Liebe

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Jörn Budesheim
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Sa 28. Jul 2018, 21:04

"alle Verliebtheit, wie ätherisch sie sich auch geberden mag, wurzelt allein im Geschlechtstriebe" (Schopenhauer)

Stimmt das? Gibt es Verliebtheit ohne Trieb? Kann man sich darin irren, verliebt zu sein? ...




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Joachim
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Jörn Budesheim hat geschrieben :
Sa 28. Jul 2018, 21:04
"alle Verliebtheit, wie ätherisch sie sich auch geberden mag, wurzelt allein im Geschlechtstriebe" (Schopenhauer)

Stimmt das? Gibt es Verliebtheit ohne Trieb? Kann man sich darin irren, verliebt zu sein? ...
Nun, ich glaube Herr Schopenhauer hat weder Recht noch Unrecht.

Verliebtheit mag sich auch "nur" auf bestimmte Charaktereigenschaften einer Person (und nicht auf die Person als Ganzes) beziehen (sich daran "entzünden"?). Ich denke aber - und habe es auch so schon selbst erlebt - dass eine Portion Erotik immer mitschwingt, also auch bei Verliebtheit, die eher freundschaftlicher Natur war. Ich persönlich finde das auch nicht schlimm. Ganz im Gegenteil. Bei Schopenhauer klingt das ja etwas negativ. So, als ob die hehre Verliebtheit in die Niederungen der, ähm, Sekrete zurückgeführt wird.

Joachim



"Under the most diverse conditions and disparate circumstances, we watch the development of the same phenomena - homelessness on an unprecedented scale, rootlessness to an unprecedented depth." Hannah Arendt

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Jörn Budesheim
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Mo 13. Aug 2018, 14:20

hat geschrieben : Schopenhauer
"alle Verliebtheit, wie ätherisch sie sich auch geberden mag, wurzelt allein im Geschlechtstriebe"
Aaron Ben-Ze'ev sieht das etwas anders. Ich zitiere frei aus seinem Buch "die Logik der Gefühle": "zu den positiven auf das Handeln und die Persönlichkeiten anderer gerichteten Emotionen gehören im Wesentlichen drei: Die Dankbarkeit, das sexuelle Begehren und die Liebe. Das grundlegende Bewertungsmuster der Dankbarkeit ist die Löblichkeit des Handelns des anderen, beim sexuellem Begehren ist es die Attraktivität des anderen, und die Liebe umfasst sowohl Löblichkeit als auch Attraktivität.

...

Bei verschiedenen Arten von Liebe sind die beiden grundlegenden Bewertungsmuster von unterschiedlichem Gewicht. In der romantischen Liebe ist Attraktivität bedeutsamer, in der Freundschaft dagegen die Löblichkeit. Auch in verschiedenen Fällen der romantischen Liebe ist das relative Gewicht dieser Bewertungsmuster unterschiedlich.

...

Man hat beispielsweise gesagt, Männer liebten die Frauen, von denen sie sich angezogen fühlen, werden Frauen sich von Männern angezogen fühlen, die sie lieben. Tatsächlich ist die körperliche Attraktivität für die Liebe von Männern bedeutsamer als für die Liebe von Frauen. Das bestätigen kulturübergreifend Untersuchung in 37 Kulturen. In keiner Kultur wurde beobachtet, dass Frauen mehr Gewicht auf das Aussehen des Partners legen, als es Männer tun. Bestätigt wird dies auch durch eine Untersuchung, in der es darum ging, auf was Männer und Frauen bei ihrer ersten Begegnung ihren ersten Blick richten. Frauen blicken zuerst auf die Augen des Mannes, Männer zuerst auf den Körper der Frau."

(Aaron Ben-Ze'ev)




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Jörn Budesheim
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Mo 13. Aug 2018, 14:38

Daraus können sich witzige Dinge ergeben: "Der muskulöse Schauspieler Arnold Schwarzenegger hat einmal bemerkt, dass Frauen (die sich wohl des Wunsches bewusst sind im Lichte beider Muster positiv bewertet zu werden) ihm immer wieder sagen, sie fühlten sich weniger von seinem Äußeren als vielmehr von seiner Intelligenz angezogen." (Aaron Ben-Ze'ev)




Hermeneuticus
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So 2. Sep 2018, 19:08

