Corona

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Nauplios
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Mi 21. Okt 2020, 08:29

Stefanie hat geschrieben :
Di 20. Okt 2020, 21:11
Nauplios
Nietzsche wäre hier persona non grata. -
Nöö.
Den hätte ich hier gerne mal, wie auch Schopenhauer.
Nietzsche ist, so meine Erfahrung, der deutsche Philosoph, der am meisten auch von an der Philosophie nicht Interessierte genannte Philosoph. Kant ist bei weitem nicht so populär. Mich verwirrt er, und es ist mehr ein stochern im Nebel um den Anfang zu finden.
"Den [Nietzsche] hätte ich hier gerne mal ... " - ja, aber schau vielleicht vorher noch einmal in den Aby Warburg-Thread. :o ;)




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Jörn Budesheim
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Nauplios hat geschrieben :
Mi 21. Okt 2020, 08:16
"Mit einer Aufmunterung, nicht zu ängstlich zu sein, möchte ich euch nicht als Gesprächsteilnehmer psychologisieren und herabsetzen" schreibt Herbert am 26. September. Ich bringe diesem Satz kein Mißtrauen entgegen, schon dem Wunsch nach weniger Angst nicht.
Ich schon. Es gibt dafür auch gute Gründe. Wenn ich mich in einer Diskussion wie dieser der (angeblichen) Angst der Gesprächsteilnehmer zuwende (was für sich genommen schon nicht okay ist), dann wende ich mich ihren Beweggründen und nicht ihren Argumenten zu. Das ist im weitesten Sinn ein "ad hominem Argument", weil es sich auf die Person und ihre Motive richtet, statt auf die Sache. Damit wird der andere (ob es Herbert beabsichtigt oder nicht) "psychologisiert". Zu sagen, "ich [möchte] euch nicht als Gesprächsteilnehmer psychologisieren" reicht keineswegs. Entscheidend ist, dass man es tatsächlich nicht tut. Aber Herbert hat auch danach munter weiter so "argumentiert".




sokrates_is_alive
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Mi 21. Okt 2020, 09:47

NaWennDuMeinst hat geschrieben :
Di 20. Okt 2020, 19:42
sokrates_is_alive hat geschrieben :
Di 20. Okt 2020, 16:43
Am Anfang der Pandemie [...] kann dies unter dem Aspekt der "Gefahr im Verzug" [...] und des notwendigen schnellen Handelns gewiss noch gerechtfertigt werden. Auf einem fortschreitenden Zeitstrahl verblasst diese Begründung jedoch zunehmend und ist daher auch zu hinterfragen.
Warum sollte die Begründung "verblassen"?
In einer Situation, in der sich die Gegebenheiten schnell ändern (was bei der Corona- oder jeder anderen Pandemie sicher zutrifft) ist auch weiterhin schnelles,. flexibles Handeln nötig. Oder geht es dir darum, dass man die Verordnungen inzwischen längst hätte durch entsprechende Gesetze hätte ersetzen können/müssen?
3. Der angesprochene Aspekt "was sich die AfD in ihren feuchten Träumen ausmalte" bezieht sich nach meinem Verständnis eher auf den Aspekt, dass Ausnahmesituationen immer auch extremen Positionen die Möglichkeit bieten, gegen "die da oben", "die Corona-Dikatoren" oder wie immer man politisch anders Denkende ausgrenzen will, lautstark vorzugehen und sich selbst als den letzten Ort der Freien zu inszenieren.
Auch hier weiß ich nicht, was genau da bemängelt wird. Die nötigen Corona-Maßnahmen führen zu Zulauf bei der AfD, oder was ist damit gemeint?
Oder ist gemeint, dass man damit der AfD die Möglichkeit gibt sich als "Freiheitsretter" zu inszenieren?
Kann sein, dass es Dummköpfe gibt die auf das Geschrei was geben, aber die sind sowieso immer da, egal was "die da oben" machen, weil sich immer irgendwer ungerecht behandelt fühlt. Ich geb' da nichts mehr drauf.


