Corona

Philosophie Chat: Hier wird geplaudert über Gott und die Welt.
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Stefanie
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Sa 24. Okt 2020, 21:28

Apropos appellieren....

Werbung für das Maske tragen...etwas ungewöhnlich. Vorlage ist eine Szene aus dem Disney Film die Schöne und das Biest, es wird also gesungen...der Text ist umgeschrieben, es gibt aber auch Ideen...wenn's hilft in den USA.




Das Land, das die Fremden nicht beschützt, geht bald unter.
Goethe

Nauplios
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Sa 24. Okt 2020, 22:06

Die Unvernunft auf dem Verordnungswege aus der Welt zu schaffen wird so wenig gelingen wie sie per Gesetz zu verbieten. Im Falle dieser Pandemie ist die Ohnmacht des Staates sichtbar. Mehr als Abschreckungseffekte sind nicht zu erwarten. Die Macht liegt basisdemokratisch zu gleichen Teilen bei jedem Einzelnen. Jede(r) stimmt mit seinem Verhalten ab. - Daß die Zahlen jetzt in die Höhe schießen, ist nicht allein die Schuld von Corona-Leugnern, Reichsbürgern und NZZ-Lesern. ;) - Steigende Infektionszahlen waren mit Beginn des Herbstes zu erwarten gewesen. Regionale Lockdowns sind bereits verhängt und im Gespräch. - Immer noch zeigt der Blick in die europäischen Nachbarländer, daß wir in Deutschland einen erheblichen Vorsprung im Hinblick auf Intensivbetten haben. (An Pflegepersonal fehlt es.) -

Nun können wir uns damit nicht auf alle Zeit beruhigen. Vorsichtig zuversichtlich darf man dagegen sein. Die Entwicklung von Impfstoffen ist auf einem guten Weg. (Die Entwicklung von Medikamenten ist übrigens genauso wichtig.) - Einstweilen fahren wir "auf Sicht". Der Weg ist jedoch nicht ausgeschildert mit richtig oder falsch, mit gut oder böse. Auch hier sind wir fragmentarische Wesen. Daß wir uns im Provisorischen einrichten müssen, fällt uns nirgendwo so schwer wie da, wo es um Leben und Tod geht. - Die Unvernunft bleibt in der Welt, mögen wir noch so sehr die Durchsetzung ihres Gegenteils erhoffen. Das ist nicht fatalistisch, sondern realistisch. An das Gute im Menschen darf man glauben, sofern man bereit ist, sich auf das Schlechte zu verlassen. Die allermeisten Menschen halten die Regeln ein; wie auch die allermeisten Menschen die Gesetze einhalten. Und doch werden Gesetze gebrochen, werden Menschen straffällig. - Und hier wird der Traum von der vollkommenen Gesellschaft mit jeder Stufe ihrer Vervollkommnung fragwürdiger. - Nicht die Verbesserung der Gesellschaft oder die des Menschen kann der Philosoph besorgen, sondern die Verbesserung der Beschreibungsparameter der Gesellschaft und des Menschen. Das schließt Verbesserungen schlechthin nicht aus.

Der vernünftige Umgang mit der Vorläufigkeit der Vernunft - er könnte in dieser Krise ein Schlüssel zu ihrer Bewältigung sein.




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NaWennDuMeinst
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Sa 24. Okt 2020, 23:02

Nauplios hat geschrieben :
Sa 24. Okt 2020, 22:06
Die Unvernunft bleibt in der Welt, mögen wir noch so sehr die Durchsetzung ihres Gegenteils erhoffen.
Das ist wahr. Ausrotten können wir sie nicht, genauso wenig wie das Virus. Aber genauso wie beim Virus müssen wir die Verbreitung nicht auch noch fördern.



