Re: Was ist denn Kitsch?
Verfasst: Mo 18. Dez 2017, 15:25
von Stefanie
Ich merke gerade, der Link von mir geht nicht, wenn er vom Forum aufgerufen wird: also hier dann doch der lange Text:
Das waren noch Zeiten, als die Trennlinie zwischen Kitsch und Kunst so scharf war, dass man sich bei der geringsten Unachtsamkeit daran schneiden konnte! In den 1930er Jahren durfte der amerikanische Kritikerpapst Clement Greenberg alles, was nicht Avantgarde war, dem Kitsch zuschlagen und schreiben: «Kitsch ist mechanisch und funktioniert nach festen Formeln. Kitsch ist Erfahrung aus zweiter Hand, vorgetäuschte Empfindung … Kitsch ist der Inbegriff alles Unechten im Leben unserer Zeit.» Und noch radikaler verurteilte der Dichter Hermann Broch den Kitsch: «Das Böse im Wertsystem der Kunst.»
Kitsch: das war für den Kunstfreund und Kunstkenner einmal etwas Unangenehmes, Unappetitliches und Verwerfliches, Konsumgut allein für denkunfähige, unsensible und infantile Charaktere. Wer etwas auf sich hielt, war bestrebt, sich von allem fernzuhalten, was nach Kitsch aussah. Und war man unsicher im Geschmack, griff man zu Karlheinz Deschners Longseller «Kitsch, Konvention und Kunst», erstmals erschienen 1957. Noch in der revidierten Ausgabe von 1980 konnte man darin lesen: «Kitsch ist immer unecht, unwahr, Als-ob-Kunst. Kitsch, für den wir fast alle anfällig sind, ist leider nicht bloss lächerlich, sondern hochgradig gefährlich, infektiös, epidemisch, die mörderischste Droge der Welt.»
Mittlerweile kennen wir schlimmere Drogen, und der Nachdruck, mit dem einst gegen den Kitsch und seine Ansteckungsgefahr zu Felde gezogen wurde, erscheint uns heute als Kuriosum der Kulturgeschichte. Dass man in einem Zeitalter der Toleranz auch dem Kitsch gegenüber tolerant geworden ist, dass es niemand mehr auf sich nehmen wollte, für wahre Kunst zu missionieren und vor verlogenem Kitsch zu warnen, versteht sich angesichts einer Entwicklung, in der die Kunst auf dem Markt der ästhetischen Sensationen genauso um ihre Konsumenten buhlt wie der Kitsch.
Was verwundert, ist die Karriere, die der Kitsch in der Kunst selbst gemacht hat. Nicht nur erfreut sich seit der sogenannten Postmoderne die Kitsch-Art, also die Arbeit von Künstlern mit Kitsch, anhaltender Beliebtheit; auch der Kitsch selbst wurde zum Objekt ästhetischer Begierde. Und je kitschiger der Kitsch ist, je wahrer er in seiner Verlogenheit in Erscheinung tritt, umso besser. Kitsch als Objekt des Sammelns, Kitsch als begehrtes Dokument der Alltagskultur, Kitsch als Gegenstand gelehrter Texte und Diskurse, Kitsch als Kult: das ist mehr, als der Kitsch je hatte erwarten dürfen.
Natürlich laufen alle Definitionsversuche von Kitsch so fehl wie die von Kunst. Und doch haben die meisten Menschen ein untrügliches Gespür für den Kitsch. Als Besucher des Zuger Kunsthauses einmal aufgefordert wurden, zu einem Vortrag Kitschgegenstände mitzubringen, vergriff sich tatsächlich niemand: von der mit Lichtgirlanden bekränzten Madonna über die obligaten Schneekugeln und den treuherzigen Porzellanpudel bis zu den röhrenden Hirschen fand sich alles ein. Wir wissen vielleicht nicht immer, was Kunst ist, aber Kitsch zu identifizieren, bereitet offenbar keine Probleme. Sanfte, engelsgleiche Mienen, pinkfarbene Gewänder und Accessoires, gefaltete Hände, das Niedliche und Bunte, das Ungetrübte und Harmonische, eine idyllische Natur, das Glatte und Kindliche sowie eine Sentimentalität, die unmittelbar zu Herzen geht – das sind die Ingredienzien, aus denen sich der Kitsch zusammensetzt.