In der Abendschau hat gerade unser Bürgermeister, Herr Müller, die neuen verschärften Maßnahmen verkündet.
Auf die Frage der Moderatorin, ob er jetzt mit einer Welle von Klagen rechnet, sagte er genau das was auch meine Position ist:
Jetzt einen auf Egoismus zu machen ist idiotisch. Die Überwindung von Maßnahmen mithilfe von Gerichtsbschlüssen wird letztlich nur dazu führen, dass die Zahlen weiter unkontrolliert steigen, und die Argumente für noch schärfe Maßnahmen immer dringender und überzeugender werden.
Und so wird dann am bitteren Ende der Lockdown stehen, und dann ist halt Zappenduster auch für die Egoisten. Da hilft dann auch kein Gericht mehr.
Das ist also ganz klassisch ins eigene Knie geschossen. Was lustig wäre, wenn dabei nicht Menschen sterben würden und der Rest der Republik dann darunter leiden müsste.
1. Begründung "Gefahr im Verzug" verblasst mit der Zeit: Bei einer Pandemie, die über einen längeren Zeitraum beobachtet und analysiert wird, wäre meines Erachtens zu erwarten, dass sich bestimmte Maßnahmen als tauglich herausstellen und andere als weniger oder sogar untauglich. Für die Rechtssicherheit würde sich damit ergeben, diese Maßnahmen in ein verfassungskonformes Gesetz unter Beteiligung der Parlamente/ Bundesrat zu überführen. Sicherlich kann man diskutieren, ob die Erkenntnisse zum gegenwärtigen Zeitpunkt so valide sind, dass Maßnahmen mit Gesetzescharakter erlassen werden können/ sollten. Aber Corona wird unser Leben noch lange Zeit begleiten und man könnte durchaus darüber diskutieren, ob andere Fälle wie z.B. Grippe (2018/19 954 Laborbestätigte Todesfälle, 25.100 Exzess-Todesfälle konservativ) gleichartig behandelt werden sollten.
2. Zulauf zu extremen Positionen: Es geht nicht nur um "Dummköpfe, die auf das Geschrei was geben", sondern vielmehr darum, dass Maßnahmen einer zunehmenden Zahl von Bürgern nicht mehr einsichtig sind, dies zu einem Vertrauensverlust führt, der durch Extreme auch auf anderen politischen Feldern ausgenutzt werden kann.
3. "Die Überwindung von Maßnahmen mithilfe von Gerichtsbeschlüssen": Ich halte den Begriff "Überwindung" zumindest für irreführend, denn es handelt sich um eine Überprüfung der Handlungen der Exekutive durch die Judikative; dies ist für den Unterlegenen im Rechtsstreit immer nicht erfreulich, aber in unserem Rechtssystem gut und richtig. Die Überprüfung durch die nächste Instanz steht dem Unterlegenen offen und wird im vorliegenden Fall ja auch gemacht. Das Gericht ist ja sogar soweit gegangen, dass nur den 11 klagenden Gastwirten Recht gegeben wurde und nicht eine generelle Aufhebung der Maßnahme ausgesprochen wurde.



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NaWennDuMeinst
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Mi 21. Okt 2020, 10:01

sokrates_is_alive hat geschrieben :
Mi 21. Okt 2020, 09:47
1. Begründung "Gefahr im Verzug" verblasst mit der Zeit:
Wieso? Die Gefahr ist ja nicht gebannt. Sie ist nach wie vor vorhanden.
Aber Corona wird unser Leben noch lange Zeit begleiten und man könnte durchaus darüber diskutieren, ob andere Fälle wie z.B. Grippe (2018/19 954 Laborbestätigte Todesfälle, 25.100 Exzess-Todesfälle konservativ) gleichartig behandelt werden sollten.
Das können sie nicht, weil die Voraussetzungen ganz andere sind. Dazu werde ich im Beitrag an herbert noch was sagen, weil es da auch um die "Verharmlosung" durch Herrn Streeck geht.
2. Zulauf zu extremen Positionen: Es geht nicht nur um "Dummköpfe, die auf das Geschrei was geben", sondern vielmehr darum, dass Maßnahmen einer zunehmenden Zahl von Bürgern nicht mehr einsichtig sind, dies zu einem Vertrauensverlust führt, der durch Extreme auch auf anderen politischen Feldern ausgenutzt werden kann.
Theoretisch wäre das ein Argument. Praktisch ist es aber keins. Denn wie Umfragen zeigen, ist eine große Mehrheit für die Maßnahmen, ein Teil ist sogar für härtere Maßnahmen. Und der kleinste Teil der Bevölkerung hält die Maßnahmen für übertrieben.
3. "Die Überwindung von Maßnahmen mithilfe von Gerichtsbeschlüssen": Ich halte den Begriff "Überwindung" zumindest für irreführend, denn es handelt sich um eine Überprüfung der Handlungen der Exekutive durch die Judikative; dies ist für den Unterlegenen im Rechtsstreit immer nicht erfreulich, aber in unserem Rechtssystem gut und richtig. Die Überprüfung durch die nächste Instanz steht dem Unterlegenen offen und wird im vorliegenden Fall ja auch gemacht. Das Gericht ist ja sogar soweit gegangen, dass nur den 11 klagenden Gastwirten Recht gegeben wurde und nicht eine generelle Aufhebung der Maßnahme ausgesprochen wurde.
Ich spreche von "überwindung", weil es für den Kläger natürlich genau darum geht. Er möchte von den Maßnahmen befreit werden.
Dass die Gerichten ihren Job machen wie es ihnen zugedacht ist, ist für mich völlig ok. Ob sie richtig entschieden haben (Abwägung der Rechtsgüter), ist eine andere Frage.



