Der Materialismus/Physikalismus

Aspekte metaphysischer Systementwürfe und der Ontologie als einer Grunddisziplin der theoretischen Philosophie können hier diskutiert werden.
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Quk
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Di 23. Jul 2024, 11:35

Der Himmel ist bedeckt.




Lucian Wing

Di 23. Jul 2024, 12:02

Quk hat geschrieben :
Di 23. Jul 2024, 11:35
Der Himmel ist bedeckt.
Deine Behauptung war, es ließe sich alles, was es gibt, in Verben ausdrücken. In deinem Satz gibt es nun Prädikat aus Hilfsverb und Vollverb, aber was ist nun mit dem Himmel, dessen Zustand hier ausgedrückt werden soll?

Ich halte deine Aussage unabhängig von Fragen des Ontologischen für falsch. Wir können mit wenigen Ausnahmen keine sinnvollen Sätze ohne Subjekte bilden. Auch in viel stärker verbalisierten Sprachen, etwa dem Englischen, ist das nicht möglich.




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Quk
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Di 23. Jul 2024, 12:15

"Ist" verstehe ich als Verb, als eine grammatische Variante von "sein".


Noch kürzer:

"Himmelbedeckung ist."

Damit ist alles gesagt. Was soll ich an dem Sein noch herumwurschteln, wo doch die Himmelbedeckung bereits die Himmelbedeckung ist?


Oder auch so als Schachtelbeispiel:

"Den Satz 'Himmelbedeckung ist' gibt es."

Damit ist alles gesagt. Was soll ich an dem "gibt-es" noch herumzupfen, wo doch der Satz bereits der Satz ist?




Lucian Wing

Di 23. Jul 2024, 12:22

Der „Himmel“ also das, was bedeckt ist, ist nach wie vor nicht verbalisiert. Im Gegenteil, du hast das Bedeckte und das Bedeckende zu einem zusammengesetzten Substantiv gemacht, also den zweiten Teil des zusammengesetzten Prädikats nominalisiert. Und dadurch eine völlige andere Aussage geschaffen.




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Jörn Budesheim
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Di 23. Jul 2024, 12:38

Quk hat geschrieben :
Di 23. Jul 2024, 10:38
Ontologie ist völlig überflüssig. [...] Alles was es gibt oder was zu bestimmten Zeiten existiert, kann mittels Verben beschrieben werden.
Satz 1 und Satz 2 bilden einen performativen Widerspruch in der Form, dass Satz 1 behauptet, Ontologie sei völlig überflüssig, während Satz 2 gleichzeitig eine bestimmte Ontologie vertritt.




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Quk
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Di 23. Jul 2024, 12:49

Lucian Wing hat geschrieben :
Di 23. Jul 2024, 12:22
Der „Himmel“ also das, was bedeckt ist, ist nach wie vor nicht verbalisiert.
So meinte ich das nicht. Ich wollte jetzt nicht die Himmelbedeckung verbalisieren. Denn sie ist in Deinem Originalsatz ein Zustand. Der Zustand an sich ist. Er ist. Das Sein ist die eine Information. Die zweite Information sagt, was ist. Bei jener gewählten Grammatikform steckt diese zweite Information im Hauptwort "Himmelbedeckung".

Auch Hauptwörter und Eigenschaftswörter können eine Sache beschreiben. Ich nannte jetzt speziell die Verben, weil "sein" ein Verb ist.

Wenn es um ein Tun geht, um Sein und nicht bloß Zustand, dann sagen auch solche Sätze bereits alles:

Regen war.
Regen ist.
Regen wird sein.
Es regnete.
Es regnet.
Es wird regnen.
Es war regnend.
Es ist regnend.
Es wird regnend sein.