Manche Menschen haben eine unverbesserliche Neigung, sich in die falschen Menschen zu verlieben. Sie suchen sich immer wieder "Partner," die einfach nicht zu ihnen passen, mit denen es keine realistische Zukunftsperspektive gibt. Alle Welt um sie herum sieht das sofort. Die Gründe liegen für jeden, der nur ein bisschen gesunden Menschenverstand besitzt, auf der Hand. Mag sogar sein, dass ihnen selbst diese Einsicht ebenfalls zugänglich ist. Aber was sollen sie machen, wenn ihre Leidenschaft partout nicht für "passende" Kandidatinnen oder Kandidaten entbrennen will? Oder wenn die Erfahrung gezeigt hat, dass sie sich mit praktikablen, alltagstauglichen Partnerinnen oder Partnern bald langweilen und beengt fühlen?

Im Zeitalter der Psycho- und Paartherapien liegt es nahe, bei solchen Menschen die Unfähigkeit zu einer "reifen" Partnerschaft zu diagnostizieren. Zwei Jahrhunderte früher trieben dagegen die "unreifen", unpraktischen, perspektivlosen Liebschaften die schönsten literarischen Blüten. Sie waren nämlich Inbilder jener "romantischen" Liebe, nach der sich jeder sehnt. Heute scheinen sogar die meisten Menschen vom Wunsch nach einer liebestechnischen Quadratur des Zirkels beseelt zu sein: Sie wollen romantische Liebe nicht nur erleben, sondern sie sogar auf Dauer stellen - in der Ehe und Kleinfamilie... :D Skurril. Denn dieses Ansinnen ist doch mindestens so realitätsfern wie jene "unreife" Liebe zu "unpassenden" Kandidaten...

Ich habe mich schon öfter gefragt, ob die heute vorherrschenden Vorstellungen von "reifer" Partnerschaft nicht ein Irrtum sind. Und damit auch die etablierten Maßstäbe, nach denen die "Passung" von Liebespartnern bemessen wird. Vielleicht brauchen wir also eine noch viel tiefer gehende erotische Umwälzung, als es die berühmt-berüchtigte "sexuelle Revolution" von Anno 68 war? Eine Umwälzung, die eine klare Trennung von Liebe und Ökonomie in den Lebensformen herbeiführt, mithin eine wirkliche Befreiung des Eros?




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Jörn Budesheim
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Mo 3. Sep 2018, 13:19

Man müsste dazu vielleicht die Entwicklungsformen einer auf dauer gestellten Liebe, falls es dergleichen gibt, untersuchen. Vielleicht ist eine "reife Partnerschaft" eine solche, die für die verschiedenen Formen "gemacht" ist und nicht nur für manche Ausschnitte aus den verschiedenen Erscheinungsformen der Liebe. Außerdem müsste man sich womöglich zuerst fragen, was Liebe überhaupt ist :-) das ist gar nicht so einfach zu sagen, meine ich.




Bartleby
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Do 6. Sep 2018, 02:04

Hermeneuticus hat geschrieben :
So 2. Sep 2018, 19:08
Ich habe mich schon öfter gefragt, ob die heute vorherrschenden Vorstellungen von "reifer" Partnerschaft nicht ein Irrtum sind. Und damit auch die etablierten Maßstäbe, nach denen die "Passung" von Liebespartnern bemessen wird. Vielleicht brauchen wir also eine noch viel tiefer gehende erotische Umwälzung, als es die berühmt-berüchtigte "sexuelle Revolution" von Anno 68 war? Eine Umwälzung, die eine klare Trennung von Liebe und Ökonomie in den Lebensformen herbeiführt, mithin eine wirkliche Befreiung des Eros?
Und ich mich, ob der in der Tat bei manchen Menschen verbreitete leidvolle Hang zu "unpraktischen, perspektivlosen Liebschaften" nicht ein Irrtum ist (an psychologischem Fachvokabular hingegen ist mir in dem Zusammenhang am ehesten noch der Begriff des "Wiederholungszwangs" einleuchtend). Auch wenn er noch so schöne literarische Blüten trieb. Nur: lebbar war so etwas eben nicht. Manchem blieb - zumindest in der Literatur - bekanntlich am Ende nichts anderes übrig als sich die Kugel zu geben, wenn er einsehen musste, dass sein Traum nicht Wirklichkeit werden konnte. Andere - wie etwa Karoline von Günderrode - erdolchten sich tatsächlich. Aber träumen - wenn man klug genug ist, es dabei zu belassen - kann man ja immer ;-) . Oder, noch besser vielleicht sogar, lernen, die unspektakuläre praktikable, alltagstaugliche Partnerschaft wertzuschätzen als das was sie ist: etwas nicht Selbstverständliches.

