Kaffeestübchen

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Alethos
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Di 9. Mär 2021, 17:45

NaWennDuMeinst hat geschrieben :
Di 9. Mär 2021, 14:46
Alethos hat geschrieben :
Di 9. Mär 2021, 13:30
Nun kann man zurecht einwenden, dass es auch Religionsfreiheit gibt und ein Recht auf freie Meinungsäusserung. Aber angesichts der Tatsache, dass es in der Mehrheit der Fälle um Unterdrückung und Bevormundung der Frau geht und nicht um Ermächtigung, entscheide ich im Zweifelsfall gegen das Recht, eine Burka zu tragen und somit auch für die Möglichkeit der Frau auf vollständige Selbstbestimmung.
Wenn Du Frauen verbietest das zu tragen was sie tragen wollen, forderst Du aber keine "vollständige Selbstbestimmung".
Ich fordere eine vollständige Selbstbestimmung der Frau, aber keinen völligen Liberalismus bei Burka.

Das ist also keine Aktion gegen die Frau, sondern gegen die Burka, welche tendenziell als Unterdrückungsinstrument eingesetzt wird und nur ganz selten als leuchtendes Symbol des weiblichen Selbstbestimmungsrechts gilt. Wenn ich ein Recht zugunsten eines anderen einschränken muss, dann entscheide ich mich im Zweifelsfall für das Selbstbestimmungsrecht der Frau und nehme in Kauf, dass sie sich nicht in eine Burka hüllen darf (ein Burkaverbot übrigens, das für Männer auch gilt, falls sie den sehnlichen Wunsch hegen sollten, eine Burka tragen zu wollen.)



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Alethos
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Di 9. Mär 2021, 17:56

NaWennDuMeinst hat geschrieben :
Di 9. Mär 2021, 10:37
Selbstbestimmung
Für mich ist der Hauptpunkt eben nicht, dass wir den Frauen Selbstbestimmungsrechte wegnehmen, sondern unter dem Strich solche gewähren.



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Jörn Budesheim
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Di 9. Mär 2021, 18:07

Stefanie hat geschrieben :
Di 9. Mär 2021, 17:02
Will man und mann gegen die Unterdrückung der Frauen vorgehen, reicht es nicht, ein Zeichen einer Religion und einer Unterdrückung zu verbieten.
Ich finde auch nicht dass das reicht. Aber das Gesetz beinhaltet ja sicherlich nicht, dass es nicht auch noch weitere Maßnahmen geben darf.




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Jörn Budesheim
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Di 9. Mär 2021, 18:19

Das soll jetzt kein Argument pro oder contra sein. Das mit der Selbstbestimmung ist auch so eine Sache. Meine Oma war sicherlich "selbstbestimmt" Hausfrau. Das heißt, wenn man sie danach gefragt hätte (aber wer hätte schon gefragt?) hätte sie bestimmt erklärt, dass sie mit dieser Rolle zufrieden ist und dass damit alles richtig ist. Macht ist da am wirksamsten, wo das, was sie gebietet, verinnerlicht ist und "freiwillig" geschieht.




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Alethos
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Di 9. Mär 2021, 18:35

NaWennDuMeinst hat geschrieben :
Di 9. Mär 2021, 12:28
Man hat eine Zwangslage gegen eine andere eingetauscht.
Aber ist das nicht oft so, dass wir das müssen? Es gilt bspw. Meinungsäusserungsfreiheit, aber nicht jede Meinungsäusserung ist erlaubt.
Du darfst nackt baden gehen, aber nicht in einer öffentlichen Badeanstalt. Du darfst eine Burka tragen, halt nicht überall. Oder hier: Wie tolerant müssen wir gegenüber Intoleranz sein? Es gibt Zielkonflikte.

Die Frage nun, die sich dir genauso stellt, wie mir, ist: Welches Recht schützt du im Konfliktfall? Ein abstraktes Selbstbestimmungsrecht bezüglich einer Kleiderordnung oder das viel eher gefährdete Recht der Frauen auf Selbstbestimmung in patriarchalen Gesellschaften. Und da meine ich halt, dass das allgemeine Selbstbestimmungsrecht mehr wiegt als das besondere. Es ist wichtiger, dass eine Frau keine Burka tragen muss, wenn sie nicht will, als dass sie sie tragen kann, wenn sie will.



