Kaffeestübchen

Philosophie Chat: Hier wird geplaudert über Gott und die Welt.
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NaWennDuMeinst
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So 2. Apr 2023, 11:31

Jörn Budesheim hat geschrieben :
So 2. Apr 2023, 08:58
NaWennDuMeinst hat geschrieben :
Sa 1. Apr 2023, 20:41
Dann hast Du Leute die sagen sie hätten das gerne schon viel früher gehabt, denn sie haben als Kinder sehr darunter gelitten, was ihnen aber damals noch nicht klar war, aber ihr verspfuschtes Leben erklärt sich im Nachhinein daraus... usw...
Für einen andere Menschen, der nicht selbst entscheiden kann, die Entscheidung treffen zu müssen birgt in alle Richtungen die Gefahr dass der Mensch hinterher die Entscheidung als falsch ansieht.
Ich denke, es ist komplizierter.

Der erste Fall: Ich entscheide für jemanden, der nicht entscheiden kann, nach bestem Wissen und Gewissen auf der Grundlage aller mir zur Verfügung stehenden Informationen. In diesem Fall kann sich im Nachhinein herausstellen, dass das Ergebnis der Entscheidung falsch war, aber der Entscheidungsprozess war angemessen und im Interesse der Person, für die ich entschieden habe.
Woher willst Du denn wissen ob Du im Interesse der Person handelst? Das kann ja nur die Person selbst wissen. Die kann sich aber zum Zeitpunkt der Entscheidung gar nicht dazu äußern.
Du kennst ja die (zukünftigen) Interessen der Person gar nicht. Wie denn?

Erinnerst Du Dich? Wir hatten bei der Beschneidungsthematik genau die selbe Argumentation. Da hatten wir Leute die sagten man solle das später machen, damit man die Personen fragen und die selbst entscheiden können. Argument war, dass viele die beschnitten wurden diese Entscheidung später als Verursachung von Leid empfunden haben.
Wartet man aber wie vorgeschlagen reduziert sich dieses Risiko nicht. Einfach weil es auch Leute gibt, die sich anschliessend beschweren ihnen wäre mit dem Zögern Leid angetan worden ("Warum wurde ich nicht behandelt wie alle anderen meines Kulturkreises, so wie es Brauch bei uns ist?").
Zweiter Fall: Man entscheidet aufgrund einer bestimmten Ideologie und setzt sich über alle verfügbaren Erkenntnisse hinweg. In diesem Fall muss man sich, wenn sich die Entscheidung als falsch herausstellt, schwere Vorwürfe gefallen lassen.
Du gehst hier einfach davon aus, dass die Auffassung es gäbe mehr als zwei Geschlechter genau das ist, was richtig und angemessen für die Person ist. Aber sorry, das weißt Du einfach nicht.
Warum sollte die Person später keine andere Auffassung dazu haben können? Warum sollte sie nicht sagen können: "Ja, ich teile diese "Ideologie", ich wäre gerne auf ein Geschlecht festgelegt worden und dass das nicht geschehen ist das hat eine Menge Leid in meinem Leben verursacht"?

Du gehst in beiden Fällen das Risiko ein der Person (zukünftiges) Leid anzutun.
Es ist eben nicht so, dass man wenn man das so sieht wie Du garantiert Leid vermeidet, während alle Anderen Monster sind, die absichtlich Leid verursachen.
Wenn das so klar und einfach wäre, dann wäre es ja schön. Dann wäre es auch gar keine Frage mehr wie man da entschieden soll.



But I, being poor, have only my dreams; I have spread my dreams under your feet;
Tread softly because you tread on my dreams.
(William Butler Yeats)

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NaWennDuMeinst
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So 2. Apr 2023, 12:09

Aber in gewisser Weise verstehe ich schon was Du sagen willst, Jörn.
Man kann in so einer solchen Situation nur nach bestem Wissen und Gewissen handeln. Und das sollte man auch tun.
Das ist dann aber eine Position die die betroffene Person und ihre zukünftigen Wünsche aussen vor lässt (weil die nicht gewusst werden können).
Ich verstehe aber auch die Position die davon ausgeht, dass nicht das eigene Wissen und Gewissen entscheidend ist, sondern sich fragt was könnte für die betroffene Person am besten sein.
Und das muss eben nicht der aktuelle Kenntnisstand allein sein. Da sind dann noch mehr Dinge zu beachten (Zum Beispiel in welcher Gesellschaft wird die Person aufwachsen).