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Mi 21. Okt 2020, 10:05

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Mi 21. Okt 2020, 09:12
Zu sagen, "ich [möchte] euch nicht als Gesprächsteilnehmer psychologisieren" reicht keineswegs. Entscheidend ist, dass man es tatsächlich nicht tut. Aber Herbert hat auch danach munter weiter so "argumentiert".
Das hängt mit dem Artikel zusammen den er hier verlinkt hat. Streeck versucht dort den Menschen ihre "Angst" zu nehmen. Dazu geht er natürlich davon aus, dass die Maßnahmen von unbegründeter, bzw übertriebener Angst getrieben sind, was ich für falsch halte. Dazu komme ich aber noch in meiner Antwort an herbert.



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Jörn Budesheim
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Mi 21. Okt 2020, 10:50

NaWennDuMeinst hat geschrieben :
Mi 21. Okt 2020, 10:05
Das hängt mit dem Artikel zusammen den er hier verlinkt hat.
Das "Angst"-Argument von Herbert belastet diese Diskussion hier schon sehr viel länger.




sokrates_is_alive
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Mi 21. Okt 2020, 11:14

NaWennDuMeinst hat geschrieben :
Mi 21. Okt 2020, 10:01
sokrates_is_alive hat geschrieben :
Mi 21. Okt 2020, 09:47
1. Begründung "Gefahr im Verzug" verblasst mit der Zeit:
Wieso? Die Gefahr ist ja nicht gebannt. Sie ist nach wie vor vorhanden.
Aber Corona wird unser Leben noch lange Zeit begleiten und man könnte durchaus darüber diskutieren, ob andere Fälle wie z.B. Grippe (2018/19 954 Laborbestätigte Todesfälle, 25.100 Exzess-Todesfälle konservativ) gleichartig behandelt werden sollten.
Das können sie nicht, weil die Voraussetzungen ganz andere sind. Dazu werde ich im Beitrag an herbert noch was sagen, weil es da auch um die "Verharmlosung" durch Herrn Streeck geht.
zu 1. Das soll heißen, dass Eingriff, die in der Anfangsphase unter dem Aspekt "Schnelligkeit" tolerierbar sind, mit Fortdauer der Krisenlage nicht mehr mit der Begründung "Mangelnde Erfahrung/ Kenntnisse" zu rechtfertigen sind. Vielleicht verdeutlicht dies etwas was ich meine:
1. Ich betrachte nicht nur die Rechtslage in Berlin, sondern die Diskussion für die BRD. Hier war Anlass zur Diskussion über gesetzlichen Regelungsbedarf die unüberschaubare Vielzahl von Länder- und teilweise Kommunalregelungen. Die jeweiligen Rechtsverordnungen der Länder können aufgrund der Ermächtigung §32 3. Satz Infektionsschutzgesetz zwar die Grundrechte der Freiheit der Person (Artikel 2 Abs. 2 Satz 2 Grundgesetz), der Freizügigkeit (Artikel 11 Abs. 1 Grundgesetz), der Versammlungsfreiheit (Artikel 8 Grundgesetz), der Unverletzlichkeit der Wohnung (Artikel 13 Abs. 1 Grundgesetz) und des Brief- und Postgeheimnisses (Artikel 10 Grundgesetz) grundsätzlich einschränken, jedoch dürfen diese Grundrechte niemals in ihrem Wesenskern eingeschränkt werden(Rechtsprechung des BVerfG). Die Vorgänge um die 11 Kneipen in Berlin zeigen nun das Problem, dass das Verwaltungsgericht a) die Sperrstunde für eine nennenswerte Bekämpfung des Infektionsgeschehens als nicht erforderlich bewertete und damit die Notwendigkeit der