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Nauplios
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So 25. Okt 2020, 01:35

Es gibt noch ein weiteres Mittel, die Todesrate des Coronavirus zu drücken: Solidarität. - Damit meine ich nicht nur die Solidarität zwischen den mehr gefährdeten Jahrgängen und den weniger gefährdeten. Ich meine die Solidarität zwischen den Ländern der EU. Belgien, Frankreich, Tschechien ... sind um ein Vielfaches schlechter dran als wir. Im März als die Intensivstationen in den Krankenhäusern rund um Bergamo überlastet waren, verhängte die deutsche Regierung ein Exportverbot medizinischer Schutzausrüstung ins Ausland. Die Schlagbäume gingen runter. Motto: Rette sich, wer kann. - Später wurden dann auch Patienten aus Italien, dann auch aus Frankreich und den Niederlanden in deutsche Kliniken ausgeflogen; und auch jetzt liegen Patienten aus den Niederlanden wieder in Kliniken in NRW. -

Doch wäre dies eigentlich die Stunde der EU. Gibt es eine wirkungsvolle, von Brüssel aus gesteuerte Koordination zwischen Deutschland und seinen europäischen Nachbarländern im Hinblick auf Covid19 Patienten? - In den Grenzgebieten gibt es vereinzelt eine gegenseitige Hilfe, ein von der EU-Kommission entwickeltes Konzept spielte bislang keine Rolle und wird es wohl auch nicht.

Wir sind, was unsere intensivmedizinischen Kapazitäten betrifft, in einer einzigartigen Position in Europa. Noch ist nur ein kleiner Teil dieser Kapazitäten ausgelastet, derweil in den Niederlanden und Belgien die Situation allmählich dramatisch wird. Der europäische Gedanke könnte aus der Krise bestärkt hervorgehen. Oder auch nicht. Geholfen haben den Italienern damals die Chinesen! -

Solidarität erfordert keinen Freiheitskampf. Mir scheint, daß insbesondere die deutsche Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen in dieser Pandemie zu wenig aus ihrem Amt macht. -




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So 25. Okt 2020, 02:32

Stefanie hat geschrieben :
Sa 24. Okt 2020, 18:56
In einem Kommentar meiner Tageszeitung vor ein paar Tagen wurde u.a. fragend geschrieben, ob es nicht auch eine Überforderung der Menschen darstellt, ausschließlich an die Vernunft der Menschen zu appellieren, wen es gerade um die Reduzierung von Kontakten geht.
Sind nicht auch Verordnungen so etwas wie Linie, eine Schnur, an der man sich orientieren kann, die einem aber auch vielleicht eine Entscheidung leichter macht, nicht auf eine Geburtstagsfeier zu gehen?

Wenn gesagt wird, das mangelnde parlamentarische Verfahren lässt das Vertrauen in die Massnahmen schwinden, frage ich mich, ob nicht erst recht das Vertrauen in die Regierung schwindet, wenn alles zögerlich passiert, wenn sich im Bundestag gestritten wird, wie immer, nur weil man dagegen sein muss, wenn eine andere Partei was sagt.
War es nicht der Streit, der bis dahin das Remedium aller Diskurse war, der "gesunde Meinungsstreit" als Lebenselixier politischer Entscheidungsprozesse, der Streit um das Wahre, Schöne und Gute - das goldene Kalb philosophischen Weiterkommens, die Mutter allen Fortschritts? - Nun erscheint der Streit als Agent der Verzögerung, als blockierende Hürde, als parlamentarischer Zierrat und Schnörkel, den wir uns in ruhigen Zeiten leisten, derweil die Krise Entschlossenheit verlangt, denen das Parlament nur im Weg stehen würde. (Ich hatte weiter oben bereits auf Gesetzgebungsverfahren verwiesen, welche nicht länger als wenige Tage dauerten; monatelang wäre Zeit gewesen.)

China baut ein Krankenhaus binnen 14 Tagen auf und binnen 14 Stunden ab. Markus Gabriel verweist im Gespräch mit Lauterbach darauf, daß wir diesen "chinesischen Weg" - der im Einzelfall beeindruckend sein mag - nicht gehen sollten; der Umgang mit der Krise sei auch eine Frage der Systemkonkurrenz.

