essen, dem Prinzip, dass Pflicht vor Neigung gehe. Wenn ich mir dazu den letzten Blick auf die Waage vergegenwärtige, wo mir 68 kg angezeigt wurden, so scheint im Vergleich zu meiner Körpergröße, das Prinzip bei mir tatsächlich zu funktionieren. Pflicht vor Neigung realisiere ich über das Prinzip, zu Essen, was mir nicht schmeckt. So schmeckt mir weder Gemüse noch Obst. Meiner Neigung folgend, würde ich viel lieber Fleisch und Kuchen essen. Andererseits hätte ich eigentlich schon ein Alter erreicht, in dem man, so Kant, bei seiner Abfütterung für den sich weigernden Appetit eine gehörige Ausnahme (von der Pflicht) machen könne.




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Consul
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Mo 14. Jul 2025, 08:09

"…Wir sehen zugleich hieraus, von welcher wichtigen ethischen sowohl als politischen Bedeutung die Lehre von den Nahrungsmitteln für das Volk ist. Die Speisen werden zu Blut, das Blut zu Herz und Hirn, zu Gedanken und Gesinnungsstoff. Menschliche Kost ist die Grundlage menschlicher Bildung und Gesinnung. Wollt ihr das Volk bessern, so gebt ihm statt Deklamationen gegen die Sünde bessere Speisen. Der Mensch ist, was er isst. Wer nur Pflanzenkost genießt, ist auch nur ein vegetierendes Wesen, hat keine Tatkraft:…" [Es folgt ein Moleschott-Zitat]

(Feuerbach, Ludwig. "Die Naturwissenschaft und die Revolution." 1850. [Rezension von Jakob Moleschotts Lehre der Nahrungsmittel: Für das Volk, 1850.] In Gesammelte Werke, Bd. 10: Kleinere Schriften III (1846–1850), hrsg. v. Werner Schuffenhauer, 347-368. Berlin: Akademie-Verlag, 1971. S. 367)
Nun, ich bin zwar selbst keiner, aber ich kenne Vegetarier mit Tatkraft, die keineswegs vegetieren.



"Wenn du denkst, du denkst, dann denkst du nur, du denkst." – Juliane Werding

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Stefanie
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Mo 14. Jul 2025, 08:58

Es geht hier nicht so sehr darum, was gegessen wird, sondern um das Essen an sich. Die Nahrungsaufnahme also.

Aus dem Artikel:
Wir sind in der Lage, zu essen, weil es uns Spaß macht, auch wenn wir keinen Hunger haben; sind dann aber doch wieder so »tierisch«, dass wir eventuell sogar weiteressen, wenn es längst schon keinen Spaß mehr macht. Unsere Fähigkeit zur Aggression und zur Vernichtung kann sich in den harmlosesten Situationen ebenso plötzlich zu Wort melden wie jene zum Genuss und zur Hingabe.

Oder mit dem Satz von Benjamin:
Essen wird zur bloßen Vernichtung: »Der Biß hatte seinen ältesten Willen wiedergefunden.«

Essen aus Lust, aus Spaß, aus Genuss, "Völlerei", mit was auch immer. Das dürften Vegetarier wohl auch kennen. Im Beispiel von Benjamin waren es ja Feigen.
Wir essen also nicht nur, weil wir müssen, damit unser Körper und auch das Denken überhaupt funktionieren. Das dürfte uns von anderen Lebewesen unterscheiden.



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Jörn P Budesheim
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Mo 14. Jul 2025, 09:41

Stefanie hat geschrieben :
Mo 14. Jul 2025, 08:58
Das dürfte uns von anderen Lebewesen unterscheiden.
Interessant ist auch, dass wir von uns selbst sagen, dass wir essen, während wir von den anderen Tieren sagen, dass sie "fressen".




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Consul
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Mo 14. Jul 2025, 22:57

Consul hat geschrieben :
Mo 14. Jul 2025, 08:09
"…"[Es folgt ein Moleschott-Zitat]

(Feuerbach, Ludwig. "Die Naturwissenschaft und die Revolution." 1850. [Rezension von Jakob Moleschotts Lehre der Nahrungsmittel: Für das Volk, 1850.] In Gesammelte Werke, Bd. 10: Kleinere Schriften III (1846–1850), hrsg. v. Werner Schuffenhauer, 347-368. Berlin: Akademie-Verlag, 1971. S. 367)
"Wer kennt nicht die Vorzüge des Englischen Arbeiters, den sein Rostbeaf kräftigt, vor dem Italienischen Lazzarone , dessen vorherrschende Pflanzenkost einen großen Teil seines Hanges zur Faulheit erklärt? Und ist nicht endlich die geringere Kraft der Lappen und Samojeden , der Grönländer und Kamtschadalen , die sich fast ausschließlich von Fischen nähren , in welchen kaum mehr als drei Viertel des Faserstoffgehalts von Vögeln und Säugetieren zu finden sind, ein neuer Beweis für die Richtigkeit des Wortes: Fleisch macht Fleisch?"

