Was ist denn Kitsch?

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Jörn Budesheim
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Sa 14. Okt 2023, 14:33

Einen Bezug habe ich doch hergestellt. Der Kurator hat einen guten Geschmack, weil er gute und schlechter Kunst unterscheiden kann.

Ein weiterer Bezug wäre das folgende: ein Sommelier hat einen guten Geschmack, wenn er guten und schlechten Wein unterscheiden kann.




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Quk
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Sa 14. Okt 2023, 15:25

Also können mir dieser Kurator und der Sommelier Beispiele guter Kunst und gutem Wein zeigen?

Dann sehe und schmecke ich beispielhafte Elemente aus einer riesigen Menge des Guten.

Ich kann die Beispiele auswendiglernen, weiß dann aber immer noch nicht, warum sie in diese Menge kamen.

Das Auswendiggelernte sagt mir nicht, ob neue Sachen guten oder schlechten Geschmacks sind.


Ich muss nochmal zurückspulen ...
Jörn Budesheim hat geschrieben :
Sa 14. Okt 2023, 10:47
Quk hat geschrieben :
Fr 13. Okt 2023, 09:47
Was bedeutet das eigentlich, wenn eine Person einen "guten Geschmack" hat?
Wenn der Ausdruck "guter Geschmack" einen Sinn haben soll, muss er sich vom "schlechten Geschmack" unterscheiden. Wenn der so verstandene Geschmack nicht nur eine Frage des Geschmacks ist, dann muss er in irgendeiner Weise objektiv sein.

Der Direktor unserer Kunsthalle hat nach meinem Geschmack einen guten Geschmack, weil er in der Lage ist, gute von schlechter Kunst zu unterscheiden.
Gut, ich sehe im Nachhinein: Dein Kommentar ergibt Sinn -- bezogen auf eine Ob-Frage.

When, if.

Meine Wenn-Frage war nicht als Ob-Frage gemeint ("ob jemand einen guten ..."), sondern bat um mehr qualitative Einzelheiten. Was für Inhalte sind da deutbar? Also eher Inhalts-Bedeutung statt Ob-Bedeutung.




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Jörn Budesheim
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Sa 14. Okt 2023, 17:24

Quk hat geschrieben :
Sa 14. Okt 2023, 15:25
Also können mir dieser Kurator und der Sommelier Beispiele guter Kunst und gutem Wein zeigen?

Dann sehe und schmecke ich beispielhafte Elemente aus einer riesigen Menge des Guten.

Ich kann die Beispiele auswendiglernen, weiß dann aber immer noch nicht, warum sie in diese Menge kamen.
Genau, deswegen ist Sommelier auch ein Beruf, den man erlernen muss und in Kunsthallen gibt es in der Regel Vermittlungsprogramme, die den Betrachter:innen die Kunst eben näher bringen sollen.




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Quk
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Sa 14. Okt 2023, 19:22

Und so entsteht ein Konsens über die Definition des "guten Geschmacks"?




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Sa 14. Okt 2023, 19:32

Ist es nicht auch primär eine Konvention?




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Quk
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Sa 14. Okt 2023, 19:37

Ja, eine gruppenbezogene Konvention.

Gut ist dasjenige, was als gut empfunden wird.

Das ist so eine ähnliche Logik wie beim IQ-Test: Intelligenz ist dasjenige, was der Test misst. Er misst zum Beispiel nicht emotionale oder soziale oder körperliche Intelligenz. Ich meine, der Intelligenz-Begriff braucht einen Bezug (Räumlichkeits-Intelligenz etc.) ebenso wie der Gutgeschmack einen braucht. "Gut" ist da ein Messwert dessen, wie gut einem Stil XY gefällt. Meine ich.

Ich käme nie auf die Idee, die Musik der Bay City Rollers als Ausdruck schlechten Geschmacks zu bezeichnen.

Geschmack ist ja was individuell sinnliches. Geschmack zu haben, heißt, Geschmacksknospen zu haben, also bestimmte Sinne zu haben. Für die Musik der Bay City Rollers habe ich keine Sinne. Diesbezüglich habe ich also keinen Geschmack, könnte man sagen. Das heißt aber nicht, dass ich überhaupt keinen Geschmack habe. Daher verwende ich diese Floskel erst gar nicht.

