Kann man Künstler und Werk trennen?

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Alethos
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Sa 10. Aug 2019, 14:34

Als Nichtkunstversteher, oder besser, als Kunstnichtversteher, erlaube mir nur ein vorsichtiges Urteil: Das Kunstwerk hat seine Natur nicht nur in sich, als etwas isoliert Betrachtetes. Es ist dies, was im Lichte von etwas strahlt und diesem auch Licht gibt: Farben gibt, Formen gibt. Und von diesem auch dies alles empfängt. Es ist nicht Kunstwerk, weil es Ding einer Gattung oder einer Art, es ist Kunstwerk, weil es mit dem Künstler so verwoben ist, wie mit dem Raum, in welchem es erscheint und mit den Gegenständen, mit denen es eine Gemeinschaft bildet. Wenn auch der Künstler der Urheber ist, der Erschaffer der Einheit von Form und Materie, so entlässt er es in eine nie vollständiges, sondern nur teilhabendes Sein zu allem anderen, von dem der Künstler auch nur ein Teil ist. Das Kunstwerk ist somit nicht einfach das Produkt des Künstlers, sondern es ist das Produkt dieser Gemeinschaft, zu der es stösst nicht als Fremdes, sondern als integraler Bestandteil von ihr. Und somit ist der Künstler immer integraler Bestandteil der Gemeinschaft seines Werks, aber nicht wie ein exklusiv Wesengebendes, sondern wie ein Begleiter unter anderen.

Wenn nun der Künstler jemand ist oder etwas wird, was er nicht war, so springt dies auf das Werk über, so dass ein Schatten auf es fällt, der nicht da war. Aber es ist doch nie ein alles überschattender Schatten, sondern einfach eine Facette der ganzen Erzählung, die das Werk erzählen kann.



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Stefanie
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Sa 10. Aug 2019, 19:58

alethos, das bedeutet dann was? Mir ist nicht ganz klar, was du meinst.



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Stefanie
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Sa 10. Aug 2019, 20:38

Diese Diskussion passt auch ganz gut, wobei es mehr um das Gegenteil geht. Es geht hier um die fast totale Verbindung, ja fast schon Verschmelzung von Künstler und Werk, wofür die Biographie eventuell es etwas angepasst wurde.
Kunst und Leben sind bei der Serbin Marina Abramovic eins. Aber wie viel von sich hat sie erfunden?

https://www.welt.de/kultur/kunst/articl ... rafie.html



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Alethos
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Sa 10. Aug 2019, 21:10

Stefanie hat geschrieben :
Sa 10. Aug 2019, 19:58
alethos, das bedeutet dann was? Mir ist nicht ganz klar, was du meinst.
Dass man das Werk von nichts trennen kann, auch nicht vom Künstler, ohne an ihm etwas zu verändern. Dass es ohne den Künstler immer noch ein Kunstwerk ist, aber nun halt ein anderes .. verändertes.



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Stefanie
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Di 13. Aug 2019, 22:08

Ich grübel darüber immer noch. Wenn sich das Kunstwerk, welches auch immer, sich dadurch verändert, weil wir es im Nachhinein anders bewerten, weil wir den Künstler anders bewerten, lesen wir dann nicht in das Werk was rein, was wahrscheinlich nie vorhanden war? Das Kunstwerk verändert sich durch unsere Bewertung, die zudem falsch sein kann.



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Jörn Budesheim
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Mi 14. Aug 2019, 05:49

Stefanie hat geschrieben :
Di 13. Aug 2019, 22:08
Ich grübeln darüber immer noch.
Ich auch :) ich werde dabei immer skeptischer, was die Möglichkeit von einer generellen Trennung von Werken Künstler angeht...




