Tiere

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Quk
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Fr 1. Sep 2023, 14:06

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Fr 1. Sep 2023, 12:43
Was ist Denken? Denken ist das Erfassen von Gedanken, so habe ich es bei Frege gelesen, jedenfalls gefällt es mir. Ein wahrer Gedanke ist eine Tatsache. Und da manche Tiere anscheinend gelegentlich Tatsachen erfassen können, "der Napf ist leer", können sie auch denken. Gedanken und Tatsachen sind abstrakte Entitäten, sie können also nicht irgendwo lokalisiert werden, z.B. im Gehirn, wobei natürlich ziemlich sicher ist, dass das Gehirn für das Erfassen von Tatsachen notwendig, aber meines Erachtens nicht hinreichend ist.
Das denke ich auch. Das denke ich auch.

Das Gehirn allein macht das Denken wohl noch nicht aus. Und das Fühlen auch nicht. Vielleicht steckt mehr dahinter.

Ich bin auch immer wieder überrascht, wie leichtfertig die Leute der juristischen Todesdefinition folgen, die besagt, dass ein Lebewesen tot sei, wenn ein elektrisches Spannungsmessgerät an einer bestimmten Stelle null Volt messe, und das Herz dabei sogar weiterschlagen dürfe und überhaupt der ganze Mensch dabei körperlich durchaus noch lebe. In der Vergangenheit haben manche Forschende behauptet, das weibliche Gehirn sei weniger leistungsfähig als das männliche, weil letzteres mehr Kilogramm auf die Waage bringe. Ich schweife ab. Zurück zu den Tieren ...




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Stefanie
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Fr 1. Sep 2023, 16:17

Quk hat geschrieben :
Do 31. Aug 2023, 22:30
(...)

Was haltet Ihr eigentlich von der Tradition, Tierbezeichnungen als Schimpfwörter zu benutzen? Du Esel, blöder Hund, dumme Sau, dreckiges Schwein ...? Es ist so ein Reflex im Moment des Fluchens, da kann das rausrutschen. Aber ich empfinde das als Beleidigung der Tiere, heruntergesagt von einem anthropozentrischen Sockel. Und deshalb habe ich mir solche Schimpfwörter komplett abgewöhnt. Die Esel, beispielsweise, sind außerdem gar nicht dumm, sondern der Mensch, der den stur vor dem Loch stehenbleibenden Esel für dumm hält, ist dumm, weil der Mensch nicht den Grund für des Esels Sturheit erkennt, nämlich, dass der Esel ein gefährliches Loch im Feldweg sieht. Was mir auch nie gefiel, ist der Pink-Floyd-Song "Pigs", wo Rogers machthungrige, bösartige Menschen als "Pigs" bezeichnet. Ich meine, Schweine sind nicht machthungrig und bösartig, sondern diese speziellen Menschen sind es.

In der heutigen Kulturzeit-Sendung bei Position 17:04 geht es um Schweinebewusstsein, und da werden solche Gedanken auch thematisiert.
So ähnlich hatte ich in einer Diskussion während der Mittagspause über die Höhe der Geldstrafen für solche Sprüche mal gesagt, na ja eigentlich sind das keine Beleidigungen. Kam nicht gut an.
Diese Schimpfwörter sind in den letzten Jahrhunderten entstanden, aus dem Blickwinkel, dass der Mensch das überlegende Wesen ist, und ein Schwein halt dreckig ist und eine Kuh dumm guckt und daher blöd ist.
Sagt jemand "Du blöde Kuh" zu einer anderen Person, will er oder sie die andere Person herabsetzend und beleidigen. Selbst wenn ich jetzt sage, na ja die Kuh ist ja nicht blöd, ist es trotzdem für mich beleidigend, weil ich ja weiß, dass es beleidigend gemeint ist. Die gewählten Worte sind noch nicht mal entscheidend, sondern das Wissen, es beleidigt mich jemand.

Solange diese Sprüche mit der Absicht verwendet werden, jemanden herabzusetzen, sind es daher Beleidigungen.



