Prousts Betten (inklusive Smalltalk/Offtopic)

Philosophie Chat: Hier wird geplaudert über Gott und die Welt.
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Nauplios
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ROKOKO-SESSEL "Proust", überzogen mit einem Raster aus
bunten Farbklecksen, wie eine zweite Schicht über Polster,
Beine und Schnitzerei gelegt.


(aus: SCHÖNER WOHNEN)

Marthe Dubois-Amiot hatte es eilig, nach dem Tod ihres Mannes, Robert Proust, die geerbten Hinterlassenschaften zu Geld zu machen. Darunter befand sich auch das Messing-Bett ihres Schwagers Marcel Proust, nebst Schreibtisch, Bücherschrank, Briefen, Photos und einigem "Papierkram". Wir verdanken es dem Zufall, daß 1935 ein Parfumfabrikant und Liebhaber der Literatur, Jacques Guerin, in einer kleinen Buchhandlung in der Rue du Faubourg Saint Honore die Habseligkeiten Prousts erstand. - Das Drama um den Gute-Nacht-Kuß von Maman, das Zimmer im Grand-Hotel von Balbec, der neblige Herbsttag (Guermantes), den Marcel im Bett verbringt ... das Bett ist gleichsam eine Heterotopie en miniature, ein Gegenort, der Sehnsüchte und Ängste fixiert, Imaginationen und Träumereien anregt, ein Phantasiereservoir für die Grenzgebiete zwischen Fiktion und Wirklichkeit. -

Ein "schaukelndes Stück Raum" hat Rainer Warning die Foucault´schen Heterotopien genannt. Foucault selbst hat bekanntlich an ein Schiff gedacht als Paradigma für seine "anderen Räume". Darin ereignet sich das, was Roland Barthes Epiphanie genannt hat, "Augenblick der Wahrheit". - Für den chronisch Bettlägerigen sind Schlafen, Träumen, Dämmern, Erwachen Einstiegsszenarien in die untergegangenen Welten seiner Kindheit und jungen Jahre, die im Roman wiederauferstehen. Gilberte, Albertine, Odette, die Herzogin von Guermantes ... das Nachleben der Liebe. -




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Nauplios
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Jörn Budesheim
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Was ist das Thema dieses Threads?




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Nauplios
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Das Thema dieses Threads sind Formen und Interpretationen der Heterotopien in Prousts Recherche.

Textgrundlagen:

Michel Foucault: Heterotopien. Der utopische Körper. Zwei Radiovorträge

Michail Bachtin: Formen der Zeit im Roman. Untersuchungen zur historischen Poetik

Rainer Warning: Marcel Proust

Roland Barthes: Die Vorbereitung des Romans

Roland Barthes: Die helle Kammer

Gilles Deleuze: Proust und die Zeichen

Hans Robert Jauß: Zeit und Erinnerung in Marcel Prousts 'A la recherche du temps perdu'

Das von Foucault entwickelte Raum-Konzept der Heterotopie als "Gegenort" für das Alltagsverständnis von Lebensraum soll für eine Proust-Lektüre fruchtbar gemacht werden. Heterotopien sind für Foucault Räume, die als "Relationsbündel" die Funktionen des Lebensraums "suspendieren, neutralisieren oder in ihr Gegenteil verkehren" (Foucault). Foucault hat solche Relationsbündel etwa am Beispiel des Kinos, des Bordells, der Bibliothek, des Friedhofs, des Museums, der Kammer u.a. Lebensräume untersucht. - Dieser Thread soll u.a. der Frage nachgehen, ob das "drame du coucher" von Combray, welches sich in der Mikro-Heterotopie des Bettes vollzieht, in dem Marcel (der nicht mit dem Autor Marcel Proust identisch sein muß) auf den Gute-Nacht-Kuß von Maman wartet und das zum Ort fiebriger Imaginationen und Erwartungen wird, sich in Heterotopien wie dem Schlafzimmer (Combray), dem Hotelzimmer (Balbec), der Kammer beim ersten Bordellbesuch Marcels, dem Ankleidezimmer Odettes (Eine Liebe von Swann), den Salons der Verdurins und der Guermantes, dem Seitenschiff von Saint Hilaire, im Theater (vgl. die Berma-Episode) usw. und in den Metamorphosen der Sehnsüchte und des Begehrens vollzieht und je nach der Referenz des Raumes wandelt. -

Ein Instrument literaturwissenschaftlicher Beobachtung kann dabei Bachtins Versuch der Verschmelzung von Raum und Zeit zum "Chronotopos" sein. Bachtin untersucht die Chronotopoi der Treppe, des Vorzimmers, des Korridors und ihrer Raum-Zeit-Verschränkung. Die Anverwandlung von Chronotopoi und Heterotopoi hat aus dem Umkreis von Poetik und Hermeneutik Rainer Warning in seiner Proust-Studie versucht. Die für die deutsche Proustrezeption lange Zeit bestimmende Interpretation von Jauß berücksichtigt Warning zufolge die Brüche und Kontinuen des Raums in der Recherche zu wenig. - Es sind vor allem die Reflektionen von Barthes und Deleuze, welche aus semiologischer Sicht den Raum als Ineinander von "Differenz und Wiederholung" (Deleuze) in der Recherche herausarbeiten.

Im Unterschied zum fiktiven Raum ist der Lebensraum des Autors Marcel Proust heute durchgehend dokumentiert (s. das Haus der "Tante Leonie" im Video). Teil dieser Dokumentation sind insbesondere die Fotos von Nadar - über Proust hinausgehend. Nadar hat in seinem Fotostudio am Boulevard des Capucines Portraits von Nerval, Baudelaire, Balzac und auch Sarah Bernhardt ("die Berma") erstellt, welche die Welt des Fin du siecle auf einzigartige Weise zur Anschauung bringen (vgl. Roland Barthes: Die helle Kammer) -

Textkenntnisse der genannten Literatur sind nicht erforderlich.

Sollte die Administration des Forums Anstoß am Titel dieses Threads nehmen, kann er geändert werden. Das gilt auch für den Ort des Threads; sofern er dem Anforderungsprofil des Forums an Literaturwissenschaft im Forum nicht genügt. Ich denke da an den Gästebereich, in dem anonym zu schreiben ich nicht als Affront auffassen würde. Eine weitere Möglichkeit wäre die Ausgliederung des Themas auf meine Website, für die ich offen bin. Eine kurze Mitteilung der Administration wäre dafür ausreichend. -

Daß dem Leser von Texten Zusammenhänge als "bekannt" zugetraut werden, ist mitnichten eine Respektlosigkeit. Es zieht ihn im Gegenteil als vertraut mit solchen Zusammenhängen in den Verstehensvorgang mit ein. Respektlos ist es, ihm dieses Vertrautsein von vornherein abzusprechen. -




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NaWennDuMeinst
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Mo 17. Aug 2020, 23:08

Nauplios hat geschrieben :
Mo 17. Aug 2020, 11:24
Textkenntnisse der genannten Literatur sind nicht erforderlich.
Öhm. Doch?