Die Ranküne gegenüber dem Kitsch ist älter als der Kitsch selbst. Was der Germanist Walter Killy 1961 in seinem Buch «Deutscher Kitsch» dem Kitsch in erster Linie vorwarf, war dessen Absicht, auf nichts anderes aus zu sein als auf «Reiz» und «Stimmung». Im Kitsch ist alles dem Reizeffekt untergeordnet, und weil nichts so schnell verpufft wie ein plumper Reiz, bleibt dem Kitsch nichts anderes übrig als eine «Kumulation» der Reize, um die erwünschte emotionale Reaktion – vorzugsweise Rührung – hervorzurufen.
Dass Kunst nicht reizen und nicht rühren darf, ist aber ein Verbot, das zuerst Immanuel Kant ausgesprochen hat: «Der Geschmack ist jederzeit noch barbarisch, wo er die Beimischung der Reize und Rührungen zum Wohlgefallen bedarf.» Wo der Blick des Betrachters und das Auge des Lesers gereizt werden, wo direkt an Gefühle appelliert wird, wo Sehnsucht, Liebesschmerz und Liebesglück zu Tränen rühren, wo zitternde Leiber die zärtlichsten Begierden wecken, da ist, so Kant, ein ästhetisches Urteil unmöglich geworden. Im Kitsch, so könnte man sagen, realisiert sich Kants Albtraum: Alles ist nur noch Reiz und Rührung und die ästhetische Urteilskraft damit am Ende.
So scharf wie Immanuel Kant hat später nur noch Arthur Schopenhauer den Reiz und die Rührung in der Kunst verurteilt. Die Aufgabe der Kunst bestand für ihn darin, dem Betrachter zu erlauben, die Dynamik seines Willens zum Leben wenigstens für einen Moment zu vergessen, um unabgelenkt von seinem Leib und seinen Begierden mit Hilfe des Schönen die Wahrheit kontemplativ zu erfassen. Das Reizende und das Rührende aber stacheln genau diese Begierden an und verhindern die reine Erkenntnis. In seinem Hauptwerk, «Die Welt als Wille und Vorstellung», schrieb der notorische Pessimist: «Im Gebiete der Kunst finde ich nur zwei Arten des Reizenden und beide ihrer unwürdig. Die eine, recht niedrige, im Stillleben der Niederländer, wenn es sich dahin verirrt, dass die dargestellten Gegenstände Esswaren sind, die durch ihre täuschende Darstellung notwendig den Appetit darauf erregen.» Kunst, die vorgibt, Natur zu sein, und dadurch das natürliche Verlangen weckt statt den ästhetischen Sinn, war Schopenhauer ein Greuel – und vielleicht bewahrt uns nur das Wissen um die Virtuosität dieser Stillleben davor, sie tatsächlich in die Nähe des Kitsches zu rücken.
Neben den Stillleben der Niederländer, die unzulässig den Appetit anregten, waren es für Schopenhauer vor allem die «nackten Gestalten» in der Historienmalerei und Bildhauerei, «deren Stellung, halbe Bekleidung und ganze Behandlungsart darauf hinzielt, im Beschauer Lüsternheit zu erregen, wodurch die rein ästhetische Betrachtung sogleich aufgehoben, also dem Zweck der Kunst entgegengearbeitet wird.» Keine Frage: Kitsch arbeitet mit der Evokation genau dieser sanften Lüsternheit. Kitsch ist nie direkt vulgär und pornographisch, seine Erotik ist glatt, geschönt, gibt sich unschuldig, nicht einmal frivol und schien deshalb den Hütern der Tugend ganz besonders verwerflich.