"Ich würde immer als Allerletztes auf Verbote setzen ..." (Markus Gabriel im SPIEGEL-Gespräch mit Karl Lauterbach)

"Wir müssen so weit wie möglich über die Eigenverantwortung kommen ... und nicht Gesetzeslagen ..." (Markus Gabriel)




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So 25. Okt 2020, 02:20

Bei den obigen zwei Zitaten von Markus Gabriel stimme ich ihm vorbehaltlos zu. - Abstand nehme ich jedoch von seiner Vorstellung eines "moralischen Fortschritts", der für Gabriel immer auch der moralische Fortschritt "der Menschheit" ist. (Das liegt auch auf der Hand, weil es nach Gabriel moralisch objektiv existierende Werte gibt, die für alle Menschen gelten. Die Bestreitung solcher Werte nennt Gabriel Werterelativismus bzw. Wertenihilismus.)

Wie ich über den Rigorismus der Moral, der mit dem "moralischen Fortschritt" verbunden ist, denke, hab' ich an anderer Stelle schon erläutert. Ich meine, daß es in moralischen Fragen - die klaren Fälle, daß man Kinder nicht quälen soll, ausgenommen - so wenig zu einer definitiven Endgültigkeit kommen wird wie in den anderen Fragen der philosophischen Erkenntnis auch. (Ein Blick nach Polen in die aktuelle, erbittert geführte Auseinandersetzung um das neue Abtreibungsrecht mag das verdeutlichen.) - Sich ausschließlich an die klaren Fälle am oberen und unteren Rand zu halten, täuscht darüber hinweg, daß die meisten Fälle sich in einem Zwischenbereich aufhalten, bei denen es Gründe für ein Pro genauso gibt wie Gründe für ein Contra. Hier geht es nicht ohne Moral zu, aber mit einer "provisorischen Moral", einer abwägenden, vorsichtigen, vorläufigen, nicht rigoros verfahrenden Moral. - Was mit dem Rigorismus der Moral gemeint ist, kommt in Sätzen wie diesen zum Ausdruck:

"Brecht ist Marxist gewesen und Marxismus ist falsch"

"Das Böse nimmt spürbar zu."

(https://www.deutschlandfunkkultur.de/ph ... _id=481728)

Das ist Priestersprache. Pater Leppich. - :)




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So 25. Okt 2020, 02:42

Bezogen auf die Corona-Krise bedeutet das: Man kann ohne weiteres mit moralischen Kategorien wie Schutz des Lebens vor ökonomischen Interessen, Abwägung von Kollateralschäden, Solidarität oder verfassungsrechtlichen Argumenten wie Langsamkeit der Parlamente oder deren Einbeziehung u.ä. operieren. Ein Absolutismus der Moral jedoch spaltet die Akteure in Orthodoxe und Häretiker. Ob das dem Ziel der Bewältigung der Krise dient, mag jeder für sich selbst entscheiden. -

Daß der Rigorismus der Moral von Null auf Hundert zu Urteilen kommt, in denen beispielsweise durch das YouTube-Video einer Wissenschaftsjournalistin (Mai Thi Nguyen-Kim) "ein großer Angriff auf die Demokratie" erfolgt, ein "unvorstellbarer Skandal" geschieht, das liegt in der hauseigenen Logik dieses Rigorismus. Das Böse ist immer und überall. ;)




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Jörn Budesheim
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So 25. Okt 2020, 05:33

Nauplios hat geschrieben :
Sa 24. Okt 2020, 22:06
Die Macht liegt basisdemokratisch zu gleichen Teilen bei jedem Einzelnen.
Gerade so ist es ja leider nicht. Denn die überwiegende Mehrheit ist schließlich vernünftig. Es reicht leider eine kleine Minderheit, die sich objektiv unvernünftig verhält. Und unter der objektiven Unvernunft von Wenigen leiden dann Viele. Auch diejenigen, die vernünftig waren. Und diese infizieren sich dann auch nicht provisorisch, sondern wirklich. Und die, die sterben, sterben ebenso nicht provisorisch sondern in echt.




