Fragen zur Sinnfeld-Ontolgie

Aspekte metaphysischer Systementwürfe und der Ontologie als einer Grunddisziplin der theoretischen Philosophie können hier diskutiert werden.
Benutzeravatar
Jörn Budesheim
Beiträge: 23267
Registriert: Mi 19. Jul 2017, 09:24
Wohnort: Kassel
Kontaktdaten:

Di 13. Apr 2021, 20:03

MATTHIAS ECKOLDT

... Der Neue Realismus als solcher ist jedoch beileibe nicht auf Deutschland beschränkt. Können Sie beschreiben, wer noch dazugehört?

MARKUS GABRIEL​

Einige Protagonisten, die mit dem Neuen Realismus assoziiert sind, wären: Quentin Meillassoux und Jocelyn Benoist in Frankreich oder Maurizio Ferraris als Galionsfigur in Italien, Mauricio Beuchot in Mexiko, Paul Boghossian und John Searle und Thomas Nagel in den USA. Das sind gewissermaßen die sichtbarsten Philosophen weltweit, die auch Bücher zum Thema »Neuer Realismus« vorgelegt bzw. wesentliche Beiträge zu seiner Gründung geliefert haben.

MATTHIAS ECKOLDT

​Gibt es auch kollegiale Zusammenkünfte und Konferenzen, oder geht es da eher um Vieraugengespräche?

MARKUS GABRIEL​

Es gab sehr viele Tagungen zum Thema »Neuer Realismus« in den letzten fünf Jahren. Maurizio Ferraris hat da alles gesammelt, was ihm international aufgefallen ist. Da sind ein paar Tausend Einträge zustande gekommen. Eine Institution, die es jetzt seit einem Jahr gibt, wurde jüngst vom französischem CNRS (Centre National de la Recherche Scientifique), die unserer Max-Planck-Gesellschaft entspricht, gegründet. Die finanzieren ein Bonn-Pariser Forschungszentrum mit dem Titel »Forschungszentrum über die neuen Realismen (CRNR = Centre de Recherches sur les Nouveaux Réalismes)«. Es geht da um viele Spielarten neuer Realismen, die es heute gibt. In Frankreich hat etwa Tristan Garcia auch sein eigenes Programm. Dieses binationale Forschungszentrum veranstaltet drei bis vier Workshops im Jahr. Auch sonst gibt es »realistische« und »neorealistische« Zusammenkünfte verschiedenster Art. Zum Beispiel fand gerade 2018 auch eine Tagung in München statt, die Julian Nida-Rümelin ausgerichtet hat. Nida-Rümelin will ja auch schon lange Realist sein und hat jüngst ein Buch vorgelegt mit dem Titel Unaufgeregter Realismus, wo er den Neuen Realismus meines Erachtens zu kostengünstig – nämlich einfach umsonst – haben will. Er möchte gerne Neuen Realismus ohne philosophische, ontologische Theorie. Damit wird er nicht durchkommen.

MATTHIAS ECKOLDT​

Das wäre ja der ganz alte Realismus.

MARKUS GABRIEL​

Genau, er möchte den uralten Realismus haben und in den moralischen Bereich ausweisen, und es gibt manche alten Realisten, die sich der Bewegung anschließen und ihr Altertum einschmuggeln wollen. Aber es gab dann auch zwei oder drei Tagungen über den Neuen Realismus in München, wo auch Kritiker dabei waren. Anton Friedrich Koch aus Heidelberg würde ich auch noch unbedingt erwähnen, der seine eigene Version unter dem Titel des hermeneutischen Realismus vorgestellt hat, was er in einem Buch mit ebendiesem Titel, d. h. Hermeneutischer Realismus, auf höchstem philosophischen Niveau ausführt. Koch vertritt einen subtilen Perspektivenrealismus, der einräumt, dass es die Welt nicht gibt, und dann eine sehr interessante Theorie der Einbildungskraft vorlegt.
Ich bringe dieses längere Zitat aus dem Interview um einen weiteren Antwortversuch auf die Frage des Zuhörers nach dem Nutzen der Theorie zu geben. Markus Gabriel erwähnt oben den Philosophen Julian Nida-Rümelin, der selbst auch ein Realist ist. Polemisch macht er geltend, dass Julian Nida-Rümelin seinen Realismus, wie er sagt, umsonst haben will. Und genau das ist meines Erachtens der Sinn der SFO. Sie ist gewissermaßen das, womit Gabriel seinen Realismus "zahlt", wenn man so will: die Grundlage für die verschiedenen Formen von Realismus, die er vertritt, vom moralischen Realismus über den fiktionalen Realismus, den Realismus in der Kunst etc.pp ...




Benutzeravatar
infinitum
Beiträge: 199
Registriert: Mi 12. Aug 2020, 07:10
Kontaktdaten:

So 18. Apr 2021, 12:51

Alethos hat geschrieben :
Mo 12. Apr 2021, 23:39
transfinitum hat geschrieben :
Mo 12. Apr 2021, 20:27
Alethos hat geschrieben : Sinnfelder können autonom bleiben, weshalb kein Regress notwendig ist, um sich vorzustellen, dass Dinge existieren in indefinit vielfältiger Art und Weise.
Ja, autonom schon, aber dabei gibt es noch ein Problem, das dem Henne-Ei-Problem ähnelt. Am Anfang bzw. gibt es ein Sinnfeld, welches nicht in einem anderem Sinnfeld erscheint. Daher kann es zumindest eines nicht geben, da es nicht in einem Sinnfeld erscheint.