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Jörn Budesheim
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Di 15. Okt 2019, 18:15

Das Thema kennt kein Ende, weiter geht es mit Peter Handke und dem Nobelpreis > https://spon.de/afAaH




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Stefanie
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Di 15. Okt 2019, 19:32

Die Frage geht mir bei Handke auch durch den Kopf. Ich kenne nur zwei Werke von ihm, die Publikumsbeschimpfungen und die Angst des Tormanns beim Elfmeter. Letzeres war ausgeliehen, und ist sooooo lange her, ähm Jahrzehnte, dass ich den Inhalt nachlesen müsste. Ich weiß daher nicht, wieviel von seiner Einstellung zum Balkankrieg und zu Milošević in sein Werk eingeflossen ist. Wenn viel, dann wäre es mehr als kritisch.
Das Thema ist immer noch kompliziert.



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Stefanie
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Do 17. Okt 2019, 22:17

Zwei Mitglieder des Nobelpreises haben sich auch geäußert:

https://www.sueddeutsche.de/kultur/pete ... -1.4645766

Hier die Stellungnahme eines externen Mitglieds
https://www.spiegel.de/kultur/literatur ... 92062.html
Einige Auszüge, aber eigentlich müsste man den ganze Text lesen.

Lassen Sie mich mit einigen persönlichen Anmerkungen beginnen. Für mich ist entscheidend, dass Handke den Jugoslawienkrieg bedauert hat, dass er eine friedliche Lösung der Konflikte bevorzugt hätte. 

Ich selbst vertrete die gegenteilige Meinung: Handke ist ein radikal unpolitischer Autor, was sich am deutlichsten am Motiv der Sprachkritik belegen lässt. Handkes Werk prägt eine ideologiekritische, ethisch fragende Haltung, ein politisches Programm wird dabei nicht propagiert. In vielen Texten versucht das erzählende Ich, sich aktiv vom Ideologischen, von der Welt der Werte, tradierten symbolischen Ordnungen und "der Welt der Namen" (wie es in Langsame Heimkehr heißt) zu distanzieren, um in der Literatur neue private, subjektive oder mythische Ordnungen zu schaffen. Dieser Ansatz wird Handke häufig als subjektive Träumerei angekreidet - aber genauso lässt er sich als radikale, ideologiekritische Poetik lesen.

Wer den sprachkritischen Handke trotzdem politischen lesen will, findet genau hier - in seinem Unwillen, ideologisch zu sein - eine Stärke.

In der Balkanfrage vollführte Handke eine Art politisches Kamikazemanöver, vermutlich in vollem Bewusstsein über die Risiken. Seine Grundthese war, in der deutschen und österreichischen Berichterstattung über die Jugoslawienkriege komme die serbische Seite nicht zu Wort. Die Art und Weise, wie Handke seine Kritik artikulierte, war prekär, plump und führte bisweilen zu regelrecht widersinnigen Vergleichen. Diese Texte sind in mehrerlei Hinsicht problematisch und nur bedingt zitierbar, da sämtliche Aussagen eng mit Argumentationen verknüpft sind, von denen Handke hofft, dass sie als Gesamtheit gedeutet werden.

Es ist ganz offensichtlich, dass Handke in einigen Artikeln über die Jugoslawienkriege gar nicht erst versucht, als glaubwürdiger politischer Kommentator aufzutreten. Und obwohl er geradezu reflexartig gegen alles zu schießen scheint, was er als unerschütterlichen Konsens auffasst, lassen sich einige dieser Manöver schlichtweg nicht verteidigen. Aber ein Kriegshetzer ist Peter Handke deshalb nicht. Er ist kein Ezra Pound.








:



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Stefanie
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So 20. Okt 2019, 14:40

In diesem Streitgespräch über Handke

https://www.spiegel.de/kultur/literatur ... 92257.html

Wird Eva Menasse zitiert:
(...) Eva Menasse geschrieben hat: "
Große Kunst setzt voraus, dass ein fehlbares Menschlein etwas geschaffen hat, das von seiner Bedeutung und Wirkungsdauer weit über ihm, dem Menschlein, steht".