Dort, wo sich ein «Gewand von weisser Seide» über einen «süssen Leib» spannt und es «heimlich wie ein warmer Strom, der Erwartung und Bangen war und doch voll unfassbaren Glücks», durch einen Mädchenkörper läuft, dort zeigte sich für Walter Killy der Kitsch in seiner degoutanten Grenzenlosigkeit, als «geistiger Brunftschrei», als Steigerung des Stimmungsreizes zum erotischen Reiz, der gerade deshalb nicht als reines Gefühl, sondern nur als verlogener, als vermischter Effekt in Erscheinung treten kann.
Was immer demonstrativ und direkt auf den Gefühlshaushalt der Menschen abzielt, steht unter diesem Verdacht des barbarischen Geschmacks, für den sich seit dem frühen 20. Jahrhundert der Kitschbegriff eingebürgert hat. Die Geschichte einer unglücklich-glücklichen Liebe zu lesen oder dem traurigen Sterben eines edlen Wilden zu den Klängen eines deutschen Ave Maria beizuwohnen und darob in Tränen auszubrechen, ist Kennzeichen einer Rührung, zu der sich ein Kunstkenner nie hinreissen liesse. Immerhin: Jean Paul, den man wohl nicht unter Kitschverdacht stellen wird, hatte in seiner «Vorschule der Ästhetik» das Weinen als eine durchaus angemessene Reaktionsform auf Kunst verteidigt: «Die Träne selber übrigens ist nur der körperliche Nilmesser des Austretens irgendeines Gefühls, der Tautropfe des Danks, das Haderwasser des Grimms, die Libation der Freude – kurz, ihre Tropfen bilden den Regenbogen aus allen Farben der Empfindungen.»
Wenn der Kitsch auch nicht alle Farben der Empfindungen hervorrufen mag, dann ist doch sein Bekenntnis zur Farbigkeit höchst auffällig. Kitsch ist bunt, und seine Palette ist so gestaltet, dass man sie bestenfalls einem kindlichen Gemüt durchgehen liesse. Die moderne Kunst, die Avantgarde, verachtet das Bunte, das Zusammenspiel von Farben, die nicht aufeinander abgestimmt sind. In den grossen monochromen Werken dominieren Schwarz, Rot und Weiss, in der Architektur und im Design kühles Chrom, durchsichtiges Glas, glattes Metall und blanker Beton. Der britische Künstler und Essayist David Batchelor sprach jüngst von der pathologischen Chromophobie, der krankhaften Farbangst der Moderne. Kitsch aber ist bunt, und was bunt ist, ist Kitsch.
Damit deutet sich etwas an, was die aktuelle Konjunktur des Kitsches wesentlich mitbestimmt. Im Kitsch holen wir uns zurück, was die Moderne uns verwehrt: den Reiz, das Gefühl, das Bunte und das kleine Glück, vor allem aber die Empfindungswelt der Kindheit. Kitsch ist Ausdruck der Sehnsucht nach dem verlorenen Paradies der Erinnerung, und sich zum Kitsch der Weihnachtsmärkte zu bekennen, gereicht niemandem mehr zum Vorwurf, wenn es mit dem augenzwinkernden Verweis auf das Damals der versunkenen Kindheit geschieht.
Allen prominenten Verdikten über den Kitsch ist eines gemeinsam: der Vorwurf, dass Kitsch verlogen sei, dass er die Zerrissenheit der Welt mit einem Gefühlsbrei zukleistere und dabei nach standardisierten Formeln verfahre. Diese Kritik setzt zweierlei voraus: dass der Kitsch mit der Kunst konkurriere und dass es der Kunst um die Wahrheit gehen müsse. Fallen diese Voraussetzungen weg, wird es schwierig, die Kritik am Kitsch aufrechtzuerhalten. Deshalb entspricht der Karriere von Kitsch, aber auch von Trash der Niedergang der Kunst und ihre Auflösung in der Unterhaltungsindustrie. Die Emanzipation des Kitsches ist die späte Rache des Geschmacks an der avantgardistischen Zumutung, dass es in Kunstdingen nicht um sinnliche Sensationen, sondern um Askese und Wahrheit, Bilderverbot und Verweigerung gehen müsse.