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AndreaH
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Di 9. Mär 2021, 18:46

Das Reisen mit Burka wäre für diese Frauen sicher eine große Chance. Mit einem Verschleierungsverbot würden ihre Männer alleine in Männergruppen auf Reisen gehen. Sie würden ihren Frauen dann die zu Hause bei ihren Familien geblieben sind, Fotos von den Reisen mitbringen. Daher sehe ich die Frauen diesbezüglich als Verlierer. Denn dieses Reisen könnte vielmehr bewirken.




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Stefanie
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Di 9. Mär 2021, 19:16

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Di 9. Mär 2021, 18:07
Stefanie hat geschrieben :
Di 9. Mär 2021, 17:02
Will man und mann gegen die Unterdrückung der Frauen vorgehen, reicht es nicht, ein Zeichen einer Religion und einer Unterdrückung zu verbieten.
Ich finde auch nicht dass das reicht. Aber das Gesetz beinhaltet ja sicherlich nicht, dass es nicht auch noch weitere Maßnahmen geben darf.
Geben darf, es steht aber nicht drin, dass es sie geben muss.
Wo sind Aktionen, Massnahmen, die auf Augenhöhe angesiedelt sind, in den Kitas, in den Schulen, in der Politik, in Kinderbüchern, Schulbüchern, sicher finanzierte Stadtteilprojekte, Frauenförderung, Männerprojekte, Aufklärung, mehrsprachige Ansprache, etc.ppp. und zwar ohne die Religion schlecht zu machen. Unter Einbezug aller.
In Deutschland muss sich eine Frau allein schon wenn sie einen entsprechend arabisch oder türkisch klingenden Namen hat, auch ohne dass sie ein Kopftuch trägt, und sich dann noch erdreistet, selbstbewusst aufzutreten, oft massiven Angriffen erwehren. Die Vorurteile werden noch größer, wenn sie ein Kopftuch trägt.
Frauen, die Kopftuch, Burka, Nikap tragen werden mehrfach ausgegrenzt, das Verbot eines Kleidungsstück reicht nicht, um das zu beenden.



Das Land, das die Fremden nicht beschützt, geht bald unter.
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Stefanie
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Di 9. Mär 2021, 19:26

Oder..wie wird der Islam in Kinderbücher und Schulbüchern dargestellt? Wie werden verschleierte Frauen, oder Männer dargestellt? Finden sich kleine Mädchen, deren Mütter verschleiert sind, angesprochen? Usw.
Das sind Punkte und die Situation hier bei uns, und wie es in Saudi Arabien?



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Jörn Budesheim
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Di 9. Mär 2021, 19:35

Daraus, dass diese Maßnahme nicht reicht, folgt jedoch nicht, dass die Maßnahme falsch ist. Eher im Gegenteil: dass die Maßnahmen nicht reicht, heißt ja eigentlich, dass sie richtig ist und weitere folgen müssen.




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NaWennDuMeinst
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Di 9. Mär 2021, 20:03

Alethos hat geschrieben :
Di 9. Mär 2021, 18:35
NaWennDuMeinst hat geschrieben :
Di 9. Mär 2021, 12:28
Man hat eine Zwangslage gegen eine andere eingetauscht.
Aber ist das nicht oft so, dass wir das müssen? Es gilt bspw. Meinungsäusserungsfreiheit, aber nicht jede Meinungsäusserung ist erlaubt.
Ja. Aber aber dann wird ein Wert zugunsten eines anderen eingeschränkt.
Hier wird ja aber behauptet man müsse die Selbstbestimmung zugunsten der Selbstbestimmung einschränken.
Das ist wie Ficken für die Unschuld, oder Krieg für den Frieden. Das ist absurd und selbstwidersprüchlich.
Und deshalb ist das ja auch nur vorgeschoben. In Wahrheit geht es um was anderes, nicht um die Selbstbestimmung der Frauen.
Die Frage nun, die sich dir genauso stellt, wie mir, ist: Welches Recht schützt du im Konfliktfall? Ein abstraktes Selbstbestimmungsrecht bezüglich einer Kleiderordnung oder das viel eher gefährdete Recht der Frauen auf Selbstbestimmung in patriarchalen Gesellschaften.
Welche patriachalen Gesellschaften meinst Du denn? Die Schweiz? Ich nehme dir nicht ab, dass Du ernsthaft glaubst wegen 30 burkatragenden Frauen sei die Schweiz auch nur in irgendeiner Form gefährdet (falls doch würde das wohl an Verfolgungswahn grenzen).
Und die arabischen Gesellschaften? Meinst Du die juckt das in irgend einer Form wenn Schweizer irgendwas verbieten?
Die lachen sich tot.
Und da meine ich halt, dass das allgemeine Selbstbestimmungsrecht mehr wiegt als das besondere. Es ist wichtiger, dass eine Frau keine Burka tragen muss, wenn sie nicht will, als dass sie sie tragen kann, wenn sie will.
Finde ich nicht. Du verbietest und verunmöglichst in beiden Fällen bestimmte Lebensentwürfe.
Im Prinzip sagst Du: Frauen sollen gezwungen werden so zu leben wie bestimmte Schweizer das wollen.
Das kannst Du mir nicht als Selbstbestimmung verkaufen, weil das keine ist. Tut mir leid.



