Alethos hat geschrieben : ↑ So 24. Jun 2018, 23:30
Diese Überzeugung, dass Materialität nicht die hinreichende Bedingung von Denken (oder überhaupt von allem) sei, entspringt der kontra-monistischen, pluralistischen Intuition, dass 'Dinge' sinnüberlagerte Phänomene sind, die nicht existieren könnten, bestünden sie nur aus einer 'Schicht', z.B. Materie. Es gibt in dieser Konzeption kein Ding, das in absoluter Weise bestünde, sondern jedes Ding ist dieses Ding, weil es in den ihn bestimmenden und durch ihn bestimmten Tatsachen vorkommt. Durch diese Tatsachen ist es dieses Ding. Wie könnte denn sonst ein Stein ein Stein sein, wenn er nicht aus dem Berg gebrochen worden wäre und durch die Jahrhunderte hinweg zu diesem Stein geworden wäre? Das ist seine Wahrheit, dass er nicht einfach Stein ist, sondern da oder dort liegt, so und so geworden ist: Er ist seine ganze Geschichte. Und seine Wahrheit ist das Gesamt seiner Relationen. Denn alles, was über diesen Stein wahr ist, das gehört zu den Tatsachen, durch die er dieser Stein ist.
Deine Antwort macht schön klar, wie wichtig es ist, sich immer wieder über die Grundlagen zu einigen, von denen man ausgeht.
Ich kann Deiner Intuition, dass jedes Ding ein Ganzes aus verschiedensten Relationen ist, z.B. die Tasse links von der Kaffeekanne steht, aber auch, dass sie von Frau Huber getöpfert wurde, sie allgemein als sehr schön und gelungen angesehen wird, in ihr ein Stück private und kulturelle Geschichte steckt, durchaus etwas abgewinnen.
Du würdest sagen, dass die Wahrheit dieser Tasse, also all die sie betreffenden Tatsachen auch dann wahr bleiben, wenn die Tasse, sowie alle Zeugen derselben und Aufzeichnungen über sie unwiederbringlich verschwunden sind?
Du hast da wohl die Intuition - ich hoffe, ich erinnere mich richtig - dass diese Wahrheiten irgendwo bewahrt werden.
Ich glaube, dass es richtig ist, dass all diese Tatsachen, auch dannn noch wahr sind, wenn nichts und niemand mehr da ist, der sie bezeugen kann, ich bin aber im Zweifel, ob diese Wahrheiten je wiedergefunden werden können. Es gibt nichts, wo Tatsachen gespeichert werden, außer Ideen, wie einer schon mal erwähnten kosmischen Chronik, bei der sich dann wieder die Frage stellte, wo sie sich befindet (zum 'Wo' später noch eine Bemerkung).
Für mich sind Wahrheiten nichts, was den Dingen anhaftet, sondern eine Eigenschaft von Aussagen sprachmächtiger Wesen.
Gleiches gilt für Tatsachen, auch wenn es da schwieriger ist, da man zurecht sagen kann, dass der Mond doch auch da ist, wenn niemand formuliert, dass er da ist oder ihn anschaut. Dennoch - und darum finde ich die Kombination des Ich- und Weltbild-Themas gerade so schön - ist die achselzuckende Selbstverständlichkeit, mit der man all die Relationen aufzählt, die doch an sich da sind, auch dann, wenn niemand sie bezeugt oder fomuliert, ein Indiz dafür, dass es sich bei diesen Relationen um spezifische Sichtweisen von jemanden handelt, der aus dem Kontext (s)eines Weltbildes heraus berichtet.
Auch wenn es scheinbar allgemeingültigste Dinge sind, wie die, dass der Mond aber doch jenseits aller Weltbilder kleiner ist als die Erde und um diese kreist, dass er nicht selbst leuchtet, sondern die Strahlung der Sonne reflektiert und aus bestimmtem Gestein besteht.