Die Abkehr der Kunst von diesem Denkmuster der Entsagung macht den Weg frei für die Wiederkehr eines Geschmacks, der sich schamlos an allem delektiert, was die Welt ihm bietet. Was ehemals abgrundtief schlechter Geschmack war, ist plötzlich auf der Höhe der Zeit. Borniert wirkt heute, wer Kitsch, Unterhaltung, Pop und Trash abwehrt und daran festhält, dass Schubert und Schönberg Erfahrungen vermitteln, an die nichts in der Welt heranreicht.
Allerdings: Damit aus dem ehemals schlechten Geschmack eines Menschen, der Kitsch mit Kunst und Sentimentalität mit ästhetischer Erschütterung verwechselte, ein guter Geschmack werden kann, bedarf es eines Minimums an Selbstdistanzierung. Denn nicht der darf seinen Geschmack originell, womöglich sogar exzentrisch nennen, der Gartenzwerge tatsächlich für eine Verschönerung seines Rasenstücks hält, sondern der, der mit Kennermiene Gartenzwerge sammelt, vorzugsweise ostdeutscher Provenienz. Nicht der gläubige Mensch, der in der Kitsch-Madonna den Widerschein der Erlösung im trauten Heim erblickt, ist auf der Höhe der heutigen Geschmackskultur, sondern der kulturstudiengeeichte Agnostiker, der nach Einsiedeln fährt, um eine originale Kitsch-Madonna zu erstehen.
Was aber ist echter Kitsch? Der Begriff der Echtheit widerspricht dem des Kitsches ja schon an sich. Denn neben der Verlogenheit ist der Kitsch vor allem durch ein Kriterium definiert: die Massenproduktion. Kitsch entsteht am Fliessband, ist Massenware für den Massengeschmack. Die Nobilitierung des Kitsches bringt das Paradoxon mit sich, dass nur als echter Kitsch gelten kann, was tatsächlich massenhaft existiert. Dort, wo nur noch wenige Exemplare einer Produktionsserie vorhanden sind – Fernsehleuchten aus den fünfziger Jahren zum Beispiel –, verringert allein schon die Seltenheit den Kitschcharakter und rechtfertigt damit auch den Sammler. Und dort, wo Künstler der Gegenwart sich der Formensprache des Kitsches bedienen – Jeff Koons zum Beispiel oder Pierre et Gilles –, entsteht eben nicht echter Kitsch, sondern Kitsch-Art. Und die ist immer ironisch, darf auch als Kritik des Kitsches gesehen werden und hängt als Spielart von Kunst im Museum. Es hilft nichts: echter Kitsch kommt nicht aus der Werkstatt des Künstlers, sondern aus den Produktionshallen der Kitschindustrie.
Es ist übrigens genau diese massenhafte Produktionsweise, die dem Umgang mit Kitsch hin und wieder Kultstatus verleihen kann. Natürlich fallen Kitsch und Kult nicht zusammen. Was an Kultfilmen, Kultgegenständen, Kultbildern, Kultbüchern, Kultbands, Kultfiguren und Kultserien im Kulturleben zirkuliert, ist nicht immer Kitsch. Und nur kitschig zu sein, genügt nicht, um Kult zu sein. Aber dort, wo das Klischee in seiner reinsten Form in Erscheinung tritt, wo sich das Sentiment unverblümt artikuliert, die Tränen hemmungslos fliessen und der schlechte Geschmack nicht mehr zu unterbieten ist, kann fast alles zu Kult werden.
Kult liegt dann vor, wenn ein Gegenstand, ein Kunstwerk oder auch eine Person nicht nur Objekt einer bestimmten Wertschätzung geworden ist, sondern Anlass eines symbolisch-praktischen Rituals, einer kollektiven Verehrung, die ihren religiösen Ursprung nicht verleugnen kann. Jeder Kult braucht eine Gemeinde. Walter Benjamin schon hatte die These vertreten, dass die Kunst aus dem religiösen Kult entstanden ist. Aber das seit der Renaissance autonom gewordene Kunstwerk wollte eben gerade nicht mehr Gegenstand eines kultischen Rituals sein, sondern forderte herrisch die Konzentration der Wahrnehmung ausschliesslich auf es selbst. Das verbot alle kultische Praxis: das Tanzen, das Wippen der Körper, das Anzünden von Wunderkerzen, das kollektive Skandieren und Mitsingen, den rituellen Verzehr mitgebrachter Speisen und Getränke, aber auch das kollektive Ergriffensein.