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Nauplios
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Di 18. Aug 2020, 03:23

NaWennDuMeinst hat geschrieben :
Mo 17. Aug 2020, 23:08
Nauplios hat geschrieben :
Mo 17. Aug 2020, 11:24
Textkenntnisse der genannten Literatur sind nicht erforderlich.
Öhm. Doch?
Doch? - Doch könnten sie sich im Hinblick auf Nutzen und Nachteil von Textkenntnissen für das Leben als vorteilhaft erweisen. :)

Textkenntnisse in einem Umfang, der das oben skizzierte Thema der Strenge der Wissenschaft gemäß würdigte, habe ich auch nicht. Ich hoffe, sie mir im Verlauf des Threads in jener Dosierung aneignen zu können, die ausreichend Ernsthaftigkeit erkennen läßt, um Nachsicht beim Urteil über das Spielerische, das solchen Versuchen anhaftet, zu ermöglichen. Dazu ein paar allgemeine Anmerkungen.

In der Negativen Dialektik schreibt Adorno einmal von der Philosophie: "An ihr ist das Moment des Spiels." - Nach meiner Erinnerung findet sich Ähnliches auch bei Gadamer. Das heißt natürlich nicht, daß man Philosophie nicht ernsthaft betreiben sollte. Seit Sokrates weiß man, daß die Philosophie sogar mit tödlichem Ernst verbunden sein kann. Dennoch gibt es das Spielerische auch bei Sokrates. Das Symposion ist ja nichts anderes als ein "Trinkgelage", bei dem Reden auf den Eros gehalten werden. Es geht feucht-fröhlich zu und der Wein tut seine Wirkung. Eryximachos möchte hören, wie es bei Agathon "mit dem Trinken bestellt ist". Man einigt sich, "das gegenwärtige Gelage nicht bis zur Trunkenheit zu steigern, sondern nur so nach Behagen zu trinken." Philosophie und Eros, die Rede der Diotima, nach "Behagen" zu trinken ... und dann ist da noch diese Flötenspielerin! - Also strenge Wissenschaft geht anders. ;)

Das Moment des Spiels - es klingt dabei etwas an, was Musil den "Essayismus" genannt hat. Das hat etwas mehr Gravität und Würde als "Trinkgelage", verweigert sich jedoch der Vorstellung, alles nur erdenklich Philosophische sei nur ernst zu nehmen, wenn es sich systematisieren läßt, wenn es als Material zum Bau eines Gedankengebäudes taugt. Essay wird seit Montaigne im Deutschen gern mit "Versuch" übersetzt. Versuche führen nie die Endgültigkeit des Gelingens mit. Sie erheben das Unfertige, das Vorläufige zum Programm. Essays zu schreiben, bedeutet nicht, sich der völligen Beliebigkeit zu überantworten. Essays zu schreiben ist eine hohen Ansprüchen genügende Kunst. Mögliche Beiträge meinerseits über "Prousts Betten" erfüllen die Standards von Essays bei weitem nicht. Sie sind dennoch Versuche. Und in ihren Unzulänglichkeiten sind sie Zumutungen - nicht nur im Sinne von Irritation und Ratlosigkeit, Widerspruch erzeugend, auch im Sinne von Mut zusprechend.

Es fällt mir nicht schwer, die Frage nach dem Thema dieses Threads mit einem kleinen Expose zu beantworten. Doch lieber ent-falte ich einen Gedanken als ihn in das Prokrustesbett irgendeiner Systematik zu zwängen. Das Entfalten hat im Thread "Dolce Stil Novo" dazu geführt, daß ich 29 Beiträge hintereinander gepostet habe, bevor die erste "Antwort" eintraf. Die Abstinenz von Antworten ist nicht beabsichtigt. Sie verschafft mir Freiräume. So kommen Soliloquien zustande, in denen die Beiträge zu einer sich selbst anregenden kritischen Masse werden. Spielerisch wandern Versatzstücke, Staffagen, Figurationen, Begriffsgeschichten mäandernd durch die Versuche, Gelesenes zum Sprechen zu bringen, es vielleicht auch mal gegen den Strich zu lesen. Formulierungslust und Fabulierungslust kommen hinzu. "Seinesgleichen geschieht." Etablierte Trennungen wie die von Philosophie und Literatur verlieren sich. Das Denken wird barrierefrei. - Nein, ich verzichte auf die Anwesenheit einer Flötenspielerin. ;)

Ich möchte auch die volle Bandbreite an Medien nutzen, die mir die Welt zur Verfügung stellt. Die Fotos Nadars von der mondänen Pariser Gesellschaft, der Welt der Guermantes, den alten Boulevards mit ihren Droschken und Fuhrwerken des fin du siecle gehören genauso in diesen Thread wie Musik Faures oder Debussys. Chronotopos - das heißt aber auch, daß die Verschränkungen von Zeit und Ort, die sich bei Proust finden, hier einen Reflex finden können; ich denke an das französische Chanson, an "Je ne regrette rien", an "La Mer", an Charles Trenet, an Jacques Brel ... an die Freudenhäuser, die Kirchen ... und man sieht schon, daß sich hier sehr Entlegenes zusammenführen läßt. Nach und nach entsteht eine Welt, die untergegangene Welt der Belle Epoque, die das letzte Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts umfaßt und dann in der europäischen Katastrophe von 1914 endet.

Natürlich kann ich so etwas hier nicht vollumfänglich entwerfen. Es sind nur kleine und kleinste Momente, ein Abendessen im Salon von Madame Verdurin, eine Kutschfahrt am Strand von Balbec, das Richten der Cattleya-Blüten am Ausschnitt von Odette, die erste Begegnung mit Albertine, die Schar der jungen Mädchen in Balbec, der Duft der Weißdornhecke, Marcels Bordellbesuch, der Tod der Großmutter, Gilberte und die Leidenschaft der ersten Liebe, die Champs-Elysees, der Bois du Boulogne mit den Kindermädchen ...

Und wie geht die Literaturwissenschaft mit all dem um? Was sieht ein Roland Barthes in der Recherche, das mir verschlossen bleibt? Was entdeckt er den hellen Kammern der Photographie?

Was ist das Thema dieses Threads? - Die Frage ist berechtigt und ich kann sie nur in ihrer Vorläufigkeit beantworten. Doch ist die Frage nicht auch ein Ordnungsruf? - Und an dieser Stelle endet meine Exposition. Denn das ist am Ende die Frage danach, ob man ein solches Denken aus Freilandhaltung zulassen will. Wieviel Anarchie ist gestattet? - Oder stellt man sich in den Dienst von philosophischen Rigorismen. Ich kann diese Frage nicht beantworten. Ich kann sie nur zurückspielen an die Verantwortlichen des Forums. -




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NaWennDuMeinst
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Di 18. Aug 2020, 09:05

Nauplios hat geschrieben :
Di 18. Aug 2020, 03:23
NaWennDuMeinst hat geschrieben :
Mo 17. Aug 2020, 23:08
Nauplios hat geschrieben :
Mo 17. Aug 2020, 11:24
Textkenntnisse der genannten Literatur sind nicht erforderlich.
Öhm. Doch?
Doch? - Doch könnten sie sich im Hinblick auf Nutzen und Nachteil von Textkenntnissen für das Leben als vorteilhaft erweisen. :)