Bzw.: Wie könnte eine "wirkliche Befreiung des Eros" denn aussehen? Ich kann mir darunter leider so gar nichts vorstellen. Eine "klare Trennung von Liebe und Ökonomie" gab es de facto so weit mir bekannt auch nicht (zumal in der Tat zu fragen wäre was man unter "Liebe" überhaupt verstehen kann und was nicht), genauso wenig wie eine von Leben und Ökonomie, aber zumindest die klare Trennung von der Ehefrau zu Hause (griech: oikos) und der Hetäre (auch wenn das ein durchaus auch in materieller Hinsicht kostspieliges Vergnügen gewesen sein mag). Und die "sexuelle Revolution" der 68er hat an den zugrunde liegenden Strukturen nach Ansicht mancher Historikerin im Grunde nicht viel geändert: https://www.br.de/radio/bayern2/die-68e ... n-100.html



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Hermeneuticus
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Do 6. Sep 2018, 03:52

Weiß der Teufel, was mich ritt, als ich diesen Stein ins Wasser warf... :roll: Schon mache ich die - typisch philosophische? - Erfahrung, dass das Thema sehr viel komplizierter ist, als zuerst gedacht. Es artet geradezu in Arbeit aus, die diversen auftauchenden und auseinanderdriftenden Aspekte irgendwie zusammenzuhalten...

Ich schreibe erst einmal drei Gedanken auf, die mir beim Lesen Eurer Antworten kamen:

- Muss man nicht Liebe und Partnerschaft (im Sinne von Lebensgemeinschaft) zunächst einmal grundsätzlich auseinanderhalten? In unserer bürgerlichen Gesellschaft wird zwar beides in der Regel und wie selbstverständlich miteinander verknüpft vorgestellt. Aber das versteht sich nach meiner Überzeugung gar nicht von selbst, weil eine Lebensgemeinschaft vielen Anforderungen unterliegt, die mit Liebe zunächst gar nichts zu tun haben. Das sind hauptsächlich ökonomische und logistische Anforderungen, die sich aus der dauerhaften Lebensgemeinschaft ergeben, und über die ein engmaschiges Netz aus allen möglichen rechtlichen Regeln gespannt ist. (Die Ehe ist vor allem anderen, was sie sonst noch sein mag, zunächst einmal ein Vertrag. Juristen raten darum Brautleuten zum Abschluss eines expliziten Ehevertrags, in dem auch schon Vorkehrungen für die mögliche Scheidung getroffen werden sollten. Aber gibt es etwas Unerotischeres, Liebestötenderes, als sich mit einem Anwalt zusammenzusetzen und sich durch ein solches Vertragswerk hindurchzuarbeiten?) :)

- Man sollte sich wohl auch von der Vorstellung verabschieden, dass der Endzweck der Liebe im Glück bestehe. Dabei ist diese Assoziation wohl tief verwurzelt. Wir sind geneigt zu glauben, dass wahre Liebe glücklich macht und eine nicht ins Glück führende Liebe nichts taugt. "And they lived happily ever after..." So soll es sein. So träumen wir uns das. Wahre Liebe ist dauerhaft und glücklich. Ist das nicht geradezu ein vulgarisiertes Überbleibsel der europäischen Metaphysik? ;)

- Bei der "erotischen Umwälzung" dachte ich vor allem daran, dass Liebe eine so vielfältige Angelegenheit ist, wie es Liebende gibt. Sicher gibt es typische, stets wiederkehrende Abläufe und Verhaltensmuster. Aber der Reichtum möglicher Liebesformen steht in scharfem Widerspruch zum bürgerlichen Stereotyp der Ehe. - Käme es nicht darauf an, jede einzelne Liebe mit Geduld und Feingefühl sich entfalten zu lassen; zuzuschauen, wohin sie strebt und wohin nicht, was in ihr möglich ist und was nicht; sie freizuhalten von den gesellschaftlich bereitgehaltenen Mustern und dem dazu gehörenden Erwartungsdruck? Ist denn wirklich nur das eine "wahre Liebe", was in einer dauerhaften, womöglich lebenslangen Partnerschaft und Familiengründung mündet? Das will und kann ich nicht glauben. Dagegen will ich aufstehen, ;) mich einsetzen für eine "freie", d.h. eine von gesellschaftlichen Stereotypen emanzipierte Liebe!