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Lucian Wing
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So 2. Apr 2023, 12:18

Ich bin sicher, dass sowohl vonseiten derer, die Rortys Position teilen, als auch vonseiten derjenigen, die die Position einiger Biologen teilen, immer mehr "Varianzen" auftauchen werden, die allesamt den Common Sense herausfordern wie etwa die Erkenntnis, dass die Erde gar nicht still steht, sondern sich dreht, die aber vom Einzelnen nicht unmittelbar erfahrbar ist. Die Zahl der romantischen Selbstbeschreibungen (die keine Wahrheitskriterien, sondern lediglich Toleranz braucht) wird zunehmen, und ein genauerer Blick der Verhaltensforscher wird auch immer mehr Varianzen aufzeigen. Alles unproblematisch, wobei die verhaltensorientierten Wissenschaften genau so arbeiten und schließen, wie man das bei der KI ganz heftig zurückweist.

Der Punkt ist: Wenn das Erfahrbare, das den Kern des Common Sense bildet, in immer mehr Vielfalt zerstückelt wird, also in Vielfalt, die ebenso wie die von der Erfahrung nicht mehr erfassbare Quantentheorie gegen allen Common Sense verstößt, dann ist das eben ein Angriff auf das Alltagsleben, für das der Common Sense den Grundpfeiler bildet. Denn während die unerfahrbare Tatsache, dass die Erde sich dreht, keine moralischen Ansprüche an die Menschen hat, werden mit dem ganzen Genderprojekt immer mehr rein moralisch geprägte Ansprüche geltend gemacht, die dann eben zu jenen Kulturkämpfen führen, wie wir sie an Herrn Reichelt und den Queerenverbänden sehen. Es ist der übliche Kampf um Anerkennung.

Das implizite Freiheitsproblem wird sich dabei biologisch lösen.



Als ich vierzehn war, war mein Vater so unwissend. Ich konnte den alten Mann kaum in meiner Nähe ertragen. Aber mit einundzwanzig war ich verblüfft, wieviel er in sieben Jahren dazu gelernt hatte. (Mark Twain)

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Lucian Wing
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So 2. Apr 2023, 13:13

Wenn man, um den Gedanken aus wissenschaftlicher Sicht ein bisschen weiterzutreiben, wie in der Anatomie üblich, davon ausgeht, dass es keine zwei identischen Gehirne gibt (so habe ich es jedenfalls noch gelernt), dann darf man auch von 8 Milliarden sexuellen Identitäten ausgehen, die für sich nicht auslesbar, sondern lediglich anhand von Verhalten beschrieben werden können. Diese Verhaltensweisen werden dann nach bestimmten Mustern zusammengefasst. Je genauer man hinschaut, um so mehr Varianzen werden sich ergeben - natürlich, das Gehirn ist individuell - und man wird eben immer mehr kleinere Muster bilden. An diesem Punkt beginnt dann Wissenschaft ins Normative überzugehen. Denn je mehr Vielfalt dann "Entdeckt" wird, desto positiver wird das dann in den kulturell bestimmenden Kreisen wahrgenommen, was letztlich dann wieder dazu führt, dass man auch mehr Gelder abrufen kann als Wissenschaftler.

Ich meine, wenn man mit den Geschlechtern so verfährt, sollte man diesen Ansatz auch für die KI und für das Gehirn und die Begriffe des Denkens und Verstehens gelten lassen. Was sich wie ein Mensch verhält und wie einer textet, ist einer. Die KI, die sich als Mensch identifiziert, muss zumindest den Status eines Transmenschen bekommen.



