Realität und mögliche Verstehensweisen eines Neuen Realismus

Aspekte metaphysischer Systementwürfe und der Ontologie als einer Grunddisziplin der theoretischen Philosophie können hier diskutiert werden.
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Jörn Budesheim
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Do 25. Feb 2021, 18:36

iselilja hat geschrieben :
Do 25. Feb 2021, 18:27
Denn es werden doch für jeden offensichtlich von euch ein paar Beschreibungen bevorzugt.
Aber ich habe doch eben gerade im Beitrag zuvor und bereits x mal davor, erklärt, dass "privilegiert" nicht in diesem Sinne gemeint ist, sondern, dass es um ein "ontologisches Privileg" geht.




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Jörn Budesheim
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NaWennDuMeinst hat geschrieben :
Do 25. Feb 2021, 18:03
Wenn man mit sowas Philosophieprofessor werden kann, dann wird schon irgendwas dran sein. Was auch immer.
Das scheint mir sogar ein ziemlich wichtiger Punkt zu sein. Daraus dass Gabriel Philosophieprofessor ist, folgt natürlich nicht, dass die SFO wahr ist.

Gabriel diskutiert die Theorie international und zwar mit den renommiertesten Köpfchen der Zunft. Auch daraus folgt natürlich nicht, dass die Theorie wahr ist, schließlich wird sie von vielen Seiten angegriffen. Aber ein oder zwei Sachen folgen daraus schon, wie ich finde. Erstens scheint mir ziemlich sicher zu folgen, dass die Theorie nach Ansicht der philosophischen Zunft zumindest diskussionswürdig ist. Ich habe zwei Bücher, in denen die Theorie kontrovers diskutiert wird. Diese Diskussion und diese Bücher gäbe ist sicherlich nicht, wenn es sich bei der SFO um eine lächerliche falsche Theorie handeln würde, die jeder Laie im Vorbeigehen als unsinnig erkennen kann.

Und zweitens scheint mir zu folgen, dass die Theorie nicht beim leichtesten Gegenwind wie ein labiles Kartenhaus in sich zusammenfällt. Drittens es ist interessant, dass insbesondere viele Naturwissenschaftler mit dem Begriff der Sinnfelder viel anfangen können, anscheinend besonders Quantenforscher. Wie gesagt, ich will keineswegs behaupten, dass daraus folgt, dass die Theorie wahr ist. Aber sie scheint doch ein klein wenig robuster zu sein, als sie hier oft dargestellt wird.




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iselilja
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Do 25. Feb 2021, 18:55

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Do 25. Feb 2021, 18:15
iselilja hat geschrieben :
Do 25. Feb 2021, 17:25
Er sagt das eine und urteilt zugleich das andere.

Damit ist nicht gesagt, dass wir als Menschen nicht gelegentlich (oder besser sogar: ziemlich oft) bestimmte Bereiche "privilegieren", weil sie uns einfach näher oder wichtiger sind. In einer gewissen Hinsicht zeichnet die SFO und selbst sogar aus, weil sie reklamiert, dass es keine Ontologie geben kann, in der wir als geistige Leben letztlich nicht vorkommen, wie z.b. im eliminativer Materialismus.

Wenn Gabriel sagt, dass es dort keine privilegierte Beschreibung gibt, meint er natürlich nicht, dass jede beliebige Beschreibung wahr wäre. Privilegiert bezieht sich, wie schon gesagt, auf die Bereiche und heißt, dass es keinen grundlegenden Bereich für alles gibt. Und zugleich, dass es keinen privilegierten Bereich in dem Sinne gibt, zu dem etwas zählen muss, um als existent zu zählen. Damit ist nicht gesagt, dass es zwischen den Bereichen keine "Abhängigkeitsverhältnisse" gibt.
So ist es gut ausformuliert. Ich würde dem soweit zustimmen, dass dies Gabriels "ingesamtauffassung" wieder gibt. Soweit alles ok. Wir können an der Stelle Gabriel von mir aus auch abhaken - weil das im großen und ganzen auch soweit erschöpft ist.

Und dennoch bleibt die Frage: Ist das so wie Gabriel es meint? Und ich sage immer noch: nein. :-) Die Realität sagt etwas anderes. Und das in jedem Moment unseres Daseins. Es gibt diesen privilegierten Bereich, das ist die Realität selbst, an der sich nichts ändert, auch wenn ich es anders verstehen möchte. Sie ist wie sie ist.

Gabriel möchte darauf hinaus enden, dass der Phyikalismus oder eine andre sonstige Weltsicht nicht das Privileg hat, die alleinige Welterklärung zu liefern. Das ist soweit klar @Jörn, das musst Du mir wirklich nicht erklären. Denn ihen fehlt das Umfassende aller Ansichten (oder auch aller Sinnfelder), um so etwas für beanspruchen zu können.