Textkenntnisse in einem Umfang, der das oben skizzierte Thema der Strenge der Wissenschaft gemäß würdigte, habe ich auch nicht.
Die Strenge der Wissenschaft ist mir hier erstmal herzlich egal. Ich wäre schon froh wenn ich wenigstens im Ansatz verstehen würde wovon Du da redest.
Und dazu sind - glaube es oder nicht - Textkenntnisse nötig. In fast jedem Satz beziehst Du Dich auf Texte. Du stellst Analogien her, die man gar nicht verstehen kann, wenn man die Texte nicht kennt auf die sie zeigen.
Was ist das Thema dieses Threads? - Die Frage ist berechtigt und ich kann sie nur in ihrer Vorläufigkeit beantworten. Doch ist die Frage nicht auch ein Ordnungsruf?
Von meiner Seite her sind diese Fragen kein "Ordnungsruf", sondern es sind Verständnisfragen. Auch wenn Du aus Respekt annimmst, dass Deinem Gegenüber alles bekannt ist - bei mir ist das nicht der Fall.
Ist Dir schon mal der Gedanke gekommen, dass Antworten auch deshalb ausbleiben könnten, weil niemand sich als "unwissend" und "dusselig" outen will?
Ich würde mich schon gerne beteiligen. Aber bei Vielem von dem was Du schreibst habe ich einfach nichts Wertvolles beizutragen. Leider.



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Jörn Budesheim
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Di 18. Aug 2020, 09:24

NaWennDuMeinst hat geschrieben :
Di 18. Aug 2020, 09:05
Von meiner Seite her sind diese Fragen kein "Ordnungsruf", sondern es sind Verständnisfragen.
Ich spreche nicht für die Forumsleitung. Ich für meinen Teil habe nicht das geringste gegen anarchistisch/spielerische Threads. Im Gegenteil.




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Friederike
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Di 18. Aug 2020, 10:12

Dein erfrischend direkter Einwurf* @NWDM und Deine Ausführungen @Nauplios, ermutigen mich zum kurzen Kommentieren. (NWDM, spontan kommen mir immer nur diese beiden Adjektive in den Sinn zur Charakterisierung dessen, wie ich Deine Art und Deine Schreibweise empfinde. Entschuldige also bitte die neuerliche Wiederholung).
Nauplios hat geschrieben :
Di 18. Aug 2020, 03:23
[...] Essays zu schreiben, bedeutet nicht, sich der völligen Beliebigkeit zu überantworten. Essays zu schreiben ist eine hohen Ansprüchen genügende Kunst. Mögliche Beiträge meinerseits über "Prousts Betten" erfüllen die Standards von Essays bei weitem nicht. Sie sind dennoch Versuche. Und in ihren Unzulänglichkeiten sind sie Zumutungen - nicht nur im Sinne von Irritation und Ratlosigkeit, Widerspruch erzeugend, auch im Sinne von Mut zusprechend.
o.k. :lol: Das nehme ich mir zu Herzen und werde zukünftig nicht mich mit meinem Unverständnis und meiner Ratlosigkeit für eine Zumutung ansehen, was einer der Gründe ist, der mich öfter von verschriftlichten Reaktionen abgehalten hat.
Nauplios hat geschrieben : Es fällt mir nicht schwer, die Frage nach dem Thema dieses Threads mit einem kleinen Expose zu beantworten. Doch lieber ent-falte ich einen Gedanken als ihn in das Prokrustesbett irgendeiner Systematik zu zwängen. Das Entfalten hat im Thread "Dolce Stil Novo" dazu geführt, daß ich 29 Beiträge hintereinander gepostet habe, bevor die erste "Antwort" eintraf. Die Abstinenz von Antworten ist nicht beabsichtigt. Sie verschafft mir Freiräume. So kommen Soliloquien zustande, in denen die Beiträge zu einer sich selbst anregenden kritischen Masse werden. Spielerisch wandern Versatzstücke, Staffagen, Figurationen, Begriffsgeschichten mäandernd durch die Versuche, Gelesenes zum Sprechen zu bringen, es vielleicht auch mal gegen den Strich zu lesen. Formulierungslust und Fabulierungslust kommen hinzu. "Seinesgleichen geschieht." Etablierte Trennungen wie die von Philosophie und Literatur verlieren sich. Das Denken wird barrierefrei. - Nein, ich verzichte auf die Anwesenheit einer Flötenspielerin. ;)
Mir wird an dieser Stelle bewußt, daß die Fertigkeit (in doppelter Bedeutung: als Sprach- und Schreibvermögen sowie als Abgeschlossenheit von gedanklichen Komplexen) Deiner Formulierungen mir die Unfertigkeit des jeweils Thematisierten verdeckt hat ... nein, ich habe sie mir verdecken lassen. Selbst das unverschleiert Fragmentarische schien mir zu einem Ganzen abgerundet und insofern untangibel. Dies der zweite Grund zu schweigen und nunja, Dich in der Einsiedelei der Studierstube (dieses Bild taucht in mir auf) eben nicht zu stören.
Nauplios hat geschrieben : Was ist das Thema dieses Threads? - Die Frage ist berechtigt und ich kann sie nur in ihrer Vorläufigkeit beantworten. Doch ist die Frage nicht auch ein Ordnungsruf? - Und an dieser Stelle endet meine Exposition. Denn das ist am Ende die Frage danach, ob man ein solches Denken aus Freilandhaltung zulassen will. Wieviel Anarchie ist gestattet? - Oder stellt man sich in den Dienst von philosophischen Rigorismen. Ich kann diese Frage nicht beantworten. Ich kann sie nur zurückspielen an die Verantwortlichen des Forums. -
Ich spreche selbstverständlich nur für mich, als eines von 3 Teammitgliedern, und ich möchte Deiner Kontrastierung auch nicht ohne Weiteres folgen (Stirnrunzeln und ein Unentschiedenes "ich weiß nicht recht, ob Deine Formulierung es trifft"), aber soviel will ich Dir schon zurückmelden -obwohl ich gedacht habe, es sei sowieso kein Geheimnis- daß ich Deine Anwesenheit und Deine Beiträge schätze und mich an beidem erfreue.