(Moleschott, Jacob. Lehre der Nahrungsmittel: Für das Volk. Erlangen: F. Enke, 1850. S. 101)

"Erhellt nun aus Obigem, dass die Gemüse allein dem Blute nur wenig Ersatz bieten für die ausgeschiedenen Stoffe, so erklärt sich die mangelhafte Ernährung der Gewebe bei ausschließlichem Genuss von Kräutern von selbst. Nicht nur die Muskeln werden kraftlos, auch dem Gehirn wird wenig Stoff zugeführt. Daher ein unentschlosener Wille und feiges Aufgeben der Selbständigkeit bei den Hindus und andern Tropenbewohnern, die sich fast nur von Gemüsepflanzen ernähren."

(Moleschott, Jacob. Lehre der Nahrungsmittel: Für das Volk. Erlangen: F. Enke, 1850. S. 119)
Da wird die Ernährungswissenschaft mit ethnistischen/rassistischen Stereotypen gewürzt.



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Jörn P Budesheim
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Di 15. Jul 2025, 12:51

Nach dem, was ich recherchiert habe, gibt es durchaus so etwas wie eine "Ernährungsphilosophie", aber sie unterscheidet sich recht deutlich von dem, was von Benjamin im Startbeitrag zu lesen war. Sie fragt zum Beispiel auch: Sind unsere Ernährungssysteme moralisch vertretbar; sind sie gerecht, fair, nachhaltig. Es gibt zudem "Überlappungen" zu anderen aktuellen Fäden, denn Nahrung ist ein sehr vielschichtiges Thema: Essen ist Genuss, es stiftet aber auch Identität, sie ist Kultur und verbindet uns mit der Natur.




Timberlake
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Di 15. Jul 2025, 13:08

Jörn P Budesheim hat geschrieben :
Di 15. Jul 2025, 12:51
Nach dem, was ich recherchiert habe, gibt es durchaus so etwas wie eine "Ernährungsphilosophie", aber sie unterscheidet sich recht deutlich von dem, was von Benjamin im Startbeitrag zu lesen war. Sie fragt zum Beispiel auch: Sind unsere Ernährungssysteme moralisch vertretbar; sind sie gerecht, fair, nachhaltig. Es gibt zudem "Überlappungen" zu anderen aktuellen Fäden, denn Nahrung ist ein sehr vielschichtiges Thema: Essen ist Genuss, es stiftet aber auch Identität, sie ist Kultur und verbindet uns mit der Natur.
Wo du es hier schon einmal angesprochen hast. Die "Überlappungen" zu anderen aktuellen Fäden. Insbesondere was die Nachhaltigkeit unserer Ernährungssysteme betrifft. Dazu nur mal, das Anthropozän betreffend, einige Zahlen…


spektrum.de hat geschrieben :
Ernährung im Anthropozän – Essen wir die Erde auf?


Der enorme Fußabdruck der Menschheit auf die Biosphäre und das gesamte Erdsystem ist mittlerweile global nachweisbar. So sind die eisfreien Regionen der festen Erde schon zu ca. 75% keine Urnatur mehr. Landwirtschaftlich genutzte Flächen haben bei weitem den höchsten Anteil daran1. 96% der (kohlenstoff­basierten) Biomasse aller Säugetiere fallen auf die Menschen (36%) und ihre Nutztiere (60%)2. Die restlichen vier Prozent Wildtiere sind in ihren Populationsgrößen zunehmend stark eingeschränkt (Abb. 1, Tab. 1), was dem Arten­verlust als deutliches Warnzeichen vorgeschaltet ist.

Bei Vögeln produziert unsere Geflügelzucht etwa 70% der (kohlenstoffbasierten) Biomasse aller Vögel2. Auch wenn es starke regionale Unterschiede gibt, nimmt der Fleischkonsum weltweit insgesamt enorm zu4 (Abb.2).

In den Meeren sieht es nicht besser aus. 60-80% der Fischbestände sind bis an die Belastungsgrenze befischt oder überfischt ((Abb. 3). Aquakultur ist vor allem bei den beliebten karnivoren Fischen kein ausreichender Lösungsweg gegen die weltweite Überfischung, da bis zu 5 kg Fische verfüttert werden müssen, um 1 kg Edelfisch zu gewinnen.