Einschränkung der Bewegungsfreiheit von Menschen = nicht in die Kneipe gehen verneint und b)die Sperrstunde als unverhältnismäßigen Eingriff in die Berufsfreiheit Art. 12 GG bewertet. Damit ist mit Bezug zu b) der Erlass einer solchen Verordnung zumindest nicht erkennbar durch das Infektionsschutzgesetz gedeckt, auf das sich die Rechtsverordnungen des Landes Berlin berufen. Möglicherweise hat deshalb auch das Oberverwaltungsgericht den Antrag des Landes auf Zwischenverfügung abgelehnt. Gäbe es ein Gesetz, welches solche Fragen regelt, wäre die Überprüfung von Maßnahmen rechtssicherer möglich - so - etwas verkürzt - die Begründung der Verfechter einer gesetzlichen Regelung über das bisher Bestehende hinaus. Das Verwaltungsgericht hat im übrigen festgestellt: " Nach der in Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes allein möglichen und gebotenen summarischen Prüfung ist mit der erforderlichen hohen Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass sich die angegriffene Sperrstunde im Hauptsacheverfahren als rechtswidrig erweisen wird." (https://www.berlin.de/gerichte/verwaltu ... 004950.php darin:14-l-0422-20-201015-beschluss-eilverfahren-anonymisiert.pdf)

zu 2. Ich bin gespannt auf die Ausführungen zu den unterschiedlichen Voraussetzungen, da ich bisher als einzigen Unterschied das Vorhandensein eines Impfstoffes für Grippeviren wahrnehme. Meinen Beitrag verstehe ich auch nicht als "Verharmlosung Corona", sondern vielmehr als "Erhöhte Aufmerksamkeit für Grippe."



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Jörn Budesheim
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Mi 21. Okt 2020, 11:31

Argumente müssen sich auch immer auf den "verfügbaren Wissensstand" beziehen. Man kann also nicht das verbesserte/gewachsene Wissen von heute nutzen, um die Argumente von gestern zu stützen. Es mag zwar sein, dass zum Zeitpunkt t1 objektiv Handlung H1 geboten war - gemäß der leider zu t1 unbekannten Tatsachen. Daraus folgt aber nicht, dass die gewählte Handlung H2 seinerzeit objektiv unrational war, denn H2 muss gemessen werden an dem, was man zu t1 wissen konnte. Herbert hat zum Beispiel einfach behauptet (schon zu Beginn der Diskussion), dass soziale Kontakte uns vor dem Virus schützen, weil sie unsere Konstitution stärken, ohne jedoch dafür Belege zu liefern, die zu t1 valide waren.

Es gab zum Beispiel vor kurzem einen Link zu einem Spiegel-Gespräch von Karl Lauterbach und Markus Gabriel, in dem dieser klarmacht, dass er das Krisenmanagement zum Beginn der Krise für überzeugend hielt. Dass er manches, zum Beispiel das Beherbergungsverbot jetzt kritisiert, kann man ja nicht gleichsam "rückwirkend" als "Zustimmung" - zu was denn? - umdeuten. Leider wird aber so verfahren. Man findet einen Experten, der irgendetwas kritisiert zu t2 und tut so, als hätte man dadurch bereits einen Pluspunkt für die eigene Position zum Zeitpunkt t1 eingefahren.

Ebenso Streeck. Mal angenommen (um des Argumentes willen) alles, was er sagt, sei wahr. Daraus folgt eben nicht, dass die früheren Argumente von Herbert (Kontakte sind gut) gestützt werden.




