Kaffeestübchen

Philosophie Chat: Hier wird geplaudert über Gott und die Welt.
Nauplios
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Do 30. Jun 2022, 19:18

Die Grünen sind zum "Bettvorleger der Rüstungsindustrie" geworden, unkte kürzlich die Fraktionsvorsitzende der Linken im Bundestag, Amira Mohamed Ali. Das Kanzlerwort von der "Zeitenwende" macht jetzt die Runde. Die Bundeswehr soll nicht länger ein bewaffnetes THW sein, sondern soll milliardenfach zu einer Kampftruppe aufgerüstet werden. Mitgetragen wird diese "Zeitenwende" von den Grünen. Ich will das nicht kritisieren. Im Gegenteil. Es darf nur auch eine Wende im Hinblick auf das Gute bei den Grünen notiert werden. Das Gute als purer Nominativ ist geblieben; was es außenpolitisch bedeutet, hat sich ... tja ... gewendet.




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Jörn Budesheim
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Do 30. Jun 2022, 19:38

Du verwechselst hier einfach das Gute mit dem, was das Gute "für" irgendjemand ist, genauer gesagt, was irgendjemand für gut hält.




Nauplios
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Übrigens: das Böse als das Gute ausgeben (und umgekehrt) ist in der Tat ein bei Niccolò Machiavelli anzutreffendes Motiv des Politischen. Das muß man nicht gut heißen und darf es böse finden. Man könnte es an der Originalstelle in Machiavellis Fürst bei Gelegenheit aufsuchen. Sowie man Carl Schmitt dazu befragen könnte (Der Begriff des Politischen) und warum gibt der Jude Leo Strauss in einem Brief an Karl Löwith dem Faschismus den Vorzug vor der Demokratie? - Indem man solchen Fragen nachgeht, macht man sich deren Inhalt nicht zu eigen. Vielleicht kann man aber die Zeit, in der man lebt, besser verstehen, wenn man Staatsrechtler wie Schmitt oder seinen Kontrahenten Hans Kelsen aufsucht. Aufsuchen: Reinhart Koselleck suchte Carl Schmitt auf in Plettenberg, der "Halbjude" Hans Blumenberg suchte den Kontakt zum "Kronjuristen des Dritten Reiches", war befreundet mit Hans Robert Jauß, vor seiner akademischen Karriere Hauptsturmführer der Waffen-SS und Erich Rothacker, Verbindungsmann von Goebbels zur "Aktion wider den undeutschen Geist" (Bücherverbrennung). Wie war all das möglich?




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Jörn Budesheim
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Do 30. Jun 2022, 20:08

Zurück zum Thema:

Ich schätze, die meisten kennen sie, die Menschen, die gleichsam ausflippen, wenn der Begriff "Moral" auf den Tisch kommt. Albig nennt sie Moralphobiker. Beim SWR gibt es ein ganz kurzes Interview mit ihm:
swr hat geschrieben : Was haben Niccolo Machiavelli, Al Capone und Donald Trump gemeinsam? Sie haben Angst vor Fortschritt und neuer Moral und sind deshalb, wo es geht, besonders brutal, meint Jörg-Uwe Albig.

Sein Essay-Buch „Moralophobia. Wie die Wut auf das Gute in die Welt kam“ ist eine launigen Porträtsammlung beleidigter Leberwürste der Geschichte.

https://www.swr.de/swr2/literatur/joerg ... a-100.html
"die Wut auf das Gute" - eine wunderbare und passende Formulierung. Das ist wirklich ein ganz erstaunliches Phänomen, für viele geht es dabei auch darum, dass der reflexionsfreie Raum mit allen Mitteln verteidigt werden muss. Der Umstand, dass die Welt sich dreht, wird dann als persönlicher Angriff empfunden.

Die Zunahme an Freiheit wird als eine Einschränkung der eigenen Freiheit empfunden. Sind wir damit wieder beim Thema Reaktanz?




