Kaffeestübchen

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Jörn Budesheim
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Sa 1. Apr 2023, 12:35

Genau eines glaube ich nicht, und dem verdankt sich auch meine Frage zum Sich-Fühlen-Als ...
Um zu verstehen, was du meinst, worauf du dich beziehst, wäre es für mich hilfreich, wenn du mir ein Originalzitat von Frans de Waal nennen könntest, entweder aus dem Video oder aus dem Text.
es fühlt sich irgendwie an, der Mensch zu sein, der ich bin.
Wenn ich dich richtig verstehe, kannst du das nach deiner eigenen Logik dann natürlich auch nicht fühlen, weil dir der "Kontrast" fehlt, du weißt schließlich nicht, wie es ist ein Löwe, eine Schlange oder eine Birke zu sein.




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Lucian Wing
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Sa 1. Apr 2023, 13:02

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Sa 1. Apr 2023, 12:35

Wenn ich dich richtig verstehe, kannst du das nach deiner eigenen Logik dann natürlich auch nicht fühlen, weil dir der "Kontrast" fehlt, du weißt schließlich nicht, wie es ist ein Löwe, eine Schlange oder eine Birke zu sein.
Deshalb schrieb ich ja: es fühlt sich irgendwie an, der Mensch zu sein, der ich bin. Und was man nicht verwechseln sollte: Sich-Fühlen-Als ist etwas ganz anderes als dass sich etwas anfühlt.

Natürlich wird ein Mann nicht wissen, wie es sich anfühlt, zu menstruieren, während eine Frau nicht wissen wird, wie es sich anfühlt, wenn man beim Fußball versehentlich einen Ball in die Hoden geknallt bekommt. Und was den Rest angeht, hat Nagel das ganz gut erklärt anhand der Fledermaus. Aber im Trans-Bereich ist es ja mitunter so, dass eine Transfrau das fühlt, was ein Mann bei dem Ballunglück fühlt, und ein Transmann das, was eine menstruierende Frau fühlt.

Daher kommt man mit dem Sich-Fühlen-Als schlecht weiter.

Wobei die Diskussion ja um den Reichelt ging. Ich halte das Urteil für ein Unglück (auch wenn's den Reichelt trifft), weil für mich hier die Meinungsfreiheit weiter eingeschränkt wird. Will man wirklich dahinkommen, dass jemand sich nicht mehr hinstellen darf und sagen: Ein Transmann ist kein Mann, sonst hieße er nicht Transmann? Das ist doch die Richtung, in die es zu gehen scheint.



Als ich vierzehn war, war mein Vater so unwissend. Ich konnte den alten Mann kaum in meiner Nähe ertragen. Aber mit einundzwanzig war ich verblüfft, wieviel er in sieben Jahren dazu gelernt hatte. (Mark Twain)

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Jörn Budesheim
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Lucian Wing hat geschrieben :
Sa 1. Apr 2023, 13:02
Daher kommt man mit dem Sich-Fühlen-Als schlecht weiter
Wir kommen in dieser Diskussion nicht weiter, solange du dich nicht auf das beziehst, was Frans der Waal tatsächlich sagt.




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Lucian Wing
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Sa 1. Apr 2023, 13:14

NaWennDuMeinst hat geschrieben :
Sa 1. Apr 2023, 12:33
Lucian Wing hat geschrieben :
Sa 1. Apr 2023, 12:04
Genau eines glaube ich nicht, und dem verdankt sich auch meine Frage zum Sich-Fühlen-Als: Um mich als Mann zu fühlen, müsste ich wissen, wie man sich als Mann zu fühlen hat. Ich bestreite einfach die Möglichkeit, dass es ein Sich-Als-Mann-Fühlen gibt. Ich bin ein Mensch, biologisch männlichen Geschlechts, und es fühlt sich irgendwie an, der Mensch zu sein, der ich bin.
Du sagst das so beiläufig als hätte es keine Bedeutung, aber das ist falsch. Aus dem Umstand, dass Du biologisch männlich bist ergibt sich ja was.
Genau wie sich Etwas daraus ergibt biologisch weiblich zu sein. Das ist keine "Nebensache" sondern hat massiven Einfluß darauf wie (als was) Du Dich fühlst. Und wie Du Dich verhälst.
Ein einfaches Beispiel ist der Umstand, dass Menschen mit biologisch weiblichem Geschlecht schwanger werden können. Für diese Meschen steht daraus folgend viel mehr auf dem Spiel.
Und das schlägt sich natürlich im Verhalten und Empfinden nieder.