*Das bezieht sich eigentlich auf Deinen knappen Einwurf von gestern. Hm, Deinen heutigen würde ich allerdings nicht ausnehmen. :lol:




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Nauplios
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Mi 19. Aug 2020, 02:05

NaWennDuMeinst hat geschrieben :
Di 18. Aug 2020, 09:05

Die Strenge der Wissenschaft ist mir hier erstmal herzlich egal. Ich wäre schon froh wenn ich wenigstens im Ansatz verstehen würde wovon Du da redest.
Und dazu sind - glaube es oder nicht - Textkenntnisse nötig. In fast jedem Satz beziehst Du Dich auf Texte. Du stellst Analogien her, die man gar nicht verstehen kann, wenn man die Texte nicht kennt auf die sie zeigen.
Was ist das Thema dieses Threads? - Die Frage ist berechtigt und ich kann sie nur in ihrer Vorläufigkeit beantworten. Doch ist die Frage nicht auch ein Ordnungsruf?
Von meiner Seite her sind diese Fragen kein "Ordnungsruf", sondern es sind Verständnisfragen. Auch wenn Du aus Respekt annimmst, dass Deinem Gegenüber alles bekannt ist - bei mir ist das nicht der Fall.
Ist Dir schon mal der Gedanke gekommen, dass Antworten auch deshalb ausbleiben könnten, weil niemand sich als "unwissend" und "dusselig" outen will?
Ich würde mich schon gerne beteiligen. Aber bei Vielem von dem was Du schreibst habe ich einfach nichts Wertvolles beizutragen. Leider.
Ich fange mal hinten an:

- "nichts Wertvolles beizutragen": Den Wert eines Beitrages nach dem Kenntnisstand gelesener Literatur und den Bezugnahmen darauf zu bemessen, hat meistens die Etablierung einer Priesterschaft zur Folge. Ausgestattet mit den Weihen höherer Einsichten führen die Hohenpriester und Schriftgelehrten dann Prestigekämpfe um Deutungshoheiten, derweil die "Uneingeweihten" Zuschauer, Publikum, Zaungäste bleiben. Mir sind solche Konstellationen aus den ideologischen Kulturkämpfen der 68er Zeit noch in Erinnerung. Es war in der ersten Hälfte der 70er Jahre. Wir - Studenten aus Bielefeld, Münster und Marburg - trafen uns quartalsmäßig an einem Wochende zu einer Klausur in Amöneburg, einem kleinen ruhigen Städtchen auf einem Hügel gelegen. Dort wurde dann gelesen und diskutiert. Während die Habermas-Anhänger die Revolution der westdeutschen Gesellschaft vorbereitete, versuchten sich die Luhmann-Anhänger in Systemtheorie. Ich muß zugeben, daß solche Treffen einem Trinkgelage schon recht nahe kamen, allerdings ohne den philosophischen Ertrag, der sich bei Platon damit verbindet. Und: es gab auch eine Flötenspielerin. Beim ersten Treffen. Danach gab sie sich als "verhindert" aus. Außerdem habe sie für die obligatorische Nachtwanderung rund um die Amöneburg kein geeignetes Schuhwerk. Das leuchtete insofern ein, als dieser Nachtwanderung ein halsbrecherischer Abstieg, unterstützt vom Licht der Taschenlampen, vorausging. Eine Straße hätte es auch gegeben, doch war der Weg durchs unwegsame Gelände wohl auch ein Test für den Fall, daß der revolutionäre Umsturz der Gesellschaft mutiges und energisches Voranschreiten erforderte. - Jedenfalls gingen die Debatten nachtwandlerisch weiter. Nach drei Tagen machte ein allgemeiner Erschöpfungszustand der Klausur ein Ende. Man vertagte sich. Bei diesen Zusammenkünften gab es die Wortführer, die theoretisch versiert waren und die "Zuhörer", die sich einen Reim auf das Gehörte machen sollten. - Für ein Forum im Jahre 2020 kann all das kein Modell sein. Der Wert von Beiträgen kann sich besser nach der Authentizität des Geschriebenen bemessen, auch nach der Neugier, die darin zum Ausdruck kommt, vielleicht auch nach der Anschlußfähigkeit. - In einem Forum kommen Menschen unterschiedlichen Alters, mit unterschiedlichen Interessen und unterschiedlichen Erwartungen zusammen. Sie sind mit philosophischen Fragestellungen auch unterschiedlich vertraut. Auch verstehen sie unter "Philosophie" Unterschiedliches. Deswegen bleibt die Frage "Was ist Philosophie?" eine genuin philosophische Frage. Man kann sie nicht beantworten, ohne bereits die Mittel der Philosophie bemüht zu haben.

Von den glorreichen Sieben der Amöneburg-Konferenzen ist noch ein Trio - manchmal ein Quartett - übriggeblieben. Aus den Quartals-Intervallen sind bestenfalls jährliche Treffen geworden. Schauplatz dieser Treffen ist ein Restaurant in Bielefeld. Auf die Nachtwanderung verzichten wir. -

- "ausbleibende Antworten, um sich nicht unwissend zu outen": Hm, es gibt darauf zwei Möglichkeiten, zu antworten: ehrlich oder höflich. Versuch einer Kombination: Sollte man nicht bei allem Verständnis für die Risikoscheu vor einem möglichen unvorteilhaften Outing dennoch die Möglichkeit in Betracht ziehen, daß sich Trägheit und Gleichmut darauf verstehen, als Selbstschutz zu camouflieren? - Die meisten Mitglieder des Forums "kenne" ich seit mehr als zehn Jahren. Und sie "kennen" mich. So viel kann man wissen, daß ich keine Verhöre durchführe. Widerspruch wird widersprochen, danach möglichst beigelegt. Nach wochenlangen DISPUTEN steht mir nicht der Sinn. Viel zu outen gibt´s da auf beiden Seiten nicht mehr. Zugegeben, das ist jetzt zwischen uns, NWDM, anders.

"Ordnungsruf" - ja, da stimme ich Dir zu. Das ist von Dir sicher nicht so gemeint. Ich komme in meiner Antwort auf Jörn noch darauf zurück. -

"Textkenntnisse nötig" - Ja, auch hier stimme ich Dir zu, gebe allerdings zu bedenken, daß ich im Verlauf eines Threads auch Texte zitiere, Gedanken referiere. Es mag wohl sein, daß die Annahme unrealistisch ist, alle hätte Prousts "Suche nach der verlorenen Zeit" gelesen; aber was ist daraus für eine Konsequenz zu ziehen? - Verzichten, Proust zum Thema zu machen? - Was haben ALLE gelesen? - Ich habe DIALOGOS immer so verstanden, daß man Ansprüche verfolgt, die in den großen Philosophie-Foren meist untergehen. Dann muß man auf Randständiges (Warburg etwa), das nicht ganz so zentral liegt, auch gefaßt sein. Daß wir im Juli hier eine Blumenberg-Diskussion hatten - befördert durch den 100. Geburtstag des Philosophen - steht doch einem Forum wie DIALOGOS gut zu Gesichte. Sollte man meinen.

"Strenge der Wissenschaft" - Versteht man die Strenge als eine solche der Methode, halte ich die Philosophie für keine strenge Wissenschaft. Die Strenge der Philosophie kann aber in einer "Logik der Phantasie" liegen anstatt in der Logik von methodisch erprobten Schlußverfahren. Die Strenge ist nicht per se abzulehnen, ebenso wenig die Logik. Prousts Roman besteht in manchen Abschnitten aus philosophischen Essays. Ist das dann noch Literatur? Ist es schon Philosophie? - Das ist manchmal kaum zu entscheiden. "Philosophie als strenge Wissenschaft" (Husserl) - darüber ist ja nicht leichtfertig hinwegzugehen. Hier wäre im einzelnen zu klären, was die Strenge der Philosophie als Wissenschaft dann ausmacht. -