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Lucian Wing
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So 2. Apr 2023, 16:12

NaWennDuMeinst hat geschrieben :
So 2. Apr 2023, 11:31
Wir hatten bei der Beschneidungsthematik genau die selbe Argumentation.
Das ist ein interessantes Argument. Es zeigt eben, dass solche Fragen auf der Basis von moralischen Prämissen des Wünschenswerten und des Nicht-Wünschenswerten, von Rücksichten, Voreinstellungen und Nutzenüberlegungen getroffen werden. Beim Menschen, der mit uneindeutigen Geschlechtsmerkmalen geboren wird, ist dessen Entscheidungsfreiheit hoch anzusetzen, bei einem, der von jüdischen Eltern geboren wird, wird sie vollkommen ausgesetzt, er muss den Eingriff in seine körperliche Unversehrtheit ertragen. Da wird eben mit zweierlei moralischem Maß gemessen.



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Jörn Budesheim
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So 2. Apr 2023, 20:25

Nauplios hat geschrieben :
Sa 1. Apr 2023, 20:35
Stefanie hat geschrieben :
Sa 1. Apr 2023, 19:25

Was soll das, philosophische, soziologische oder naturwissenschaftlichen Theorien anzuführen, dass es "sowas"gar nicht geben kann?
Zu allen Zeiten ändern sich die Zeiten. Wer lange genug dabei ist, dem erscheint manches töricht. Das geht mir auch so. Und es war früher nicht anders als heute. Wer auf der Zielgeraden des Lebens angekommen ist, darf zornig sein. Für ein Zerwürfnis mit der Welt ist der Preis des Zorns allerdings zu hoch. Auch muß der Anlaß für den Zorn diesem ebenbürtig sein.
Wenn etwas töricht ist, kann man dann nicht mit den Schultern zucken und es als unbedeutend abtun? Zorn hingegen ist ein moralisches Gefühl. Wir sind zornig wegen einer schreienden Ungerechtigkeit oder einer tiefen Verletzung. Dem Zorn kann man sich nicht einfach entziehen. Manchmal will man sich sogar rächen.

Woher kommt der Zorn? Um welche (vermeintliche) Ungerechtigkeit, um welche (vermeintliche) Verletzung geht es?




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Nauplios
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So 2. Apr 2023, 23:29

Die Entscheidung des Landgerichts Frankfurt ist ja vorläufig und noch nicht rechtskräftig. Sie löst in mir keinen Zorn aus; dafür ist sie tatsächlich zu unbedeutend.




Timberlake
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So 2. Apr 2023, 23:54

Lucian Wing hat geschrieben :
So 2. Apr 2023, 11:00
Jörn Budesheim hat geschrieben :
So 2. Apr 2023, 09:28
Der amerikanische Sexualwissenschaftler Milton Diamond: "Die Natur liebt die Vielfalt, auch wenn die Gesellschaft sie hasst."
Was für ein hübscher Kalenderspruch.
.. und was hälst du im Vergleich dazu zu dem Spruch .."Was wir oft vergessen, ist, dass die Natur viel Raum für individuelle Varianz gibt.Ohne sie wäre Evolution nicht möglich"

Dazu nur mal zur Erinnerung ...
Lucian Wing hat geschrieben :
Sa 1. Apr 2023, 16:53

Besser als das Video ist übrigens aus meiner Sicht das hier:

https://www.spektrum.de/news/interview- ... en/2105292
  • Weil häufig nur über Durchschnittswerte gesprochen wird?

    Ja, genau. Auch wir Primatologen schauen gern auf die typischen Fälle: typisch männlich, typisch weiblich. Wir reden wenig über Variabilität. Homosexuelles Verhalten ist gängig bei allen möglichen Primaten, Bonobos sind sogar bisexuell. Was wir oft vergessen, ist, dass die Natur viel Raum für individuelle Varianz gibt. Ohne sie wäre Evolution nicht möglich. Die traditionelle Sicht ist, dass uns die Biologie Instinkte mitgibt und wir das tun, was sie uns vorschreiben. Ich halte das für falsch, und es ist schade, dass wir diesen Eindruck vermittelt haben. Zum Glück wird individuelle Variabilität wichtiger in der Biologie. Und auch Persönlichkeit bekommt einen größeren Stellenwert in der Verhaltensforschung.