Männer und Frauen "haben sich nicht irgendwie zu fühlen", das sicher nicht. Aber sie fühlen sich teilweise unterschiedlich. Soviel steht mal fest.
Das ist nicht gewollt. Das ergibt sich einfach. Und ich denke das ist Vielen auch gar nicht klar, weil man so selbstverständlich ist wer man ist.
Es wird erst klar wenn man sich die Unterschiede bewusst macht.
Wie gesagt: Für mich drückt der Gedanke "sich als etwas fühlen" etwas anderes aus, als "etwas fühlt sich an".

Das sich mein Menschsein anfühlt, wie es sich anfühlt, das ist sicher der biologischen Tatsache meines Mannseins geschuldet (verkörpertes Bewusstsein), und ich gehe davon aus, es würde sich anders anfühlen, wenn ich Frau wäre, also gar nicht der, der ich bin. Aber wer behauptet, er fühle sich als x, obwohl er y ist, der tut etwas anderes. Der stellt die doppelte Behauptung auf, etwas anderes zu sein als er in seiner Verkörperung ist und damit, dass er wisse, wie man sich sowohl als x als auch als y fühlen müsse, um dieses oder jenes zu sein. Nur dann macht seine Aussage, er fühle sich als dieses oder jenes einen Sinn. Im Grunde ist es ein Dualismus zwischen Körper und Geist, weil man ja oft behauptet, im falschen Körper geboren zu sein. Was wiederum als Behauptung nur sinnvoll ist, wenn man Bewusstsein und Körper trennt.



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NaWennDuMeinst
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Sa 1. Apr 2023, 13:21

Lucian Wing hat geschrieben :
Sa 1. Apr 2023, 13:14
NaWennDuMeinst hat geschrieben :
Sa 1. Apr 2023, 12:33
Lucian Wing hat geschrieben :
Sa 1. Apr 2023, 12:04
Genau eines glaube ich nicht, und dem verdankt sich auch meine Frage zum Sich-Fühlen-Als: Um mich als Mann zu fühlen, müsste ich wissen, wie man sich als Mann zu fühlen hat. Ich bestreite einfach die Möglichkeit, dass es ein Sich-Als-Mann-Fühlen gibt. Ich bin ein Mensch, biologisch männlichen Geschlechts, und es fühlt sich irgendwie an, der Mensch zu sein, der ich bin.
Du sagst das so beiläufig als hätte es keine Bedeutung, aber das ist falsch. Aus dem Umstand, dass Du biologisch männlich bist ergibt sich ja was.
Genau wie sich Etwas daraus ergibt biologisch weiblich zu sein. Das ist keine "Nebensache" sondern hat massiven Einfluß darauf wie (als was) Du Dich fühlst. Und wie Du Dich verhälst.
Ein einfaches Beispiel ist der Umstand, dass Menschen mit biologisch weiblichem Geschlecht schwanger werden können. Für diese Meschen steht daraus folgend viel mehr auf dem Spiel.
Und das schlägt sich natürlich im Verhalten und Empfinden nieder.