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NaWennDuMeinst
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Mi 21. Okt 2020, 11:55

herbert clemens hat geschrieben :
Mi 21. Okt 2020, 08:21
Mir geht es nicht um eine Koalition der Kritiker.
Kannst ihr, lieber Nawenndumeinst, lieber Jörn, mal auf die Argumentation von Streeck eingehen?
Hier noch einmal Streeck: https://www.gmx.net/magazine/news/coron ... h9NTd1FCak
Ich habe mir den Artikel durchgelesen und bin mit der grundsätzlichen Aussage, dass es keinen Grund für übertriebene Angst gibt einverstanden.
Womit ich aber nicht einverstanden bin ist, dass Streeck mit keinem Wort erwähnt, was der eigentliche Sinn der Maßnahmen war und auch immer noch ist.
Begründet werden die Maßnahmen nämlich damit, dass der Erreger seine besondere Gefährlichkeit durch mehrere Punkte erlangt (die eben auf andere Erreger nicht zutreffen).

1. Er ist neu. Das heißt er trifft auf ein menschliches Immunsystem, das den Erreger noch nicht kennt. Es gibt in der Bevölkerung keine Grundimmunität, wie sie zum Beispiel bei den Grippeerregern existiert.
2. Er ist hochansteckend. Er wird per Tröpfchen (und wohl auch per Aerosol) übertragen, sodass ein Infizierter leicht mehrere weitere Menschen anstecken kann. Das fördert die Ausbreitung des Erregers in sehr kurzer Zeit enorm.
3. Es gibt (noch) keine Therapie und keinen Impfstoff.

All das zusammen macht die Gefährlichkeit von Corona aus. Wie stehts mit der Sterblichkeit? Die ist, wenn wir uns anschauen wie viele Menschen einen wirklich schweren Krankheitsverlauf entwickeln, und wie viele Menschen dann in der Folge sterben, nicht sehr hoch. Jedenfalls nicht viel höher als bei anderen Erregern mit denen wir zu tun haben.
Aber, und jetzt kommt eben der Punkt den Streeck einfach weglässt. In Kombination von 1, 2 und 3 breitet sich der Erreger ohne Maßnahmen so schnell aus, dass die Zahl der schwer Erkrankten so schnell steigt, dass unser Gesundheitssystem damit nicht mehr fertig wird. Und damit steigt dann indirekt auch die Sterberate. Denn wir können die Sterberate nur dann niedrig halten, wenn Menschen, die eine Intensivmedizinische Behandlung benötigen diese auch bekommen, was nicht mehr möglich ist, wenn die Krankenhäuser mit Coronapatienten überlaufen sind.
Und genau das ist das Problem und der Grund für die Ma0nahmen. Und genau so ist das auch schon von Begin der Pandemie an begründet worden, also mit der Gefahr die dadurch entsteht, dass zu viele Menschen gleichzeitig schwer erkranken, und eben nicht mit der generellen Gefährlichkeit des Virus (Corona ist kein Ebola!).

In der ersten Welle wurde das zusammengefasst mit dem Ausspruch "Flatten the curve", also lasst uns verhindern, dass zu viele Menschen in zu kurzer Zeit erkranken.
Und das geht eben nur mit Eindämmungsmaßnahmen.
Was passiert, wenn man das nicht ernst nimmt durften wir alle zum Beispiel in New York sehen, wo die Covid-Leichen LKW-weise an den Hintereingängen der Krankenhäuser wegeschafft wurden. Ich kann mich nicht erinnern so etwas schon einmal bei der Grippe gesehen zu haben (die spanische Grippe war sicher so ein Ereignis, aber da war ich noch nicht am Leben).

Also: Streeck hat nicht ganz Unrecht. Er verschweigt aber das Entscheidende, zumindest in diesem "interview".
Und das Entscheidende erlaubt uns eben nicht leichtfertig mit dieser Pandemie umzugehen. Es macht Maßnahmen erforderlich. Wie weit die gehen müssen diskutieren wir hier.
Zuletzt geändert von NaWennDuMeinst am Mi 21. Okt 2020, 12:17, insgesamt 1-mal geändert.