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NaWennDuMeinst
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Do 30. Jun 2022, 21:08

Nauplios hat geschrieben :
Do 30. Jun 2022, 19:18
Die Grünen sind zum "Bettvorleger der Rüstungsindustrie" geworden, unkte kürzlich die Fraktionsvorsitzende der Linken im Bundestag, Amira Mohamed Ali.
Ich finde eher sie haben gezeigt dass sie keine hirnlosen Prinzipienreiter sind indem sie erkennen, dass besondere Zeiten eben besondere Maßnahmen erfordern.
Es macht keinen Sinn an Prinzipien bis hin zur völligen Absurdität festzuhalten. Sozusagen aus Prinzip.
Flexibilität im Denken ist eine Tugend, keine Schande. Aber davon wissen die Linken herzlich wenig.



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Stefanie
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Do 30. Jun 2022, 21:10

Der bisherige Temperatursturz des Jahres. Heute Nachmittag 32 Grad und um 20:00 Uhr 16 Grad.



Das Land, das die Fremden nicht beschützt, geht bald unter.
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Nauplios
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Jörn Budesheim hat geschrieben :
Do 30. Jun 2022, 20:08

Zurück zum Thema:
Ja, die Themen, die ich angedeutet habe, gehören zu den historisch belegten Diskursen in der Philosophie und natürlich sind diese Diskurse nicht mit vier, fünf Namen abgedeckt; man bewegt sich da in zum Teil etwas entlegenen Gebieten der Staatsrechtslehre (Machiavelli, Hobbes, Burke), teils im Archiv von Neuzeit- und Säkularisierungsdiskursen (Löwith, Schmitt, Taubes, Luhmann, Koselleck), teils in ästhetischen Diskursen über die Moderne (Baudelaire, Valéry, Poetik und Hermeneutik) ...

Nur stört das natürlich die Mission, um die es hier geht. Das leuchtet ein. ;)

Zu Albigs Moralophobia kann ich wohl erst nächste Woche was sagen, da ich am Wochenende unterwegs bin. Und die Befürchtung ist berechtigt, daß die Benotung dazu "Thema verfehlt" lautet. :lol:

(ist nur Spaß)




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Jörn Budesheim
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Do 30. Jun 2022, 21:31

"Mission zurück"




Nauplios
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Zwei Literaturhinweise noch:

Karl-Heinz Ott: "Verfluchte Neuzeit. Eine Geschichte des reaktionären Denkens".

Daniel-Pascal Zorn: "Die Krise des Absoluten. Was die Postmoderne hätte sein können".

(Daniel-Pascal Zorn ist ja hier im Forum mit dem Kürzel "DPZ" angemeldet; vielleicht kann man ihn bei der Gelegenheit mal zu einem Statement bewegen.)




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Jörn Budesheim
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Do 30. Jun 2022, 21:48

NaWennDuMeinst hat geschrieben :
Do 30. Jun 2022, 21:08
Nauplios hat geschrieben :
Do 30. Jun 2022, 19:18
Die Grünen sind zum "Bettvorleger der Rüstungsindustrie" geworden, unkte kürzlich die Fraktionsvorsitzende der Linken im Bundestag, Amira Mohamed Ali.
Ich finde eher sie haben gezeigt dass sie keine hirnlosen Prinzipienreiter sind indem sie erkennen, dass besondere Zeiten eben besondere Maßnahmen erfordern.
Es macht keinen Sinn an Prinzipien bis hin zur völligen Absurdität festzuhalten. Sozusagen aus Prinzip.
Flexibilität im Denken ist eine Tugend, keine Schande. Aber davon wissen die Linken herzlich wenig.
Ja, es gibt keinen Algorithmus, nach dem wir leben können. Man kann allerdings versuchen, sich aus Prinzip der eigenen Freiheit zu entledigen. Dann gibt man eben einfach auf alles, was da passiert immer dieselben Antworten.




Nauplios
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NaWennDuMeinst hat geschrieben :
Do 30. Jun 2022, 21:08

Es macht keinen Sinn an Prinzipien bis hin zur völligen Absurdität festzuhalten. Sozusagen aus Prinzip.
Was die Prinzipien betrifft, so wäre auch dafür Daniel-Pascal Zorn eine der feinsten Adressen: Er ist Geschäftsführer des "Zentrums für Prinzipienforschung an der Bergischen Universität Wuppertal". :lol:




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NaWennDuMeinst
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Fr 1. Jul 2022, 00:25