Männer und Frauen "haben sich nicht irgendwie zu fühlen", das sicher nicht. Aber sie fühlen sich teilweise unterschiedlich. Soviel steht mal fest.
Das ist nicht gewollt. Das ergibt sich einfach. Und ich denke das ist Vielen auch gar nicht klar, weil man so selbstverständlich ist wer man ist.
Es wird erst klar wenn man sich die Unterschiede bewusst macht.
Wie gesagt: Für mich drückt der Gedanke "sich als etwas fühlen" etwas anderes aus, als "etwas fühlt sich an".
Sich als Etwas fühlen mag sich aber daraus ergeben wie sich etwas anfühlt.
Wenn ich den Teil meiner Gefühle nehme, der sich daraus ergibt, dass ich biologisch ein Mann bin.... warum sollte ich dann nicht sagen so fühlt es sich an ein "Mann" zu sein?
Ich bin also anderer Meinung als Du. Ich kann durchaus wissen wie es sich anfühlt ein Mann zu sein.
Letztlich ist "Mann" (und alles was wir darunter verstehen) nur so eine Art Bezeichner für das was Menschen mit männlichem Geschlecht so fühlen und erleben.
Das gibt es ja aber. Das sind ja keine Einbildungen.
Das sich mein Menschsein anfühlt, wie es sich anfühlt, das ist sicher der biologischen Tatsache meines Mannseins geschuldet (verkörpertes Bewusstsein), und ich gehe davon aus, es würde sich anders anfühlen, wenn ich Frau wäre, also gar nicht der, der ich bin. Aber wer behauptet, er fühle sich als x, obwohl er y ist, der tut etwas anderes. Der stellt die doppelte Behauptung auf, etwas anderes zu sein als er in seiner Verkörperung ist und damit, dass er wisse, wie man sich sowohl als x als auch als y fühlen müsse, um dieses oder jenes zu sein. Nur dann macht seine Aussage, er fühle sich als dieses oder jenes einen Sinn. Im Grunde ist es ein Dualismus zwischen Körper und Geist, weil man ja oft behauptet, im falschen Körper geboren zu sein. Was wiederum als Behauptung nur sinnvoll ist, wenn man Bewusstsein und Körper trennt.
Du hast vorher geschrieben, man könne nicht wissen wie man sich als Mann fühlt und könne deshalb auch nicht sagen man fühle sich als Mann.
Aber das muss doch dann umgekehrt auch gelten. Man kann dann ja auch nicht mehr sagen, man fühle sich nicht als Mann.
Als was fühlt man sich denn dann? Als Mensch? Siehe Einwand Jörn. Wie fühlt sich denn ein Mensch im Gegensatz zu was?



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Jörn Budesheim
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Sa 1. Apr 2023, 15:01

Lucian Wing hat geschrieben :
Sa 1. Apr 2023, 13:02
Wobei die Diskussion ja um den Reichelt ging. Ich halte das Urteil für ein Unglück (auch wenn's den Reichelt trifft), weil für mich hier die Meinungsfreiheit weiter eingeschränkt wird. Will man wirklich dahinkommen, dass jemand sich nicht mehr hinstellen darf und sagen: Ein Transmann ist kein Mann, sonst hieße er nicht Transmann? Das ist doch die Richtung, in die es zu gehen scheint.
Wenn ich es richtig sehe, hat ein Landgericht im Wege einer einstweiligen Verfügung das bewusste Misgendern der Trans-Journalistin Janka Kluge auf dem Reichelt-Blog untersagt. Man kann nicht einfach von den konkreten Umständen absehen. Es ist Reichelt nicht verboten worden, die Meinung zu haben und in seinem Beitrag zu vertreten, dass es so etwas wie Trans-Personen nicht gibt.

Es ist aber etwas anderes, eine konkrete Person, die Transfrau Janka Kluge, in einem solchen Blog als Mann zu bezeichnen. Jede Freiheit endet bekanntlich dort, wo die Freiheit des Anderen beginnt. Rechtsanwalt Prigge: "Das Landgericht hat hier im Einzelfall entschieden, dennoch hat die Entscheidung eine Signalwirkung. Verschiedene Studien belegen die negativen Auswirkungen von Misgendern auf Betroffene. Hierauf haben wir im Verfahren hingewiesen. Misgendern ist ein schwerwiegender Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht und kann rechtliche Konsequenzen haben."




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Sa 1. Apr 2023, 15:16

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Sa 1. Apr 2023, 15:01
Lucian Wing hat geschrieben :
Sa 1. Apr 2023, 13:02
Wobei die Diskussion ja um den Reichelt ging. Ich halte das Urteil für ein Unglück (auch wenn's den Reichelt trifft), weil für mich hier die Meinungsfreiheit weiter eingeschränkt wird. Will man wirklich dahinkommen, dass jemand sich nicht mehr hinstellen darf und sagen: Ein Transmann ist kein Mann, sonst hieße er nicht Transmann? Das ist doch die Richtung, in die es zu gehen scheint.
Wenn ich es richtig sehe, hat ein Landgericht im Wege einer einstweiligen Verfügung das bewusste Misgendern der Trans-Journalistin Janka Kluge auf dem Reichelt-Blog untersagt. Man kann nicht einfach von den konkreten Umständen absehen. Es ist Reichelt nicht verboten worden, die Meinung zu haben und in seinem Beitrag zu vertreten, dass es so etwas wie Trans-Personen nicht gibt.