Bartleby
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Fr 7. Sep 2018, 03:00

Dass solche Dinge nicht nur zu Komplikationen neigen, sondern auch kompliziert werden, sobald man über sie nachdenkt, liegt wohl in ihrer Natur ;) .

Sicher, man kann und sollte begrifflich zwischen Liebe und Partnerschaft im Sinn eines verbindlichen dauerhaften Zusammenleben oder -wirkens unterscheiden, das wohl zwangsläufig immer auch eine ökonomische Seite hat. (Und davon wiederum auch die Ehe, die ein rechtsverbindlicher Vertrag - oder manchmal auch ein Sakrament - ist.) Man kann Liebe natürlich auch von Sexualität unterscheiden. Was deswegen aber nicht heißen muss, dass so etwas wie "Liebe" auch de facto sozusagen frei flottierend und losgelöst von allen anderen Umständen vorkommt, auch wenn es so manche Partnerschaften und Ehen und so manches andere ohne Liebe sicher geben kann. Das erinnert dann doch etwas an den Glauben an so etwas wie einen körperlosen Geist...

Metaphysische und auch religiöse Reminiszenzen mag es hier überhaupt so manche geben. Das Verharren in der dauerhaften Unerfülltheit und Frustration einer unglücklichen Liebe, las ich irgendwo einmal, sei im Grunde doch etwas Erzkatholisches ;) . "Glück" ist aber ja auch ein ziemlich weiter und klärungsbedürftiger Begriff. Wenn damit etwas himmelhochjauchzend Überschwängliches gemeint ist, wie es sich etwa im Zustand des Verliebtseins einstellt, ist natürlich klar, dass das jedenfalls kein Dauerzustand sein kann. (Zufriedenheit vielleicht schon eher.) Wenn Liebe aber nicht zu dem Zweck da ist, uns glücklich zu machen (was ich unterschreiben würde), dann ebenso wenig dazu, sich und andere unglücklich zu machen. Wenn sie aber etwas Gutes ist - und davon gehe ich dann doch aus - , dann kann man schon fragen, ob etwas, das einem nachweislich nicht guttut, was keine guten Auswirkungen hat, überhaupt so genannt werden kann geschweige denn irgendwie erstrebenswert ist. "Was weh tut ist keine Liebe", heißt es manchmal. (Naja, außer vielleicht jemand ist masochistisch veranlagt.) Überhaupt, womöglich verwechseln wir ja auch oft das Begehren oder die Sehnsucht nach Liebe mit dieser selbst, den Mangel mit dem Überfluss, mit manchmal verhängnisvollen Folgen.

Der "Reichtum möglicher Liebesformen" - nil pluriformius amore - ist ein Argument dafür, ihr nicht nur eine einzige Lebensform wie etwa das eheliche Zusammenleben als möglichen Entfaltungsspielraum zuzugestehen. (Ansonsten wäre ja auch die nicht erotische, sondern fürsorgliche Liebe zu seinen Kindern von vorneherein ausgeschlossen. Ebenso wie die Selbstliebe.) Vielleicht kann sie sich manchmal sogar gerade im Verzicht auf solche Ambitionen manifestieren, oder darin, die Neigung, sich in den oder die Falsche(n) zu verlieben, einigermaßen im Griff zu haben? Andererseits heißt das aber sicher auch nicht, dass damit alles Mögliche und Beliebige so genannt werden kann, auch wenn polyamore Experimente o.ä. vielleicht gerade in sind.



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Bartleby
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Fr 7. Sep 2018, 11:56

Wie "Reichtum" ist auch "Investment" natürlich wieder so ein Begriff aus dem ökonomischen Bereich. Aber abgesehen davon doch auch eine ganz handfeste praktische Unterscheidung, was (vielleicht) "Liebe" genannt werden kann und was nicht. Ich sehe sie in manchem zwar kritisch und sicher auch nicht als der Weisheit letzten Schluss, stelle sie aber trotzdem einfach mal so zur Disposition:




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Bartleby hat geschrieben :
Fr 7. Sep 2018, 11:56
Wie "Reichtum" ist auch "Investment" natürlich wieder so ein Begriff aus dem ökonomischen Bereich.
Du meinst, so ähnlich wie "Schatz"? :D