Das Sein des Regens ist mit dem Hauptwort "Regen" oder mit dem Verb "regnen" oder mit dem Adjektiv "regnend" bereits beschrieben. Das vermeintlich "ontologische" liegt nicht im Regensein, sondern in der Regensache selbst, den Tropfen, dem Dampf, der Bläue und weiteren Sachen, die selbst wiederum "sind". Wenn Bläue ist, dann ist Bläue. Ontologisch gibt es da nichts zu vertiefen, meiner gegenwärtigen Ansicht nach. Man kann sich aber fragen, wo, wann, ob Bläue ist.




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Quk
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Di 23. Jul 2024, 13:00

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Di 23. Jul 2024, 12:38
Quk hat geschrieben :
Di 23. Jul 2024, 10:38
Ontologie ist völlig überflüssig. [...] Alles was es gibt oder was zu bestimmten Zeiten existiert, kann mittels Verben beschrieben werden.
Satz 1 und Satz 2 bilden einen performativen Widerspruch in der Form, dass Satz 1 behauptet, Ontologie sei völlig überflüssig, während Satz 2 gleichzeitig eine bestimmte Ontologie vertritt.
Die Ablehnung einer Lehre ist auch eine Lehre, ja. Aber das, was man ablehnt, muss man benennen, damit die Leserschaft weiß, was der Schreiber ablehnt. Meine Lehre ebenfalls als Ontologie zu bezeichnen ist so wenig notwendig, wie die Ablehnung jeglicher Religion als Religion zu bezeichnen.

Und wenn diese nebensächliche Haarspalterei zum Zwecke einer Paradoxie-Herstellung dennoch erwünscht sein sollte, so differenziere ich dieses Paradoxon eben wie folgt: Die traditionelle Ontologie lehne ich ab. Meine neue Ontologie schrumpft zu einer einzigen Eins. -- Ende.




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Jörn Budesheim
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Di 23. Jul 2024, 13:32

Zu sagen Ontologie ist überflüssig und zu sagen, traditionelle Ontologie lehne ich ab, sind zwei völlig verschiedene Dinge, finde ich.




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Quk
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Di 23. Jul 2024, 13:34

Ja, deshalb habe ich meinen Kommentar extra für Dich präzisiert. Bitte verwende meine präzisierte Version, denn sie ist etwas völlig anderes als meine erste Version.




Lucian Wing

Di 23. Jul 2024, 16:29

Quk hat geschrieben :
Di 23. Jul 2024, 12:49
Lucian Wing hat geschrieben :
Di 23. Jul 2024, 12:22
Der „Himmel“ also das, was bedeckt ist, ist nach wie vor nicht verbalisiert.
So meinte ich das nicht. Ich wollte jetzt nicht die Himmelbedeckung verbalisieren. Denn sie ist in Deinem Originalsatz ein Zustand. Der Zustand an sich ist. Er ist. Das Sein ist die eine Information. Die zweite Information sagt, was ist. Bei jener gewählten Grammatikform steckt diese zweite Information im Hauptwort "Himmelbedeckung".

Auch Hauptwörter und Eigenschaftswörter können eine Sache beschreiben. Ich nannte jetzt speziell die Verben, weil "sein" ein Verb ist.

Wenn es um ein Tun geht, um Sein und nicht bloß Zustand, dann sagen auch solche Sätze bereits alles:

Regen war.
Regen ist.
Regen wird sein.
Es regnete.
Es regnet.
Es wird regnen.
Es war regnend.
Es ist regnend.
Es wird regnend sein.

Das Sein des Regens ist mit dem Hauptwort "Regen" oder mit dem Verb "regnen" oder mit dem Adjektiv "regnend" bereits beschrieben. Das vermeintlich "ontologische" liegt nicht im Regensein, sondern in der Regensache selbst, den Tropfen, dem Dampf, der Bläue und weiteren Sachen, die selbst wiederum "sind". Wenn Bläue ist, dann ist Bläue. Ontologisch gibt es da nichts zu vertiefen, meiner gegenwärtigen Ansicht nach. Man kann sich aber fragen, wo, wann, ob Bläue ist.
Abgesehen davon, dass Regen/regnen kein glückliches Beispiel ist, kann man deine ersten drei Sätze mit viel grammatikalischer Nachsicht als Existenzaussage über Regen durchlassen, aber keinesfalls als Zustands- oder Vorgangsaussage. Kein Mensch redet oder schreibt so. Ebensowenig Sinn transportieren die letzten drei Sätze, die wie Übersetzungen der frühen Übersetzungsprogramme oder eines Fünftklässlers klingen.