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Jörn Budesheim
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Mo 3. Apr 2023, 18:24

Nauplios hat geschrieben :
So 2. Apr 2023, 23:29
Die Entscheidung des Landgerichts Frankfurt ist ja vorläufig und noch nicht rechtskräftig. Sie löst in mir keinen Zorn aus; dafür ist sie tatsächlich zu unbedeutend.
Nauplios hat geschrieben :
Sa 1. Apr 2023, 20:35
Zu allen Zeiten ändern sich die Zeiten.
Die Zeiten ändern sich, das ist wahr. Vor einem halben Jahrhundert hätte es ein solches Urteil nicht gegeben. Es hätte nicht einmal die entsprechende Klage gegeben. Transmenschen hingegen gab es, weil es sie schon immer gab. Aber sie waren nicht so präsent, wie sie es heute sind. Das zeigt, dass sich die Gesellschaft langsam öffnet, dass die individuellen Freiheiten größer werden, dass es aber auch Widerstände gibt, wie man sieht. Es sind nicht nur Leute wie Reichelt, die dagegen schießen.

Aber der Rechtsstaat scheint immer mehr auf der Höhe zu sein, es gibt Antidiskriminierungsstellen und mit diesen Urteilen ist ein erstes Zeichen gesetzt worden, Gegner der Freiheit wurden in die Schranken verwiesen. Für mich ist das ein Grund zum Feiern, auch wenn es natürlich noch viel zu tun gibt, bis es solche Prozesse gar nicht mehr gibt.




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Nauplios
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Di 4. Apr 2023, 01:40

Sind Menschen, die die Richtigkeit dieser einstweiligen Verfügung des Landgerichts Frankfurt in Zweifel ziehen beziehungsweise sie für falsch halten, "Gegner der Freiheit"??

Hat sich hier der Rechtsstaat durchgesetzt, weil er diese Gegner der Freiheit "in die Schranken verwiesen" hat??

Viele Urteile und Verfügungen von Gerichten rufen Widersprüche hervor. Das ganze Rechtssystem lebt geradezu von Revision und Einsprüchen. Nicht immer sind die Betroffenen und Beobachter einverstanden mit einem Urteil. Ich erinnere an den Beschluß des Berliner Landgerichts vom September 2019, wonach Renate Kühnast Zuschreibungen bei Facebook wie "Stück Scheisse", "Sondermüll", "perverse Drecksau" u.a. hinzunehmen habe. Kühnast hatte damals auf die Herausgabe von 22 Nutzerdaten geklagt; ihre Klage wurde abgewiesen. Es war ein skandalöser Beschluß eines Landgerichts, der in der Öffentlichkeit Empörung hervorrief. Ein "Grund zum Feiern" war das damals nicht.

(Renate Kühnast hat dann vor dem Kammergericht Berlin einen Teilerfolg errungen und das Bundesverfassungsgericht belehrte schließlich die Berliner Instanzgerichte, daß auch Politiker nicht alles hinnehmen müssen, was an Beleidigungen gegen sie geäußert wird und gab damit Kühnast in allen Punkten recht.)

"Der freiheitliche, säkularisierte Staat lebt von Voraussetzungen, die er selbst nicht garantieren kann." Ernst-Wolfgang Böckenförde, der diesen Satz erstmals 1964 bei einem Ebrachter Seminar in Gegenwart seines Lehrers Carl Schmitt (kein Freund einer liberalen Demokratie) äußerte, wurde später Richter am Bundesverfassungsgericht. Gedruckt lag er in einer Festschrift für einen weiteren Schmitt-Schüler und Schmitt-Verehrer vor: Ernst Forsthoff.

Zu den obigen "Voraussetzungen" des freiheitlichen Staates zählt u.a. daß Beschlüsse und Urteile eines Gerichts durch eine höhere Instanz revidiert werden können bis zur Letztinstanz. Da können die Dinge, wie die beiden Beschlüsse des Landgerichts Frankfurt und Berlin zeigen, mal so und mal so liegen. Nicht jeder Beschluß eines Landgerichts ist ein Ausweis dafür, daß der Rechtsstaat "auf der Höhe der Zeit" angekommen ist.