Insgesamt werden etwa 20-30% der globalen anthropogenen Treibhausgase durch Landwirtschaft verursacht, ...

Auch bei der Definition des Anthropozäns spielt das biologische und landwirtschaftliche System eine große Rolle. Zwar reichen die Anfänge der anthropogenen Veränderung unserer Biosphäre bis ins Jungpaläozän zurück und sind durch zunehmende Bejagung, gefolgt von der sich über Jahrtausende entwickelnde Sess­haftwerdung des Menschen zur landwirtschaftlichen Nutzung der Biosphäre (anthropogene Modifikations­episode, AME9) (Abb. 8), aber später auch durch vom Menschen zunehmend eingeführte Neobiota charakterisiert, jedoch beschleunigte sich auch die anthropogen bedingte Verbreitung invasiver Arten sowie die Ausbildung von durch Überdüngung verursachten marinen Todeszonen zu Mitte des 20. Jahrhunderts enorm. So ist etwa die pazifische Auster inzwischen auch durch Aquakulturen weltweit verbreitet.




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Jörn P Budesheim
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Di 15. Jul 2025, 15:39

Was ich mich manchmal frage: Ist es eigentlich ein neues Phänomen, dass wir (seit wann eigentlich?) Kalorien zu uns nehmen, Kohlenhydrate essen, Ballaststoffe, Vitamine … statt einfach Eier, Brot, Gemüse und Salat? Dass wir Nahrung also als eine Summe von Nährstoffen betrachten – und nicht mehr als das, was … ja, was eigentlich?




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Jörn P Budesheim
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Di 15. Jul 2025, 17:52

Ich habe mal ein wildes Brainstorming gemacht und es einigermaßen in Form zu bringen versucht, Essen ist ein extrem vielschichtiges Thema. Die Liste hat natürlich keinen Anspruch auf Vollständigkeit, vermutlich ließe sich was besseres finden/machen diese ist etwas ad hoc. Ihr Ziel ist eigentlich nur, die Vielschichtigkeit des Themas anschaulich zu machen.

1. Ethische und politische Dimensionen
– Nachhaltigkeit (Anthropozän)
– Verantwortung für zukünftige Generationen
– Gerechtigkeit
– Tierethik
– Ernährung und soziale Ungleichheit
– Verhältnis von Mensch und Tier
– moralische Aspekte: Reinheit und Unreinheit
– Essensverweigerung (z. B. Hungerstreik)

2. Kulturelle und soziale Bedeutungen
– Identifikationspotenzial (deutsches, italienisches, chinesisches Essen etc.)
– Essen als Medium von Zugehörigkeit oder Ausgrenzung
– Migration und kulinarischer Transfer
– Gemeinschaft und Tischkultur
– Rituale
– Gastfreundschaft
– Sprachliche Dimension (Essen als Thema für Smalltalk und Philosophie)

3. Ästhetik, Genuss und Lebensform
– Ästhetik (das Auge isst mit)
– Lust
– Genuss, Askese, Mäßigung, ...
– Lebensmittel in der Kunst
– Lebensmittel als Kunst
– Fast Food versus Slow Food
– Zubereitung als Lebensform (von selbst anbauen und Kochen bis Tiefkühlgerichte)

4. Leiblichkeit
– Phänomenologie des Essens (z. B. Kauen, Schmecken, Schlucken als besonderer Kontakt zu den Dingen)
– Sinnlichkeit und Leiblichkeit
– Essenszeiten und (Lebens-Rhythmen

5. Gesundheit
– biologische Notwendigkeit
– Essen und Gesundheit /Krankheit und Heilung durch Essen
...

Nachtrag: Kochen als eigenständigen Bereich sollte man nicht vergessen :)




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Jörn P Budesheim
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Di 15. Jul 2025, 18:44

Apropos eigene Ernte:

Es gab einmal auf Arte die kulinarische Doku Serie „Zu Tisch …“, die in jeder Folge eine Region vorstellte, meistens in Europa. Oft begleitete das Team eine Familie, die dort wohnte, anbaute und kochte. Zu sehen waren traditionelle Gerichte und ihre Zubereitung – etwa Fisch im Baskenland, Lamm und Kräuter in der Provence oder Knödel und Speck in Südtirol. Dazu gab es wunderschöne Bilder von Landschaft, Märkten und Höfen. Beim Zuschauen lief einem das Wasser im Mund zusammen. Man könnte fast sagen: Bilder einer heilen Welt.