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Do 30. Jun 2022, 21:48
NaWennDuMeinst hat geschrieben :
Do 30. Jun 2022, 21:08
Nauplios hat geschrieben :
Do 30. Jun 2022, 19:18
Die Grünen sind zum "Bettvorleger der Rüstungsindustrie" geworden, unkte kürzlich die Fraktionsvorsitzende der Linken im Bundestag, Amira Mohamed Ali.
Ich finde eher sie haben gezeigt dass sie keine hirnlosen Prinzipienreiter sind indem sie erkennen, dass besondere Zeiten eben besondere Maßnahmen erfordern.
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Ja, es gibt keinen Algorithmus, nach dem wir leben können. Man kann allerdings versuchen, sich aus Prinzip der eigenen Freiheit zu entledigen. Dann gibt man eben einfach auf alles, was da passiert immer dieselben Antworten.
Richtig. Ich finde es vollkommen korrekt, bei der derzeitigen Lage, dass wir auf der Hut und vorbereitet sind.
Das heißt übrigens nicht, dass man seine Prinzipien völlig aufgeben muss. Pazifismus und der unbedingte Wille zu friedlichen Lösungen sind gute Prinzipien.
Daran darf man ruhig weiter glauben und sie auch weiter leben. Aber eben nur solange man sie leben kann, solange Einen der "Nachbar" sie leben lässt.
Ich lasse mich jedenfalls nicht ohne Gegenwehr erschlagen.



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Fr 1. Jul 2022, 00:54

Als alt & naiv bin ich auf ein interessantes Interview-Format gestoßen "Jung & naiv". Da fühle ich mich halb-wegs angesprochen. Und ich muß sagen: das kann man sich mal anschauen. Daniel-Pascal Zorn erklärt in Folge 566, warum "das Denken nicht so einen Fortschrittscharakter hat, so eine Entwicklung, die die ganze Zeit irgendwie aufeinander aufbaut" ...

Merke: um jung & naiv zu sein, reicht es, alt & naiv zu sein, weil alt & naiv gefühlt wie jung & naiv ist. Auch hier: kein Fortschritt.





Nauplios
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Fr 1. Jul 2022, 02:13

Moral kann billig sein. Und teuer. Wenn sie zu teuer ist, bekommt sie den Zusatz verlogen.

Jahrzehntelang war sie ein gefeierter Weltstar, Anna Netrebko, Sopranistin mit russischem Pass. Niemand hat Anstoß daran genommen, daß sie im September vergangenen Jahres ihren 50. Geburtstag im Kremlpalst in Moskau feierte. Unter den Gratulanten: "ihr Präsident", Wladimir Putin. Daß sie 2012 öffentlich dazu aufrief, Putin zu wählen, hat ihrer Karriere im Westen nicht geschadet, ebensowenig, daß sie 2014 nach der Besetzung der Krim nach St. Petersburg zu einem Fototermin mit dem prorussischen Separatistenführer Oleh Zarjow fuhr, um sich dort mit der "Neurusslandfahne" ablichten zu lassen. Unmoralisch fand das niemand.

Daß sie "keinen zuverlässigen moralischen Kompass" habe, befand der Bayerische Rundfunk erst nach Putins Überfall auf die Ukraine. Netrebko wurde von westlichen Opernhäusern ausgeladen, Termine wurden abgesagt. Es folgt der zweite Teil einer Narrenposse:

Inzwischen hat Anna Netrebko den Krieg Russlands gegen die Ukraine verurteilt und ist auf Distanz zu Putin gegangen. Die Neukalibrierung ihres moralischen Kompass hat dazu geführt, daß sie von Opernhäusern in Moskau und St. Petersburg ausgeladen wurde. Es folgt der dritte Teil der Narrenposse:

Die Ausrichtung des moralischen Kompass nach Westen hat die westlichen Opernhäuser zu einer Neuinterpretation des Wortes "Absage" stimuliert: die Termine mit der russischen Operndiva seien nicht abgesagt, sondern nur verschoben. Im Herbst wird Anna Netrebko wieder in der Elbphilharmonie singen - vorausgesetzt, ihr Kompass weist dann immer noch die moralisch richtige Richtung.