Es ist aber etwas anderes, eine konkrete Person, die Transfrau Janka Kluge, in einem solchen Blog als Mann zu bezeichnen. Jede Freiheit endet bekanntlich dort, wo die Freiheit des Anderen beginnt. Rechtsanwalt Prigge: "Das Landgericht hat hier im Einzelfall entschieden, dennoch hat die Entscheidung eine Signalwirkung. Verschiedene Studien belegen die negativen Auswirkungen von Misgendern auf Betroffene. Hierauf haben wir im Verfahren hingewiesen. Misgendern ist ein schwerwiegender Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht und kann rechtliche Konsequenzen haben."
Ich finde das völlig unabhängig vom Transgeschlecht einsichtig. Für mich ist das Teil der Persönlichkeit. Ich will ja auch bei meinem richtigen Namen genannt werden und nicht irgendwie anders.
Sie fühlt sich als Frau. Bitteschön. Dann nennen wir sie auch so. Ich finde so viel Taktgefühl kann die Meinungsfreiheit erlauben.



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Jörn Budesheim
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Sa 1. Apr 2023, 16:02

Für den Naturwissenschaftler Frans de Waal ist die Geschlechtsidentität (auch) Teil unserer Biologie, das gilt sowohl für cis- als auch für transgeschlechtliche Menschen. Wie genau dies körperlich realisiert ist, ist nach seinen Angaben noch weitgehend unbekannt und Gegenstand der Forschung. Studien haben gezeigt, dass das Erkennen der eigenen Geschlechtsidentität sowohl bei Cis- als auch bei Transgender-Personen sehr früh im Leben stattfindet und nahezu unveränderlich ist (ca. 98% der Befragten der Studie hatten auch nach 6 Jahren noch die gleiche Einschätzung).

Nach Waals und anderen Forschern liegt es also weder bei cis- noch bei transgeschlechtlichen Menschen einfach im Belieben der Person, welche Geschlechtsidentität sie haben. (Und selbst wenn...) Meiner Meinung nach gibt es keinen Grund, diese Daten nicht zu akzeptieren. Wir wissen jetzt anscheinend ziemlich sicher, dass das biologische Geschlecht nicht der einzige Aspekt ist, andere Aspekte scheinen eine ebenso wichtige Rolle zu spielen für die Frage, welches Geschlecht wir haben.

Und jetzt eine ganz einfache Frage: Wo liegt eigentlich das Problem? Welchen Grund sollte es geben, Menschen ihre Identität abzusprechen?




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Lucian Wing
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Sa 1. Apr 2023, 16:53

NaWennDuMeinst hat geschrieben :
Sa 1. Apr 2023, 15:16
Jörn Budesheim hat geschrieben :
Sa 1. Apr 2023, 15:01
Lucian Wing hat geschrieben :
Sa 1. Apr 2023, 13:02
Wobei die Diskussion ja um den Reichelt ging. Ich halte das Urteil für ein Unglück (auch wenn's den Reichelt trifft), weil für mich hier die Meinungsfreiheit weiter eingeschränkt wird. Will man wirklich dahinkommen, dass jemand sich nicht mehr hinstellen darf und sagen: Ein Transmann ist kein Mann, sonst hieße er nicht Transmann? Das ist doch die Richtung, in die es zu gehen scheint.
Wenn ich es richtig sehe, hat ein Landgericht im Wege einer einstweiligen Verfügung das bewusste Misgendern der Trans-Journalistin Janka Kluge auf dem Reichelt-Blog untersagt. Man kann nicht einfach von den konkreten Umständen absehen. Es ist Reichelt nicht verboten worden, die Meinung zu haben und in seinem Beitrag zu vertreten, dass es so etwas wie Trans-Personen nicht gibt.