Ein ziemlich krasses Gegenbild dazu bot ein Film, den ich auf der documenta 14 gesehen habe. Er hieß „Drei Schwestern“ und erzählte von drei jungen Mädchen, die in China alleine lebten. Die älteste Schwester hatte die Rolle des Vaters übernommen, da die Mutter die Familie verlassen hatte und der Vater nur selten zu Hause war, da er in der Stadt arbeitete. Sie lebten in sehr, sehr einfachen Verhältnissen zusammen mit einem Schwein in einer kleinen Hütte. Morgens bereiteten sie am offenen Feuer, bzw. in der Glut Kartoffeln zu und mussten zum Feld, um sich etwas Gemüse zu besorgen.




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Consul
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Di 15. Jul 2025, 20:39

Es gibt eine Philosophy of Food und ein gleichnamiges (englischsprachiges) Buch dazu:
"Über das Buch: Dieses Buch untersucht Lebensmittel aus philosophischer Perspektive und bringt sechzehn führende Philosophen zusammen, um die grundlegendsten Fragen zu Lebensmitteln zu erörtern: Was genau ist Lebensmittel? Was sollten wir essen? Woher wissen wir, dass Lebensmittel sicher sind? Wie sollten Lebensmittel verteilt werden? Was ist gutes Essen? David M. Kaplans kenntnisreiche und informative Einleitung begründet die Diskussion und zeigt, wie sich Philosophen seit Platon mit Fragen zu Lebensmitteln, Ernährung, Landwirtschaft und Tieren auseinandergesetzt haben. Bis vor Kurzem galten Lebensmittel jedoch nur wenige als Standardthema ernsthafter philosophischer Debatten. Jeder der Essays in diesem Buch liefert eine eingehende Analyse vieler aktueller Debatten in der Lebensmittelforschung – Slow Food, Nachhaltigkeit, Lebensmittelsicherheit und Politik – und behandelt Themen wie „Happy Meat“, Aquakultur, Veganismus und Tischmanieren. Das Ergebnis ist eine außergewöhnliche Ressource, die die Leser dazu anregt, klarer und verantwortungsvoller darüber nachzudenken, was wir konsumieren und wie wir für uns sorgen, und die Gründe für unser Handeln beleuchtet." [Google Translate]

Quelle: https://www.ucpress.edu/books/the-philo ... food/paper
Für das englische Wort "food" gibt es im Deutschen mehrere Wörter: "Essen", "Lebensmittel", "Nahrung", "Speise(n)", "Kost", "Futter" (für Tiere)

Es gibt auch eine Website zum Buch: The Philosophy of Food Project / Projekt Philosophie des Essens [Google Translate]



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Jörn P Budesheim
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Di 15. Jul 2025, 20:42

Ich bin gerade auf der Suche gewesen nach deutschsprachigen Büchern, bei Amazon gibt es für den Reader gar nichts! Zumindest nicht unter der Überschrift "Ernährungsphilosophie". Aber vielleicht hat das Gebiet auch einen anderen Namen auf deutsch.




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Jörn P Budesheim
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Di 15. Jul 2025, 20:45

Unter dem Stichwort "Philosophie des Essens" habe ich bei Kindle immerhin das hier gefunden:

Die Zeitschrift für Kulturwissenschaft hat 2014 einen Ausgabe zum Thema Essen herausgegeben.

"Essen ist nicht nur eine physiologische Notwendigkeit für alle Lebewesen, sondern integriert zudem fast alle Bereiche des sozialen und kulturellen Verstehens, Deutens und Handelns: Es ist anthropologische Konstante – und doch zugleich kulturell, sozial, ökonomisch, sogar politisch und nicht selten erotisch konnotiert.

Essen (und damit auch Geschmack, Sitten, aber auch Magie und Ritual) bestimmt Prozesse der Inklusion und Exklusion, markiert Identität und überschreitet zugleich geographische, soziale und ethnische Grenzen. Die Beiträge des Heftes zeigen: Im Kontext der Globalisierung ist »Essen« seit einigen Jahren ein Feld genuin kulturwissenschaftlicher Forschung geworden, das auch ökologische Ansätze, kritische Positionen und politische Stimmen mit einschließt."


Die Erotik fehlt oben in meinem Sammelsurium als expliziter Punkt auch.