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NaWennDuMeinst
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Di 9. Mär 2021, 20:12

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Di 9. Mär 2021, 18:19
Das soll jetzt kein Argument pro oder contra sein. Das mit der Selbstbestimmung ist auch so eine Sache. Meine Oma war sicherlich "selbstbestimmt" Hausfrau. Das heißt, wenn man sie danach gefragt hätte (aber wer hätte schon gefragt?) hätte sie bestimmt erklärt, dass sie mit dieser Rolle zufrieden ist und dass damit alles richtig ist. Macht ist da am wirksamsten, wo das, was sie gebietet, verinnerlicht ist und "freiwillig" geschieht.
An der Stelle muss man umgekehrt sehr genau aufpassen, dass man Menschen nicht entmündigt.
Wir sind da nämlich nicht mehr weit davon entfernt zu sagen, dass diese Menschen gar nicht selbst beurteilen können was sie wirklich wollen.

Das Problem der Großmutter in deinem Bespiel war doch auch, dass es ja gar keine Alternativen gab.
Deshalb ist die Wahlmöglichkeit ja so wichtig.



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Alethos
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Di 9. Mär 2021, 20:38

NaWennDuMeinst hat geschrieben :
Di 9. Mär 2021, 20:03
Ja. Aber aber dann wird ein Wert zugunsten eines anderen eingeschränkt.
Hier wird ja aber behauptet man müsse die Selbstbestimmung zugunsten der Selbstbestimmung einschränken.
Nun ja, du hättest in der Schweiz halt gegen das Verhüllungsverbot gestimmt. Das Recht hättest du in der Schweiz gehabt.

Ich sehe das Argument, das du machst, schon, nur ich sehe da keinen Widerspruch. Es geht ja einerseits um die Selbstbestimmung, als Frau tragen zu können, was sie will. Andererseits aber auch um die Selbstbestimmung der Frau, nicht tragen zu müssen, was sie nicht will. Ich schätze, dass eine Mehrheit der Frauen sich gezwungen fühlt, eine Burka zu tragen, entweder, weil sie davon ausgehen, dass der Islam es von ihnen erwartet oder aber ihre Männer. Der Anteil jener, die das wirklich wollen, weil sie es bequem und angenehm finden, dürfte eine Minderheit sein.

Aber selbst, wenn nicht, selbst wenn es eine Mehrheit sein sollte, die gerne eine Burka trägt, nicht, weil ihre Interpretation des Islam es gebietet, sondern aus modischen Gründen oder anderen, kann man mit dem Recht der Anderen begründen, dass auch sie ein Recht haben zu sehen, wer da vor ihnen steht. Auch die Nichtträger von Burkas haben Rechte auf einen Kontakt auf Augenhöhe. Auch dieses Recht muss einfliessen in die Abwägung.

Was aber gar nicht geht, ist zu sagen, dass alle Rechte uneingeschränkt gelten - nein, sie schränken sich gegenseitig ein. Das ist politische und soziale Realität: Dein Recht auf freie Meinungsäusserung wird limitiert durch mein Recht auch Unversehrtheit: Du darfst mich nicht verleumden z.B.