Man kann bestimmte Sinne natürlich auch anregen und trainieren. Siehe Jörns Kommentar über "Vermittlungsprogramme". Man lernt nie aus. Manches bleibt aber verschlossen (Bay City Rollers).
Zuletzt geändert von Quk am Sa 14. Okt 2023, 19:57, insgesamt 1-mal geändert.




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AufDerSonne
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Sa 14. Okt 2023, 19:56

Interessant. Über die Psyche will niemand diskutieren.
Und doch tut ihr gerade genau dies. Es geht um guten und schlechten Geschmack. Also um Normalität, um die Norm. Also das, wovon eine grosse Mehrheit der Bevölkerung gleicher Meinung ist.
Um diesen Mainstream geht es immer wieder hier im Forum. Aber Klarheit herrscht nicht. Wir sind uns nicht einmal einig, ob es einen Mainstream, also guten Geschmack, gibt.

Vielleicht sollten wir uns wieder einmal bewusst werden, dass das eigene Wahrnehmen absolut privat ist erst einmal. Keine zwei Menschen nehmen das gleiche wahr. Also erst einmal gibt es nur rein subjektive Beurteilung über den Geschmack. Erst wenn wir uns mit anderen Menschen abgleichen kann man herausfinden, was "gut" sein soll.



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Sa 14. Okt 2023, 20:09

Konventionen sind immer auch eine Machtfrage. Etwa der Definitionsmacht.

Es gibt, oder gab es früher noch mehr, die Unterscheidung in "U" und "E". Wobei das eine als "seicht" und das andere als "künstlerisch wertvoll" usw. gilt.




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Jörn Budesheim
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Quk hat geschrieben :
Sa 14. Okt 2023, 19:37
Gut ist dasjenige, was als gut empfunden wird.
Ich will gar nicht davon reden, dass ich das ganz furchtbar fände, aber was soll dann der Ausdruck "guter Geschmack" überhaupt noch bedeuten? Wenn jeder Geschmack gleich gut wäre, warum sollte man dann überhaupt von gutem Geschmack sprechen, wenn es doch gar keinen schlechten Geschmack geben kann?




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Sa 14. Okt 2023, 20:51

Was totale Beliebigkeit wäre.




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Jörn Budesheim
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Ja!




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Stefanie
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Sa 14. Okt 2023, 21:00

Ich habe das so verstanden, dass sich Gut ist dasjenige, was als gut empfunden wird, auf die gruppenbezogenen Konventionen bezog.
...
Es geht doch nicht nur um den guten Geschmack bzgl. Wein und Kunst. Sondern auch bei der Musik, Literatur, Einrichtungsstil, Film, wie man sich kleidet.

Jemand kann einen guten Geschmack bei der Auswahl der Klamotten haben, aber nicht bei der Auswahl der Gemälde, die an der Wand hängen.



Das Land, das die Fremden nicht beschützt, geht bald unter.
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Jörn Budesheim
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Sa 14. Okt 2023, 21:04

Stefanie hat geschrieben :
Sa 14. Okt 2023, 21:00
Ich habe das so verstanden, dass sich Gut ist dasjenige, was als gut empfunden wird, auf die gruppenbezogenen Konventionen bezog.
Quk hat geschrieben :
Sa 14. Okt 2023, 19:37
Ja, eine gruppenbezogene Konvention.

Gut ist dasjenige, was als gut empfunden wird.
Okay




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Stefanie
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Sa 14. Okt 2023, 21:14

Ich kann mich auch irren.



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Quk
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So 15. Okt 2023, 00:11

Stefanie hat mich verstanden :-)

"Der" gute Geschmack klingt mir zu universal. Zu pauschal. Das ist wie: "Die" Frau per se. "Der" Mann an sich. "Der" Sachse.

Ich schrieb weiter oben, dass mir oft der Bezug fehlt. Der Bezug. Wenn der einem Urteil fehlt, ensteht Nebel.