Es ist aber etwas anderes, eine konkrete Person, die Transfrau Janka Kluge, in einem solchen Blog als Mann zu bezeichnen. Jede Freiheit endet bekanntlich dort, wo die Freiheit des Anderen beginnt. Rechtsanwalt Prigge: "Das Landgericht hat hier im Einzelfall entschieden, dennoch hat die Entscheidung eine Signalwirkung. Verschiedene Studien belegen die negativen Auswirkungen von Misgendern auf Betroffene. Hierauf haben wir im Verfahren hingewiesen. Misgendern ist ein schwerwiegender Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht und kann rechtliche Konsequenzen haben."
Ich finde das völlig unabhängig vom Transgeschlecht einsichtig. Für mich ist das Teil der Persönlichkeit. Ich will ja auch bei meinem richtigen Namen genannt werden und nicht irgendwie anders.
Sie fühlt sich als Frau. Bitteschön. Dann nennen wir sie auch so. Ich finde so viel Taktgefühl kann die Meinungsfreiheit erlauben.
Auch Anstand und Taktgefühl sind etwas Individuelles. Man könnte sie auch in ein Gesetz gießen und erzwingen - dann wären sie nicht mehr individuell sondern Pflicht. Ich zum Beispiel fühle mich weder als privilegiert noch war ich es noch bin ich es. Aber jeder kann mir ins Gesicht sagen, ohne mich zu kennen, ich sei privilegiert - eben weil ich weiß und Mann bin. Soll das verboten werden?

Egal. Kurz zurück zu dem ominösen Fühlen. Vielleicht kann man mal herausarbeiten, wo die Bruchstellen liegen.

Ich gehe von Folgendem aus: Es gibt ein A = Mensch.

A unterteilt sich in die biologischen Geschlechter x und y und in etwas, was weder x noch y ist. Das ist die wohl auch Grundaussage bei de Waal, und so sehe ich das auch.

Meine Prämisse ist nun, dass Bewusstsein körperabhängig (embodied) ist. Daraus folgt wiederum:

x --> Perspektive a
y --> Perspektive b

Wenn nun a nicht notwendig bedeutet, dass man sich auch in jedem Falle wie x verhalten muss, bedeutet das aber nicht, dass man als a auch aus der Perspektive b die Welt betrachten kann, sondern nur so, wie x sich aus der Perspektive a die Betrachtung aus der Perspektive b vorstellt. Wenn x wissen möchte, wie es ist, ein y zu sein, müsste er ein y sein. x hat hier aber den Kurzschluss, das seine Vorstellung ihn dazu führt zu glauben, er sei eigentlich ein y und nicht nur ein x, das sich wie ein y verhält. Aus diesem Verhalten kann man aber nicht schließen, dass x auch ein y ist. Ist im Prinzip auch nichts anderes als in der Diskussion um die KI.

Also geht es aus meiner Sicht in der ganzen Frage darum, dass sich ein x gerne wie ein y verhalten möchte und lieber ein y wäre. x kann dann anfangen, sich wie ein y zu verhalten und einige seiner physischen Merkmale ändern zu lassen. Letztlich erzählt de Waal in einem langen Interview mit Spektrum über die Schimpansin Donna genau so einen Fall - nur ohne jede chirurgischen oder chemischen Eingriffe in den Körper. Dass die Schimpansen das akzeptieren, ist doch klar. Das Verhalten Donnas gefährdet die Privilegien der Männchen nicht, sie ist keine Konkurrenz bei den anderen Weibchen.

Wie gesagt: de Waal ist jemand, der alles übers Verhalten definiert - also genau das tut, was hier im Strang über die KI bei manchen streng verpönt ist. Ich glaube, de Waal würde außer seinem Plädoyer für Toleranz nicht auf viel Gegenliebe stoßen in der queeren Community.

Besser als das Video ist übrigens aus meiner Sicht das hier:

https://www.spektrum.de/news/interview- ... en/2105292



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Sa 1. Apr 2023, 16:57

Ich habe beides gepostet.




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Sa 1. Apr 2023, 17:08

Lucian Wing hat geschrieben :
Sa 1. Apr 2023, 16:53
Also geht es aus meiner Sicht in der ganzen Frage darum, dass sich ein x gerne wie ein y verhalten möchte und lieber ein y wäre.
Kannst du das mit einer Textstelle belegen?