Nochmal: Es ist ein moralischer Konflikt und ich weiss nicht, was richtig ist. Ich weiss nur, dass ich Burkas nicht gut finde, weil sie für Abschottung und Repression stehen, vielmehr als dass sie für Selbstbestimmung stehen.



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Stefanie
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Di 9. Mär 2021, 20:41

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Di 9. Mär 2021, 19:35
Daraus, dass diese Maßnahme nicht reicht, folgt jedoch nicht, dass die Maßnahme falsch ist. Eher im Gegenteil: dass die Maßnahmen nicht reicht, heißt ja eigentlich, dass sie richtig ist und weitere folgen müssen.
Sehe ich nicht so. Erst andere Massnahmen einleiten.
Durch das Verhüllungsverbot werden Frauen in eine Konfliktsituation gebracht, in der sie, egal wie sie sich entscheiden, Ärger bekommen. Entweder mit Familie, Mann, Religion wenn sie die Burka ablegen, oder mit dem Staat, wenn sie sich weigern, die Burka abzulegen. Diejenigen, die geschützt werden sollen, werden bestraft. Paradox.
Vor Jahren, als diese Diskussion das erste mal begann, sah ich im Fernsehen eine Szene von einem Strand, ich glaube Frankreich.. Die Frau trug einen burka badeanzug, und war mit einem kleinen Mädchen am Strand. Die Polizei kam und das Verbot dieser Kleidung durchzusetzen, eine Diskussion folgte, das Kind war schon am heulen. Dann zerrte die Polizei, Männer, die Frau vom Strand, das kleine Mädchen im Schlepptau, heulend. Super hat das die Staatsgewalt gemacht, Verbot durchgesetzt, das Ergebnis war ein verstörtes Kind und eine Frau, die mit Sicherheit nicht überzeugt wurde. Im schlimmsten Fall entstand Hass auf den Staat. Hier hätte schon eine vorherige Schulung der Polizisten so eine Situation vermieden. Oder besser erst gar kein Verbot.



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Alethos
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Di 9. Mär 2021, 20:57

NaWennDuMeinst hat geschrieben :
Di 9. Mär 2021, 20:12
Jörn Budesheim hat geschrieben :
Di 9. Mär 2021, 18:19
Das soll jetzt kein Argument pro oder contra sein. Das mit der Selbstbestimmung ist auch so eine Sache. Meine Oma war sicherlich "selbstbestimmt" Hausfrau. Das heißt, wenn man sie danach gefragt hätte (aber wer hätte schon gefragt?) hätte sie bestimmt erklärt, dass sie mit dieser Rolle zufrieden ist und dass damit alles richtig ist. Macht ist da am wirksamsten, wo das, was sie gebietet, verinnerlicht ist und "freiwillig" geschieht.
An der Stelle muss man umgekehrt sehr genau aufpassen, dass man Menschen nicht entmündigt.
Es geht doch gar nicht um Entmündigung.

Wenn das Recht, in der Öffentlichkeit eine Burka zu tragen, die Gefahr birgt, dass eine Frau sie tragen muss (weil es ja erlaubt ist), dann darf man dieses Recht einschränken, wenn man damit jene davor bewahrt, sie tragen zu müssen, wenn sie sie nicht tragen wollen. Auch auf die Gefahr hin, dass man jene in ihrem Recht einschränkt, die sie gerne tragen würden. Das ist ein Preis, den man mit gutem Gewissen zahlen kann.

Es gibt z.B. Leute, die auf der Autobahn sehr gerne mit 250 Sachen durch die Gegend brettern möchten, aber sie dürfen es halt nicht zum Schutz derer, die sie damit gefährden. Wenigstens in der Schweiz gilt aus diesem Grund ein Tempolimit, d.h. ein eingeschränktes Recht auf Geschwindigkeit. Auch da müssen einige für andere auf gewisse Freiheiten verzichten. Das ist ein sozialer, politischer Preis, den man zahlen kann (und sollte, wie ich meine).