Beispiel. Krawatte zu tragen zeugt von gutem Geschmack in Bezug auf diejenige Gruppe, in welcher dieses Kleidungsstück Respekt signalisiert. Ich selbst habe noch nie Krawatte getragen, aber Respekt halte ich für etwas gutes. In Bezug auf diesen guten Respekt halte ich es für abwegig, der Krawattenträgerin einen unguten Geschmack zu unterstellen. -- Erhält dieser Respekts-Bezug nun wiederum weitere Bezüge, wie beispielsweise der Bezug zur Selbstüberhöhung, -- also die Anderen sollen die Person nicht nur respektieren sondern anbeten --, dann sondern sich neue Gruppen ab, welche diese Anbetung ablehnen; diese Gruppenangehörige legen ihre Krawatten ab. In dieser neuen Gruppe, in der die gleiche Augenhöhe gefeiert wird, zeugt die Krawattenlosigkeit von gutem Geschmack -- obwohl die Krawatte auch Respekt signalisiert. In solchen Zwiespälten wird die Geschmacksfrage komplex. Da gibt es dann Möglichkeiten der Dosierung: Lange oder kurze Krawatte? Breit oder schmal? Knallbunt oder monochrom gedeckt? Im Grunde gehts in solchen Details um den Ausdruck: Wieviel Liter Respekt will ich von den anderen verlangen? Sollen sie mich auch ein bisschen anbeten? Dann pumpe ich noch drei Liter in mich hinein. Oder besser über mir stehen? Dann nehme ich vier Liter aus mir heraus. Nach einer Stunde vor dem Spiegel entscheidet sich Paula für die Zwei-Liter-Krawatte. Sehr geschmackvoll -- in Bezug auf die Gruppe, die sie gleich besucht. Ohne Bezug geht urteilsmäßig garnix, würde ich sagen.

Wenn ich "Gruppe" sage, meine ich nicht nur die Genre-Gruppen, die Stefanie nannte: Musik, Film, Mode etc. Sondern auch die verschiedenen Gruppen innerhalb eines Genres. Etwa in der Musik: Schlagerfreunde, Jazzfreunde, etc. und darin wiederum: 60er-Schlagerfans, 90er-Schlagerfans. Freejazzfans, Dixiejazzfans. Bezüge, Bezüge. Sie verästeln sich wie ein Baum.




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Jörn Budesheim
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So 15. Okt 2023, 11:00

AufDerSonne hat geschrieben :
Sa 14. Okt 2023, 19:56
Interessant. Über die Psyche will niemand diskutieren.
Und doch tut ihr gerade genau dies.
Ich nicht. Ich bin für Psychologismus in der Regel nicht zu haben.




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Jörn Budesheim
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So 15. Okt 2023, 13:00

Quk hat geschrieben :
Sa 14. Okt 2023, 19:37
Geschmack ist ja was individuell sinnliches. Geschmack zu haben, heißt, Geschmacksknospen zu haben, also bestimmte Sinne zu haben.
Diese Sichtweise ist mir fremd.

Meiner Meinung nach sprechen wir im vorliegenden Zusammenhang gar nicht allein von Geschmack im wörtlichen Sinne, sondern von "gutem Geschmack" - also etwas Normativem - und in diesem Zusammenhang ist der Ausdruck "Geschmack" in der Regel eher metaphorisch zu verstehen. Nehmen wir ein Beispiel, an dem das besonders deutlich wird: Wenn jemand einen guten Geschmack in Bezug auf Lyrik hat, dann geht es nicht bloß um Geschmacksknospen.

Wenn wir also von jemandem sagen, sie oder er hat einen guten Geschmack, dann ist damit meines Erachtens gemeint, dass sie oder er in dem Bereich, in dem ihr oder ihm ein guter Geschmack attestiert wird, zuverlässig zwischen gut und schlecht unterscheiden kann. Das ist eine ganz andere Begriffsverwendung, als wenn wir von Geschmacksfragen sprechen, wenn wir zum Beispiel sagen, dass jemand lieber Spaghetti mit roter Soße oder mit Knoblauch mag.