All das ist jedoch dort möglich, wo wir heute von Kult sprechen. Im Kult, so könnte man sagen, kehren die ästhetischen Empfindungen zu ihrem Ursprung zurück – allerdings ohne Beziehung zum Jenseitigen. Wohl kann man Stars kultisch verehren, aber sie werden dadurch nicht zu Göttern. Manche mögen deshalb im Kult nichts anderes sehen als die verlogenen Schwundstufen von Religiosität. Andere sehen gerade im Mangel an Spiritualität, der regelmässig auch dem religiösen Devotionalienkitsch vorgeworfen wird, einen Beitrag zur Humanisierung des Menschengeschlechts.
Was Kult ist, offenbart sich in einem praktischen Ritual. Dieses verlangt die Wiederholbarkeit des Immergleichen in einer Versammlung der Gleichgesinnten. Das Verhalten des Kinopublikums, das sich unzählige Male die «Rocky Horror Picture Show» ansah, zeigt, was die Zelebrierung eines Kultes ausmacht. Dass bestimmte Fernsehserien, Sitcoms und Familiensagas auch unter Intellektuellen Kultstatus geniessen, was zu wöchentlichen und ritualisierten Versammlungen vor den TV-Geräten führt, hat seine Wurzeln ebenso in der Faszination der ewigen Wiederkehr des Gleichen. Nietzsches kosmisches Gesetz erfährt so am tiefsten Punkt der Unterhaltungsindustrie seine Wahrheit.
Neben Kitsch kann auch Trash Kandidat für einen Kult sein. Setzt der Kitsch auf Rührung durch Sentimentalität, so arbeitet Trash mit dem Allerletzten, was eine Ästhetik aufzubieten hat: Abfall, Hässlichkeit, schrille Töne, Gekreisch. Trash rührt an Ekelkunst und Abject-Art, allerdings ohne den provokativen Ernst derselben. Kult kann er werden, weil sich der schlechte Geschmack dabei an einem Tiefpunkt weiss, von dem es nur noch aufwärtsgehen kann.
Die Talkshows der Privatsender, in denen alles aufgeboten wird, was es an Beziehungstragödien, Seelenkonflikten, Psychodramen und Randexistenzen gibt, und von denen es einige zum Kultstatus gebracht haben, bringen Kitsch und Trash auf den Punkt. Dort, wo sich zerstrittene Paare um den Hals fallen, verlorene Kinder ihre Eltern wiederfinden und jugendliche Kleinkriminelle reuig in den Schoss der Gesellschaft zurückkehren, das Gefühl der Harmonie also am Ende triumphiert, warten der Kitsch und die Tränen. Dort aber, wo das Hässliche und Gemeine von der Fernsehrichterin verurteilt, der gewalttätige Ehemann als Pornograph entlarvt wird und der eifersüchtige Teenager als hinterhältiges Biest in Erscheinung tritt, darf sich die Lust am schlechten Geschmack unverstellt artikulieren.
Kult kann dies werden, weil alle wissen: Alles ist gelogen. In dem Masse, in dem das Authentische inszeniert, das Ungestellte gestellt und das Wirkliche unwirklich ist, lassen sich diese Shows als ein Ausdruck des wahren falschen Bewusstseins kollektiv geniessen. Kitsch und Trash werden zu Kult, weil sie – Hermann Broch und Friedrich Nietzsche mögen es verzeihen – tatsächlich jenseits von Gut und Böse sind.
Konrad Paul Liessmann ist Professor für Philosophie an der Universität Wien und Autor zahlreicher Bücher zu Fragen der Ästhetik, Kulturphilosophie und Philosophie des 19. und 20. Jahrhunderts. Zuletzt ist von ihm erschienen «Reiz und Rührung. Über ästhetische Empfindungen» (2003).