In dem Video sagt der ungefähr ab 0:30 min meines Erachtens klar das Gegenteil. Die Transgender Identität entsteht früh im Leben, ist Teil der Biologie der Person und ist nahezu irreversibel. Hier geht es keineswegs bloß darum, wie sich jemand gerne verhalten möchte oder lieber wäre. Spricht ganz klar von Identität, also davon, was jemand ist.




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Sa 1. Apr 2023, 17:45

Lucian Wing hat geschrieben :
Sa 1. Apr 2023, 16:53
A unterteilt sich in die biologischen Geschlechter x und y und in etwas, was weder x noch y ist. Das ist die wohl auch Grundaussage bei de Waal, und so sehe ich das auch.
Frans de Waal hat geschrieben : Das biologische Geschlecht wird in Männchen, Weibchen und eine kleine Kategorie dazwischen unterteilt. Je tiefer die Wissenschaft in die Materie eindringt, desto komplexer wird das Geschlecht, weshalb die Rede vom "binären Geschlecht" nur eine Annäherung ist. Das Geschlecht ist noch komplexer. In seiner allgemeinsten Definition ist es wie ein kultureller Mantel, in dem die Geschlechter herumlaufen, ein Mantel, der sich von Ort zu Ort und von Zeit zu Zeit ändert. Das Geschlecht wird nicht in männlich und weiblich unterteilt, sondern in männlich, weiblich und alles dazwischen. Es gibt eine große Variabilität. Viele Menschen weisen Elemente von beidem auf, und manche entziehen sich ganz der Geschlechtszuordnung. [von mir hervorgehoben]

...

Der Senator von Florida, Rick Scott, erklärte kürzlich: "Männer sind Männer, Frauen sind Frauen", und fügte hinzu: "Wir glauben an die Wissenschaft". Er sprach über Transgender-Athleten.

Ich wünschte allerdings, der Senator würde an die Wissenschaft glauben, denn die Geschlechterpalette auf zwei Farben zu reduzieren, zwischen denen es nichts gibt, funktioniert kaum für das biologische Geschlecht und noch weniger für Geschlechtsausdruck und -identität. Das ist eine überholte Sichtweise.

...

Der amerikanische Sexualwissenschaftler Milton Diamond drückt es gerne so aus: "Die Natur liebt die Vielfalt, auch wenn die Gesellschaft sie hasst."

Übersetzt mit DeepL

Quelle: https://3quarksdaily.com/short-essays-o ... e_vignette




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Lucian Wing
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Sa 1. Apr 2023, 18:21

Das Geschlecht wird nicht in männlich und weiblich unterteilt, sondern in männlich, weiblich und alles dazwischen. Es gibt eine große Variabilität. Viele Menschen weisen Elemente von beidem auf, und manche entziehen sich ganz der Geschlechtszuordnung.
Worin? Worin und wie entziehen sie sich? Auf welcher Ebene sind wir hier: der Verhaltensebene? Von wo nach wo schließt er? M.E. vom Verhalten aus.



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Sa 1. Apr 2023, 18:24

Ich meine übrigens nicht, dass x --> Perspektive a nicht Verhalten hervorbringen kann, das dann vielleicht Verhalten einschließt, die x und y aufweisen, weil sie nämlich eine große Gemeinsamkeit haben: Sie sind A (Mensch). Aber das Verhalten ändert nichts daran, ob x oder y (oder weder noch). Er vermischt das, weil ihn niemand danach fragt.



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Sa 1. Apr 2023, 19:25

Die Entscheidung, als was sich jemand sieht, weiblich, männlich, dazwischen, quer oder was auch immer, und oft sich auch dem schmerzhaften Eingriff zur Geschlechtsumwandlung unterzieht, ist eine der beiden schwersten, unumkehrbaren, höchstpersönliche Entscheidung, die ein Mensch für sich selber treffen kann.
Nach welchem Recht, aus welchem Anspruch erlauben sich einige Menschen, diese Entscheidung und deren Umsetzung abzulehnen, diese nicht zu respektieren und nicht zu akzeptieren? Indem sie jemanden, der oder die oder es sich als Frau bezeichnet, oder als Mann oder als Transgender, Transfrau, Transmann usw. einfach respektlos zu ignorieren, wenn sie ihn, sie, es als etwas bezeichnen, was der betreffende Mensch einfach nicht ist.
Was soll das, philosophische, soziologische oder naturwissenschaftlichen Theorien anzuführen, dass es "sowas"gar nicht geben kann?
Dass es Transfrauen, Transmänner etc. gibt, auch schon vor 100 Jahren gab, widerlegt alle Versuche, deren Existenz und deren Leben wegzudiskutieren, oder wenn sprachlich versucht wird, sie nicht zur Kenntnis zu nehmen.