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Do 28. Nov 2019, 20:19

Gauguin in London
Die verstörende Seite des Malerhelden

https://www.monopol-magazin.de/die-vers ... alerhelden




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Stefanie
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Do 28. Nov 2019, 20:45

Ich finde es interessant, dass bestimmte Themen aufeinmal hochkommen, obwohl es doch zum größtenteil schon bekannt war.
Bei Gauguin hatte ich darüber schon vor zwei Jahren gelesen, und bei Nolde gab es schon vor der ganzen Diskussion einen Fernsehbericht.
War da der Zeitpunkt noch nicht da, weil man noch nicht sensibilisiert genug war? Oder ist es auch etwas Lust an der Zerstörung von Mythen?



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Im Moment ist die Zeit für vieles reif, deswegen herrscht ja auch so eine Art Bürgerkrieg. Denn die Rechten, die Ultrarechten wollen den Fortschritt ja auf jeden Fall verhindern.




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Eine Diskussion zum Thema, ich habe es selbst noch nicht gesehen, ist recht neu.




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Stefanie
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Fr 13. Dez 2019, 22:31

Dazu gibt es nicht zufällig auch eine geschriebene Fassung?



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Keine Ahnung :)




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Sa 21. Dez 2019, 10:45

Kann man Künstler und Werk trennen?

Was heißt hier eigentlich "kann"?

Es könnte ein "psychologisches kann" gemeint sein: schafft man es als biographische, leiblich, körperliche Person diese Trennung zu machen?

Es könnte auch eine "logisch begriffliches kann" gemeint sein.

Es könnte auch die Frage gemeint sein, ob es richtig oder angemessen ist, zu trennen.

Die Frage könnte sogar rhetorisch gemeint sein: Künstler und Werk wären demnach so sehr verwoben, dass man sie gar nicht trennen kann, es wäre nicht möglich sie zu trennen, denn sie bilden eine Art Einheit.

Und dann fragt sich natürlich, was denn überhaupt getrennt wird? Die Beurteilung der Person und die Beurteilung des Werkes? Das Leben der Person und die Bedeutung des Werkes? Oder soll es eine totale Trennung geben, in welchem Sinne auch immer? Sollen auch Personen, Zeit und Werk ganz getrennt sein?

Wer bietet mehr?

Ich für meinen Teil finde es zunehmend schwer, diese Frage zu beantworten.




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Alethos
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Sa 21. Dez 2019, 11:58

Ja, genau: Was heisst hier trennen? Kann man meine Handschrift trennen von meiner Hand? Scheint nicht in jedem Kunstwerk eine Handschrift durch, die man sich ohne eine Hand nicht vorstellen kann, die sie zeichnet?

Was heisst denn Künstler? Was ist der Künstler? Die Hand, die Kunstwerke schafft? Das Herz, das Blut in sie hineinpumpt und Nerven, die die Sehnen zum Öffnen und Schliessen der Hand antreiben? Ist es sogar sein Gedanke, der mitschwingt, in die Hand hinein und über sie hinaus in etwas? Ist sogar die Vergangenheit des Künstlers ganz anwesend im Hier und Jetzt des Werks? Was ist mit seinen Gefühlen, seiner Trauer, seiner Freude? Ist das alles nicht irgendwo da in seinem Werk?

Ich meine, wo sollte die Trennung ansetzen, die den Künstler und sein Werk trennen will? Bei der Hand? Dem Kopf? Seiner moralischen Verfehlung? Und diese, seine Schuld: Wo endet sie am deutlichsten, sodass man sie zuverlässig trennen könnte vom unschuldigen Werk?

Nein: Kunstwerk und Künstler, sie sind so verwoben miteinander wie Begriff und Denken. Wie Wahrheit und Wirklichkeit. Nichts trennt den Künstler von seinem Werk, ohne alles aufzulösen, was beide zu diesen macht.



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