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Quk
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Fr 1. Sep 2023, 17:26

Klar, ausschlaggebend für die Einschätzung ist dann, ob es böse gemeint ist oder philosophisch :-)

Auch die nichttierischen Wörter Schachtel oder Sack können ihre Sachlichkeit verlieren, wenn man sie in in boshaften Momenten verwendet :-)

Ich meine das aber wirklich ernst, wenn ich sage, dass ich Tiernamen als Synonyme für Schlechtigkeiten als eine sehr unangenehme Tradition empfinde. Ist das nicht schon fast Tierrassismus? Wenn jemand einem dänischen Dieb zuruft: "Bleib stehen, Pole!", ist der Zuruf rassistisch, weil da alle Polen als Diebe gebrandmarkt werden. Ist es dann nicht auch rassistisch, wenn statt "Pole" "Elster" gerufen wird? (Die wird ja traditionell als "diebisch" bezeichnet.) Inzwischen haben wir den Tierschutz im Grundgesetz. Er schaut wohl hauptsächlich auf den Lebensraum und auf die Vermeidung von Langeweile. Hat sich unsere Mentalität im Durchschnitt auch weiterentwickelt was Beleidigungen aller Lebewesen betrifft, nicht nur die des Menschen? Ich verlange natürlich keinen Bußgeldkatalog für verbale Beleidigungen der Tiere durch Tiernamenverwendung. Die Elster versteht es natürlich eh nicht, wenn jemand ihren Namen missbraucht. Meine Frage richtet sich auch nicht an die Elster, sondern an uns, an unsere Mentalität, die bei gewisser ethischer Haltung nützlicherweise auch auf andere Sachen ausstrahlt. Das N-Wort, beispielsweise, benutze ich nie; nicht einmal in Gedanken. Obwohl ich weiß, dass mein Gedanke niemand hören kann, verwende ich in Gedanken keine schlimmen Wörter. Warum? Nicht wegen des Gesetzes. Sondern weil ich es nicht will.




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Jörn Budesheim
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Mi 6. Sep 2023, 16:44

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Fr 1. Sep 2023, 11:55
Passend dazu stellt der deutsche Philosoph Markus Gabriel fest, in meinen eigenen Worten, vielleicht etwas vereinfacht dargestellt: In unserer Geschichte haben wir aus den Tieren meist defizitäre Figuren gemacht. So haben wir über lange Zeit z.B. den Menschen als das animal rationale, das rationale Tier definiert. Daraus folgt in einer einfachen logischen Operation, dass das Tier dasjenige Wesen ist, dem es eben an Rationalität fehlt. Und damit sind wir vielleicht wieder bei der Frage, inwieweit Tiere denken können :)
Markus Gabriel hat geschrieben : Das Tier ist eine Fiktion des Menschen. Was wir für das Tier halten, ist stets der Mensch minus etwas: Mensch — x = Tier. Denn der Mensch versteht sich zunächst als Tier plus ein spezifisches Etwas: Vernunft, Moral, Sprache, Geist, Erkenntnis, Transzendenz oder was auch immer. Mensch = Tier + x. Dann wäre das Tier eben wie ein Mensch, nur als Wesen, dem es an unserem Etwas mangelt. Da hilft es nicht, die Besonderheiten der Insekten, Löwen, Giraffen nachträglich zu loben. Wenn man die anderen Lebewesen ebenfalls als Tiere plus irgendetwas (Flügel, Behaarung, andere Gene als unsere) auffasst, bleibt es dabei, dass das Tier ein Mängelwesen ist. Es gibt keinen Grund, dies zu glauben.