Das tönt sehr kompliziert, weil es auch einen scheinbar logischen Widerspruch zu lösen gibt, aber es ist vielleicht einfacher so zu verstehen: Der Gegenstand, der nicht in einem grösseren Sinnfeld erscheint, dessen Gegenstandsbereich fällt mit dem Sinnfeld, in welchem dieser erscheint, ineins. Wo der Gegenstandsbereich eines Dings (hier z.B.: Universum) mit dem Sinnfeld zusammenfällt, durch welchen er erscheint, existiert der Gegenstand durch sich selbst. Am Anfang aller Sinnfelder stehen - besser gesagt - zugleich mit ihnen entstehen die Dinge selbst als dasjenige, was (qua Relationalität) die Sinnfeld-Ordnungen schafft. Am Anfang steht Existenz schlechthin oder aber: die Erscheinung überhaupt, d.h. die Erscheinung der Erscheinung in sich.

Es braucht kein noch grösseres Sinnfeld, sondern nur Sinnfelder schlechthin, um sich vorzustellen, dass Dinge in ihnen existieren und sie, die Sinnfelder, durch diese Dinge. Das meinte ich mit Autonomie der Sinnfelder.

Zu glauben, dass es allgemeinste (plural!) Sinnfelder gibt, steht nach meinem Dafürhalten in keinem Widerspruch zur SFO, sondern ist Ausdruck eben des ontologischen Anspruchs der Theorie, das allgemeinste Wesen der Dinge, d.h. das Existenzkriterium in der allgemeinsten Form zu erfassen.
danke für die ausführliche Erklärung. Ich glaube zu verstehen, worauf du hinauswillst und wo mein Denkfehler lag. Ich nahm an, dass die Sinnfelder lose gekoppelt seien, also dass Sinnfelder unabhängig auch von Gegenständen existieren können. Durch diese Korrelation Gegenstand und Sinnfeld löst sich das Henne-Ei-Problem eigentlich auf.
In einigen Ausführungen von Gabriel las ich, dass etwas nur existieren kann, wenn es in einem Sinnfeld erscheint und dies wiederum gilt auch für Sinnfelder, daher hatte ich diese Verschachtelungs-Problematik im Kopf.



summonsound.wordpress.com
https://t.me/franzphilo

Benutzeravatar
infinitum
Beiträge: 199
Registriert: Mi 12. Aug 2020, 07:10
Kontaktdaten:

So 18. Apr 2021, 13:12

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Di 13. Apr 2021, 09:06
transfinitum hat geschrieben :
Mo 12. Apr 2021, 20:27
Am Anfang bzw. gibt es ein Sinnfeld, welches nicht in einem anderem Sinnfeld erscheint. Daher kann es zumindest eines nicht geben, da es nicht in einem Sinnfeld erscheint.
Sinnfelder sind nicht generell etwas raumzeitliches. Die natürlichen Zahlen bilden ein Sinnfeld, haben aber keine raumzeitliche Ausdehnung, daher macht es hier auch keinen Sinn von einem Anfang zu sprechen. Ich vermute, dass du vom Urknall sprichst? Inwiefern der Urknall einen Anfang in deinem Sinne ist, weiß ich nicht. Erstens, weil ich keine Vorstellung hab, wie du dir das vorstellst und zweitens, weil ich auch kein astrophysikalisches Wissen hab. Wir hatten hier im Forum mal vor längerer Zeit ein BBC-Video besprochen, in dem verschiedene Sichtweisen renommierter Forscher vorgestellt wurden. Nach meiner vagen Vorstellung ist der Urknall demnach nicht aus dem Nichts entstanden, sondern aus dem physikalischen Vakuum, was nicht Nichts ist, sondern völlige Symmetrie. (Denn: von Nichts kommt nichts.) Ein Forscher hat das mit einem anschaulichen Bild erklärt: Die absolute Symmetrie stelle man sich vor wie einen perfekten Kreisel, den Urknall wie eine plötzliche heftige Unwucht des Kreisels, der aus einer winzigen Fluktuation einer Abweichung der Symmetrie entstand. Von anderen Forschern in dem Film wurde die Idee vertreten, dass das unser Universum in der Reihe vieler Universen steht. Oder: die Idee der Multiversen - von der ich auch nicht viel weiß. Die diversen Vorstellungen der Forscher führen dann zu ganz verschiedenen Antworten, ob es einen Anfang gab und wenn ja, wie er aussah ... und unterschiedlichen Vorstellungen, wie hier das Verhältnis von Bereich und Gegenstand zu sehen ist.
auch hierfür danke! Sinnfelder hatte ich mir tatsächlich gar nicht raumzeitlich vorgestellt, denn bereits der Name "Sinn"-feld verknüpft sich in meinem Gehirn mit dem Empfinden von Sinnen, also etwas, das nicht primär raumzeitlich existieren kann, sondern nur in Kombination damit.
Aus meinem originären Verständnis dieser Sinnfelder, bevor ich Gabriels "offizielle" Erläuterungen dazu las, empfand ich diese als Ansammlungen von Eigenschaften, die in Bezug zu einem Gegenstand stehen, die den Sinn dieses Gegenstandes auf multiplen Ebenen erzeugt.
Bezüglich Urknall: ich merke, worauf du hinaus willst: dass Sinnfelder ein dynamischer Prozess sind, die kein Anfang und kein Ende haben, oder?

auch wenn das nun OT ist: den Urknall sehe ich nicht als Anfang der Existenz, sondern nur als einen Startpunkt einer "umgekehrten" Evolution des Universums. Diese Ansicht stützt sich teilweise auf die Ideen Hawkings (Im Sinne negativer Zeit) und ich weiss nicht, ob es diese Theorie so offiziell irgendwo gibt.
Also ich würde es mit dieser Grafik kurz demonstrieren, wie ich dies meine:
urknall.png
urknall.png (338.31 KiB) 7866 mal betrachtet
Also vor dem Urknall läuft alles in umgekehrter Reihenfolge ab und alle Parameter sind quasi "invertiert". Im Gesamt-Bild ergibt dies auch eine Punkt-Symmetrie im Ursprung bezüglich des Ablaufs/ der Entwicklung
(OT Ende :P ).