Nur ist die Sicht, den Mond als Einzelding zu sehen, der bestimmte Eigenschaften hat, die andere sind, als die der Erde keinesfalls allgemeinster Natur, sondern sehr speziell. Warum sollte man bspw. den Mond überhaupt als einzeln betrachten? Könnte er nicht auch mit der Erde zusammen als Einheit betrachtet werden? Und diese wiederum als Teil des Sonnensystems mit anderen Planeten und eben dem Zentralgestirn? Aber auch die Rede des Systems aus einzelnen Teilen, ist ja bereits eine unter
teilende Perspektive, die Einzeldinge in den Kontext einer größeren Gesamtheit setzt, das Einzelding aber dabei bestehen lässt. Also Einzeldinge in systemischer Betrachtung.
Weden wir radikaler: Warum überhaupt Einzeldinge? Wer braucht die? Gott? Das Universum? Was, außer dem Wunsch eines erkennenden Wesens (diese Erkenntnis kann, muss aber nicht reflexiver Natur sein) nach Erkenntnis sollte etwas zu einem Einzelding machen? Was, etwas zu einem Ding aus Atomen? All diese Sichtweisen mögen wahr und konsistent im Kontext bestimmter Weltbilder sein, aber die sich daraus ergebenden Tatsachen sind auch nur für diesen Kontext relevant.
Man kann den Mond freilich noch ganz anders betrachten: Als Archetypus des Passiven, auch der Täuschung, da er sich das Licht der Sonne leiht, da er seine Gestalt unablässig verändert, damit anpassungsfähig ist. Als Archetypus des Spiegels auch, dem neben der 2 auch die 9 zugeordnet wird, da auch ihr eine Spiegelfunktion zukommt: Addiert man eine Zahl mit 9, kommt über die sog. theosophische Reduktion (ich glaube, dass das so hieß) wieder die Zahl heraus, die man hatte: Also 9 + 5 = 14 und die 1 + 4 = 5 9 + 2 = 11 und 1 + 1 = 2.
Über die Monatsblutung kommt auch der Frau eine besondere Beziehung zum Mond und seinem Zyklus zu und ihr werden Eigenschaften des Mondischen unterstellt - oder umgekehrt, dem Mond die des Weiblichen. Auch die (vermeintliche) Passivität der Frau, die wie Wasser (die Wasseroberfläche ist der erste Spiegel den Menschen nutzen konnten) formbar ist finden wir hier beliebig weit entfaltet.
Was man als neckischen Zufall oder Relikt vergangener Zeit auffassen kann, ist nicht weniger als ein eigener Kosmos von Beziehungen, in die man sich, wenn man will sogar heute noch ewig lange vertiefen kann. Die archetypischen Zusammenhänge werden immer vielfältiger, die Zuammenhänge immer klarer ... eine ganz andere Art die Welt zu sehen, hier durchaus mit Beziehungen von Innen und Außen, die wir heute noch immer irgendwie kennen, aber wir können nicht so richtig was damit anfangen.
Bausteine, Kategorien der Erkenntnis, geronnen zu vermeintlichen Tatsachen, an die wir dann glauben. Oft fehlinterpretiert, in Formulierungen von Solipsisten und radikalen Konstruktivisten, die meinen, es gäbe nur, was auch betrachtet und bezeugt würde, oft fehlinterpretiert von den Kritikern, die meinen, dies impliziere oder man meine, dass der Turm so hoch sei, wie man ihn sich denkt.
Projektionen an die wir dann glauben, die uns bestätigen, dass die Sachen doch tatsächlich so sind. Einigen Projektionen können wir den Zahn ziehen, allen sicher nicht. Eine Welt gebastelt von uns, aber braucht sie uns auch? Oder brauchen wir sie, um sie, uns und andere zu verstehen, in immer neuen Bildern und Entwürfen?
Alethos hat geschrieben : ↑ So 24. Jun 2018, 23:30
Und so entgegne ich mit der Annahme, es lebte nichts im Universum, oder noch krasser ausgedrückt, es gäbe überhaupt keine Raumzeit mehr. Was spricht dagegen zu glauben, dass es da eine Wahrheit gäbe, nämlich die, dass es keine Raumzeit gibt? Diese Wahrheit könnte ja nicht raumzeitlich sein, weil es die Raumzeit nicht gäbe, und dennoch wäre es eine Tatsache, dass es keine Raumzeit gibt.