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Quk
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Mi 6. Sep 2023, 19:15

Markus Gabriel hat geschrieben : Das Tier ist eine Fiktion des Menschen. Was wir für das Tier halten, ist stets der Mensch minus etwas: Mensch — x = Tier. Denn der Mensch versteht sich zunächst als Tier plus ein spezifisches Etwas: ...
Ich weiß nicht, warum Gabriel hier "den Menschen" pauschalisieren muss bezüglich "was wir für das Tier halten" und auch bezüglich der groben "Mensch-Tier-Schubladen" überhaupt, die er selber aufstellt. Meine Fiktion ist das jedenfalls nicht. Meine Fiktion enthält kein Plus ohne Minus. Mit anderen Worten: Ich addiere nicht bloß, ich subtrahiere nicht bloß, sondern ich tausche. Was ich jetzt sage, ist kein Lob, sondern eine Tatsache. Mein Hirn, zum Beispiel, ist nicht so leistungsfähig wie das eines Zugvogels oder das eines Hundes, welches zig tausende von Gerüchen mehr unterscheiden kann als mein Hirn. Das ist kein Lob. Wer bin ich, dass ich hier als Gönner auftreten müsste? Wie kann ich Winzling mich da mit einem Plus darüber stellen? Gehdochnich. Was erlauben Gabriel?! Als Mensch tausche ich Riechvermögen gegen Mondfahrtvermögen. Das ist ein Tausch, kein Plus. Was interessiert den Hund die Mondfahrt? Ist die Mondfahrt ein Plus gegenüber jenem Riechvermögen? Ich sage: Für derartige Quantitäten-Vergleiche gibt es überhaupt keine universalen Kalibrierpunkte. Und deshalb gibt es vorab schon keine Prämissen für Gabriels Schluss, der da sagt: "... bleibt es dabei, dass das Tier ein Mängelwesen ist". Ich finde da auch Gabriels Vokabular befremdlich. Aber vielleicht habe ich es auch nur missverstanden :-)

Natürlich können Tiere denken. Tiere können lernen, also müssen sie notwendig auch denken können. In manchen Dingen denken manche Tiere schneller als manche Menschen.




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Stefanie
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Mi 6. Sep 2023, 19:53

Der letzte Satz in dem zitierten Text von Gabriel lautet: Es gibt keinen Grund, dies zu glauben.
Daraus lese ich, dass Gabriel vorher eine Sicht auf Tiere lediglich beschrieben hat, an die er aber nicht glaubt.



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Quk
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Mi 6. Sep 2023, 20:04

Das Wort "dies" bezieht sich auf den gesamten vorausgegangenen Text?

Verwirrend.




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Stefanie
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Mi 6. Sep 2023, 20:20

Ich lese den Text so, dass er aufzählt wie der Mensch bislang Tiere sieht, teilt aber diese Sichtweise nicht. Er hat ja wieder ein neues Buch geschrieben, in einem Interview dazu sagt er:

Die wildeste These, wie Markus Gabriel es nennt, ist in „Der Mensch als Tier“: Nur der Mensch ist ein Tier, obwohl der Mensch nicht nur ein Tier ist. Was meint der Autor damit? „Der Begriff des Tieres bezog sich immer auf irgendetwas, das so ähnlich ist wie wir, dem aber etwas fehlt“, sagt Markus Gabriel im Interview mit unserer Autorin. „Menschen, so dachte man, haben Vernunft und Sprache. Menschen haben Moral und Kultur, während die anderen Lebewesen, die man so wahrnehmen kann, wie Affen, Vögel, Tiger, Schlangen und Insekten, von denen dachte man, sie sind so ähnlich wie Menschen, aber es fehlt ihnen etwas.“ Dieser Tierbegriff ist für den Philosophen „fundamental falsch“, weil er so gar nicht dem entspricht, was wir heute über die Tiere wissen.

https://www.sozialbank.de/news-events/p ... fo-11-22-6



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Quk
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Mi 6. Sep 2023, 20:35

Na, dann will ich nochmal ein Auge zudrücken!!

Aber warum benutzt er hier keine hypothetische Grammatik?
"... obwohl der Mensch nicht nur ein Tier ist."
Wenn er selbst das nicht meint, warum setzt er nicht wenigstens ein Fragezeichen dahinter?
Mit dem Ausdruck "nicht nur" impliziert er ein Plus. Er ist nicht nur ein Tier, denn er kann zum Mond fliegen und die Tiere nicht.