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Fr 7. Sep 2018, 13:26

Bartleby hat geschrieben :
Fr 7. Sep 2018, 03:00
Man kann Liebe natürlich auch von Sexualität unterscheiden. Was deswegen aber nicht heißen muss, dass so etwas wie "Liebe" auch de facto sozusagen frei flottierend und losgelöst von allen anderen Umständen vorkommt, auch wenn es so manche Partnerschaften und Ehen und so manches andere ohne Liebe sicher geben kann. Das erinnert dann doch etwas an den Glauben an so etwas wie einen körperlosen Geist...
Ja, das sehe ich auch so. Liebe braucht, wenn sie nicht bloß ein Traum, ein Wunsch oder eine heimliche Gefühlsregung bleiben soll, irgend ein Medium, das den Liebenden gleichermaßen zugänglich sein muss. Ich drücke mich da mit Bedacht vorsichtig aus, weil sehr Vieles zum Medium von Liebe werden kann. Sex ist nur eines von den vielen möglichen Liebesmedien, und ich glaube - entgegen den heutigen Mainstream-Vorstellungen -, er ist nicht einmal eine privilegierte, basale Ausdrucksform von Liebe.

Ich glaube das nicht, weil ich grundsätzlich zwischen Sexus und Eros unterscheide. "Sexualität" meint schlicht die geschlechtliche Fortpflanzungsfunktion, ist also biologisch definiert und damit eine auf ganz bestimmte organische Abläufe und Vollzüge begrenzte Angelegenheit. "Erotisch" nenne ich dagegen die (nicht begrenzte) Vielfalt von Ausdrucksformen gegenseitiger Zuneigung und Anziehung, die mir für die menschliche Liebe charakteristisch zu sein scheint. Liebe ist also nach meiner Überzeugung nicht zu haben ohne Geist (im weiten Hegelschen Sinne), Phantasie und Verfügung über Kommunikationsmedien. Ich verstehe damit Liebe als etwas grundsätzlich Kulturelles, Nicht-Natürliches und damit auch Form- und Entwickelbares.

Sex kann demnach ein Medium der Liebe sein - eines von vielen. Aber wer Sex für ein besonders naheliegendes oder grundlegendes Liebesmedium hält, läuft womöglich Gefahr, sich damit den Zugang zum Reichtum, zur Vielfalt und zur Tiefe des Eros zu verstellen...

Der "Reichtum möglicher Liebesformen" - nil pluriformius amore - ist ein Argument dafür, ihr nicht nur eine einzige Lebensform wie etwa das eheliche Zusammenleben als möglichen Entfaltungsspielraum zuzugestehen. (...) Vielleicht kann sie sich manchmal sogar gerade im Verzicht auf solche Ambitionen manifestieren, oder darin, die Neigung, sich in den oder die Falsche(n) zu verlieben, einigermaßen im Griff zu haben? Andererseits heißt das aber sicher auch nicht, dass damit alles Mögliche und Beliebige so genannt werden kann, auch wenn polyamore Experimente o.ä. vielleicht gerade in sind.
Ich würde sagen: Die Definitionshoheit darüber, was Liebe ist oder welche der vielen möglichen Formen sie annimmt, liegt bei den Liebenden selbst. Oder genauer: Sie sollte bei den Liebenden selbst liegen. Das ist die "Freiheit" der Liebe, für die ich hier plädiere.

So gesehen, kann es eigentlich so etwas wie Liebe zur oder zum "Falschen" gar nicht geben. Es kommt nämlich nur darauf an, die Form der Liebe zuzulassen, die mit Person X möglich ist, und alle anderen schematischen Vorstellungen und Ansprüche fern zu halten.

Beispiel: Herr Y liebt die verheiratete Frau X, die Herrn Y auch sehr gern hat, aber nicht gewillt ist, ihrem Mann untreu zu werden oder ihr Familienleben zu gefährden. Nun könnte man sagen, Y habe sich in eine "falsche" Frau verliebt. Aber das wäre nur dann so, wenn seine Liebe zu Frau X mit bestimmten Erwartungen verknüpft ist, die sie nicht erfüllen kann und will. Ist Herr Y in seiner Liebe feinfühlig und behutsam, hält er sich mit seinen eigenen Erwartungen zurück, versucht er, Frau X nicht zu nahe zu treten, sie nicht "herumzukriegen", sondern beschränkt er den Ausdruck seiner Liebe nur auf solche Medien, die Frau X ohne Skrupel mit ihm teilen kann - dann ist Frau X keine "Falsche". Für beide kann dann ihre Beziehung eine Bereicherung (sic!) ihres Lebens werden.