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NaWennDuMeinst
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So 25. Okt 2020, 13:29

Naja. Man bekommt das nicht vermittelt. Das Samstagabendbier ist einfach wichtiger als irgendjemandes Oma.
In einem anderen Thread haben wir über Empathie gesprochen. Die hat bei vielen Menschen offenbar nur einen Radius von maximal einem Meter.
Macht man darauf aufmerksam, ist man der rigorose Moralapostel. Kleine Kinder quälen, das geht nicht. Alles andere ist "Auslegungssache".
Ich bin da ziemlich enttäuscht und ziehe daraus aber dann auch meine eigenen Schlüsse in wie fern mich das Wohl meines Nachbarn interessieren muss.
Moral ab jetzt nur noch dann, wenn sie mich nichts kostet.



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Jörn Budesheim
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So 25. Okt 2020, 14:23

Ja, heute riskiert man (immer noch) als naiv oder gar unmoralisch betrachtet zu werden, wenn man sich auf die Moral bezieht.




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Jörn Budesheim
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So 25. Okt 2020, 14:26

Ich habe mir im Moment diese Leseprobe heruntergeladen und das passt wunderbar hierher.
Susan Neiman in Moralische Klarheit (2010) hat geschrieben : Geboren wurde ich zwar in Atlanta, Georgia, seit 1982 lebe ich aber überwiegend in Berlin, einer Stadt, in der nichts unklarer scheint als die Moral und nichts unmoralischer als die Klarheit. Mir ist also nicht entgangen, dass der Titel dieses Buches zunächst auf Unverständnis stößt. Wie sollte es auch anders sein in einem Land, in dem das Wort Held verstaubte Bilder toter Verwandter in Wehrmachtsuniformen hervorruft und das Wort moralisch eher als Schimpfwort denn als Auszeichnung taugt? Aber auch in Amerika war der Titel als Provokation gemeint. Ebenso wie in Europa werden moralische Begriffe dort zunehmend von den Rechten, die jede Unterscheidung zwischen Denken und Dogma, zwischen Klarheit und Einfachheit verwischen, gebraucht. Ausgehend von der Annahme, dass vereinfachte Moralbegriffe gefährlich, gar unmoralisch sein können, haben fortschrittliche Kräfte – kann man das Wort links noch benutzen? – entschieden, auf den moralischen Wortschatz zu verzichten. Eine solche – in letzter Konsequenz nicht nur sprachliche – Selbstverstümmelung mag verständlich sein, sie ist aber am Ende fatal. Aus Angst vor Missbrauch werden die stärksten Begriffe, die wir haben, gerade denjenigen überlassen, die sie am ehesten missbrauchen. Wer aber die Missstände einer Gesellschaft verändern möchte, steht ohne eine Sprache der Moral mit leeren Händen da.




Nauplios
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So 25. Okt 2020, 15:00

Das Handeln in moralisch prekären Situationen - eine der äußersten wäre im Fall Corona etwa die Triage - ist eingebettet in die conditio humana, in die grundlegende menschliche Befindlichkeit. Was den Menschen ausmacht ist unbestimmt (es sei denn, man wollte in diesem Punkt religiöse Verbindlichkeiten nutzen). Dennoch muß er unter den Bedingungen seiner Unbestimmtheit handeln. Seine Situation zwingt ihn gleichsam, sein Leben zu führen unter Bedingungen, die von einem Mangel an Letztgültigkeiten und definitiven Auskünften über das Wahre, Gute und Schöne geprägt sind. - Hans Blumenberg nennt das die "rhetorische Situation" des Menschen.