Das gleiche gilt für den Spatz.
"... obwohl der Spatz nicht nur ein Tier ist."
Denn der Spatz kann fliegen und das Huftier nicht.

Das gleiche gilt für das Huftier.
"... obwohl das Huftier nicht nur ein Tier ist."
Denn das Huftier kann galoppieren und der Spatz nicht.

Ich hoffe, es wird klar, worauf ich hinaus will.

Alle Eigenschaften sind Mosaiksteine auf dem selben Tisch. Kein Mosaikstein liegt höher als der andere.




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Stefanie
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Mi 6. Sep 2023, 22:05

Nach dem derzeitigen Kenntnisstand können einige Tiere denken, andere bestehen den Spieltest, andere z.B. Hunde erkennen sich im Spiegel nicht, obwohl Hunde so einiges lernen können.

https://www.derstandard.de/story/200014 ... fragen-auf



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Jörn Budesheim
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Do 7. Sep 2023, 08:27

Bei social bank (der Link von Stefanie) heißt es sinngemäß: Die wildeste These des Buchs "Der Mensch als Tier" ist, dass nur der Mensch ein Tier ist, obwohl der Mensch nicht nur ein Tier ist. Darauf antwortest du, Quk sinngemäß: "Mit dem Ausdruck "nicht nur" impliziert er ein Plus. Er ist nicht nur ein Tier, weil er zum Mond fliegen kann und die Tiere nicht". Das kann meines Erachtens nicht passen, da in dem von dir kritisierten Text ja von vornherein ausgeschlossen wurde, dass es sich um einen Vergleich mit den anderen Tieren (im traditionellen Sinne) handelt, nämlich gleich im ersten Satz: Nur der Mensch ist ein Tier.

Nach Gabriel ist der Mensch also das einzige Tier. Auf alle anderen Lebewesen, also auch auf Spatzen, passt dieser Ausdruck nicht. Das macht das Sprechen über den Text natürlich nicht einfach, denn der Begriff ist nun mehrdeutig und man ist leicht verwirrt. Einerseits meint der Ausdruck aus Gabriels Sicht nun überraschenderweise nur uns und sonst kein Lebewesen und andererseits kann er eben auch die traditionellen Bedeutungen haben. Wenn wir also zur besseren Unterscheidung statt "Tier" im Sinne Gabriels "Menschentier" sagen, dann wird klar, dass "das Gleiche" für den Spatzen (wie in deinem Beispiel/Beitrag) nicht gilt, denn der Spatz ist offenbar kein Menschentier.

Auch im traditionellen Sinn passt das nicht: Der Spatz ist kein Tier (im traditionellen Sinne) und kann zudem fliegen, weil Tier als Oberbegriff bereits das Fliegen umfasst (das Fliegen ist nur der spezifische Unterschied, der ihn von anderen Tieren unterscheidet), während (im traditionellen Sinne) der Begriff der Vernunft (z.B.) nicht unter die Kategorie Tier fällt, sondern das ist, was dazu kommt, wenn wir vom Menschen sprechen. (Tier + X ("Vernunft, Moral, Sprache, Geist, Erkenntnis, Transzendenz oder was auch immer"))

Bild

Wichtig scheint mir: Es geht Gabriel darum, die Vielfalt zu ihrem Recht kommen zu lassen. Nicht nur in diesem Buch, sondern generell - so lese ich es jedenfalls. Die Einteilung, die ich noch in der Schule gelernt habe "Pflanze, Tier, Mensch", ist viel zu einfach, nicht nur weil die Pilze fehlen. Das Leben auf diesem Planeten lässt sich mit einer so einfachen hierarchischen Einteilung nicht erfassen. Wenn du also in deinen Antworten die Unterschiede zwischen den Tieren (im traditionellen Sinne) stark machen willst, rennst du bei ihm, glaube ich, offene Türen ein.