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Jörn Budesheim
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Bartleby hat geschrieben :
Fr 7. Sep 2018, 03:00
Man kann Liebe natürlich auch von Sexualität unterscheiden.
Da es Sexualität auch ohne Liebe gibt (und umgekehrt auch), ist die Unterscheidung wohl begrifflich zwingend. Ich meine aber zur Liebe zwischen zwei (oder mehr) Menschen zählen im allgemeinen zwei verschiedene "Komponenten": ein körperlicher und ein geistiger Aspekt, auch wenn das im Besonderen in vielen verschiedenen Ausprägungen und Verteilungen vorkommen mag.

In einem kleinen Text, den ich Mal gelesen habe, wollte eine schöne junge Frau nicht bloß um Ihrer blonden Haare willen geliebt werden (die im Text für ihre Schönheit stehen) sondern zuerst um ihrer selbst/ihrer Personalität willen. Ein älterer Herr antwortet ihr, dass nur ein Gott sie nicht wegen ihrer Haare lieben könnte. Und ein weiteres Beispiel: Arnold Schwarzenegger hat Mal in einem Interview erzählt, dass viele seiner weiblichen Fans beteuern, dass sie ihn wegen seines Geistes "lieben", nicht wegen seiner Muskeln. Auch wenn der eine Aspekt mal den anderen "domnieren" kann, gehören in aller Regel beide dazu, körperliche und geistige Attraktivität: "ich liebe deinen Geist, aber du bist so hässlich" - das möchte man ja von seiner/m Liebsten ja auch nicht unbedingt hören :-)




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Sa 8. Sep 2018, 12:43

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Sa 8. Sep 2018, 12:08
In einem kleinen Text, den ich Mal gelesen habe, wollte eine schöne junge Frau nicht bloß um Ihrer blonden Haare willen geliebt werden (die im Text für ihre Schönheit stehen) sondern zuerst um ihrer selbst/ihrer Personalität willen. Ein älterer Herr antwortet ihr, dass nur ein Gott sie nicht wegen ihrer Haare lieben könnte.
Diesem Herrn würde ich entgegnen, dass der Eros in der Tat göttliche Züge habe. :-)
Und ein weiteres Beispiel: Arnold Schwarzenegger hat Mal in einem Interview erzählt, dass viele seiner weiblichen Fans beteuern, dass sie ihn wegen seines Geistes "lieben", nicht wegen seiner Muskeln.
Da fragt sich allerdings, was die Bewunderung von "Fans" mit Liebe zu tun haben soll. Du setzt ja "lieben" hier selbst in Anführungszeichen.




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Sa 8. Sep 2018, 12:59

Das Schwarzenegger-Beispiel soll zeigen, dass die Fans um die zwei Kompenten natürlich (vielleicht implizit) wissen und sich beeilen, sicher zu stellen, dass der andere (der nicht so offenkundige) Aspekt für sie ebenso sehr (oder gar noch mehr) von Belang ist. Diese Aspekte spielen in unserem Denken, Handeln, den Erwartungen und Erwartungserwartungen keine bloß nebensächliche Rolle, meine ich.

Liebe, Zuneigung, Freundschaft, vielleicht Bewunderung ... das lässt sich nicht immer trennscharf unterscheiden, schätze ich.




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Sa 8. Sep 2018, 13:18

Bei der "Liebe" von "Fans" - besonders von weiblichen - fällt mir die berühmte "Beatle-Mania" ein: Bei jedem Live-Konzert der Beatles fingen diese Fans sofort an zu kreischen und zu toben, wenn die vier jungen Männer nur die Bühne betraten. Nicht wenige fielen auch in Ohnmacht. Den Beatles, die eigentlich um ihrer Musik willen geliebt werden wollten, wurde diese merkwürdige "Liebe" der Fans irgendwann zu doof, denn ihre Musik ging in diesem Affenlärm völlig unter. Und so verzichteten sie ganz auf Live-Konzerte. Als Paul McCartney ein paar Jahre später heiratete, stürzte das Millionen weiblicher "Liebhaberinnen" in eine Krise, mitunter sogar in eine tödliche...