"Evidenzmangel und Handlungszwang sind die Voraussetzungen der rhetorischen Situation." (Ästhetische und metaphorologische Schriften 417) - Rhetorisch ist diese (Grund-)Situation deshalb, weil Rhetorik der Umgang des Menschen mit dem Mangel an Wahrheit und dem Besitz von Wahrheit gleichermaßen ist. -

"Rhetorik hat es zu tun mit den Folgen aus dem Besitz von Wahrheit oder mit den Verlegenheiten, die sich aus der Unmöglichkeit ergeben, Wahrheit zu erreichen." (406)

Rhetorik ist hier nicht gemeint als Mittel der Täuschung, sondern als Mittel der Entlastung. Wir sind aber nicht nur mit den Folgen und Verlegenheiten konfrontiert, die sich aus dem Besitz von Wahrheit oder der Unmöglichkeit, sie zu erreichen, ergeben (das Wahre) - Auch was das Gute betrifft, haben wir es zu tun mit einer "rhetorischen Situation". Es gibt Fälle der Eindeutigkeit und solche der Mehrdeutigkeit, in denen wir nicht wissen, wie wir uns moralisch richtig verhalten sollen. Dennoch gilt auch hier der Handlungszwang trotz Mangel an Evidenz. Wir haben den Descartes' schen Endzustand weder auf dem Feld wahrer Erkenntnis noch auf dem Feld des richtigen Handelns erreicht und richten uns mit Mitteln der Rhetorik in dieser Situation ein. (So wissen wir etwa den Sinn unserers Lebens nicht und greifen zum rhetorischen Mittel der Metapher, um das Leben in seiner Gesamtheit zu begreifen - etwa mit dem Satz "Die Menschen sind nur Schauspieler auf der Bühne des Lebens.") - Das Schöne lasse ich jetzt mal beiseite. Daß es beim Schönen und seinen De-finitionen nicht viel anders bestellt ist, hat im Sommer hier bereits ein erbitterter Streit eindrucksvoll demonstriert. -

Evidenzmangel und Handlungszwang bedeuten, sich bis auf weiteres im Provisorischen einzurichten, sich abzufinden damit, daß definitive Auskünfte einem Wesen, dessen Wesen Unbestimmtheit ist, versagt bleiben.

Jetzt sind wir aber mit beiden Beinen knietief im Philosophischen, NWDM. Besser, wir gehen zurück auf sicheren Boden. ;)




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Friederike
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So 25. Okt 2020, 16:16

NaWennDuMeinst hat geschrieben :
So 25. Okt 2020, 13:29
[...] Moral ab jetzt nur noch dann, wenn sie mich nichts kostet.
Ich greife nur diesen einen Satz von Dir auf, stellvertretend für Euren, insbesondere Deinen "drift" zur Moral, den ich nicht nachvollziehen kann. Ist es denn nicht so, daß jeder Einzelne/jede Bürgerin ein Eigeninteresse in dieser Sache hat und zwar das Interesse, -möglichst- nicht infiziert zu werden? Das ist eine in eine Frage gekleidete Behauptung. Das Interesse "für sich" aber würde ich nicht dem moralischen Bereich zuordnen (möglicherweise Nietzsches "gesunde" Moral). Wer sich also nicht maskiert und Anderen zu nahe tritt oder Räume zur Verfügung stellt, die zur Nicht-Beachtung der Regeln einladen, handelt gegen sein eigenes Interesse. Das ist, wie ich meine, nicht unmoralisch, sondern unklug ("dumm" geht auch). Dagegen ist sowieso kein Kraut gewachsen.




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NaWennDuMeinst
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So 25. Okt 2020, 16:25