summonsound.wordpress.com
https://t.me/franzphilo

Benutzeravatar
NaWennDuMeinst
Beiträge: 4640
Registriert: Sa 30. Mai 2020, 12:37

So 18. Apr 2021, 14:39

Es wurde schon viel darüber spekuliert, was eigentlich mit der Materie (und Energie) passiert, die in unserem Universum von schwarzen Löchern verschlungen wird.
Eine These besagt, dass die schwarzen Löcher sowas wie Pforten sind. Das heißt die Materie wird aufgesaugt und auf der "anderen Seite" wieder "ausgespuckt" (das Pendant auf der anderen Seite nennt man weiße Löcher).
Wenn man dem folgt wäre es denkbar, dass der Urknall (also jene Singularität aus der das für uns sichtbare Universum entstanden ist) eben nichts anderes als so ein weißes Loch ist.
Das impliziert natürlich, dass das was wir für das Universum halten, eigentlich nur ein Teil davon ist. Und es wäre dann auch nicht der Anfang von allem. Sondern nur der Anfang des Teils den wir kennen (in dem wir leben).


https://de.wikipedia.org/wiki/Wei%C3%9Fes_Loch



But I, being poor, have only my dreams; I have spread my dreams under your feet;
Tread softly because you tread on my dreams.
(William Butler Yeats)

Benutzeravatar
Jörn Budesheim
Beiträge: 23267
Registriert: Mi 19. Jul 2017, 09:24
Wohnort: Kassel
Kontaktdaten:

So 18. Apr 2021, 16:07

transfinitum hat geschrieben :
So 18. Apr 2021, 13:12
Bezüglich Urknall: ich merke, worauf du hinaus willst: dass Sinnfelder ein dynamischer Prozess sind, die kein Anfang und kein Ende haben, oder?
Ich wollte im Grunde darauf hinaus, dass die Frage nach speziellen sind Sinnfeldern diesen oder jenen, oft auch empirische Fragen sind, die von den entsprechenden Disziplinen erforscht werden und wir natürlich nicht überall bereits eine Antwort haben. Das steht auch nicht zu erwarten, schätze ich :) not in my lifetime.




Groot
Beiträge: 229
Registriert: Di 6. Apr 2021, 17:10

Do 22. Apr 2021, 15:38

iselilja hat geschrieben :
So 11. Apr 2021, 07:15
NaWennDuMeinst hat geschrieben :
So 11. Apr 2021, 00:17

Und die Krönung ist, dass er gleichzeitig behauptet, dass es die Welt (die er ordnet) gar nicht gäbe.
Das muss man erstmal hinbekommen.
Ja. Aufmerksame Leser Gabriels wissen aber, dass er garnicht einen logischen Beweis geliefert hat, dass es die Welt nicht gibt. Sondern er beruft sich auf eine math. Antinomie, die sagt dass es keine Menge aller Mengen gibt, die sich selbst enthält- :-) Das ist also rein math. Argumentation. Diese Menge aller Mengen bezeichnet er als Welt. Das ist also philosophisch betrachtet eher zum schmunzeln. Wird aber - warum auch immer - von manchen als Ontologie verstanden.


Er erklärt es dann (grob skizziert) so, dass mit jeder Aussage über die Welt, die Welt sich selbst nochmal enthielte, was seiner Auffassung nach zu einem endlosen Regress führt. Tatsache ist aber, dass es diesen endlosen Regress nicht gibt, sondern es kann maximal der veruch unternommen werden, in einer Welt so einen Regress zu wagen, sofern sich ein Protagonist findet. Der angeblich unendliche Regress endet jedoch spätestens mit dem Ableben des Protagonisten. Man sieht also, dass das der Welt nicht zum math. Kollaps verhilft. Das wäre etwa auch so sinnvoll wie zu behaupten, dass es die Physik nicht geben kann, weil es Physiker gibt, die über Physik sprechen und dieses Wissen dann in die Physik einfließen lassen. Es bleibt dadurch immer noch Physik.

Es ist eben so, dass in der Realität nicht der Mensch die Regeln der Welt definiert.. er kann sie höchstens erkennen aber nicht schaffen oder vernichten. Mit diesen Regeln der Welt sind m.V.n. aber nicht nur Naturgesetze gemeint, sondern auch bspw. sowas wie die goldene Regel (oder ganz allgemein VolksWeisheiten und dergleichen) - also sozial-behaviosristische Aussagen, die sich immer wieder bewahrheiten auch wenn man glaubt sie ändern zu können.
Der Punkt, weshalb hier die Mathematik und die Summe bemüht wird, scheint mir darin zu liegen, dass die Mathematik eine Disziplin ist, in der die eineindeutigkeit dadurch gesichert ist, dass es nur und ausschließlich Symbole gibt. Diese aber wiederum sind ontologisch dadurch bestimmt, dass sie auf etwas verweisen, das so, wie es im Symbol sich ausdrückt, auch zuhanden ist als "echt".

Wenn man nun die Welt als Summe ihrer Gegenstände wählt, dann ist das durchaus logisch, dass es dann Welt nicht geben kann.
Der Punkt hierbei ist, dass die Symbole ontologisch recht relevant sind, weil darin die Regeln der Grammatik, wie auch die Regeln der Sozietät identisch werden. Dies führt dazu, dass die Menge eine "echte" Sache ist, die vollständig und ausschließlich binär ist...und binär, darin verstand sich die Seele bzw. das Selbst.