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Mi 19. Aug 2020, 03:23

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Di 18. Aug 2020, 09:24
NaWennDuMeinst hat geschrieben :
Di 18. Aug 2020, 09:05
Von meiner Seite her sind diese Fragen kein "Ordnungsruf", sondern es sind Verständnisfragen.
Ich spreche nicht für die Forumsleitung. Ich für meinen Teil habe nicht das geringste gegen anarchistisch/spielerische Threads. Im Gegenteil.
Das stimmt, insofern Du Threads lancierst, etwa über Kunst, ist Spielerisches erlaubt. - In meine Richtung klingt die Toleranz gegen Anarchistisches/Spielerisches dann so:

"Das ist Marketing und auf die Dauer ermüdend." (Thread: Was wirklich ist, ist möglich)

"Immer dieselben Werbesprüche, das nervt" (Thread: Was wirklich ist, ist möglich)

"Mich stört, daß es mittlerweile zum hundertsten Mal oder tausendsten Mal behauptet wurde." (Thread: Was wirklich ist, ist möglich)

"Wenn Argumente einfach übersprungen werden, dann sollten wir den Laden hier schließen." (Blumenberg-Thread)

"Von daher ist es auch besonders schlechter Still, da einfach etwas von Wiki zu zitieren." (Theorie der Unbegrifflichkeit)



"... ermüdend ... Marketing ... immer dieselben Werbesprüche, das nervt ... mich stört ... besonders schlechter Stil ... "




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Mi 19. Aug 2020, 04:19

"Das nehme ich mir zu Herzen und werde zukünftig nicht mich mit meinem Unverständnis und meiner Ratlosigkeit für eine Zumutung ansehen, was einer der Gründe ist, der mich öfter von verschriftlichten Reaktionen abgehalten hat." (Friederike)

Seit Minuten lese ich immer wieder diesen Satz, Friederike, und es will mit der Verschriftlichung meiner Reaktion nicht so recht vorangehen. ;) Da ist diese Empfindsamkeit, daß Du Dir etwas zu Herzen nimmst - und dann auch noch etwas von mir. "Wo sich Herz zum Herzen find´t" heißt es bei Frau Jenny Treibel. Vielleicht ist dieser Weg der einzige, der kein Umweg ist. ;) Jedenfalls freu´ ich mich immer, von Dir verschriftlichte Reaktionen zu lesen. :)

"Mir wird an dieser Stelle bewußt, daß die Fertigkeit (in doppelter Bedeutung: als Sprach- und Schreibvermögen sowie als Abgeschlossenheit von gedanklichen Komplexen) Deiner Formulierungen mir die Unfertigkeit des jeweils Thematisierten verdeckt hat ... nein, ich habe sie mir verdecken lassen. Selbst das unverschleiert Fragmentarische schien mir zu einem Ganzen abgerundet und insofern untangibel. Dies der zweite Grund zu schweigen und nunja, Dich in der Einsiedelei der Studierstube (dieses Bild taucht in mir auf) eben nicht zu stören." (Friederike)

Die "Einsiedelei der Studierstube" - es gibt zwar diese Studierstube in meinem Avatar tatsächlich unter dem Dach (wo es gerade noch sehr heiß ist), und das Photo zeigt auch mich. Es ist aber ein "gestelltes" Photo, das auch etwas Spielerisches hat, denn ich nehme darauf eine Pose ein. Ich spiele dort jemanden, der ich nicht bin, erziele eine Wirkung, die in mir keine Ursache hat. Wenn Kinder spielen, verkleiden sie sich oft. Solche Verkleidungen und Verschleierungen gehören auch für mich zum spielerischen Umgang mit Texten. Es erscheint dann "untangibel", weil sie als Illusion (das "abgerundete Ganze") daherkommen. Früher hatten Illusionisten Assistentinnen, die ihnen das Zauberbesteck anreichten oder sich auf der Bühne zersägen ließen. Heute tritt man als Paar auf. Es wäre doch schön, wenn wir "unverschleiert Fragmentarisches" gemeinsam erstehen ließen, ein philosophisches pas de deux, eine Aufforderung zum Tanz! - Darf ich bitten?





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NaWennDuMeinst
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Mi 19. Aug 2020, 11:51

Nauplios hat geschrieben :
Mi 19. Aug 2020, 02:05
"Textkenntnisse nötig" - Ja, auch hier stimme ich Dir zu, gebe allerdings zu bedenken, daß ich im Verlauf eines Threads auch Texte zitiere, Gedanken referiere. Es mag wohl sein, daß die Annahme unrealistisch ist, alle hätte Prousts "Suche nach der verlorenen Zeit" gelesen; aber was ist daraus für eine Konsequenz zu ziehen? - Verzichten, Proust zum Thema zu machen? - Was haben ALLE gelesen? - Ich habe DIALOGOS immer so verstanden, daß man Ansprüche verfolgt, die in den großen Philosophie-Foren meist untergehen. Dann muß man auf Randständiges (Warburg etwa), das nicht ganz so zentral liegt, auch gefaßt sein. Daß wir im Juli hier eine Blumenberg-Diskussion hatten - befördert durch den 100. Geburtstag des Philosophen - steht doch einem Forum wie DIALOGOS gut zu Gesichte. Sollte man meinen.
Was daraus für eine Konsequenz zu ziehen ist? Gar keine. Ich wollte Dir nur einfach darin widersprechen, dass - um dir zu folgen - keine Textkenntnisse nötig sind. Doch, sind sie und die sind manchmal einfach nicht vorhanden. DAS ist (zumindest bei mir) der Grund, warum oftmals Antworten ausbleiben. Alle anderen Schlüsse sind falsch. Es liegt weder an mangelndem Interesse, noch daran, dass ich das von dir Geschriebene für belanglos oder einen "alten Hut" halte (wobei auch das vorkommen kann, so ehrlich bin ich dann, das ist aber nicht die Regel) sondern einfach daran, dass ich Dich schlicht und ergreifend nicht verstehe, weil mir das Hintergrundwissen fehlt. Mir das zu besorgen ist meine Aufgabe, nicht Deine.
Ich befürchte aber bei der umfangreichen Auswahl an Texten auf die Du Dich beziehst, werde ich da nie auf Dein Niveau kommen. Ich habe halt kein Literaturstudium hinter mir. Und das kann (und will) ich natürlich auch nicht in der Kürze der Zeit, die so ein Thread dauert, ausgleichen. Wie denn auch?
Ich will aber auch nicht andauernd nachfragen. Denn dann bestünde so ein Thread nur noch aus Verständnisfragen.
Hab' das einfach im Hinterkopf: Manchmal kommt nix, weil nix verstanden wurde. Es muss nicht immer daran liegen, dass das Thema nicht interessiert.