Regen beschreibt übrigens in meinem Verständnis einen Vorgang, ein Ereignis, kein Ding.




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Quk
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Di 23. Jul 2024, 17:26

Es geht nicht um Stilfragen. Das sind Beispiele dafür, dass Haupt-, Tun- und Eigenschaftswörter beschreibend genug sind und eine darüber hinaus tiefergehende Ontologie überflüssig und gar unmöglich ist.




Lucian Wing

Di 23. Jul 2024, 18:06

Quk hat geschrieben :
Di 23. Jul 2024, 17:26
Es geht nicht um Stilfragen. Das sind Beispiele dafür, dass Haupt-, Tun- und Eigenschaftswörter beschreibend genug sind und eine darüber hinaus tiefergehende Ontologie überflüssig und gar unmöglich ist.
Das sind keine Stilfragen, weil Wörtern nicht willkürlich Bedeutungen angehängt werden können. Und Wörter sind nicht die Sache selbst, sondern nur das Werkzeug zur Beschreibung von Sachverhalten und zur Verständigung über das, was ist.




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Jörn Budesheim
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Di 23. Jul 2024, 18:16

Quk hat geschrieben :
Di 23. Jul 2024, 17:26
... tiefergehende Ontologie...
Ich denke, der Begriff Ontologie hat eine Reihe von Bedeutungen, hier sind zwei, die mir zentral erscheinen: erstens steht die Frage im Zentrum, was "existieren" heißt. Zweitens stellt sich damit die Frage, was existiert.

Vor diesem Grund zwei Fragen: was verstehst du unter Ontologie? Und vor allem, was ist eine "tiefergehende Ontologie"?




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Quk
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Di 23. Jul 2024, 18:27

Lucian Wing hat geschrieben :
Di 23. Jul 2024, 18:06
Und Wörter sind nicht die Sache selbst, sondern nur das Werkzeug zur Beschreibung von Sachverhalten und zur Verständigung über das, was ist.
Ja, genau.

Und ich denke, dass Beschreibungen in weitere Einzelbeschreibungen aufgelöst werden können, immer feiner, bis zu einer kleinsten Auflösung, dem bloßen Sein, welches an sich nicht mehr weiter beschreibbar ist. Hier endet die beschreibende Auflösung, und hier will die traditionelle Ontologie ansetzen und weiterspinnen, was ich für einen sinnlosen Hampeltanz halte.

Was Regen ist, lässt sich mit weiteren Wörtern immer feiner erklären. Im Allerfeinsten sehen wir schließlich eine Vielzahl purer Quantitäten und Qualitäten. Diese sind nicht mehr weiter beschreibbar.

Diese sind.

Was sie sind, beschreiben die vorigen, allerfeinsten Wörter, die zwischen den Seins-Wörtern stehen.




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Quk
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Di 23. Jul 2024, 18:42

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Di 23. Jul 2024, 18:16
Ich denke, der Begriff Ontologie hat eine Reihe von Bedeutungen, hier sind zwei, die mir zentral erscheinen: erstens steht die Frage im Zentrum, was "existieren" heißt. Zweitens stellt sich damit die Frage, was existiert.
Es existiert ein Regenschauer über Ulm.

Diesen Satz kann man in Meldungssprache übersetzen: "Regenschauer über Ulm!"

Jeder versteht das. Ohne "ist" oder "existiert" oder "es gibt" etc.