Selbstverständlich darf man einen Beschluß gut finden, darf ihn als Zeichen einer zunehmenden Sensibilisierung gegenüber einer Minderzeit begrüßen, sowie man ihn als falsches Signal ablehnen darf. - Aber die Böckenförde' schen "Voraussetzungen" sehen auch die Anerkenntnis oberster Gesetzesurteile vor, auch wenn man Urteil selbst nicht teilt.

Ich persönlich habe mit der einstweiligen Verfügung des Landgerichts Frankfurt kein Problem. Es betrifft auch meine Lebenswirklichkeit nicht. Was mich eher nervös macht, ist - aber diese Diskussion haben wir schon desöfteren geführt - die Vorstellung, die Praxis der Rechtsprechung ließe sich mit Hilfe eines absoluten Maßstabs bewerten. Weil die Philosophen wissen, was das Gute ist, können sie die Rechtsprechung mit der Unterscheidung gut/böse beobachten. Die Gerichte sprechen Recht und die Philosophen wissen dann, ob das gut war oder nicht. Ganz oben auf der "Höhe der Zeit" schwebt dann das Gute, deren Sachwalter und Anwälte (!) die Philosophen sind. Was dabei am Ende herauskommt, kennen wir seit Platon: Aus Philosophen werden Könige.




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Jörn Budesheim
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Di 4. Apr 2023, 06:40

Nauplios hat geschrieben :
Di 4. Apr 2023, 01:40
Sind Menschen, die die Richtigkeit dieser einstweiligen Verfügung des Landgerichts Frankfurt in Zweifel ziehen beziehungsweise sie für falsch halten, "Gegner der Freiheit"??
Dass es diese einstweilige Verfügung gibt, die ich sehr begrüße, ist nur ein Aspekt dessen, worum es mir geht. Und ja: Reichelt ist für mich klarerweise ein Gegner der Freiheit.
Nauplios hat geschrieben :
Di 4. Apr 2023, 01:40
Aus Philosophen werden Könige
Habe ich einseitig Philosophen urteilen lassen oder sie gar zu Königen ausgerufen? Ich erinnere mich nicht. Stattdessen: Ich habe die einstweilige Verfügung eines Gerichts zitiert. Ich habe den Rechtsanwalt der Klägerin zitiert. Ich habe die Antidiskriminierungsstelle des Bundes zitiert. Ich habe einen Pfarrer zitiert, wenn auch nicht wegen seiner Expertise als Pfarrer, sondern als Beispiel für eine Trans-Person. Daneben habe ich eine weitere Trans-Person zitiert: @bitch_magnus. Ich habe mehrere Biologen/Primatologen zitiert, weil in diesem Thread die Realität von Trans-Personen geleugnet wird. Also: Pluralität von Einschätzungen und Forschungsergebnissen und niemand: keine einzelne Person, Gruppe oder Disziplin - schon gar nicht die Philosophie - wird zum König erklärt. Da wir hier in einem philosophischen Forum sind, könnte man mir wohl eher vorwerfen, dass ich es versäumt habe, Philosophen zu zitieren. Das könnte ich bei Gelegenheit nachholen.

Kleine Einschränkung: Der Philosoph Richard Rorty wurde zitiert, aber nicht von mir, sondern von Lucian Wing.




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Nauplios
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Di 4. Apr 2023, 10:24

Ich will noch einen Aspekt nachreichen, den Du in einer früheren Version Deines letzten Beitrags auch angesprochen hast, Jörn, den persönlichen Bezug der Frankfurter gerichtlichen Verfügung zu meiner Lebenswirklichkeit.

Damit ist nicht gemeint, daß es in dieser Lebenswirklichkeit keine Transmänner oder Transfrauen gibt. Es gibt sie möglicherweise ohne daß ich davon weiß. Mir gegenüber hat sich noch niemand als Transmensch anvertraut. Ich schreibe "anvertraut" ( und nicht "geoutet"), weil darin der Aspekt des Vertrauens hervorgehoben wird, der für Transmenschen in ihrem sozialen Umfeld von Bedeutung ist, daß sie nämlich in ihrem Geschlecht anerkannt werden, daß sie nicht mit den falschen Pronomen angesprochen werden usw.