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Jörn Budesheim
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Do 7. Sep 2023, 09:50

Quk hat geschrieben :
Mi 6. Sep 2023, 19:15
Markus Gabriel hat geschrieben : Das Tier ist eine Fiktion des Menschen. Was wir für das Tier halten, ist stets der Mensch minus etwas: Mensch — x = Tier. Denn der Mensch versteht sich zunächst als Tier plus ein spezifisches Etwas: ...
Ich weiß nicht, warum Gabriel hier "den Menschen" pauschalisieren muss bezüglich "was wir für das Tier halten" und auch bezüglich der groben "Mensch-Tier-Schubladen" überhaupt, die er selber aufstellt. Meine Fiktion ist das jedenfalls nicht. Meine Fiktion enthält kein Plus ohne Minus. Mit anderen Worten: Ich addiere nicht bloß, ich subtrahiere nicht bloß, sondern ich tausche. Was ich jetzt sage, ist kein Lob, sondern eine Tatsache. Mein Hirn, zum Beispiel, ist nicht so leistungsfähig wie das eines Zugvogels oder das eines Hundes, welches zig tausende von Gerüchen mehr unterscheiden kann als mein Hirn. Das ist kein Lob. Wer bin ich, dass ich hier als Gönner auftreten müsste? Wie kann ich Winzling mich da mit einem Plus darüber stellen? Gehdochnich. Was erlauben Gabriel?! Als Mensch tausche ich Riechvermögen gegen Mondfahrtvermögen. Das ist ein Tausch, kein Plus. Was interessiert den Hund die Mondfahrt? Ist die Mondfahrt ein Plus gegenüber jenem Riechvermögen? Ich sage: Für derartige Quantitäten-Vergleiche gibt es überhaupt keine universalen Kalibrierpunkte. Und deshalb gibt es vorab schon keine Prämissen für Gabriels Schluss, der da sagt: "... bleibt es dabei, dass das Tier ein Mängelwesen ist". Ich finde da auch Gabriels Vokabular befremdlich. Aber vielleicht habe ich es auch nur missverstanden :-)

Natürlich können Tiere denken. Tiere können lernen, also müssen sie notwendig auch denken können. In manchen Dingen denken manche Tiere schneller als manche Menschen.
Quk hat geschrieben :
Mi 6. Sep 2023, 20:04
Das Wort "dies" bezieht sich auf den gesamten vorausgegangenen Text?

Verwirrend.
Ich finde den Text ziemlich klar und nicht sehr verwirrend. Er beginnt mit der zentralen Aussage, dass "das Tier" nichts anderes als unsere Fiktion ist: "Das Tier ist eine Fiktion des Menschen". Dann erklärt er, worin diese Fiktion in unserer Tradition besteht: Beispiele, die man schnell googeln kann, sind: animal rationale, animal ridens, animal symbolicum, animal laborans ... Gabriel selbst nennt: "Vernunft, Moral, Sprache, Geist, Erkenntnis, Transzendenz oder was auch immer".

Die Fiktion besteht also darin, dass das, was wir in dieser Tradition für das Tier halten, immer nur der Mensch minus etwas ist: "Mensch - x = Tier". Ein Beispiel: "Mensch - Vernunft = Tier". Eine solche Rechnung macht Gabriel selbst nirgends auf. Es gibt keinen Selbstwiderspruch, falls das jemand meint. In dieser traditionellen Sicht, die Gabriel von vornherein als Fiktion ablehnt, ist das Tier also nur ein Mängelwesen. Es gibt keinen Grund, dies zu glauben, denn das ist, wie der Text sofort klarstellt, eben nur eine Fiktion. Gabriel macht sich das an keiner Stelle zu eigen.




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Quk
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Do 7. Sep 2023, 11:25

Stefanie hat geschrieben :
Mi 6. Sep 2023, 22:05
Nach dem derzeitigen Kenntnisstand können einige Tiere denken, andere bestehen den Spieltest, andere z.B. Hunde erkennen sich im Spiegel nicht, obwohl Hunde so einiges lernen können.

https://www.derstandard.de/story/200014 ... fragen-auf
Muss ein Wesen seinen eigenen Körper in Form und Farbe in einer Spiegelverkehrung erkennen, um denken zu können? Ich würde sagen, diese Frage zielt auf das Ausmaß der geometrischen oder farblichen Intelligenz, aber nicht darauf, ob es denkt oder nicht. Form und Farbe sind nur zwei von vielen geistigen Dimensionen. Es gibt weitere Dimensionen wie Geruch, Zuneigung, Geschmack, Temperatur, Tonlänge, Tonhöhe und so weiter.