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NaWennDuMeinst hat geschrieben :
Mi 21. Okt 2020, 11:55
Was passiert, wenn man das nicht ernst nimmt durften wir alle zum Beispiel in New York sehen, wo die Covid-Leichen LKW-weise an den Hintereingängen der Krankenhäuser wegeschafft wurden. Ich kann mich nicht erinnern so etwas schon einmal bei der Grippe gesehen zu haben (die spanische Grippe war sicher so ein Ereignis, aber da war ich noch nicht am Leben).
herbert clemens hat geschrieben :
So 20. Sep 2020, 10:59
Zu Trump-Amerika liegen mir keine Daten vor.




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NaWennDuMeinst hat geschrieben :
Mi 21. Okt 2020, 11:55
Also: Streeck hat nicht ganz Unrecht. Er verschweigt aber das Entscheidende, zumindest in diesem "interview".
Hier haben wir wieder die Frage der Quelle. Der Text ist eine Kolumne von Wolfram Weimer. Diese Kolumne stellt die Sicht des Autors dar. Woher wissen wir hingegen, dass er die Ansicht Streecks angemessen wiedergibt?




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Mi 21. Okt 2020, 12:20

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Mi 21. Okt 2020, 12:09
NaWennDuMeinst hat geschrieben :
Mi 21. Okt 2020, 11:55
Was passiert, wenn man das nicht ernst nimmt durften wir alle zum Beispiel in New York sehen, wo die Covid-Leichen LKW-weise an den Hintereingängen der Krankenhäuser wegeschafft wurden. Ich kann mich nicht erinnern so etwas schon einmal bei der Grippe gesehen zu haben (die spanische Grippe war sicher so ein Ereignis, aber da war ich noch nicht am Leben).
herbert clemens hat geschrieben :
So 20. Sep 2020, 10:59
Zu Trump-Amerika liegen mir keine Daten vor.
Ja, das ist dann natürlich Ignoranz (was meine Argumente nicht stützt will ich nicht sehen). Dann muss er sich die Daten besorgen. Sie sind ja frei zugänglich.
Ich helfe aber auch gerne aus.
Das war im April. Die Lage in New York war katastrophal.
https://www.tagesspiegel.de/politik/cor ... 12950.html
Zuletzt geändert von NaWennDuMeinst am Mi 21. Okt 2020, 12:24, insgesamt 1-mal geändert.



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Mi 21. Okt 2020, 12:22

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Mi 21. Okt 2020, 12:18
NaWennDuMeinst hat geschrieben :
Mi 21. Okt 2020, 11:55
Also: Streeck hat nicht ganz Unrecht. Er verschweigt aber das Entscheidende, zumindest in diesem "interview".
Hier haben wir wieder die Frage der Quelle. Der Text ist eine Kolumne von Wolfram Weimer. Diese Kolumne stellt die Sicht des Autors dar. Woher wissen wir hingegen, dass er die Ansicht Streecks angemessen wiedergibt?
Richtig. Mir kommt das Interview auch gekürzt vor. Denn ich kann mir kaum vorstellen, dass das, was ich oben schrieb, Streeck nicht bekannt ist.



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Meine Frage ist eher eine "Meta"-Frage. Wie agiert man überhaupt in so einer besonderen Situation der Unsicherheit? Wie verschafft man sich Orientierung? Eine Methode ist: Man hat aufgrund gewisser weltanschaulicher Grundüberzeugungen ohnehin eine bestimmte Ansicht und sucht dann nach Infos, die diese Ansicht stützen. Das überzeugt mich jedoch nicht.




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Mi 21. Okt 2020, 12:57

sokrates_is_alive hat geschrieben :
Mi 21. Okt 2020, 11:14
zu 1. Das soll heißen, dass Eingriff, die in der Anfangsphase unter dem Aspekt "Schnelligkeit" tolerierbar sind, mit Fortdauer der Krisenlage nicht mehr mit der Begründung "Mangelnde Erfahrung/ Kenntnisse" zu rechtfertigen sind. Vielleicht verdeutlicht dies etwas was ich meine:
Ja. Man kann eben nicht von Notverordnungen reden, wenn keine Not (hier Zeitnot) existiert.
Es existiert nun aber - aus irgendeinem Grunde - Zeitnot. Die Zahlen steigen jetzt! In einem Monat, bis zu dem man sich dann im Parlament auf was geeinigt hat, brauchen wir dann auch keine Maßnahmen mehr.
Die Frage wäre natürlich hier, ob die Zeitnot die wir jetzt haben, vermeidbar gewesen wäre. Die würde ich gerne an die Verantwortlichen weiterreichen.