Friederike hat geschrieben :
So 25. Okt 2020, 16:16
NaWennDuMeinst hat geschrieben :
So 25. Okt 2020, 13:29
[...] Moral ab jetzt nur noch dann, wenn sie mich nichts kostet.
Ich greife nur diesen einen Satz von Dir auf, stellvertretend für Euren, insbesondere Deinen "drift" zur Moral, den ich nicht nachvollziehen kann. Ist es denn nicht so, daß jeder Einzelne/jede Bürgerin ein Eigeninteresse in dieser Sache hat und zwar das Interesse, -möglichst- nicht infiziert zu werden?.
Scheinbar nicht. Das hat sicher auch damit zu tun, dass ja nicht alle Bevölkerungsgruppen in gleichem Maße betroffen sind. Die Chance als junger Mensch eine Coronainfektion zu überleben, oder sogar nicht einmal zu bemerken, ist sehr, sehr hoch.
Daraus folgt dann auch die Ansicht: Mir doch egal ob die Alten krepieren. Ich bin ja nicht alt.
Das ist ungefähr die selbe Haltung, die die junge Generation bei den Alten kritisiert:
Mir doch egal, ob die folgenden Generationen im Müll ersticken. 1. Habe ich keine Kinder und 2. Werde ich dann lange weg sein. Tschüss ihr Trottel. Was geht mich schliesslich das Elend der Anderen an?
Deshalb: Pflastert die Straßen mit Heizpilzen, damit die Jungen es schön warm haben wenn sie sich draussen massenhaft zum Saufen treffen.
Co2-Reduktion? Warum denn? Ich will leben, Geld verdienen und Spaß haben. Alles andere ist sekundär. Vor allem auch die Interessen der Anderen.
Das ist eine in eine Frage gekleidete Behauptung. Das Interesse "für sich" aber würde ich nicht dem moralischen Bereich zuordnen (möglicherweise Nietzsches "gesunde" Moral). Wer sich also nicht maskiert und Anderen zu nahe tritt oder Räume zur Verfügung stellt, die zur Nicht-Beachtung der Regeln einladen, handelt gegen sein eigenes Interesse. Das ist, wie ich meine, nicht unmoralisch, sondern unklug ("dumm" geht auch). Dagegen ist sowieso kein Kraut gewachsen.
Du setzt ein Interesse voraus, das nicht vorhanden sein muss.



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NaWennDuMeinst
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So 25. Okt 2020, 16:54

Nauplios hat geschrieben :
So 25. Okt 2020, 15:00
Jetzt sind wir aber mit beiden Beinen knietief im Philosophischen, NWDM. Besser, wir gehen zurück auf sicheren Boden. ;)
Nicht nötig. Der Schüler hat es kapiert. Weil alles unklar ist, ist auch alles beliebig.
Ich bin ein sehr gelehriger Schüler, glaub' mir. Wir finden in der Welt keine Monster vor. Die schaffen wir uns selbst.



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So 25. Okt 2020, 17:07

NaWennDuMeinst hat geschrieben :
So 25. Okt 2020, 16:25
[...] Scheinbar nicht. Das hat sicher auch damit zu tun, dass ja nicht alle Bevölkerungsgruppen in gleichem Maße betroffen sind. Die Chance als junger Mensch eine Coronainfektion zu überleben, oder sogar nicht einmal zu bemerken, ist sehr, sehr hoch.
Daraus folgt dann auch die Ansicht: Mir doch egal ob die Alten krepieren. Ich bin ja nicht alt.
Das Wissen vom März/April um die Risikogruppen und die Wahrscheinlichkeit der schweren oder schwersten Erkrankung ist doch einigermaßen aufgeweicht seit ungefähr 2 Monaten.
NaWennDuMeinst hat geschrieben : Du setzt ein Interesse voraus, das nicht vorhanden sein muss.
Daß jeder Mensch zuerst einmal an sich und seinem Wohlergehen interessiert ist, das setze ich voraus, ja. Und wenn einige Menschen meinen, es träfe vielleicht eine Menge anderer Menschen, nur sie nicht, dann scheint mir diese Annahme zu optimistisch.




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So 25. Okt 2020, 17:16

Friederike hat geschrieben :
So 25. Okt 2020, 17:07
NaWennDuMeinst hat geschrieben :
So 25. Okt 2020, 16:25
[...] Scheinbar nicht. Das hat sicher auch damit zu tun, dass ja nicht alle Bevölkerungsgruppen in gleichem Maße betroffen sind. Die Chance als junger Mensch eine Coronainfektion zu überleben, oder sogar nicht einmal zu bemerken, ist sehr, sehr hoch.
Daraus folgt dann auch die Ansicht: Mir doch egal ob die Alten krepieren. Ich bin ja nicht alt.
Das Wissen vom März/April um die Risikogruppen und die Wahrscheinlichkeit der schweren oder schwersten Erkrankung ist doch einigermaßen aufgeweicht seit ungefähr 2 Monaten.
Das wäre mir neu.
Covid-Todesfälle in Deutschland nach Alter:
https://de.statista.com/statistik/daten ... eschlecht/