Also, in mir sträubt sich alles, solche Psychopathien mit Liebe in Verbindung zu bringen. :lol:
Man muss wohl eher von "Idolatrie", also Götzenverehrung, sprechen.




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Sa 8. Sep 2018, 13:38

Zu "Idolatrie" (Götzendienst, Bilderverehrung) fand ich gerade diese aufschlussreichen Textpassagen von Erich Fromm:
Nach den Propheten des Alten Testaments ist der Götzendiener ein Mensch, der das Werk seiner eigenen Hände anbetet. Er nimmt sich ein Stück Holz; mit einem Teil macht er sich ein Feuer, um zum Beispiel einen Kuchen zu backen, aus dem anderen Teil des Holzes schnitzt er eine Figur, um diese Figur anzubeten. Doch das, was er anbetet, sind Dinge; diese Dinge haben Nasen und riechen nicht, sie haben Ohren und hören nicht und sie haben einen Mund und sprechen nicht. ― (1992 [1961]: Der moderne Mensch und seine Zukunft, in: Erich-Fromm-Gesamtausgabe (GA) Band XI, S. 278.)

Freuds Entdeckung der Übertragung ist viel weitreichender, als er selbst (…) sehen konnte. Mit der Entdeckung der Übertragung entdeckte er zugleich eine besonders starke Strebung im Menschen: die Neigung zum Götzendienst (Entfremdung). Diese Strebung wurzelt in der Zwiespältigkeit der menschlichen Existenz und sucht eine Antwort auf die Unsicherheit des Lebens. Der Mensch versucht eine Person, eine Institution, eine Idee in etwas Absolutes zu verwandeln, das heißt in einen Götzen, dem er sich unterwirft und der ihm die Illusion von Sicherheit verschafft. Man kann die psychologische und gesellschaftliche Bedeutung des Götzendienstes im Laufe der Geschichte kaum überschätzen. Götzendienst ist die Illusion, die eigenes Tätigsein und Unabhängigkeit behindert. ― (1989a [1974-75]: Vom Haben zum Sein. Wege und Irrwege der Selbsterfahrung, Erich-Fromm-Gesamtausgabe (GA) Band XII, S. 437)




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Hermeneuticus hat geschrieben :
Sa 8. Sep 2018, 13:18
Also, in mir sträubt sich alles, solche Psychopathien mit Liebe in Verbindung zu bringen
Das muss doch aber nicht davon abhalten, die Beispiele so zu nehmen, wie sie gemeint waren, oder? Es ging schließlich nicht um Fans, sondern Fans wurden nur am Rande erwähnt, um etwas zu illustrieren.




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Sa 8. Sep 2018, 14:19

Und ich wollte deutlich machen, dass und warum ich die "Liebe" zu Arnold Schwarzenegger für ein unpassendes, eher irreführendes Beispiel halte.

Allerdings hat dieses Beispiel dann doch, auf dem Umweg über die Idolatrie, zu einer wichtigen Abgrenzung geführt. Nämlich zur Abgrenzung von Liebe und versteckter Selbstliebe, bzw. von Liebe und Übertragung/Projektion.

Dazu möchte ich auch eine These aufstellen: Liebe zu einem Menschen beginnt erst da, wo man den Schleier der eigenen Wunschvorstellungen und Projektionen durchdringt. Mag ja sein, dass eine schöne blonde Frau gleich auf den ersten Blick Aufmerksamkeit weckt, dass Mann nicht anders kann, als von ihrem Anblick angezogen zu werden. Aber diese Attraktion auf den ersten Blick kann mit Liebe zu dieser Frau - als individuelles Wesen - nicht allzu viel zu tun haben. Sie sagt nur etwas über männliche Wunschvorstellungen aus.




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Jörn Budesheim
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Sa 8. Sep 2018, 14:29

Mein Punkt war aber: es gibt (zumindest) zwei Momente, die im Spiel sind, wenn es um Liebe geht. Die junge Frau möchte um ihrer Persönlichkeit willen geliebt werden und nicht bloß wegen ihrer Schönheit. Beides ist jedoch (in wechselhaften Anteilen) immer mit im Spiel. Auch können diese Anteile sich über die Zeit in ihrer Gewichtung ändern. Vermutlich stehen bei der Liebe auf den ersten Blick, die Dinge im Vordergrund, die ein erster Blick einfangen kann. Wenn es aber zu einer tieferen Liebe auf Dauer kommen soll, wird das wohl zu wenig sein, schätze ich.




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