Für wen oder was? Der Begriff der Tatsache hat den Diskurs oder das normative System immer schon im Gepäck.
Du sagst damit: Tatsachen und damit auch Wahrheiten gibt es auch, jenseits/diesseits/abseits von Zeit und Raum und gleichzeitig ...
Alethos hat geschrieben : ↑ So 24. Jun 2018, 23:30
Wenn aber nicht alles raumzeitlich ist, z.B. die Tatsache, dass es keine Raumzeit gibt, dann wo kommt diese Wahrheit vor?
Die Monisten werden sagen, gar nirgends, denn sobald es keine Raumzeit gibt, gibt es ja auch keine Tatsachen mehr. Nun aber, das ist vielleicht gefühlt richtig, logisch richtig kann es nicht sein, denn die Nichtraumzeitlichkeit wäre eben in jedem Fall eine logische Tatsache, nur eine ohne Raum und Zeit. Zu fragen, wo sie sei, das ist doch ein unsinniges Unterfangen, denn es gibt kein Wo, wo es keinen Raum gibt, aber das bedeutet ja nicht gleichzeitig eine Nichtexistenz.
... und dass man nach dem 'Wo?' nicht fragen solle.
Aber a) Du fragst es ja doch als raumzeitliches Wesen, innerhalb derselben. Denn, dass b) die Logik von der Raumzeit kategorial getrennt ist, ja, ontologisch, konnte das jedoch bislang nicht festgezurrt werden, siehe die Zurückweisung von Husserl und Frege in diesem Punkt. Unsere Sprache und die in ihr verborgene Logik ist raumzeitlich und mesokosmisch aufgebaut, so dass man gar nciht anders kann, als nach dem 'Wo?' zu fragen. c) erscheint es mir auch zikulär und widersprüchlich, im Gefüge der Raumzeit aus dieser die Luft lassen zu wollen. Natürlich, wenn man die anderen Welten erst in ein (da prinzipiell nicht raumzeitlich) Nirgendwo verlegt hat, erscheint die Frage,
wo dieses Nirgendwo denn liegt, idiotisch. Aber wie erreicht uns denn der jenseitige Ruf aus dem Nirgendwo, wo hier doch immer auch hier in Zeit und Raum sind? Das ist doch höchst sonderbar, den Menschen so ein offensichtliches Mischwesen sein lassen zu wollen, das Anteile an Zeit und Raum hat, qua Körper und dann noch an Logik, Sprache, Phantasie, Mathematik, Recht, Spiritualität mit denen der Körper rein gar nichts zu tun hat (Sitzt der Handelsstreit mit den USA denn etwa im Gehirn?, könnte man vordergründig, aber vielleicht auch etwas arglos fragen).
Wer oder was denn sonst? Wenn man sagt: Kein Körper. der in einem Irgendwo zu verorten wäre, denn das wäre ja Raumzeit, macht man sich einen schlanken Fuß und meint auf jede Begründung verzichten zu können. Die Antwort wäre dann, dass es so sein muss, man aber nicht fragen darf, da man sich sonst als jemand outet, der das neue Weltbild einfach nicht verstanden hat.
Böse gesagt, ist das pure Esoterik oder Offenbarung in ihrer schlechtesten Form. Man muss es nicht so böse formulieren, auch bin ich ein Freund der Esoterik, wenigstens der guten Form, aber sich schweigsam wissend zuzunicken, könnte auch dieses Mal zu wenig sein.
Da könnte man nun auch noch viel zu sagen, Heidegger hat schon auch recht, mit seinem Bild vom Sprung, mag es elitär sein, oder nicht. Der Diskurs kann nicht alle Verständnisunterschiede ausgeichen. Aber dennoch, mir sind da zu viele Lücken, über die ich hinwegsehen müsste, ich hoffe ich konnte meine Sicht wenigstens ebenso gut erklären, wie Du Deine erklärt hast.