Ich denke das zeigt sehr gut, dass Du als gesunder, junger (unter 59 Jahre) Mensch schon sehr viel Pech haben musst um an Corona zu sterben.
Das ist in höchstem Maße unwahrscheinlich. Sehr wahrscheinlich ist hingegen, dass Du Dich infizierst, und das Virus verbreitest, ohne es überhaupt zu merken.
NaWennDuMeinst hat geschrieben : Du setzt ein Interesse voraus, das nicht vorhanden sein muss.
Daß jeder Mensch zuerst einmal an sich und seinem Wohlergehen interessiert ist, das setze ich voraus, ja. Und wenn einige Menschen meinen, es träfe vielleicht eine Menge anderer Menschen, nur sie nicht, dann scheint mir diese Annahme zu optimistisch.
Es besteht keine nennenswerte Gefahr für einen Menschen, der nicht zur Risikogruppe gehört. Folglich existiert auch kein Eigeninteresse an der Vermeidung einer Infektion. Schon gar nicht, wenn das im Konflikt mit so wichtigen Dingen wie Saufen in Bars kollidiert. Du kannst es da drehen wie Du willst: Es gibt für diese Menschen - ausser einem moralischen - keinen zwingenden Grund sich vor Corona zu schützen. Es gibt aber genug Gründe sich den Maßnahmen zu widersetzen.
Und das spiegelt sich auch in den Zahlen wieder: Es sind vor allem die jungen Menschen die das Virus weiterverbreiten:
https://de.statista.com/statistik/daten ... ersgruppe/
Zuletzt geändert von NaWennDuMeinst am So 25. Okt 2020, 17:27, insgesamt 1-mal geändert.



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So 25. Okt 2020, 17:21

"Alles unklar" ... "alles beliebig" ... ja, so sieht es auf den ersten Blick aus. ;)

Es gibt keine "Letztgültigkeiten", keine "definitive" Moral heißt ja nicht: es gibt gar keine Moral. Die morale par provision ist auch eine Moral, allerdings eine, die um ihre Vorläufigkeit weiß. Der "vernünftige Arrangement mit der Vorläufigkeit der Vernunft" bleibt ja dennoch ein vernünftiges. -

Eine morale definitive ist ein hypothetischer Endzustand, in dem wir bei jedem Einzelfall wissen, was das moralisch Richtige ist. Kein Zögern. Kein Abwägen. Nur noch zwei Pole: richtig/falsch. Es wäre die Moral einer künstlichen Intelligenz, die so verfahren könnte. Das "Menschliche", welches Du ja in der KI-Debatte betont hast, ist jedoch genau dieses Zögern. -




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Friederike
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So 25. Okt 2020, 17:38

Dank für die Statistiken @NWDM.




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Einer, der unverdächtig ist, an der Beseitigung von "Misständen einer Gesellschaft" (Susan Neiman) kein Interesse zu haben, sagt über Corona:

"So viel Wissen über unser Nichtwissen gab es noch nie." (Jürgen Habermas im Gespräch mit der Frankfurter Rundschau)

Wer wollte schon etwas dagegen haben, die "Misstände einer Gesellschaft zu verändern"? - Ich hab´ auch nichts dagegen. Ich bezweifle allerdings, daß die Philosophen bei dieser Veränderung/Beseitigung über eine besondere Expertise verfügen. Gabriel u.a. glauben das, weil sie professionell mit dem Wahren, Guten und Schönen beschäftigt sind. Ihr Wissen über ihr Nichtwissen läßt sie nicht zögern. Beherzt gehen sie ans Werk der Veränderung, Verbesserung. Erste Ansätze lassen sich erkennen. Neue Sprachregelungen machen die Welt besser. ;)




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