Ich glaube nicht, dass Bakterien und dergleichen denken. Aber sobald ein neuronales Netzwerk entsteht, das sich ständig anpasst und dynamisch verändert, das unnütze Erinnerungen löscht und nützliche behält, das sich im Schlaf erholt und neu konfiguriert, dann enststehen auch Träume und Gedanken, vermute ich. Es müssen ja nicht gleich Gedanken über den Sinn des Lebens sein, um als "Gedanken" bezeichnet werden zu können. Es können auch Gedanken sein, wie: "Jetzt riecht es wieder so, wie damals, als der Schmerz kam; schnell weglaufen." Dies natürlich nicht in deutscher Sprache, sondern in chronologischen Bilderreihenfolgen oder Tonfolgen, oder was auch immer für Sinnlichkeiten das Wesen hauptsächlich nutzt.




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Do 7. Sep 2023, 11:55

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Do 7. Sep 2023, 08:27
Nach Gabriel ist der Mensch also das einzige Tier. Auf alle anderen Lebewesen, also auch auf Spatzen, passt dieser Ausdruck nicht.
Du meintest wahrscheinlich zu schreiben:
"Nach Gabriel ist der Mensch also das einzige Tier, welches ... [hier Spezialität eintragen]"

Wenn der Satz nach "Tier" mit einem Punkt endet, ist der Satz wohl falsch, oder? Denn auch der Spatz ist ein Tier, obwohl er kein Mensch ist.

Außerdem meine ich, dass in dem Sinn, wie Du es erläuterst, durchaus auch der Spatz das einzige Tier ist, welches ... [hier Spezialität eintragen]




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Jörn Budesheim
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Do 7. Sep 2023, 11:57

Quk hat geschrieben :
Do 7. Sep 2023, 11:25
Aber sobald ein neuronales Netzwerk entsteht, das sich ständig anpasst und dynamisch verändert, das unnütze Erinnerungen löscht und nützliche behält, das sich im Schlaf erholt und neu konfiguriert, dann enststehen auch Träume und Gedanken, vermute ich.
Könnte es nicht Aliens geben, die ganz anders gebaut sind als wir, welche dennoch denken? Zwei abstrakte Bedingungen fallen mir (zunächst) ein: Nur (und ausschließlich) Lebewesen können denken. Was lebt und in irgendeiner Form, wahres erfassen kann, ist ein Kandidat für ein denkendes Lebewesen. Wer bietet mehr (also weitere Bedingungen)? (Was heißt erfassen?)




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Jörn Budesheim
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Do 7. Sep 2023, 12:02

Quk hat geschrieben :
Do 7. Sep 2023, 11:55
Jörn Budesheim hat geschrieben :
Do 7. Sep 2023, 08:27
Nach Gabriel ist der Mensch also das einzige Tier. Auf alle anderen Lebewesen, also auch auf Spatzen, passt dieser Ausdruck nicht.
Du meintest wahrscheinlich zu schreiben:
"Nach Gabriel ist der Mensch also das einzige Tier, welches ... [hier Spezialität eintragen]"
Nein, ich meinte es genau so. Und Gabriel ganz offensichtlich auch, in dem Text, den Stefanie verlinkt hat, steht es wörtlich: "Nur der Mensch ist ein Tier." Ansonsten ist das Tier eine Fiktion des Menschen.