Nebenbei: derweil das russische Geburtstagskind mit Kompass-Einstellungen beschäftigt war und in Deutschland nicht auftreten durfte, hat Deutschland dem Gratulanten Milliarden überwiesen. Sein Kompass ist irreparabel. Das ist moralisch bedauerlich, alleweil das Leben muß ja doch weitergehen.

Als Onkel Nolte dies vernommen,
War ihm sein Herze sehr beklommen.
Doch als er nun genug geklagt:
»Oh!« – sprach er – »Ich hab's gleich gesagt!«

»Das Gute – dieser Satz steht fest –
Ist stets das Böse, was man läßt!«
»Ei ja! – da bin ich wirklich froh!
Denn, Gott sei Dank! Ich bin nicht so!!«


("Die fromme Helene")




Nauplios
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Fr 1. Jul 2022, 04:09

Wer sich will am Guten laben,
Der sollte einen Kompass haben,
Einen, der die Richtung zeigt,
Dessen Nadel sich verneigt.

Dann läßt man singen, musizieren,
wirft das Stöckchen: Apportieren!
Hängt Bilder auf, hängt Bilder ab,
Bemüht sich redlich bis zum Grab.

So geht es oft im Leben zu,
Man spielt moralisch blinde Kuh.
Und fromm sein will man wie Helene,
Mit und ohne Subsysteme.

Ach, wär' ich doch ein Kater,
Ein wilder und doch akkurater.
Wär' im Diskurs mit meiner Beute,
Geradewegs wie Eheleute.

Stattdessen bin ich alt und auch naiv,
Wünsch' mir Moral zum Nulltarif,
Bin skeptisch gegen neue Moden.
Stimmt! Da ist noch Luft nach oben.

Gute Nacht.




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Jörn Budesheim
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Fr 1. Jul 2022, 06:17

Wie passt es eigentlich zusammen? Einerseits schreibst du wiederholt keine Macht der Moral, vor Moral sei zu warnen und ähnliches und andererseits monierst du (angebliche oder tatsächliche) moralische Verfehlungen. Was denn nun?




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NaWennDuMeinst
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Fr 1. Jul 2022, 08:52

Lasse ich die Moral weg, was bleibt dann übrig?
Ich finde es dann immer noch scheisse was Putin macht und das Opernsängerinnen sich auf seine Seite stellen.
Muss ich Menschen mögen die abscheuliche Dinge tun? Nö, muss ich nicht. Moral hin oder her.
Wenn eine Sängerin der Ansicht ist, dass Putin alles Recht hat mit seinen Armeen ein anderes Land zu überfallen und auszuplündern wie ein Wikinger, dann muss sie eben auch damit rechnen dass andere Menschen (vor allem jene die zu den Überfallenen gehören aber auch jene die mit ihnen sympathisieren) sie nicht leiden können und nichts mit ihr zu tun haben wollen.
Damit muss sie dann einfach leben. Sie kann nicht andere Menschen absichtlich verärgern und dann erwarten dass sie sie dafür lieben, feiern und unterstützen.
Und es geht hier ja auch nicht um eine Sache über die man einfach hinwegsehen kann.



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Fr 1. Jul 2022, 09:42

Das eine Mal ist Moral angezeigt, ein anderes Mal vielleicht durchaus auch einmal Amoral. Es hängt doch vor allem vom Kontext ab.

Gegen einen moralischen Kompass spricht zunächst nicht nur nichts - ein solcher fehlt heutzutage häufig eher, bei dem was da so alles wieder möglich sein soll und einst vollkommen zu Recht die Löffel hat abgeben müssen. Da kommen mir sogeschimpfte "pol. Korrektheit", "Gutmenschentum", "wokeness", "moralistischer Gesinnungsterror" usw. usf. sogar i.d.R. ganz recht gegenüber dem aktuell weltweit grassierenden divers "neu"-rechten Zeitgeist. Von Wagenknecht über Putins Handpuppe Trump bis Putin selbst, gewisse Parteien, "Pegida", auf Ansage (bereits lange vor der Wahl...) "einschlägig" aufgehetzte US-Parlamentsstürmer, "Pegida", militante Impfgegner, Verschwörungs-Weltuntergangsfans, Reichsbürger, "Autokraten" u.a. Führer eben "gelenkter Demokratien", systematisch verdummte, manipulierte, aufgehetzte Massen von "Normalos", die "Blasenkrankheits"-Anfalligkeit der a-sozialen Medien (by the way haben diese sich ungut hervorgetan als Brandbeschleuniger gewisser Entwicklungen... - und überhaupt: ihre unrühmliche Rolle als Globalisierer des rechten Stammtisches - jeder Dreck eines jeden Anal-phabeten kann inzwischen "ins Netz gepustet/gepostet" werden - und wird es ja auch ausgiebigst). Und und und. Der bekannte diverse rechte Dreck heutzutage eben. Mir jedenfalls ist prinzipiell jeglicher "Gutmenschenterror" allemal lieber als das oben Aufgezählte (und noch viel mehr davon...). Letzteres hat in meinen Augen noch nicht einmal eine Daseinsberechtigung. Ganz im Gegenteil... Also, zunächst einmal nur her mit "Moral" & Co.