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Quk
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So 15. Okt 2023, 13:43

Es gibt diese Floskeln:

"Geschmacklos!"
"Sie haben Geschmack!"
"Der hat doch keinen Geschmack."


Ich meine, in allen drei Floskeln ist das Wort "Geschmack" die abgekürzte Form von "guter Geschmack".
"Geschmack" als metaphorische Kurzform für "guter Geschmack". Der Geschmacksbegriff als Symbol für das Gute.

So setze ich dieses "Geschmackhaben für das Gute" gleich mit dem "Sinnehaben für das Gute" oder "Knospenhaben für das Gute".

"Geschmacksknospen", wie auch andere Wörter in diesem Kontext, sind von mir metaphorisch gemeint.

Knospe: Ihre Fühler himmelweit.


Jörn Budesheim hat geschrieben :
So 15. Okt 2023, 13:00
... dass sie oder er in dem Bereich, in dem ihr oder ihm ein guter Geschmack attestiert wird, zuverlässig zwischen gut und schlecht unterscheiden kann.
Mich würde interessieren, nicht ob (oder dass) jemand zwischen gut und schlecht unterscheiden kann, sondern woraus das Gute besteht. Und ich meine, die Beschreibung des Guten muss auf einen Bezug aufbauen. Wasser ist gut zum Durstlöschen; Wasser ist schlecht zur Flutabwehr.




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Jörn Budesheim
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Mo 16. Okt 2023, 08:26

Jörn Budesheim hat geschrieben :
So 15. Okt 2023, 13:00
... dass sie oder er in dem Bereich, in dem ihr oder ihm ein guter Geschmack attestiert wird, zuverlässig zwischen gut und schlecht unterscheiden kann.
Quk hat geschrieben :
So 15. Okt 2023, 13:43
Mich würde interessieren, nicht ob (oder dass) jemand zwischen gut und schlecht unterscheiden kann, sondern woraus das Gute besteht. Und ich meine, die Beschreibung des Guten muss auf einen Bezug aufbauen. Wasser ist gut zum Durstlöschen; Wasser ist schlecht zur Flutabwehr.
Woraus das Gute besteht? Dazu kann ich nichts sagen, weil ich die Frage nicht verstehe.
Ein Bezug? Ich schreibe in dem Zitat, dass es je um den Bereich geht, in dem jemandem ein guter Geschmack attestiert wird. Das ist doch ein Bezug, oder?
Wasser ist gut zum Durstlöschen; Wasser ist schlecht zur Flutabwehr. Hier fällt es mir schwer, den Zusammenhang zum guten/schlechten Geschmack zu erkennen. Ich steh’ auf der Leitung.




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Jörn Budesheim
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Mo 16. Okt 2023, 08:38

Hier ein kurzes Statement von Barry Smith, der sich der Philosophie des Weines widmet, ein kurzer Ausschnitt aus einem Interview:

Frage: Wie können Sie tatsächlich richtig liegen in Bezug darauf, wie ein Wein schmeckt?

Barry Smith: Der Gedanke, dass wir nicht richtig liegen können und dass alles nur subjektiv ist, also in dem Sinne, dass etwas mir hier und jetzt nur so erscheint, ist falsch. Wir wissen doch alle, dass wir nicht den vollen Geschmack dieses edlen Cabernet Sauvignon [...] erfahren werden, wenn wir uns gerade die Zähne geputzt oder in eine Zitrone gebissen haben. Uns ist also bewusst, dass bestimmte Vorbedingungen erfüllt sein müssen, und natürlich auch hinsichtlich des Weins, damit man zu einem Ergebnis gelangt.

Das wäre schon einmal ein Anfang, um sich von dem Gedanken zu verabschieden, dass es da nur meine Sinneswahrnehmung in diesem einen Moment gibt. [Wir sollten den Gedanken zulassen,] dass ein Geschmack etwas ist, das da draußen ist, etwas, was wir zu erreichen suchen, was wir nicht immer sofort auf der Zunge haben. Wir sollten daher nicht der Meinung sein, dass der Geschmack ausschließlich eine Sinneswahrnehmung ist, die in uns stattfindet.




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