Aber so zu tun, als ob kein Recht das andere einschränken dürfe, weil es sonst Menschen entmündigen würde, das ist einfach eine verkehrte Sicht der Dinge. Wir alle müssen uns einschränken für andere - das ist okay, das ist sogar geboten. Und ich meine, das gilt für das Verhüllungsrecht auch, weil die Einschränkung dieses Rechts jenen Schutz bietet, die sonst Gefahr laufen könnten, gezwungen zu werden, sich zu verschleiern. Dieser Zwang ist real und das auszublenden ist kultureller Chauvinismus oder aber Gleichgültigkeit.



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NaWennDuMeinst
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Di 9. Mär 2021, 20:59

Alethos hat geschrieben :
Di 9. Mär 2021, 20:38
NaWennDuMeinst hat geschrieben :
Di 9. Mär 2021, 20:03
Ja. Aber aber dann wird ein Wert zugunsten eines anderen eingeschränkt.
Hier wird ja aber behauptet man müsse die Selbstbestimmung zugunsten der Selbstbestimmung einschränken.
Nun ja, du hättest in der Schweiz halt gegen das Verhüllungsverbot gestimmt. Das Recht hättest du in der Schweiz gehabt.
Ich sehe das Argument, das du machst, schon, nur ich sehe da keinen Widerspruch. Es geht ja einerseits um die Selbstbestimmung, als Frau tragen zu können, was sie will. Andererseits aber auch um die Selbstbestimmung der Frau, nicht tragen zu müssen, was sie nicht will. Ich schätze, dass eine Mehrheit der Frauen sich gezwungen fühlt, eine Burka zu tragen, entweder, weil sie davon ausgehen, dass der Islam es von ihnen erwartet oder aber ihre Männer. Der Anteil jener, die das wirklich wollen, weil sie es bequem und angenehm finden, dürfte eine Minderheit sein.
Redest Du jetzt von der Schweiz?
Glaubst Du wirklich dass dort die Mehrheit der Burkatragenden Frauen das machen, weil sie sich dazu gezwungen sehen?

Oder redest Du von islamischen Gesellschaften im arabischen Raum?
Dort kann das was Du sagst durchaus zutreffen (ich weiß es nicht), aber das änderst Du ja nicht mit einem Gesetz in der Schweiz.
Aber selbst, wenn nicht, selbst wenn es eine Mehrheit sein sollte, die gerne eine Burka trägt, nicht, weil ihre Interpretation des Islam es gebietet, sondern aus modischen Gründen oder anderen, kann man mit dem Recht der Anderen begründen, dass auch sie ein Recht haben zu sehen, wer da vor ihnen steht. Auch die Nichtträger von Burkas haben Rechte auf einen Kontakt auf Augenhöhe. Auch dieses Recht muss einfliessen in die Abwägung.
Klar. Das schrieb ich ja auch oben schon, dass es noch jede Menge andere Argumente gegen eine Vollverschleierung gibt.
Ich bemängele das auch nicht (bzw darauf beziehe ich mich nicht), sondern dass das Verbot mit der "Selbstbestimmung der Frauen" begründet wird.
Ich finde man kann das so nicht überzeugend begründen.
Was aber gar nicht geht, ist zu sagen, dass alle Rechte uneingeschränkt gelten
Das sagt ja auch keiner.
Ich bemängele hier nicht, dass man einen Wert über einen anderen stellt.
Nochmal: Es ist ein moralischer Konflikt und ich weiss nicht, was richtig ist. Ich weiss nur, dass ich Burkas nicht gut finde, weil sie für Abschottung und Repression stehen, vielmehr als dass sie für Selbstbestimmung stehen.
Aber da ist eben der Widerspruch. Der Wert ist hier ja ganz klar die Selbstbestimmung.
Wenn ich aber Frauen verbiete sich auch für ein Leben in Vollverschleierung zu entscheiden wenn sie das wollen , dann hat das mit Selbstbestimmung nichts mehr zu tun.
Man kann ja nicht sagen, dass Frauen hier dann noch die Wahl haben. Haben sie ja nun in der Schweiz gerade nicht mehr.
Zuletzt geändert von NaWennDuMeinst am Di 9. Mär 2021, 21:14, insgesamt 3-mal geändert.