Benutzeravatar
Jörn Budesheim
Beiträge: 23267
Registriert: Mi 19. Jul 2017, 09:24
Wohnort: Kassel
Kontaktdaten:

Do 22. Apr 2021, 19:29

Markus Gabriel, Sinn und Existenz hat geschrieben : Um vorab einigen Missverständnissen vozubeugen, die sich im Laufe der Debatte früherer Publikationen der Grundideen des vorliegenden Buchs ergeben haben, ist es wohl sinnvoll, eine Art Hauptargument für die These, dass es die Welt nicht gibt, aufzustellen.

Äußerst schematisch sieht das Hauptargument für die Keine-Welt-Anschauung folgendermaßen aus:

(1) Zu existieren heißt, in einem Sinnfeld zu erscheinen.
(2) Wenn die Welt existiert, erscheint sie in einem Sinnfeld.
(3) Es gibt mehrere Sinnfelder (ontologischer Pluralismus).
(4) Es gibt keine Gegenstände außerhalb der Welt (die Welt ist allumfassend).
(5) Was in einem Sinnfeld erscheint, ist ein Gegenstand.
(6) Gegenstände sind immer so-und-so (ontologischer Deskriptivismus).
(7) Gegenstände überhaupt sind Gegenstände, die nicht unter einer bestimmten Beschreibung existieren.
(8) Es gibt keine Gegenstände überhaupt. Gegenstände existieren nur in Sinnfeldern.
(9) Die Welt kann nicht das Sinnfeld der Gegenstände überhaupt sein, da diese dann entgegen ihrer Definition unter der Beschreibung existierten, die das relevante Weltsinnfeld individuiert.
(10) Also könnte sie nur ein Sinnfeld von Sinnfeldern sein. Da sie nach (4) allumfassend sein soll, muss sie das Sinnfeld aller Sinnfelder sein.
(11) Wenn die Welt existiert, gibt es ein Sinnfeld, in dem die Welt erscheint. Damit gäbe es aber eine Beschreibung, unter der alles existiert, was es gibt, auch die Welt selber.
(12) Eine solche Beschreibung gibt es nicht.

>Die Welt existiert nicht.




Benutzeravatar
Jörn Budesheim
Beiträge: 23267
Registriert: Mi 19. Jul 2017, 09:24
Wohnort: Kassel
Kontaktdaten:

Fr 23. Apr 2021, 06:59

Groot hat geschrieben :
Do 22. Apr 2021, 15:38
[die Mathematik ist eine Disziplin], in der die eineindeutigkeit dadurch gesichert ist, dass es nur und ausschließlich Symbole gibt
Ich habe nicht viel Ahnung von Mathematik, da habe ich immer gefehlt. Daher habe ich gestern mal etwas dazu gegoogelt, aber leider nicht viel gefunden, außer dass es uneindeutige, eindeutige und eineindeutige Funktionen gibt. Aber darauf wolltest du vermutlich nicht hinaus, oder?




Groot
Beiträge: 229
Registriert: Di 6. Apr 2021, 17:10

Fr 23. Apr 2021, 20:27

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Fr 23. Apr 2021, 06:59
Groot hat geschrieben :
Do 22. Apr 2021, 15:38
[die Mathematik ist eine Disziplin], in der die eineindeutigkeit dadurch gesichert ist, dass es nur und ausschließlich Symbole gibt
Ich habe nicht viel Ahnung von Mathematik, da habe ich immer gefehlt. Daher habe ich gestern mal etwas dazu gegoogelt, aber leider nicht viel gefunden, außer dass es uneindeutige, eindeutige und eineindeutige Funktionen gibt. Aber darauf wolltest du vermutlich nicht hinaus, oder?
Ich verwende den Begriff so, dass er anzeigt, dass es keinen Spielraum der Interpretation gibt. Während bspw. die Eindeutigkeit der Logik noch immer nicht-Logische Alternativen ermöglicht, ist es bei Eineindeutigkeit so, dass es absolut garnicht anders denkbar wäre einen bestimmten Gegenstand oder eine Zielfunktion zu erreichen.

Und genau diese Freiheit von Interpretationsbedürftigkeit, die der Mathematik eigen ist, entsteht, weil diese alles symbolisch nimmt und jedes "natürliche Wort" aus sich raus hält, indem diese eben durch Symbole substituiert werden, die dann keinen Interpretationsspielraum zulassen.




Groot
Beiträge: 229
Registriert: Di 6. Apr 2021, 17:10

Di 27. Apr 2021, 23:33

iselilja hat geschrieben :
So 11. Apr 2021, 07:15
NaWennDuMeinst hat geschrieben :
So 11. Apr 2021, 00:17

Und die Krönung ist, dass er gleichzeitig behauptet, dass es die Welt (die er ordnet) gar nicht gäbe.
Das muss man erstmal hinbekommen.
Ja. Aufmerksame Leser Gabriels wissen aber, dass er garnicht einen logischen Beweis geliefert hat, dass es die Welt nicht gibt. Sondern er beruft sich auf eine math. Antinomie, die sagt dass es keine Menge aller Mengen gibt, die sich selbst enthält- :-) Das ist also rein math. Argumentation. Diese Menge aller Mengen bezeichnet er als Welt. Das ist also philosophisch betrachtet eher zum schmunzeln. Wird aber - warum auch immer - von manchen als Ontologie verstanden.


Er erklärt es dann (grob skizziert) so, dass mit jeder Aussage über die Welt, die Welt sich selbst nochmal enthielte, was seiner Auffassung nach zu einem endlosen Regress führt. Tatsache ist aber, dass es diesen endlosen Regress nicht gibt, sondern es kann maximal der veruch unternommen werden, in einer Welt so einen Regress zu wagen, sofern sich ein Protagonist findet. Der angeblich unendliche Regress endet jedoch spätestens mit dem Ableben des Protagonisten. Man sieht also, dass das der Welt nicht zum math. Kollaps verhilft. Das wäre etwa auch so sinnvoll wie zu behaupten, dass es die Physik nicht geben kann, weil es Physiker gibt, die über Physik sprechen und dieses Wissen dann in die Physik einfließen lassen. Es bleibt dadurch immer noch Physik.