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Consul
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Di 15. Jul 2025, 20:50

Eine Radiosendung: Gastrosophie - Eine Philosophie des Essens

Es gibt auch ein deutschsprachiges Buch, das kostenlos als PDF verfügbar ist:

* Harald Lemke. Ethik des Essens: Einführung in die Gastrosophie

https://de.wikipedia.org/wiki/Gastrosophie



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Jörn P Budesheim
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Di 15. Jul 2025, 21:02



Dieser Ausschnitt ist vom Humor her zwar etwas derb, aber insgesamt ist der Film großartig. Mir ist er bei dem Stichwort Erotik in den Sinn gekommen, denn es gibt darin auch eine erotisch, kulinarische Szene. Ich habe über lange Zeit versucht, alles, was ich durch den Film über Nudelsuppe lernen konnte, in die Praxis umzusetzen. Nur die Nudeln habe ich nie selbst zubereitet – anders als bei der italienischen und französischen Küche, wo ich sie gelegentlich selbst gemacht habe.

Ein nicht zu unterschätzender Teil des Essens: die Tischmanieren – samt der augenzwinkernden religiösen Anspielungen.




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Jörn P Budesheim
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Di 15. Jul 2025, 21:04

Consul hat geschrieben :
Di 15. Jul 2025, 20:50
Harald Lemke. Ethik des Essens: Einführung in die Gastrosophie
Ah, cool, da würde ich mal reinschauen.




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Stefanie
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Di 15. Jul 2025, 22:17

Jörn P Budesheim hat geschrieben :
Di 15. Jul 2025, 15:39
Was ich mich manchmal frage: Ist es eigentlich ein neues Phänomen, dass wir (seit wann eigentlich?) Kalorien zu uns nehmen, Kohlenhydrate essen, Ballaststoffe, Vitamine … statt einfach Eier, Brot, Gemüse und Salat? Dass wir Nahrung also als eine Summe von Nährstoffen betrachten – und nicht mehr als das, was … ja, was eigentlich?
Ich denke, dass wir dies schon lange machen.
Als die Seefahrt so richtig angefangen hatte sind viele Seeleute auf den langen Reisen gestorben. Alle mit identischen Symptomen. Skorbot. Jemand stellte fest, dass dies nicht der Fall war, wenn bestimmte Obstsorten gegessen wurden. Erst viel viel später wusste man, es fehlte Vitamin C.
Friedrich der Große stellte fest, dass die Kartoffeln sehr nahrhaft waren und einfach anzubauen sind. Er erließ den Befehl, Kartoffeln anzubauen um Hungersnot zu vermeiden. Er wusste nicht, was genau in den Kartoffeln war, er wusste nur, sie machen satt. Im Mittelalter wurden vieles, was gegessen und getrunken wurde, auch zu Heilung genutzt wurde. Durch Beobachtung und Erfahrung.
Nach und nach wussten und wissen wir, welches Essen was bewirkt, negatives wie positives, weil wir wissen was drin ist und wissen was der Körper braucht, um zu funktionieren.
Ich denke auch, dass die heutigen Kommunikationsmittel das Ganze noch verstärken. Und wie wir nun mal sind, wir neigen zu Übertreibungen und vergessen, daß Essen mehr ist als Nährstoffe.
Siehe etliche Punkte Deiner Aufzählung.



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Stefanie
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Di 15. Jul 2025, 22:27

Jörn P Budesheim hat geschrieben :
Mo 14. Jul 2025, 09:41
Stefanie hat geschrieben :
Mo 14. Jul 2025, 08:58
Das dürfte uns von anderen Lebewesen unterscheiden.
Interessant ist auch, dass wir von uns selbst sagen, dass wir essen, während wir von den anderen Tieren sagen, dass sie "fressen".
Wir verwenden fressen auch öfters.
Aus dem Benjamin Text
Der hat noch niemals eine Speise erfahren, nie eine Speise durchgemacht, der immer Maß mit ihr hielt.So lernt man allenfalls den Genuß an ihr, nie aber die Gier nach ihr kennen, den Abweg von der ebenen Straße des Appetits, der in den Urwald des Fraßes führt. Im Fraße nämlich kommen die beiden zusammen: die Maßlosigkeit des Verlangens und die Gleichförmigkeit dessen, woran es sich stillt. Fressen, das meint vor allem: Eines, mit Stumpf und Stiel. Kein Zweifel, daß es tiefer ins Vertilgte hineinlangt als der Genuß. So wenn man in die Mortadella hineinbeißt wie in ein Brot, in die Melone sich hineinwühlt wie in ein Kissen, Kaviar aus knisterndem Papier schleckt und über einer Kugel von Edamer Käse alles, was sonst auf Erden eßbar ist, einfach vergißt



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Jörn P Budesheim
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Stefanie hat geschrieben :
Di 15. Jul 2025, 22:27
Wir verwenden fressen auch öfters.
Aber nur mit entsprechendem Zungenschlag. Du kannst ja mal einen Test machen und deinen Kolleg:innen sagen, dass sie fressen.




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