1. [...] Die Vorgänge um die 11 Kneipen in Berlin zeigen nun das Problem, dass das Verwaltungsgericht a) die Sperrstunde für eine nennenswerte Bekämpfung des Infektionsgeschehens als nicht erforderlich bewertete und damit die Notwendigkeit der Einschränkung der Bewegungsfreiheit von Menschen = nicht in die Kneipe gehen verneint und b)die Sperrstunde als unverhältnismäßigen Eingriff in die Berufsfreiheit Art. 12 GG bewertet.
Ja. Und ich denke nun, dass das eine Fehlentscheidung ist.
Richter sind ja keine Epidemiologen. Das heißt sie stützen sich in ihrer Urteilsbegründung auf die Expertise des RKI. Und das RKI lässt verlauten, dass Bar- und Kneipenbesuche keinen nennenswerten Anteil am Infektionsgeschehen haben. Ich maße mir an der Stelle an das zu bezweifeln. Wie genau hat das RKI das ermittelt?
Der gesunde Menschenverstand sagt da was anderes. Selbst wenn man eine Kneipe hygienisch halten könnte (was ich schon für ziemlich unwahrscheinlich halte), sehe ich Probleme sowohl beim Abstandhalten (spätestens auf dem Weg zum Klo trifft man sich), als auch bei der Übertagung durch Tröpfchen und Aerosole... Mundschutz und Trinken geht halt nicht zusammen. Hinzu kommt, und das wissen wir alle, dass Alkohol enthemmt und vergesslich macht. Mit ordentlich einen intus nimmt man es mit Abstand und Maske dann sicher nicht mehr so genau. Wie das RKI, oder der Barbesitzer das alles ausräumen will, würde mich interessieren.
Sprich: Ich denke sehr wohl, dass Kneipen und Bars Brutherde sind. Und die gilt es halt zu verhindern.
Den Richtern kann man hier wohl keinen Vorwurf machen. Allerdings muss man ja immer bedenken, dass solche Urteile oft der Auftakt für weitere Klagen sind.
Zunächst gilt das für 11 Bars. Nun hat Berlin aber davon deutlich mehr. Wenn die sich nun alle über die Einschränkungen hinwegsetzen, dann denke ich schon, dass wir dann einen "nennenswerten Anteil am Infektionsgeschehen" haben. Und warum? Weil 11 Barbesitzer Kasse machen wollen? Finde ich jetzt nicht wirklich überzeugend.

zu 2. Ich bin gespannt auf die Ausführungen zu den unterschiedlichen Voraussetzungen, da ich bisher als einzigen Unterschied das Vorhandensein eines Impfstoffes für Grippeviren wahrnehme. Meinen Beitrag verstehe ich auch nicht als "Verharmlosung Corona", sondern vielmehr als "Erhöhte Aufmerksamkeit für Grippe."
Siehe Beitrag 41368



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Mi 21. Okt 2020, 13:52

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Mi 21. Okt 2020, 12:56
Meine Frage ist eher eine "Meta"-Frage. Wie agiert man überhaupt in so einer besonderen Situation der Unsicherheit? Wie verschafft man sich Orientierung? Eine Methode ist: Man hat aufgrund gewisser weltanschaulicher Grundüberzeugungen ohnehin eine bestimmte Ansicht und sucht dann nach Infos, die diese Ansicht stützen. Das überzeugt mich jedoch nicht.
Ich weiß was Du meinst. Ich glaube zwar nicht, dass es sowas wie ein "perspektivloses Betrachten" gibt, genausowenig übrigens wie ein "perspektivloses Berichten", d.h. ein bißchen Voreingenommenheit ist immer dabei. Aber man kann natürlich schon versuchen sich das bewusst zu machen und möglichst unvoreingenommen daran zu gehen sich zu informieren, sodass man es dann vielleicht schafft sich ein möglichst objektives Bild zu machen.
Ich glaube mir selbst gelingt das meistens nicht. Das hängt schon damit zusammen, dass ich so wissenschaftlich "indoktriniert" bin, dass ich bei sowas in der Regel immer zuerst wissenschaftliche Quellen zu Rate ziehe und diese machen auch einen Großteil aus. Mein Informationsstand ist da also oft auch sehr einseitig.
Diskussion wie diese hier lenken dann meist meine Aufmerksamkeit auch woanders hin. Deshalb sind sie auch so wichtig!