Es ist eben so, dass in der Realität nicht der Mensch die Regeln der Welt definiert.. er kann sie höchstens erkennen aber nicht schaffen oder vernichten. Mit diesen Regeln der Welt sind m.V.n. aber nicht nur Naturgesetze gemeint, sondern auch bspw. sowas wie die goldene Regel (oder ganz allgemein VolksWeisheiten und dergleichen) - also sozial-behaviosristische Aussagen, die sich immer wieder bewahrheiten auch wenn man glaubt sie ändern zu können.
Der Punkt ist doch, dass die Mengenlehre nicht notwendig nur mathematisch ist. Man kann diese auch von der semiotischen Seite her verstehen (Noam Chomsky oder Saussure)




Groot
Beiträge: 229
Registriert: Di 6. Apr 2021, 17:10

Di 27. Apr 2021, 23:58

Die Mengenlehre ist das, worin sich der Modus findet. Also eine Größe der Aktivität. Die Modallogik verweist dann, mittel der Menge, auf die Gegenwart. Diese ist dann, wie du sicher zurecht kritisieren würdest, natürlich nicht "alles", aber wohl die Größe, auf die Markus Gabriel abzielt. Nämlich eine digitale Sphäre.

Die Modallogik, in der die Algebra als lineal begründet wird. In der die Prädikatenlogik 1. Ordnung gilt, ist dann vorgestellt als Menge. Der Grund hierfür liegt darin, dass die Philosophie des 19. Jhd. dabei war, sich ins naturwissenschaftliche Dogma hineinzuarbeiten, woraus sich die Philosophie im 20. Jhd wieder herausziehen musste, indem sie die Geisteswissenschaften hermeneutisch begründeten - und die Wissenschaft positiv gesetzt wurde als Phänomenologie.

Der Clue an der Sache ist, dass Gabriel nicht hinreichend genau unterscheidet zwischen kommunikativen und informatischen Sätzen. Ob also etwas digital kommuniziert ist oder nur digital informiert, ist bei Gabriel schwer differenzierbar.

Aber deshalb werden m.e. seine Sinnfelder nicht weniger real. Es ist nur eben schlicht nicht alles sinnhaft, sondern manches kann durchaus sinnfrei oder gar sinnbefreit sein. Ginge man dann weiter, würde es dada...und da will wohl niemand hin. (Dadaismus = Die Lobpreisung des Chaos, Popart als Absurdität Archetypisch "wir feiern uns Seyn" [Seyn hier abwertend zu verstehen, weil es nur ums Dasein geht, welches als "zu-sein" zu einem "sein" sich - entgegen der minima Moralia - geriert. Statt das "Sein" wird "da sein" zum "Sein {in allen Lebenslagen}" verklärt. ])

Aber Sinnfelder sind nicht nur logisch, sondern sie erscheinen geradezu nützlich für die Analyse von sozialen Systemen. Denn soziale Systeme zeigen sich als Sinnsysteme. Denn das Nicht-Sinn, der steckt immer im Privatier, im privaten und der eigenen Vorstellungswelt. Die Öffentlichkeit ist sinnhaft, sei es digitale Kommunikation, analoge Kommunikation oder auch analoge und alltägliche informatische Kommunikation sowie Erfahrung.

Jede Vorstellung, auf welche auch immer man zielt, ist durch Sinnfelder abgedeckt, sofern es um öffentliche Belange geht. Erst in den privaten Sphären spielt sich der nicht-Sinn ab - und über diese uns auszuschweigen, dazu rät ja Wittgenstein, weshalb sie m.e. auch nicht in der existentialen Logik, sondern in Existenz selbst, also existentiell und ohne miteinhergehende, korrelierende Vorstellung.

Darum kann Gabriel die Existenz behaupten. Weil er sozialen Systemen Existenz zusprechen muss, ganz einfach, weil diese in der Historie Realität hatten oder sogar noch Bestand haben.




Groot
Beiträge: 229
Registriert: Di 6. Apr 2021, 17:10

Mi 28. Apr 2021, 00:00

auch wenn das nun OT ist: den Urknall sehe ich nicht als Anfang der Existenz, sondern nur als einen Startpunkt einer "umgekehrten" Evolution des Universums. Diese Ansicht stützt sich teilweise auf die Ideen Hawkings (Im Sinne negativer Zeit) und ich weiss nicht, ob es diese Theorie so offiziell irgendwo gibt.
Also ich würde es mit dieser Grafik kurz demonstrieren, wie ich dies meine:
weshalb muss denn hier so dringend Punktgespiegelt werden?




Benutzeravatar
Jörn Budesheim
Beiträge: 23267
Registriert: Mi 19. Jul 2017, 09:24
Wohnort: Kassel
Kontaktdaten:

Mi 28. Apr 2021, 15:54

Vielleicht noch mal einige Zitate, wie Gabriel den Begriff Sinn verwendet.