In dem "Neugierde"-Thread hast Du mir angeboten mein astronomisches Wissen für eines deiner späteren Themen einzubringen. Das ist, neben der netten Einladung auch der Hinweis, dass man sich auch darauf konzentrieren kann was einem besonders liegt, anstatt sich an Dingen abzumühen die man aus diversen Gründen einfach nicht schaffen kann. Ich finde diesen Vorschlag vernünftig. Ich muss ja vielleicht auch nicht alles wissen und verstehen. Sich einbringen zu wollen ist gut, aber manchmal geht es halt einfach nicht. Dann bleibt man eben Zuschauer.
"Strenge der Wissenschaft" - Versteht man die Strenge als eine solche der Methode, halte ich die Philosophie für keine strenge Wissenschaft. Die Strenge der Philosophie kann aber in einer "Logik der Phantasie" liegen anstatt in der Logik von methodisch erprobten Schlußverfahren. Die Strenge ist nicht per se abzulehnen, ebenso wenig die Logik. Prousts Roman besteht in manchen Abschnitten aus philosophischen Essays. Ist das dann noch Literatur? Ist es schon Philosophie? - Das ist manchmal kaum zu entscheiden. "Philosophie als strenge Wissenschaft" (Husserl) - darüber ist ja nicht leichtfertig hinwegzugehen. Hier wäre im einzelnen zu klären, was die Strenge der Philosophie als Wissenschaft dann ausmacht. -
Ich wollte eigentlich gar kein Statement dazu abgeben, ob in der Philosophie nun Strenge nötig ist oder nicht. Ich wollte nur sagen: Zuerst muss ich mal was verstehen, bevor ich mich daran machen kann meine Gedanken einer wissenschaftlichen Strengeprüfung zu unterziehen. Eins nach dem anderen und dabei das "Leichte" zuerst.



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Nauplios
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Do 20. Aug 2020, 03:55

Weil wir davon ausgehen können, daß das halbe Dutzend aktiver Mitglieder ohnehin kaum je ein und denselben Text gelesen hat, halte ich persönlich ja die gemeinsame Lektüre für eine günstige Ausgangsposition. Die letzten Versuche dieser Art sind eher unglücklich verlaufen. Vielleicht müßte man sich mal Gedanken über ein Format machen, das integrative Effekte erzeugt, so daß mehr "Zusammen-Arbeit" generiert wird. Der von mir diagnostizierte Erschöpfungszustand findet seine Ursache nach meiner Beobachtung u.a. auch in einem Verschleiß von Themen. Die Forenstatistik weist zu diesem Zeitpunkt 728 "Themen" aus; "unbeantwortet" sind davon 111. - Das heißt, nahezu jeder sechste Thread besteht nur aus dem Eröffnungsbeitrag. - 536 von den 728 Themen weisen weniger als 20 Beiträge aus.

Man hat also enormen Aufwand in die Breite investiert, um die 41 Rubriken des Forums zu bedienen. Das ist bewundernswert, bedeutet es doch, daß das Forum in weiten Teilen das Ergebnis von Einzelleistungen ist. Solches Einzelkämpfertum kostet aber auch Kraft.

Mit anderen Worten: das Problem gemeinsamer Textkenntnisse ist vorerst nicht zu lösen. Du hast recht, daß solche Textkenntnisse im Grunde notwendig sind, um einem Thema wie diesem hier zu folgen. Wir müssen die Dinge aber nun mal so nehmen wie sie sind, d.h. wir machen unverdrossen weiter. ;)




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NaWennDuMeinst
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Do 20. Aug 2020, 19:30

Nauplios hat geschrieben :
Do 20. Aug 2020, 03:55
Vielleicht müßte man sich mal Gedanken über ein Format machen, das integrative Effekte erzeugt
Auch wenn das natürlich immer die Gefahr eine wilden Meinungsschlacht mit sich führt, so glaube ich doch aber, dass der beste "integrative Effekt" damit erzielt werden kann, dass man sich aktuelle Themen raussucht.
Du musst nicht nur schauen, ob Threads besucht sind oder nicht, sondern Dich auch dafür interessieren welche diejenigen sind, die gut besucht sind.
Eine Behandlung der Moralphilosophie zum Beispiel beginnt man am Besten mit moralischen Fragen die jeder kennt (die er sich vielleicht selbst schon gestellt hat) oder die mit aktuellen moralischen Fragen in der Öffentlichkeit zusammenhängen.
Für alle anderen Bereiche der Philosophie natürlich analog.
Die Frage: "Wie würdest Du entscheiden?" zieht einfach mehr Menschen an, als die Frage: "Ist der kategorische Imperativ Kants noch zeitgemäß?".
Das Zweite schreckt eher ab, obwohl man beim Ersten irgendwann auch zum Zweiten kommt.
Am Anfang steht immer eine konkrete Frage. Und dann kommen die verschiedenen Antworten. Und die können dann, wenn man sie untersucht, in Beziehung zur Philosophie gestellt werden.
Jedenfalls hat man mich damit meistens "gekriegt".



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Nauplios
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NaWennDuMeinst hat geschrieben :
Do 20. Aug 2020, 19:30
Nauplios hat geschrieben :
Do 20. Aug 2020, 03:55
Vielleicht müßte man sich mal Gedanken über ein Format machen, das integrative Effekte erzeugt
Auch wenn das natürlich immer die Gefahr eine wilden Meinungsschlacht mit sich führt, so glaube ich doch aber, dass der beste "integrative Effekt" damit erzielt werden kann, dass man sich aktuelle Themen raussucht.
Du musst nicht nur schauen, ob Threads besucht sind oder nicht, sondern Dich auch dafür interessieren welche diejenigen sind, die gut besucht sind.
Eine Behandlung der Moralphilosophie zum Beispiel beginnt man am Besten mit moralischen Fragen die jeder kennt (die er sich vielleicht selbst schon gestellt hat) oder die mit aktuellen moralischen Fragen in der Öffentlichkeit zusammenhängen.
Für alle anderen Bereiche der Philosophie natürlich analog.
Die Frage: "Wie würdest Du entscheiden?" zieht einfach mehr Menschen an, als die Frage: "Ist der kategorische Imperativ Kants noch zeitgemäß?".
Das Zweite schreckt eher ab, obwohl man beim Ersten irgendwann auch zum Zweiten kommt.
Am Anfang steht immer eine konkrete Frage. Und dann kommen die verschiedenen Antworten. Und die können dann, wenn man sie untersucht, in Beziehung zur Philosophie gestellt werden.
Jedenfalls hat man mich damit meistens "gekriegt".
(Zum Aspekt der "aktuellen Themen" habe ich im Neugierde-Thread schon gerade etwas geschrieben.) - Das Recht auf den individuellen Weg in die Philosophie und Wanderungen in ihrem Labyrinth schließt natürlich mich mit ein. ;) "Aktuelle Fragen" interessieren mich nur am Rande. Mein Interesse wird oft durch Staub geweckt. Das "Aktuelle" genießt ja ohnehin bereits die Fürsorge derjenigen, die wissen, was zu tun ist.




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Do 20. Aug 2020, 21:35

Nauplios hat geschrieben :
Do 20. Aug 2020, 20:40
(Zum Aspekt der "aktuellen Themen" habe ich im Neugierde-Thread schon gerade etwas geschrieben.) - Das Recht auf den individuellen Weg in die Philosophie und Wanderungen in ihrem Labyrinth schließt natürlich mich mit ein. ;) "Aktuelle Fragen" interessieren mich nur am Rande.
Mir fällt hier auf, dass Du das Historische (Das meinst Du doch mit "Staub"? ) und aktuelle Geschehnisse und Themen offenbar für Gegensätze hälst?
Das wundert mich besonders deshalb, weil Du gerade in der "kleinen Geschichte der unreinen Zeit" doch auch zeigen wolltest, dass Beides zusammen gehört und dass das eine ohne das andere nicht vorkommt!?
Das wollte ich ja damit sagen, dass z.B. die Frage nach Kants kategorischem Imperativ erstmal staubtrocken und weniger interessant wirkt als die Frage "Wie würdest Du entschieden?", die man auf eine aktuellen Fragestellung bezieht, aber wenn man sich auf die zweite Frage richtig und ernsthaft - also nicht nur oberflächlich - einlässt, dann landet man irgendwann auch bei Kant. Das geht dann gar nicht anders, weil eben die Geschichte hinter jeder gut durchdachten Ecke "lauert". Insofern gehört das für mich zusammen. Letztlich geht es nur darum, wie man die Leute dazu bringt sich auch darauf einzulassen.