Daß die Frankfurter Verfügung für mich unbedeutend ist, heißt keineswegs, daß sie auch für Transmenschen unbedeutend ist oder gar, daß für sie die soziale Anerkennung, die mit diesem Beschluß verbunden ist, unbedeutend ist. Unbedeutend heißt, daß das Thema Trans in meiner Lebenswirklichkeit bislang nicht vorgekommen ist. Das mag sich (auch vor dem Hintergrund dieses Beschlusses) künftig ändern. Ich muß deswegen jetzt im Konjunktiv fortfahren: Ich würde einen Transmann beziehungsweise eine Transfrau so ansprechen wie er/sie es wünscht, Respekt und Anerkennung eingeschlossen.

Das nur als Nachreichung.




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Jörn Budesheim
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Di 4. Apr 2023, 11:16

Hier noch mal ein interessantes Interview [als PDF] mit der Psychiaterin Dagmar Pauli und der Geschlechterforscherin Katrin Meyer: https://philosophie.philhist.unibas.ch/ ... 20_WEB.pdf




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Jörn Budesheim
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Nauplios hat geschrieben :
Di 4. Apr 2023, 10:24
Damit ist nicht gemeint, daß es in dieser Lebenswirklichkeit keine Transmänner oder Transfrauen gibt.
Alle haben unterschiedliche Erfahrungen mit dem Thema und das beeinflusst (neben vielem anderen) wahrscheinlich auch das, was man hier vertritt. In meiner Biographie tauchen immer wieder Menschen auf, die zu dieser oder ähnlichen marginalisierten Gruppen gehören. Manchmal spielen sie für mich nur am Rande eine Rolle, manchmal aber auch ganz zentral. Deswegen bin ich über die aktuelle Entwicklung auch so erfreut. Auch wenn es vermutlich noch ein langer Weg ist.




Timberlake
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Fr 7. Apr 2023, 02:37

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Di 4. Apr 2023, 11:16
Hier noch mal ein interessantes Interview [als PDF] mit der Psychiaterin Dagmar Pauli und der Geschlechterforscherin Katrin Meyer: https://philosophie.philhist.unibas.ch/ ... 20_WEB.pdf
  • "MEYER: Diese Pathologisierung ist ein
    Extrembeispiel dessen, was man «othe
    ring» nennt: die Schubladisierung einer
    Gruppe von Menschen, die als anders
    artig und deshalb als weniger wert be
    trachtet werden als die «normalen»"
.. vor dem Hintergrund der Bedeutung der "Varianz" , in der Evolution , könnte man allerdings .. u. U. ! .. auch die «normalen» als weniger wertvoll betrachten. ...
"Lexikon der Biologie" hat geschrieben : Variation
Bei der großen Anzahl von Genen im Genotyp und der Fülle von Allelen sorgt die ständige Rekombination bei zweigeschlechtlichen Organismen dafür, daß kein Individuum einer Art einem anderen völlig gleicht. Jedes Individuum ist daher ein Unikat. Diese enorme genetische Variation liefert eine wesentliche Grundlage für die biologische Evolution durch Selektion und ermöglicht so die genetische Anpassung (Adaptation) von Populationen an ihre Umweltbedingungen (Populationsgenetik). Modifikationen erlauben dagegen nur eine kurzzeitige Anpassung (modifikatorische Adaptation) der Individuen an ihre lokalen Umweltbedingungen (vgl. jedoch Dauermodifikation)
  • WER BIN ICH ?
    Ich bin bisexuell und queer. Das
    bedeutet, dass ich mich in meiner
    sexuellen Orientierung nicht auf ein
    Geschlecht beschränke. Diese fluide
    Identität erlebe ich als grosse
    Freiheit. Sie sensibilisiert mich auch
    für andere, die von der Gesellschaft
    als anders wahrgenommen werden.


    Michelle Huber
Max Rauner hat geschrieben : Bonobos und Schimpansen: Die zwei Gesichter des Menschen
Bonobos und Schimpansen sind unsere nächsten Verwandten. Die einen lösen Konflikte mit Sex, die anderen mit Gewalt. Was bedeutet das für uns?