(Wichtig: Viele Sinnfelder sind - wie sich Gabriel ausdrückt - "maximal modal robust". Das heißt: Es hätte sie auch dann gegeben, wenn es uns nie gegeben hätte. Sinne und Sinnfelder sind in Gabriels Augen keineswegs generell von uns abhängig oder Konstruktionen.)
Markus Gabriel, Sinn und Existenz hat geschrieben : Was einen Bereich im Unterschied zu anderen Bereichen individuiert, sind die Anordnungsregeln, denen Gegenstände unterstehen, sofern sie ihm angehören. Ich nenne die Anordnungsregeln »Sinn« und die Relation, die zwischen einem Bereich und den in ihm vorkommenden Gegenständen besteht, »Erscheinung«. Gegenstände erscheinen in Sinnfeldern, das heißt in Bereichen, die durch verschiedene Sinne gegeneinander bestimmt sind.
Markus Gabriel hat geschrieben : "Zu erscheinen bedeutet hierbei nicht im Allgemeinen, Gegenstand eines Subjekts (Objekt) zu sein. Der Ausdruck »Erscheinung« benennt vielmehr die Relation zwischen einem Sinnfeld und seinen Gegenständen, die darin besteht, dass diese in jenem wirklich sind. Erscheinung ist eine Einrichtungsfunktion, d. ‌h. die Zuordnung von Gegenständen zu Feldern. Diese Funktion kann so handgreiflich sein wie die Kräfte, die das Universum zusammenhalten, oder so diskursiv verhandelbar wie die Mitgliedschaft in einem Fitnessstudio."
Markus Gabriel, Warum es die Welt nicht gibt hat geschrieben : Sinnfeld: Eine Anordnung von Gegenständen, in der diese auf eine bestimmte Weise zusammenhängen. Die Art und Weise des Zusammenhangs von Gegenständen nenne ich einen Sinn.




Groot
Beiträge: 229
Registriert: Di 6. Apr 2021, 17:10

Mi 28. Apr 2021, 22:43

(Wichtig: Viele Sinnfelder sind - wie sich Gabriel ausdrückt - "maximal modal robust". Das heißt: Es hätte sie auch dann gegeben, wenn es uns nie gegeben hätte. Sinne und Sinnfelder sind in Gabriels Augen keineswegs generell von uns abhängig oder Konstruktionen.)
Ich denke auch nicht, dass diese von uns abhängig sind. Bzw. genauer, sie sind nicht von einem jedem Menschen der Gegenwart abhängig, wohl aber davon, dass eine spezifische Geschichte bestimmte Sachen als Sinnvoll, andere als sinnfrei erkennen lässt.

Eine Frage wäre, wie Gabriel mit Sachen und Dingen umgeht, die sinnlos sind.

Meinst du mit modal robust, dass Modallogik unabhängig von uns gilt? Ist das Usus bzw. offizielle Sichtweise? Denn ich dachte, Modallogik sei abhängig von irgendeiner Art von Organismus. Und wir Menschen sind ja bekanntlich das am weitesten entwickelte Wesen, weswegen es schon auch an uns hängt, dass Modallogik existiert. Unabhängig davon, ob diese jetzt ontologisch stets der Fall ist oder fallibel bleibt.

Die Sinne werden hier zu einzelnen Instrumenten, die Seele oder Monade, das Selbst wäre dann Dirigent. Aber wo wäre dieser Dirigent, wenn er nicht gerade dramaturgisch-expressiv sich auf der Bühne oder der Leinwand präsentiert? Es ist hier wie mit dem Käfer. Gabriel setzt auf "Das Ganze ist das Wahre", statt dialektisch "Das Ganze ist das Unwahre" zu setzen und verschwindet dann in einer Synthese, in der ein Upload eines Bewusstseins in ein technisches Gerät hinein nicht auszuschließen ist. Aber dann ist es nicht mehr Philosophie. Aber Gabriel ist ja Philosophie. Zumindest ist seine Perspektive auf die Logik eine, die mit der digitalen Erneuerung schritt hält, die die Gesellschaften - und deren Sprache, deren wahrer Logos - verändert, reproduziert und letzteren gar transformiert.

Die Sinne arbeiten für Gabriel hier so, dass sie auf eine digitale Welt zugreifen. Es gibt ihm wenig analoges, bzw. die Prozesshaftigkeit der Welt, präziser der Verlauf der Historie ist bei ihm immanent. Denn er setzt an, dass wir alle "stets" soziale Wesen sind. Das heißt m.e. wir sind Wesen, die dem sozialen System entsprungen sind. Denn nur dieses produziert Sinn. Natur nämlich, schafft nicht Sinn, sondern Wahrheit. Und Wahrheit ist nicht zwingend sinnvoll. (Dann jedoch mit einem Luhmannschen Sinnbegriff, in dem auch noch Sinnlosigkeiten sich am Sinnmedium beteiligen)

Ein Sinnfeld besteht bei ihm wohl schon eher kognitiv, statt auf der Zivilisation bzw. einer Weltgesellschaft. Aber dennoch ist das Sinnmedium für Luhmann und Gabriel ja dasselbe. Denn die soziale Welt ist, worin und wodurch sich Sinn reproduziert.

Gabriel greift im Grunde auf die "Wissensfelder" zu, die in Bibliotheken und Onlineenzyklopädien liegen. Tauft diese hermeneutisch-archäologischen Gebiete, ganz ahistorisch, um in Sinnfelder...und kann dann mittels der Sinne unmittelbar die Erscheinung ersehen/-tasten/-schmecken/-riechen/-spüren.

Er nutzt im Prinzip die Metapher der Festplatte und nennt die darin liegende Anordnung dann Sinnfeld - oder aber, andere Seite, er macht so gut als alles zu Struktur und ignoriert ontologische Fragen, also klassische "Sinnfragen" (bzw. beurteilt sie als sinnlos).

Das ist gut und sinnvoll und entspricht dem Zeitgeist eines Dunnett, bei dem ja auch alles als nützliche Fiktion dienen kann. Aber es ist eher eine Philosophie für die Lebenswelt, als für das wahrlich "Wahrheitssystem".