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NaWennDuMeinst
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Di 9. Mär 2021, 21:11

Alethos hat geschrieben :
Di 9. Mär 2021, 20:57
NaWennDuMeinst hat geschrieben :
Di 9. Mär 2021, 20:12
Jörn Budesheim hat geschrieben :
Di 9. Mär 2021, 18:19
Das soll jetzt kein Argument pro oder contra sein. Das mit der Selbstbestimmung ist auch so eine Sache. Meine Oma war sicherlich "selbstbestimmt" Hausfrau. Das heißt, wenn man sie danach gefragt hätte (aber wer hätte schon gefragt?) hätte sie bestimmt erklärt, dass sie mit dieser Rolle zufrieden ist und dass damit alles richtig ist. Macht ist da am wirksamsten, wo das, was sie gebietet, verinnerlicht ist und "freiwillig" geschieht.
An der Stelle muss man umgekehrt sehr genau aufpassen, dass man Menschen nicht entmündigt.
Es geht doch gar nicht um Entmündigung.

Wenn das Recht, in der Öffentlichkeit eine Burka zu tragen, die Gefahr birgt, dass eine Frau sie tragen muss (weil es ja erlaubt ist),
Stimmt das? Ist es in der Schweiz vor der Abstimmung erlaubt gewesen Frauen gegen ihren Willen zum Tragen einer Burka zu zwingen?
Ich denke nicht.
Dass etwas erlaubt ist (eine Burka zu tragen), heißt nicht, dass Menschen dass dann müssen.
Eine KANN-Bestimmung ist keine SOLL-Bestimmung.

dann darf man dieses Recht einschränken, wenn man damit jene davor bewahrt, sie tragen zu müssen, wenn sie sie nicht tragen wollen.
Also ich weiß nicht wie das in der Schweiz ist, aber in Deutschland kann keine Frau gezwungen werden eine Burka zu tragen.
Wer das versucht macht sich strafbar. Das heißt: Die Situation die Du beschreibst gibt es so gar nicht.

Was es gibt sind soziale Zwänge. Diese Frauen sind eingebunden in Familien die von ihnen ein bestimmtes Verhalten erwarten.
Aber wenn eine Frau entscheiden würde sich davon frei zu machen, dann hätte sie das Gesetz auf ihrer Seite. Und ich denke das ist auch in der Schweiz schon immer so gewesen. Auch vor dem Verschleierungs-Verbot.
Auch auf die Gefahr hin, dass man jene in ihrem Recht einschränkt, die sie gerne tragen würden. Das ist ein Preis, den man mit gutem Gewissen zahlen kann.
Nein, ist es nicht. Denn Du schränkst ja das Recht jeder Frau in der Schweiz ein: Keine Frau in der Schweiz darf nun jetzt noch ein Leben in Vollverschleierung führen.
Das betrifft ja nicht nur die 30 Burkaträgerinnen, sondern dieses Recht hat jetzt KEINE Frau in der Schweiz mehr.
Ich finde nicht, dass sich das rechtfertigen lässt. Schon gar nicht mit Verweis auf die Selbstbestimmung. Das ist ja gerade ein Angriff auf die Selbstbestimmung.
Es gibt z.B. Leute, die auf der Autobahn sehr gerne mit 250 Sachen durch die Gegend brettern möchten, aber sie dürfen es halt nicht zum Schutz derer, die sie damit gefährden.
Wen gefährdet eine Frau in Vollverschleierung? Und auf welche Weise?
Aber so zu tun, als ob kein Recht das andere einschränken dürfe, weil es sonst Menschen entmündigen würde, das ist einfach eine verkehrte Sicht der Dinge.
In meinem Beitrag an Jörn ging es um was anderes (um die Frage ob Menschen selbst beurteilen können wie frei sie sind).
Niemand hat behauptet, dass man einen Wert nicht über einen anderen stellen darf. Du hast da was falsch verstanden.
Zuletzt geändert von NaWennDuMeinst am Di 9. Mär 2021, 21:17, insgesamt 1-mal geändert.