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Stefanie
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Mi 21. Okt 2020, 21:13

Nauplios hat geschrieben :
Mi 21. Okt 2020, 08:29
Stefanie hat geschrieben :
Di 20. Okt 2020, 21:11
Nauplios
Nietzsche wäre hier persona non grata. -
Nöö.
Den hätte ich hier gerne mal, wie auch Schopenhauer.
Nietzsche ist, so meine Erfahrung, der deutsche Philosoph, der am meisten auch von an der Philosophie nicht Interessierte genannte Philosoph. Kant ist bei weitem nicht so populär. Mich verwirrt er, und es ist mehr ein stochern im Nebel um den Anfang zu finden.
"Den [Nietzsche] hätte ich hier gerne mal ... " - ja, aber schau vielleicht vorher noch einmal in den Aby Warburg-Thread. :o ;)
Sicher habe ich das gelesen. Das war auch die Passage, wo die drei Wörter bei Nietzsche so hießen, und bei dir so hießen.
Das ist ein mittendrin, und kein Anfang.



Das Land, das die Fremden nicht beschützt, geht bald unter.
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NaWennDuMeinst
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Do 22. Okt 2020, 10:28

Stefanie hat geschrieben :
Mi 21. Okt 2020, 21:13
Nauplios hat geschrieben :
Mi 21. Okt 2020, 08:29
Stefanie hat geschrieben :
Di 20. Okt 2020, 21:11


Nöö.
Den hätte ich hier gerne mal, wie auch Schopenhauer.
Nietzsche ist, so meine Erfahrung, der deutsche Philosoph, der am meisten auch von an der Philosophie nicht Interessierte genannte Philosoph. Kant ist bei weitem nicht so populär. Mich verwirrt er, und es ist mehr ein stochern im Nebel um den Anfang zu finden.
"Den [Nietzsche] hätte ich hier gerne mal ... " - ja, aber schau vielleicht vorher noch einmal in den Aby Warburg-Thread. :o ;)
Sicher habe ich das gelesen. Das war auch die Passage, wo die drei Wörter bei Nietzsche so hießen, und bei dir so hießen.
Das ist ein mittendrin, und kein Anfang.
Ich glaube Nauplios würde mit Nietzsche gerne an der Stelle anfangen wo der sich gegen die "Moral der Herde" wendet.
Ich kann mich aber auch irren.



But I, being poor, have only my dreams; I have spread my dreams under your feet;
Tread softly because you tread on my dreams.
(William Butler Yeats)

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NaWennDuMeinst
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Registriert: Sa 30. Mai 2020, 12:37

Do 22. Okt 2020, 11:27




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Do 22. Okt 2020, 13:12

In China, wo man sich um die Freiheit der Bürger einen Dreck schert, ist das Coronavirus so gut wie verschwunden.
China ist zurück zum Normalzustand, die Wirtschaft brummt, Bars und Geschäfte sind offen, Masken trägt fast keiner mehr.
Erreicht wurde das durch rigorose Maßnahmen. Zwangstests an Millionen von Bürgern. Lückenlos überwachte Quarantäne. Vollständige Abriegelung der Infektionsherde.


Diese harte Strategie, die nur in einem auch sonst unterdrückerischen Staat funktioniert, hat in der westlichen Welt zu Beginn der Pandemie für Stirnrunzeln, wenn nicht offene Kritik gesorgt. Doch China hat sie so lange durchgezogen, bis die Wachstumskurve nahezu auf null gedrosselt werden konnte.

Triumph über Corona: Wie haben die Chinesen das geschafft?
https://www.rnd.de/politik/niedrige-cor ... ANAMQ.html

Sowas geht nur in China.



But I, being poor, have only my dreams; I have spread my dreams under your feet;
Tread softly because you tread on my dreams.
(William Butler Yeats)

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