Ich würde mich übrigens sehr freuen mit Dir vielleicht auch einmal über nordische Mythologien zu sprechen, falls Du Dich da auch auskennst. Vor einiger Zeit war ich in Ribe in Dänemark. Dort gibt es ein nachgebautes Wikiingerdorf in dem auch Menschen leben (allerdings nur beruflich) und dort das Leben der Wikinger nachvollziehen. Seit dem haben es mir diese Menschen irgendwie angetan. Und auch ihre Mythen. Die nordische Mythologie ist irgendwie entspannter als die römische oder griechische. Die Römer und Griechen waren Pedanten. Selbst mit ihren Göttern. Aber das ist nur mein persönlicher Eindruck. Nichts gegen Römer und Griechen.
:-)
Mein Interesse wird oft durch Staub geweckt. Das "Aktuelle" genießt ja ohnehin bereits die Fürsorge derjenigen, die wissen, was zu tun ist.
Ich vermute Du meinst, dass das Historische von der Allgemeinheit zu wenig Aufmerksamkeit bekommt und deshalb Deine Aufmerksamkeit mehr verdient hat.
So habe ich damals meine Katze gekauft. Vorne im "Schauraum" des Tierheims hatten sich die Vierbeiner zu einem Knäul zusammengefunden und waren eine niedlicher als die andere. Die anderen Besucher waren entzückt und stritten sich darum wer die hübscheste abbekommt. Ganz hinten in der Ecke, fern von dem Knäul, saß zusammengekauert, mit Stroh und Katzenstreu im struppigen Fell, eine kleine Katze. Sie wirkte verängstigt und kränklich. Für sie interessierte sich keiner. Die haben wir genommen. Wir haben sie heimgebracht, aufgepäppelt, gekämmt und geknuddelt. Glaub' mir unter dem ganzen Dreck verbarg sich die schönste Katze der Welt. Meine Katze. Und keiner der Anderen hat ihre Schönheit erkannt.
Das Historische ist Dein Thema. Ich verstehe Dich. Glaube ich.



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Nauplios
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NaWennDuMeinst hat geschrieben :
Do 20. Aug 2020, 21:35

Mir fällt hier auf, dass Du das Historische (Das meinst Du doch mit "Staub"? ) und aktuelle Geschehnisse und Themen offenbar für Gegensätze hälst?
Das wundert mich besonders deshalb, weil Du gerade in der "kleinen Geschichte der unreinen Zeit" doch auch zeigen wolltest, dass Beides zusammen gehört und dass das eine ohne das andere nicht vorkommt!?
Das wollte ich ja damit sagen, dass z.B. die Frage nach Kants kategorischem Imperativ erstmal staubtrocken und weniger interessant wirkt als die Frage "Wie würdest Du entschieden?", die man auf eine aktuellen Fragestellung bezieht, aber wenn man sich auf die zweite Frage richtig und ernsthaft - also nicht nur oberflächlich - einlässt, dann landet man irgendwann auch bei Kant. Das geht dann gar nicht anders, weil eben die Geschichte hinter jeder gut durchdachten Ecke "lauert". Insofern gehört das für mich zusammen. Letztlich geht es nur darum, wie man die Leute dazu bringt sich auch darauf einzulassen.

Man kann dem Historischen das Aktuelle gegenüberstellen. Man kann ihm auch das Systematische gegenüberstellen. In der Philosophie sind das eigentlich die üblichen Herangehensweisen: historisch (ideengeschichtlich orientiert) / systematisch (themenbezogen).

Die historische Betrachtungsweise ist mit dem Erscheinen des Historischen Wörterbuchs der Philosophie (1971-2007) in den letzten Jahrzehnten im deutschsprachigen Raum durch ein starkes Anwachsen begriffsgeschichtlicher Untersuchungen geprägt. Ein Beispiel wäre etwa die curiositas, die Neugierde. - Diesem Historischen Wörterbuch der Philosophie ging noch über ein gutes Jahrzehnt das Archiv für Begriffsgeschichte voraus und dem wiederum gingen erste begriffsgeschichtliche Arbeiten in Studium Generale voran. - Die in Deutschland und Großbritannien an den Universitäten durch Schulbildung stark verwurzelte Klassische Philologie hat die historische Sichtweise dazu noch stark befördert. Die Mittelalterforschung kommt dazu. Bereits das 19. Jahrhundert war geprägt vom Historismus.

Ein systematisches Philosophieren hat es mit "Gegenständen" wie dem Bewußtsein, der Erkenntnis, der Kunst, der Vernunft, dem Leib, dem Geist, dem Menschen, der Wissenschaft, der Gesellschaft, der Kommunikation, der Moral, der Religion, die Sprache ... zu tun. Hier geht es meistens um Theorien, die solche Gegenstände systematisch zu erfassen suchen.

Diese Unterscheidung (historisch/systematisch) hat sich zwar bewährt und ist auch nach wie vor in Gebrauch, allerdings ist sie auch durchlässiger geworden, d.h. man geht systematische Themen auch historisch an. Ein Beispiel ist die Theorie des kommunikativen Handelns von Jürgen Habermas, die mit Autoren des 18./19. Jahrhunderts anhebt, um schließlich Sprechakttheorien und Universalpragmatik aufzunehmen. Und natürlich Hans Blumenberg, dessen philosophisches Denken auf den ersten Blick fast rein ideengeschichtlich angelegt ist, aber schließlich gegen Ende doch immer mehr auf eine historische Anthropologie hinausläuft. -

In diesem Begriff der "Historischen Anthropologie" finden sich die beiden Aspekte des Historischen und Systematischen ja - für manche auf widerspruchsvolle Weise - vereint. Die Philosophische Anthropologie hat es ja ursprünglich mit "dem Menschen" zu tun. Das erscheint zunächst als fest umrissene Größe, an der kaum "Historisches" zu entdecken ist, ist doch "der Mensch" - obgleich in unterschiedlichen Lebenswelten lebend - des Mittelalters und der Antike kein grundsätzlich anderer als der Mensch der Neuzeit. Die Historische Anthropologie untersucht dann z.B. wie der Mensch sich in einer Welt sieht, von der er glaubt, ein Weltbaumeister habe sie erschaffen (Antike), oder welches Weltverhältnis der Mensch in einer Welt hat, die er als Schöpfung eines um ihn besorgten Gottes betrachtet oder welche "Demütigung" (auf die Kränkungen Freuds hattest Du kürzlich ja verwiesen) der Mensch zu ertragen hat, der davon ausgeht, daß "Gott tot ist" (Nietzsche) und das unermeßliche Weltall sich einem "Urknall" verdankt. Der Mensch bleibt zwar der Mensch, aber zu seinem relativ invarianten Menschsein, um nicht zu sagen Dasein gehören relativ variable Verständnisse von Welt, Wirklichkeit, Wahrheit ... usw. Weil das eine sich aus dem anderen entwickelt, ist für die Systematik dann auch die historische Betrachtungsweise vonnöten. -

Also eine strikte Trennung von historisch und systematisch empfiehlt sich nicht. Ich sehe darin auch keine zu pflegenden Gegensätze.