Der Begriff "existiert" hat hier bestenfalls die Funktion der Zeitzuweisung -- Vergangenheit, Gegenwart etc. --, aber die jetzige Quantität und Qualität des Sachverhalts ist in dem Satz "Regenschauer über Ulm" bereits enthalten. Da gibt es nichts weiter zu ontologisieren, meine ich. -- Weiteres Beispiel: Wenn der Sachverhalt nicht real ist, sondern gemalt, dann reicht folgender Satz: "Regenschauer über Ulm gemalt" oder "Gemälde eines Regenschauers über Ulm".

Oder weitergehend: "Im Museum hängt ein Gemälde eines Regenschauers über Ulm." Was ist da? Ein Museum. Museumssein. Gemäldesein. Hängendsein. Und so weiter. Diese Wörter beschreiben ihr Sein bereits. Da brauchts keine weitere Ontologie.




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Di 23. Jul 2024, 19:05

Quk hat geschrieben :
Di 23. Jul 2024, 18:42
"Im Museum hängt ein Gemälde eines Regenschauers über Ulm." Was ist da? Ein Museum. Museumssein. Gemäldesein. Hängendsein. Und so weiter. Diese Wörter beschreiben ihr Sein bereits. Da brauchts keine weitere Ontologie.
Du fragst "Was ist da?" Und antwortest: "Ein Museum." Damit betreibst du Ontologie. Dann aber sagst du: "Da brauchts keine weitere Ontologie." Das kriege ich nicht zusammen.




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Quk
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Di 23. Jul 2024, 19:11

Museum ist nicht Ontologie. Museum ist Architektur. Museum ist Licht. Museum ist Treffpunkt. Museum ist Staunen. Museum ist Langweile. ...




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Di 23. Jul 2024, 19:28

Ein Museum ist keine Ontologie. Aber zuvor hast du Ontologie betrieben: Du fragst "Was ist da?" Das ist die ontologische Frage. Und du antwortest: "Ein Museum." Damit betreibst du Ontologie. Viele Leute würden zum Beispiel bestreiten, dass es Museen gibt, weil sie der Ansicht sind, dass es nur die zugrundlegenden elementaren Bausteine gibt. Indem du jedoch dem Museum eine Existenz zubilligst, hast du eine bestimmte ontologische Position eingenommen.

Gleichzeitig möchtest du keine weitere Ontologie betreiben, ich verstehe nicht, was das bedeuten soll?




Lucian Wing

Di 23. Jul 2024, 19:36

Quk hat geschrieben :
Di 23. Jul 2024, 18:42
Jörn Budesheim hat geschrieben :
Di 23. Jul 2024, 18:16
Ich denke, der Begriff Ontologie hat eine Reihe von Bedeutungen, hier sind zwei, die mir zentral erscheinen: erstens steht die Frage im Zentrum, was "existieren" heißt. Zweitens stellt sich damit die Frage, was existiert.
Es existiert ein Regenschauer über Ulm.

So spricht kein Mensch und so denkt kein Mensch. Es geht ein Regenschauer über Ulm nieder. Schon „Es gibt einen Regenschauer über Ulm“ ist nur schwer verdaulich und vielleicht im Kontext einer bestimmten Sprechsituation noch denkbar.




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Quk
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Di 23. Jul 2024, 19:39

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Di 23. Jul 2024, 19:28
Indem du jedoch dem Museum eine Existenz zubilligst, hast du eine bestimmte ontologische Position eingenommen.
Ich billige dem Museum nicht im ontologischen Sinn eine Existenz zu, sondern eine Architektur, ein Licht, ein Staunen, eine Langeweile ...

Die zuständigen Schulfächer für diese Qualitäten sind nicht die Ontologie, sondern: Architektur, Elektrotechnik, Fotografie, Malerei, Psychologie, Verwaltungswissenschaft ...
Zuletzt geändert von Quk am Di 23. Jul 2024, 19:41, insgesamt 1-mal geändert.




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