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Di 9. Mär 2021, 21:12

Stefanie hat geschrieben :
Di 9. Mär 2021, 20:41
besser erst gar kein Verbot.
Nehmen wir an, wie befinden uns in Saudiarabien. Würdest du sagen, dass es den Frauen dort gut geht, die sich verhüllen müssen? Wenn du die Burka oder den Nikab etc. im Zusammenhang der sozialen Realität dieser Frauen siehst (dass sie nichts tun können, ausser ein Mann erlaube es - kein Bankkonto eröffnen, nicht arbeiten, nicht in andere Städte reisen uvm.), dann erkennst du, dass das Kleidungsstück nur ein Puzzlestück in einer die Rechte der Frauen verachtenden Maschinerie ist. In diesem Kontext steht die Burka und als solches Unterdrückungsinstrument, denke ich, gehört sie verboten. Es mag Frauen geben, die die Burka nicht als solches Instrument erleben, aber das ändert nichts daran, dass sie für ein frauenverachtendes System steht und es ändert nichts daran, dass ein solches Frauenbild falsch ist, in welchem sie bevormundet gehört, auch mit derartigen Kleidervorschriften

Dass es flankierende Massnahmen zum Schutz der Frauen braucht, ist sicherlich richtig. Man muss sie auch schützen vor solchen Situationen, wie du sie am Strand beschrieben hast. Ganz klar. Aber auch hier zeigt sich, dass wir gegen ein patriarchales Gewaltsystem kämpfen und für den Schutz der Frauen. Ja, wir müssen sie schützen, aber ja, nicht indem
wir aus Angst vor dem Widerstand der Männer letztere die Regeln aufstellen lassen.

Jörn schrieb, was ich gut fand, dass sich Frauen auf das Recht beziehen können und ggü. ihren Ehemännern darauf verweisen können, dass sie sie nicht tragen dürfen. Das gibt ihnen ein Recht in die Hand, sich zu wehren. Dass es Anlaufstellen braucht, wo diesen Frauen im Falle, dass ihnen Repressalien drohen, geholfen werden kann, scheint mir richtig. Es braucht auch Früherziehung in Kitas und Integrationskurse für Männer und noch viel mehr. Aber dass es das alles braucht, zeigt ja das grundsätzliche Problem: die Repression gegenüber Frauen, die wir doch nur mit einer Repression gegen diese Repression lindern können. Mit Gegenmassnahmen, aber sicherlich nicht mit keinen?



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Di 9. Mär 2021, 21:25

Alethos hat geschrieben :
Di 9. Mär 2021, 21:12
Jörn schrieb, was ich gut fand, dass sich Frauen auf das Recht beziehen können und ggü. ihren Ehemännern darauf verweisen können, dass sie sie nicht tragen dürfen. Das gibt ihnen ein Recht in die Hand, sich zu wehren.
Du meinst sie können dann sagen : "Lieber Ehemann, ich würde ja gerne deinen Anweisungen Folge leisten, aber ich darf es ja nicht".
Weißte was dann passiert? Der Mann schleift die Frau an den Haaren zurück in die Heimat. Ausserhalb der Reichweite und Geltung schweizer Gesetze.

Dieses Gesetz ist einfach sinnlos. Es bringt schlicht nichts. Aber es schränkt die Selbstbestimmung der Frauen ein. Und das obwohl es behauptet das Gegenteil zu leisten.



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Di 9. Mär 2021, 21:31

NaWennDuMeinst hat geschrieben :
Di 9. Mär 2021, 21:11
Ist es in der Schweiz vor der Abstimmung erlaubt gewesen Frauen gegen ihren Willen zum Tragen einer Burka zu zwingen?
Der soziale Druck war schon vorher da, wie du selbst schreibst, dass die Frauen von ihren Rechten nicht Gebrauch machten, z.B. aus Angst. Und nun hat man dieses Verhüllungsverbot, das ihnen helfen soll, ihre Rechte durchzusetzen.

Dass nun über alle Frauen ein Verhüllungsverbot verhängt wurde, kannst du meinetwegen für eine Entmündigung jener Frauen halten, die die Burka gerne tragen würden oder du kannst das Verbot auch als Ermächtigung all jener Frauen begreifen, die sie nicht tragen wollen. Es ist dir überlassen, welchen Frauen deine Fürsorge mehr gilt. Entscheiden musst du dich, wenn es zur Wahl steht.



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NaWennDuMeinst hat geschrieben :
Di 9. Mär 2021, 21:25
Der Mann schleift die Frau an den Haaren zurück in die Heimat.
...
[Das Gesetz] schränkt die Selbstbestimmung der Frauen ein.




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