Benutzeravatar
Jörn Budesheim
Beiträge: 23267
Registriert: Mi 19. Jul 2017, 09:24
Wohnort: Kassel
Kontaktdaten:

Do 29. Apr 2021, 06:31

Nach meiner Gabriel Lektüre Erfahrung, ist das, was du da schreibst, nicht Gabriels Position. Und nach meinem Verständnis ergibt sich das auch nicht aus dem, was er schreibt. Ich habe meine eigene Interpretation auch mit einer ganzen Reihe von Zitaten belegt, wie ich finde. Wenn du anderes gelesen hast oder die Texte anders interpretierst, wäre es nicht schlecht, wenn du entsprechende Texte posten/zitieren könntest, dann können wir das anhand der Quellen diskutieren.

Es soll auch nicht an technischen Hürden scheitern: Falls du nicht das Equipment zum Scannen und Digitalisieren von Texten hast, dann kannst du mir gerne das entsprechende Buch nennen, so dass ich die Textstelle entnehmen kann, falls mir das Buch vorliegt. Da ich die meisten Bücher von Gabriel digital vorliegen habe, ist es für mich zum Glück nur eine Frage von copy and paste.




Benutzeravatar
Jörn Budesheim
Beiträge: 23267
Registriert: Mi 19. Jul 2017, 09:24
Wohnort: Kassel
Kontaktdaten:

Do 29. Apr 2021, 06:57

Und noch einmal zu dem Ausdruck "maximal modal robust": maximal modal robust wären z.b. irgendwelche Planetensysteme, die es auch dann gegeben hätte, wenn es uns niemals gegeben hätte. Mit anderen Worten: etliche Sinnfelder hätte es auch dann gegeben, wenn es niemals uns oder Wesen wir uns gegeben hätte. Die Sinne, um die es dabei geht, werden nicht von uns (oder irgendwelchen kognitiven Systemen) in die Welt gebracht, sondern sie liegen an sich selbst vor.




Groot
Beiträge: 229
Registriert: Di 6. Apr 2021, 17:10

Do 29. Apr 2021, 14:12

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Do 29. Apr 2021, 06:57
Und noch einmal zu dem Ausdruck "maximal modal robust": maximal modal robust wären z.b. irgendwelche Planetensysteme, die es auch dann gegeben hätte, wenn es uns niemals gegeben hätte. Mit anderen Worten: etliche Sinnfelder hätte es auch dann gegeben, wenn es niemals uns oder Wesen wir uns gegeben hätte. Die Sinne, um die es dabei geht, werden nicht von uns (oder irgendwelchen kognitiven Systemen) in die Welt gebracht, sondern sie liegen an sich selbst vor.
Das sehe ich auch so. Nur ist "Logik" per se m.e. etwas, das auf Grund unserer Stellung zur Erde, in die wir eingewoben sind, existiert. Sie verweist darauf, dass wir in Sätzen wahre Sachverhalte aufdecken können, also wiederum etwas, worin Sprache und damit Bewusstsein auftaucht. Dass die Gegenstände, die modallogisch existieren, auch existieren ohne uns, ist klar. Aber die Modallogik selbst tut das ja nicht.

Die Sinne liegen "in der Welt" oder "da draußen" vor, weil wir dort in der Welt sind, dort draußen uns als Organismus erkennen. Aber wie sollte ein Sinn - im Sinne von taktil (Augen, etc.) - denn an den Dingen sein? Sicher, die Anordnung der Dinge lässt nur bestimmte Zugriffe mittels Sinnlichkeit zu - aber diese Anordnung sind nicht die Sinne, sondern ja nur das Kondensat, welches mittels Sinnlichkeit erfasst wird und dann "sinnhaft" oder nicht sein kann.

Ich habe noch kein Gabriel gelesen. Ich suche nur Mittel und Wege, um das, was ich von Gabriel kenne, in mein System einzubauen. Weil er ja schon recht gut passt für eine Zeit, die sich digital transformiert.




Benutzeravatar
Alethos
Beiträge: 4212
Registriert: Do 17. Aug 2017, 15:35
Wohnort: Schweiz

Do 29. Apr 2021, 20:18

Groot hat geschrieben :
Do 29. Apr 2021, 14:12
Die Sinne liegen "in der Welt" oder "da draußen" vor, weil wir dort in der Welt sind, dort draußen uns als Organismus erkennen. Aber wie sollte ein Sinn - im Sinne von taktil (Augen, etc.) - denn an den Dingen sein?
Sinn in Sinnfeld hat nichts mit Sinn in Sinnlichkeit zu tun. Sinn in der SFO von Gabriel steht für „Richtung“, für begriffliche Verfasstheit von Gegenständen (also für Sinn, wie Frege es verwendet, als Art des Gegebenseins).

Im Theoriehintergrund der SFO wird Logik nicht als Produkt menschlicher Konstruktion verstanden, also etwa so, dass etwas logisch sei, weil es sich im Logikkonstrukt von Menschen als logisch darstellen lässt. Logik sei vielmehr etwas, das ganz in die Wirklichkeit „eingebrannt“ ist, weil etwas wahr über etwas auch dann wäre, wenn Menschen nie herausgefunden hätten, dass es wahr sei (ausgenommen natürlich alle Wahrheiten, die das Herausfinden durch Menschen selbst betreffen - über dieses Herausfinden kann nur etwas wahr sein, sofern Menschen etwas herausfinden). Sofern also Wahrheit grundsätzlich „da draussen“ liegt (und nicht etwa exklusiv durch unser richtiges Fürwahrhalten in die Welt kommt), muss auch das, was wahr aus diesen Tatsachen folgt, in der Welt da draussen vorkommen. Die Wirklichkeit besteht laut SFO aus einem sich selbst tragenden „System“ von Wahrheiten. Darum muss Logik auch ein selbsttragendes System sein, sofern sie auch Dinge betrifft, die nicht nur sind, weil wir Menschen sind, sondern auch sind, wenn wir nicht sind.