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Do 7. Sep 2023, 12:28

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Mi 6. Sep 2023, 16:44
Markus Gabriel hat geschrieben : Das Tier ist eine Fiktion des Menschen. Was wir für das Tier halten, ist stets der Mensch minus etwas: Mensch — x = Tier. Denn der Mensch versteht sich zunächst als Tier plus ein spezifisches Etwas: Vernunft, Moral, Sprache, Geist, Erkenntnis, Transzendenz oder was auch immer. Mensch = Tier + x. Dann wäre das Tier eben wie ein Mensch, nur als Wesen, dem es an unserem Etwas mangelt. Da hilft es nicht, die Besonderheiten der Insekten, Löwen, Giraffen nachträglich zu loben. Wenn man die anderen Lebewesen ebenfalls als Tiere plus irgendetwas (Flügel, Behaarung, andere Gene als unsere) auffasst, bleibt es dabei, dass das Tier ein Mängelwesen ist. Es gibt keinen Grund, dies zu glauben.
In diesem Zitat war das Wort "Tradition" nicht enthalten. Es hätte mich wahrscheinlich entwirrt :-)

Ich hätte nicht geklagt, wenn Gabriel das folgendermaßen geschrieben hätte. Zudem hätte so das Wort "glauben" am Anfang einen kontextuellen Kreis geschlossen zum "glauben" am Ende:

Einige Menschen glaubten bisher, das Tier sei stets Mensch minus etwas: ...
[...] Es gibt keinen Grund, dies zu glauben.


Wenn er das letzte "glauben" auf das anfängliche "für etwas halten" bezieht, verkompliziert er seinen Text unnötigerweise, meiner Meinung nach.




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Do 7. Sep 2023, 12:44

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Do 7. Sep 2023, 11:57
Quk hat geschrieben :
Do 7. Sep 2023, 11:25
Aber sobald ein neuronales Netzwerk entsteht, das sich ständig anpasst und dynamisch verändert, das unnütze Erinnerungen löscht und nützliche behält, das sich im Schlaf erholt und neu konfiguriert, dann enststehen auch Träume und Gedanken, vermute ich.
Könnte es nicht Aliens geben, die ganz anders gebaut sind als wir, welche dennoch denken?
Könnte sein.

Ich bin jetzt erstmal von meinen Lebenserfahrungen auf der Erde ausgegangen, weil da Indizien vorliegen, die die Spekulation etwas dämpfen. Spekulieren kann man sicherlich grenzenlos -- siehe Organizismus, Panpsychismus, Leibnizsche Monaden etc. -- Ich versuche, die Spekulation so weit wie möglich zu verkleinern, durch Indizien, denn durch sie scheint die Spekulation näher an die Wahrheit zu kommen; zwar nie gewiss, aber vielleicht näher. Das finde ich spannender als völlig losgelöste Spekulation. Außer in der Kunst! Da soll die Spekulation freilich endlos sein. In der Kunst finde ich das spannend. In der Philosophie weniger.




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Do 7. Sep 2023, 15:32

Ich glaube, die Spekulation, auf die ich mich nicht einlassen will, ist, dass Bewusstsein und Denken nur auf eine Weise realisiert werden können. Deshalb stelle ich eine andere Frage. Ich frage nicht nach dem neuronalen Korrelat (oder was auch immer), sondern ich frage, was es bedeutet, dass ein Wesen denken kann. Und das kann (muss aber nicht) auf verschiedene Weise realisiert sein. Das ist viel weniger spekulativ, finde ich.

(Zumal diese Fragen meines Wissens naturwissenschaftlich überhaupt nicht geklärt sind ... und man sich natürlich fragen muss, wie man sie klären will, wenn man nicht annähernd weiß, was man klären will)




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Jörn Budesheim
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Quk hat geschrieben :
Do 7. Sep 2023, 12:44
Ich bin jetzt erstmal von meinen Lebenserfahrungen auf der Erde ausgegangen
Ist es denn unsere Lebenserfahrung auf der Erde, dass Denken in irgendeiner Form "neuronal" realisiert wird? Ich glaube nicht. Wir klappen ja auch nicht den Schädel hoch, wenn wir wissen wollen, ob und was jemand denkt. Aristoteles dachte, das Gehirn sei ein Kühlorgan, wusste er also nicht, was Denken ist, oder wusste er - so wie wir - nur nicht, wie es physikalisch oder biologisch "funktioniert"?




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