Ich muss mal wieder was im Frauen thread posten.



Das Land, das die Fremden nicht beschützt, geht bald unter.
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Stefanie hat geschrieben :
Sa 1. Apr 2023, 19:25
Die Entscheidung, als was sich jemand sieht, weiblich, männlich, dazwischen, quer oder was auch immer, und oft sich auch dem schmerzhaften Eingriff zur Geschlechtsumwandlung unterzieht, ist eine der beiden schwersten, unumkehrbaren, höchstpersönliche Entscheidung, die ein Mensch für sich selber treffen kann.
Ich stimme mit den meisten Punkten Deines Beitrags überein, aber ich habe ein Problem mit dem Begriff Entscheidung. Ich bin ein Cis-Mann, aber nicht, weil ich mich dafür entschieden habe. Und ich glaube, das ist bei Transgender-Personen oft nicht anders. Ich glaube nicht, dass das generell das Ergebnis einer Entscheidung ist.

(Aber dass jemand eine Geschlechtsumwandlung Mathe, ist sicher das Ergebnis einer Entscheidung.)




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Sa 1. Apr 2023, 20:07

Lucian Wing hat geschrieben :
Sa 1. Apr 2023, 16:53
NaWennDuMeinst hat geschrieben :
Sa 1. Apr 2023, 15:16
Jörn Budesheim hat geschrieben :
Sa 1. Apr 2023, 15:01


Wenn ich es richtig sehe, hat ein Landgericht im Wege einer einstweiligen Verfügung das bewusste Misgendern der Trans-Journalistin Janka Kluge auf dem Reichelt-Blog untersagt. Man kann nicht einfach von den konkreten Umständen absehen. Es ist Reichelt nicht verboten worden, die Meinung zu haben und in seinem Beitrag zu vertreten, dass es so etwas wie Trans-Personen nicht gibt.

Es ist aber etwas anderes, eine konkrete Person, die Transfrau Janka Kluge, in einem solchen Blog als Mann zu bezeichnen. Jede Freiheit endet bekanntlich dort, wo die Freiheit des Anderen beginnt. Rechtsanwalt Prigge: "Das Landgericht hat hier im Einzelfall entschieden, dennoch hat die Entscheidung eine Signalwirkung. Verschiedene Studien belegen die negativen Auswirkungen von Misgendern auf Betroffene. Hierauf haben wir im Verfahren hingewiesen. Misgendern ist ein schwerwiegender Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht und kann rechtliche Konsequenzen haben."
Ich finde das völlig unabhängig vom Transgeschlecht einsichtig. Für mich ist das Teil der Persönlichkeit. Ich will ja auch bei meinem richtigen Namen genannt werden und nicht irgendwie anders.
Sie fühlt sich als Frau. Bitteschön. Dann nennen wir sie auch so. Ich finde so viel Taktgefühl kann die Meinungsfreiheit erlauben.
Auch Anstand und Taktgefühl sind etwas Individuelles. Man könnte sie auch in ein Gesetz gießen und erzwingen - dann wären sie nicht mehr individuell sondern Pflicht. Ich zum Beispiel fühle mich weder als privilegiert noch war ich es noch bin ich es. Aber jeder kann mir ins Gesicht sagen, ohne mich zu kennen, ich sei privilegiert - eben weil ich weiß und Mann bin. Soll das verboten werden?
Mich stört bei dir ein bißchen, dass Du ganz offenbar das Wort "verboten" nicht magst, so als sei das etwas nur negatives.
Prinzipiell - so meine Meinung - kann (fast) alles verboten werden, wenn es gute Gründe dafür gibt und Verbote sind nicht nur schädlich sondern dienen dazu Schaden abzuwenden.
Bleiben wir beim Taktgefühl. Ist das wirklich individuell?
Wenn ich dich aufs übelste beleidige und dir vielleicht öffentlich Sachen nachsage die gar nicht stimmen... wie individuell ist das dann?
Eigentlich gar nicht. Es herrscht da ganz klar ein gesellschaftlicher Konsens, dass solche Dinge verboten sein sollen. Und das sind sie dann ganz folgerichtig auch.
Man muss das natürlich aushandeln. Aber immer wieder zu sagen alles soll erlaubt sein, weil man grundsätzlich was gegen Verbote hat finde ich auch nicht machbar.
Es kann nicht einfach jeder herulaufen und Gefühle verletzen und das dann immer mit freier Meinungsäußerung rechtfertigen. Auch die freie Meinungsäußerung muss Grenzen haben und sie hat auch Grenzen.
Diese Grenzen dürfen sehr gerne immer wieder neu hinterfragt und ausgehandelt werden.
Und das wäre mir dann wichtig. Man muss Dinge öffentlich hinterfragen und kritisieren dürfen so dass wir sie als Gesellschaft auf den Prüfstand stellen können.
Also das was Du hier machst, nämlich zu fragen: War dieses Gerichtsurteil richtig.
Aber wenn wir dann als Gesellschaft dazu kommen zu sagen "ja, ist so"... dann ist das so. So lange bis wir das anders beurteilen.
Egal. Kurz zurück zu dem ominösen Fühlen.
Es tut mir leid, aber aus deinen Erklärungen werde ich nicht schlau.
Besser als das Video ist übrigens aus meiner Sicht das hier:

https://www.spektrum.de/news/interview- ... en/2105292
Ich schau's mir mal an, wenn ich die Ruhe dazu habe. Vielleicht verstehe ich den Ansatz ja dann.
Zuletzt geändert von NaWennDuMeinst am Sa 1. Apr 2023, 20:19, insgesamt 4-mal geändert.



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Sa 1. Apr 2023, 20:15

NaWennDuMeinst hat geschrieben :
Sa 1. Apr 2023, 20:07
Ich schau's mir mal an, wenn ich die Ruhe dazu habe. Vielleicht verstehe ich den Ansatz ja dann.
Das ist ein Interview mit dem besagten Frans de Waal, dort wird nicht der Ansatz von Lucian Wing erläutert.




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Stefanie
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Sa 1. Apr 2023, 20:19

Es fiel mir kein anderes Wort ein.
Wobei es oft auch eine Entscheidung ist, es nach außen zu kommunizieren. Ob nun mit oder ohne Operation.

Caitlyn Jenner, geboren 1949, als Bruce Jenner 1976 Olympiasieger/in im 10 Zehnkampf, hat sich erst 2015 "geoutet". Mit 66 Jahren.

Oder die Menschen, die mit weiblichen und männlichen Geschlechtsorganen geboren werden, und dann als Babys operiert wurden, anhand der DNA. Diese Entscheidung wurde für und über sie getroffen, zum Teil mit tragischen Folgen im weiteren Leben.



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Sa 1. Apr 2023, 20:20

Stefanie hat geschrieben :
Sa 1. Apr 2023, 20:19
Es fiel mir kein anderes Wort ein.
Wobei es oft auch eine Entscheidung ist, es nach außen zu kommunizieren. Ob nun mit oder ohne Operation.

Caitlyn Jenner, geboren 1949, als Bruce Jenner 1976 Olympiasieger/in im 10 Zehnkampf, hat sich erst 2015 "geoutet". Mit 66 Jahren.

Oder die Menschen, die mit weiblichen und männlichen Geschlechtsorganen geboren werden, und dann als Babys operiert wurden, anhand der DNA. Diese Entscheidung wurde für und über sie getroffen, zum Teil mit tragischen Folgen im weiteren Leben.
Naja. Wobei kein Mensch weiß welche tragischen Folgen es gehabt hätte, wenn man sie NICHT operiert hätte. Das ist müßig, finde ich.



But I, being poor, have only my dreams; I have spread my dreams under your feet;
Tread softly because you tread on my dreams.
(William Butler Yeats)

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