Wenn Logik aber da draussen ist, so dass sie gefunden werden kann wie Fingernägel oder Naturgesetzlichkeit, dann könnte es sogar so sein, dass Geist da draussen ist. Wenn nämlich Geist die Fähigkeit des Denkens ist, sich selbst zu denken, Denken aber präpositonal und begrifflich strukturiert ist, dann dürfte auch nicht unplausibel sein zu glauben, dass alles Wirkliche Produkt des der Wirklichkeit innewohnenden Geistes ist.

Das heisst gerade nicht, dass wir die Wirklichkeit erdenken oder sie ein Produkt unsere Geistes wäre, sondern vielmehr, dass es im Sinn und Geist der Wirklichkeit ist, dass wir Denkende sind.



-------------------------------
Alle lächeln in derselben Sprache.

Benutzeravatar
Alethos
Beiträge: 4212
Registriert: Do 17. Aug 2017, 15:35
Wohnort: Schweiz

Do 29. Apr 2021, 22:39

Zu letzteren Aussagen beachte man ab 2:09 den Abschnitt ab 4:25.



Wenn Bewusstsein eine immaterielle mathematische Architektur ist, dann muss Logik es auch sein, und damit auch ganz unabhängig davon existieren, ob Menschen diese Logik entdecken oder nicht, verstehen oder nicht, denken oder nicht. Und so muss es letztlich auch mit dem Sinn sein, dass er unabhängig davon besteht, ob es Menschen gibt oder nicht, die ihn erfassen, weil dieser Sinn zur Architektur der Wirklichkeit gehört.



-------------------------------
Alle lächeln in derselben Sprache.

Groot
Beiträge: 229
Registriert: Di 6. Apr 2021, 17:10

Fr 30. Apr 2021, 00:42

Sinn in Sinnfeld hat nichts mit Sinn in Sinnlichkeit zu tun. Sinn in der SFO von Gabriel steht für „Richtung“, für begriffliche Verfasstheit von Gegenständen (also für Sinn, wie Frege es verwendet, als Art des Gegebenseins).
Ist nicht aber das "Gegeben-sein" genau das, was sich mittels der Sinnlichkeit erst erschließt? Erst dadurch, dass ich höre, dass der Plattenspieler rechts hinter mir im Zimmer steht, erschließt mir die Gegebenheit des Plattenspielers im Zimmer. Dieser erscheint dann im Namen Plattenspieler, welches das Sinnfeld aufspannt, indem ich vom Plattenspieler und dessen Ort in der Raumzeit affiziert wurde.

Frege denkt hier ja auch semiotisch. Sieht also den Gegenstand, den er mittels Kognition begrifflich erfasst, mit Bezug auf seinen Sinn. Diesen liest er aus der Bedeutung, die tradiert ist. Die Tradition aber ist etwas, Zirkelschluss, welches aus der Sinnlichkeit und der Sprache, dem Sein von Büchern erschließt, deren Geschichten wiederum meine Sinne affizieren.
Im Theoriehintergrund der SFO wird Logik nicht als Produkt menschlicher Konstruktion verstanden, also etwa so, dass etwas logisch sei, weil es sich im Logikkonstrukt von Menschen als logisch darstellen lässt. Logik sei vielmehr etwas, das ganz in die Wirklichkeit „eingebrannt“ ist, weil etwas wahr über etwas auch dann wäre, wenn Menschen nie herausgefunden hätten, dass es wahr sei (ausgenommen natürlich alle Wahrheiten, die das Herausfinden durch Menschen selbst betreffen - über dieses Herausfinden kann nur etwas wahr sein, sofern Menschen etwas herausfinden). Sofern also Wahrheit grundsätzlich „da draussen“ liegt (und nicht etwa exklusiv durch unser richtiges Fürwahrhalten in die Welt kommt), muss auch das, was wahr aus diesen Tatsachen folgt, in der Welt da draussen vorkommen. Die Wirklichkeit besteht laut SFO aus einem sich selbst tragenden „System“ von Wahrheiten. Darum muss Logik auch ein selbsttragendes System sein, sofern sie auch Dinge betrifft, die nicht nur sind, weil wir Menschen sind, sondern auch sind, wenn wir nicht sind.
Ja, das kann durchaus sein. Aber ich persönlich möchte der Logik nicht soviel Stärke zuschreiben, finde aber dennoch Gabriels Erklärung sehr sinnvoll. Weil so bestechend einfach, so ideal für Gesellschaften die Virtualität und Imaginationsfähigkeit, bzw. das Maß für beides aufgelöst hat in den Massenmedien und in linguistischen Kapriolen a la Cancel-Culture.

Die Frage wäre, was der ontologische Zustand der Logik hier ist. "Worin" ist sie wirklich? In Natur? in Zivilisation? In rein sprach- oder sprechbetonten, linguistisch-semiotischen Momenten?
Wenn Logik aber da draussen ist, so dass sie gefunden werden kann wie Fingernägel oder Naturgesetzlichkeit, dann könnte es sogar so sein, dass Geist da draussen ist. Wenn nämlich Geist die Fähigkeit des Denkens ist, sich selbst zu denken, Denken aber präpositonal und begrifflich strukturiert ist, dann dürfte auch nicht unplausibel sein zu glauben, dass alles Wirkliche Produkt des der Wirklichkeit innewohnenden Geistes ist.

Das heisst gerade nicht, dass wir die Wirklichkeit erdenken oder sie ein Produkt unsere Geistes wäre, sondern vielmehr, dass es im Sinn und Geist der Wirklichkeit ist, dass wir Denkende sind.

Logik findet sich, weil es ein Gesellschaftssystem gibt, worin sie logisch ist. Denn die Natur ist unlogisch. Sie wird nämlich ermessen.

Natürlich ist es im Sinn und Geist der Wirklichkeit, dass wir Denkende sind. Wir denken ja und tun dies aus freien Stücken :D




Antworten