Nauplios
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Fr 1. Jul 2022, 13:03

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Fr 1. Jul 2022, 06:17
Wie passt es eigentlich zusammen? Einerseits schreibst du wiederholt keine Macht der Moral, vor Moral sei zu warnen und ähnliches und andererseits monierst du (angebliche oder tatsächliche) moralische Verfehlungen. Was denn nun?
"Was denn nun?" - Die Frage ist Indikator für ein (Miß-)Verständnis, das ich zunächst zu rekonstruieren versuche, bevor ich dieser Rekonstruktion nochmal meine eigene Sichtweise gegenüberstelle.

Aus Deinen Anmerkungen und Fragen habe ich einen Spiegel konstruiert, in den ich jetzt schaue: ich sehe einen Menschen, auf den die Beschreibungsmerkmale von Albig zutreffen: ein Mann in vorgerücktem Alter, der den Anschluß an die Zeit verloren hat. Er kommt nicht damit zurecht, daß die Welt sich dreht, daß sich die Dinge geändert haben und zwar in vielen Fällen zum Guten, daß es heute in Fragen der Moral eine größere Sensibilität gibt als zu seiner Zeit 1970. Dieser gesellschaftliche Fortschritt hat ihn seitdem zum Außenseiter gemacht; getreu dem Motto "Früher war alles besser" sehnt er sich zurück nach der guten alten Zeit der 70er, in der die Dinge einfacher waren. Der moralische Fortschritt der letzten 50 Jahre hat sein Weltbild einstürzen lassen und nun steht er vor dessen Trümmern, ist orientierungslos, weil seine Maßstäbe längst an Geltung und Relevanz verloren haben. Daß die Kinder heute kein Latein mehr lernen müssen, daß er Migranten nicht mehr nach ihrer Herkunft fragen soll, daß man der Kellnerin keinen Klapps mehr auf den Po geben darf und das Radio kaum noch Heino spielt, sind für ihn Zeichen eines drohenden kulturellen Niedergangs.

Wen wundert es, daß dieser Mann die Moral und den gesellschaftlichen Fortschritt haßt? Wen wundert es, daß aus diesem Mann ein Wutbürger geworden ist? - Was ist ihm zuzutrauen? - Daß er antiquiert schreibt, mag man ja noch stöhnend tolerieren können, aber was geschieht, wenn er in eine Situation gerät, die moralisches Handeln erfordert? Würde er mit seiner Moralophobia ein Kind vor dem Ertrinken retten? - "Keine Macht der Moral" sagt er. Also fühlt er sich zur Rettung des Kindes moralisch nicht verpflichtet. Rettet er es dennoch, macht er es aus niederen Beweggründen, um des Beifalls der anderen vielleicht. Gut möglich, daß er dem Kind noch Vorwürfe macht. "Warum bist du nicht zuhause und liest Cicero? Dann wäre meine Hose jetzt noch trocken. Nein, nicht die Zeitschrift Cicero, den Philosophen, Dummbatz!"

Soweit die Rekonstruktion. Im nächsten Beitrag dann die Wirklichkeit.




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Jörn Budesheim
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Fr 1. Jul 2022, 13:15

Nauplios hat geschrieben :
Fr 1. Jul 2022, 13:03
Soweit die Rekonstruktion. Im nächsten Beitrag dann die Wirklichkeit.
Oje :-(




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