Bonobos lösen Konflikte durch Sex, gerne auch zwischen Frauen. Begegnen sich fremde Bonobogruppen an Reviergrenzen, laufen die Weibchen mitunter auf die andere Seite und reiben mit den fremden Weibchen in Missionarsstellung ihre Genitalien aneinander. Sie kreischen dabei und, so vermuten jedenfalls Menschen, haben Spaß. Die Männer wiederum spielen nach kurzer Zeit mit den Kindern der anderen Gruppe. Es herrscht eine Willkommenskultur. In Bonobogesellschaften haben Frauen das Sagen. Erbeuten Bonobos zusammen etwa eine kleine Waldantilope, sitzen die Frauen in der ersten Reihe und verteilen die Fleischstücke. Auf den Primatenforscher Frans de Waal wirken diese Affen wie Intellektuelle: "Mit ihren schlanken Hälsen und den Fingern eines Klavierspielers scheinen Bonobos nicht in ein Fitnessstudio zu gehören, sondern in eine Bibliothek."




Burkart
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So 9. Apr 2023, 11:52

Nun mal zu einem ganz anderen Thema ;) :
Ich wünsche euch allen ein schönes Osterfest! 🐥🥚🐇

Lasst euch möglichst nicht von den vielen Krisen runterziehen, auch wenn es als informierter und (mit-)denkender Mensch nicht immer ganz einfach sein sollte.



Der Mensch als Philosophierender ist Ausgangspunkt aller Philosophie.
Die Philosophie eines Menschen kann durch Andere fahrlässig missverstanden oder gezielt diskreditiert oder gar ganz ignoriert werden, u.a. um eine eigene Meinung durchsetzen zu wollen.

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Jörn Budesheim
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Mo 10. Apr 2023, 13:27

Aus dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 10. Oktober 2017 hat geschrieben : Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG schützt nicht nur Männer und Frauen, sondern auch Menschen, die sich diesen beiden Kategorien in ihrer geschlechtlichen Identität nicht zuordnen, vor Diskriminierungen wegen ihres Geschlechts.




Burkart
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Mo 10. Apr 2023, 13:33

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Mo 10. Apr 2023, 13:27
Aus dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 10. Oktober 2017 hat geschrieben : Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG schützt nicht nur Männer und Frauen, sondern auch Menschen, die sich diesen beiden Kategorien in ihrer geschlechtlichen Identität nicht zuordnen, vor Diskriminierungen wegen ihres Geschlechts.
Wo dürfen eigentlich die Diversen z.B. bei olympischen Spielen teilnehmen, also bei den Männer oder bei den Frauen?
Oder machen sie eigene Spiele, womöglich noch je "Unter-Geschlecht" voneinander getrennt?
Oder packen sie alle Geschlechter zusammen? (Dann möchte ich die oft schwächeren (eher) weiblichen aber mal hören ;) )



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Stefanie
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Mo 10. Apr 2023, 16:22




Das Land, das die Fremden nicht beschützt, geht bald unter.
Goethe

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Mo 10. Apr 2023, 16:30

Stefanie hat geschrieben :
Mo 10. Apr 2023, 16:22
https://taz.de/Transgender-Regeln-bei-Olympia/!5825854/
Tja ja, alles nicht so einfach ;) ...
Daraus z.B. :
"Wie schwer das ist und wie schnell Kontroversen entstehen, zeigt eine aktuelle Debatte im US-Schwimmsport. College-Studentin Lia Thomas, die als Mann auf die Welt kam, schwimmt ihren Konkurrentinnen auf den längeren Distanzen davon. In einem Rennen über 1.500 Meter hatte sie kürzlich 38 Sekunden Vorsprung auf die Zweitplatzierte."
und
"Frauen, die eine Geschlechtsidentität als Mann angenommen haben, dürfen ohne Restriktionen an Männer-Wettkämpfen teilnehmen. Im umgekehrten Fall geht das nicht so einfach: Der Wechsel der Identität muss mindestens vier Jahre zurückliegen und amtlich beurkundet sein."
Soweit zur Gleichberechtigung oder gar Gleichheit von Frau und Mann :D



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