Etwas anderes ist die Unterscheidung von "Historischem" und "Aktuellem". - Keinem Philosophen kann man vorwerfen, daß er nicht schon vor hundert Jahren gelebt hat. Vor knapp vierhundert Jahren schrieb Descartes seinen Discours de la methode, vor dreihundert Jahren schrieb Vico seine Scienza Nuova, vor zweihundert Jahren schrieb Schelling seine Philosophie der Weltalter, vor knapp hundert Jahren erschien Heideggers Sein und Zeit, vor fünfzig Jahren erschien der erste Band des Historischen Wörterbuchs der Philosophie, vor fünfundzwanzig Jahren erschien Luhmanns Die Gesellschaft der Gesellschaft, vor zehn Jahren erschien Charles Taylors Ein säkulares Zeitalter, vor einem Jahr erschien Habermas´ Auch eine Geschichte der Philosophie, vor achtzehn Tagen erschien Markus Gabriels Moralischer Fortschritt in dunklen Zeiten.

All diese Philosophen verfaßten ihre Schriften zu ihrer Zeit. Wo läßt man nun das "Aktuelle" beginnen? - Wohl nicht bei Heidegger. Bei Luhmann? - Oder erst bei Markus Gabriel? - Und steht in den aktuellsten Büchern dann auch immer - weil es ja die aktuellsten sind - das, was nach dem momentanen Stand der Philosophie als wahr gilt? - Ist das weniger Aktuelle damit "überholt"? - Ab wann ist denn etwas nicht mehr aktuell? - Heideggers Sein und Zeit ist "überholt"? - Kants Kritik der reinen Vernunft ist noch mehr "überholt"? - War Kant einfach nicht so schlau wie Gabriel? -

Man sieht schon, in welche Schwierigkeiten diese Unterscheidung führen kann. Ich kann dazu nur meine persönliche Meinung sagen, die keinen Anspruch auf Wahrheit erhebt. Ich lese mit Gewinn auch aktuelle philosophische Werke (zuletzt Fiktionen von Markus Gabriel). Ich beobachte mit Gewinn und Vergnügen, womit sich die zeitgenössische Philosophie beschäftigt. Trends, Debatten, Neuerscheinungen ... Doch ich glaube nicht an eine grundsätzliche und kontinuierliche Fortschrittsbewegung der Philosophie in Richtung auf einen beständigen Zuwachs an Wahrheit. Nach meiner Beobachtung gibt es in der Philosophie Verstaubtes, Vergessenes, Unzeitgemäßes, Randständiges, von mir aus auch Verknöchertes, doch die Vorstellung, darauf würde sich nun im Jahr 2020 das "Aktuelle" als der Gipfel aller menschlichen Weisheit in 3000 Jahren europäischer Philosophiegeschichte erheben, ist absurd. Was vom "Aktuellen" in fünfundzwanzig, in fünfzig, in hundert Jahren noch "aktuell" ist, was noch als nicht "überholt" Geltung beanspruchen kann, worüber man noch oder dann neuerdings wieder debattieren wird, das wird die Geschichte entscheiden. Das entzieht sich vollkommen unserer Kenntnis. Wir können noch heute das platonische Höhlengleichnis mit eben jenem Gewinn an Einsichten lesen und interpretieren mit dem wir einen philosophischen Essay von Hans Blumenberg lesen. Das eine ist nicht "wahrer" als das andere. Natürlich hat sich die Welt geändert und es hat sich das Wirklichkeitsverständnis des Menschen verändert und sein Selbst- und Weltverhältnis hat sich geändert. Zu glauben, das Alte sei nun "überholt" eben weil es alt sei, ist im Grunde die Negation der Philosophie.

Am Ende mag das aber jeder halten wie er will. Bedenklich wird es nur, wenn aus den Lehrmeinungen der unterschiedlichen philosophischen Schulen Kulturkämpfe werden. Flankiert vom Feuilleton, von Kulturredaktionen des Fernsehens, von der Kulturkritik in Zeitschriften und Periodika erleben wir bisweilen eine Aufrüstung und Ausmalung des philosophischen Diskurses zu Schlachtengemälden von historischem Ausmaß, als ginge es - wieder mal - um die Rettung des Abendlandes, die "Bewahrung der Schöpfung" vor den Verächtern der Vernunft u.ä. - so als liefe alle bisherige Philosophiegeschichte auf diesen Kampf um Alles oder Nichts zu. - Ich spreche dem "Aktuellen" also ein überaus wohlwollendes Mißtrauen aus, ebenso wohlwissend, daß das "Aktuelle" dafür rein gar nichts kann, daß es "aktuell" ist. Man muß das "Aktuelle" gelegentlich daran erinnern, was nach ihm kommt: noch "Aktuelleres". - ;)




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Fr 21. Aug 2020, 03:14

NaWennDuMeinst hat geschrieben :
Do 20. Aug 2020, 21:35

Ich würde mich übrigens sehr freuen mit Dir vielleicht auch einmal über nordische Mythologien zu sprechen, falls Du Dich da auch auskennst. Vor einiger Zeit war ich in Ribe in Dänemark. Dort gibt es ein nachgebautes Wikiingerdorf in dem auch Menschen leben (allerdings nur beruflich) und dort das Leben der Wikinger nachvollziehen. Seit dem haben es mir diese Menschen irgendwie angetan. Und auch ihre Mythen. Die nordische Mythologie ist irgendwie entspannter als die römische oder griechische. Die Römer und Griechen waren Pedanten. Selbst mit ihren Göttern. Aber das ist nur mein persönlicher Eindruck. Nichts gegen Römer und Griechen.
:-)
Mit nordischer Mythologie kenne ich mich überhaupt gar nicht aus. Da muß ich auf ganzer Linie passen. :)




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Fr 21. Aug 2020, 07:03

Nauplios hat geschrieben :
Fr 21. Aug 2020, 02:54
Ein systematisches Philosophieren hat es mit "Gegenständen" [...] zu tun.
Nach meinem Verständnis hat auch ein historisches Philosophieren es mit Gegenständen (ohne ") zu tun. die Gegenstände des historischen Philosophierens sind z.b. die Antike, die Philosophie der Renaissance oder der deutsche Idealismus.

Ich würde es vereinfacht vielleicht so ausdrücken: wenn Kant und sein Werk Gegenstand der Philosophie ist, dann haben wir es mit historischer Philosophie zu tun. Wenn Kant hingegen ein Gesprächspartner ist, dann sind wir im systematischen Bereich.




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