Und dennoch steht all diesen (auf Gabriels Radar erscheinenden) Welterklärungsansprüchen eine Sache gegenüber . nämlich das was sie beschreiben wollen: die Welt selbst. Und diese Welt hat eine Realität. Und in dieser Realtät finden wir uns immer wieder. Es ist nicht nur so, dass wir uns ihr nicht entziehen können, sondern es ist sogar so, dass wir permanent darin "gefangen" sind. Was mir spätestens in dem Moment bewußt werden sollte, dass ich jetzt nicht hier im Forum unterwegs bin, sondern am Computer sitze und auf Tasten herum tippe, irgendwann Hunger bekomme, irgendwann müde werde, irgendwann nicht einschlafen kann. Das sind die Dinge, die von mir unabhängig ihren Gang nehmen - und deshlab ist diese Realität nicht einfach nur irgendwie ein Sinnfeld unter Sinnfeldern, sondern es ist das in JEDEM Falle wahre Sinnfeld. Dieser Realität hat keine Fallibilität. Mit anderen Worten: sie ist pure Faktizität.

Es gibt keine falsche Realität.. es gibt nicht einmal eine zweite Realität. Es gibt nur diese Eine, und das ist die in der wir immerzu leben. Allein der Tod beendet unser Verhältnis zueinander.
Zuletzt geändert von iselilja am Do 25. Feb 2021, 19:11, insgesamt 1-mal geändert.




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Jörn Budesheim
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Do 25. Feb 2021, 19:00

Was bedeutet das: diese Realität hat keine Fallibilität? Was bedeutet es und vor allem: warum sagst du es? Also worauf bezieht sich das? es klingt ja so, als wolltest du sagen Sinnfelder hätten eine Fallibilität. Aber was sollte das bedeuten?




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iselilja
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Do 25. Feb 2021, 19:18

Ich hab' in dem Beitrag an den betreffenden Satz angehangen, als ich deine Frage noch nicht gelesen hatte. Sie ist faktisch - und das in jeder Hinsicht. Ich hatte das wieter oben schon erläutert was damit gemeint ist. Die Realität kann nicht mittels Wahrheitskriterien beschrieben werden, denn sie selbst ist das Korreektiv für unser Wahrheitsverständnis. - sie ist, wenn man so nennen will die Wahrheit. Denn es gibt nur diese eine Realität, an der wir unsere Aussagen/Gedanken falsifizieren können.

Wenn man also wissen will, ob Aussage A oder Aussage B wahr ist, dann bleibt nur die Realität, sie mit einender vergleichen und überprüfen zu können. Gäbe es mehere Realitäten, wäre jede Aussage wahr, sofern sie einer davon zugehört. SO könnte es also eine Trumpsche Realität geben. :-) Die gibt es aber nicht, weil Trump in der selben Realität vorkommt wie ich oder alle anderen.
Zuletzt geändert von iselilja am Do 25. Feb 2021, 19:24, insgesamt 1-mal geändert.




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Jörn Budesheim
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Do 25. Feb 2021, 19:22

In der SFO ist nicht jede Aussage wahr. Zu sagen, dass dort kein Quadrat ist, ist z.b. ebenso falsch, wie zu sagen dass dort zwei Quadrate sind. Auch was die Zahl der Atome angeht, kann man sich irren, wer behauptet, es befinden sich dort 17 Atome liegt offensichtlich falsch.




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iselilja
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Do 25. Feb 2021, 19:27

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Do 25. Feb 2021, 19:22
In der SFO ist nicht jede Aussage wahr. Zu sagen, dass dort kein Quadrat ist, ist z.b. ebenso falsch, wie zu sagen dass dort zwei Quadrate sind. Auch was die Zahl der Atome angeht, kann man sich irren, wer behauptet, es befinden sich dort 17 Atome liegt offensichtlich falsch.
Die Aussage, dass dort kein Quadrat ist, ist allerdinsg nicht falsch sondern korrekt, denn es sind dort lediglich ein paar unsauber angezeichnete Formen, die so ähnlich wie ein Quadrat sussehen. :-) Wie Gabriel schon sagte, es gint indefinit viele Antworten. Das war die richtige Einsicht innerhalb seiner Ausführungen. Das mit den Privilegien und Wahrheit, ist aber anders als er denkt. Zumindest an dieser betreffenden Stelle.




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Jörn Budesheim
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Do 25. Feb 2021, 19:30

Daraus, dass es indefinit viele richtige Antworten gibt, folgt keineswegs, dass jede Antwort richtig ist.




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Do 25. Feb 2021, 19:34

iselilja hat geschrieben :
Do 25. Feb 2021, 19:18
Die Realität kann nicht mittels Wahrheitskriterien beschrieben werden, denn sie selbst ist das Korreektiv für unser Wahrheitsverständnis.
Was soll das bedeuten, und warum sagst du das, worauf bezieht es sich?




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iselilja
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Do 25. Feb 2021, 19:45

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Do 25. Feb 2021, 19:34
iselilja hat geschrieben :
Do 25. Feb 2021, 19:18
Die Realität kann nicht mittels Wahrheitskriterien beschrieben werden, denn sie selbst ist das Korreektiv für unser Wahrheitsverständnis.
Was soll das bedeuten, und warum sagst du das, worauf bezieht es sich?
Sagt die der Begriff Falsifizierbarkeit etwas, welcher bspw. in den Wissenschaften einen hohen Stellenwert genießt? Und nicht nur dort. Wenn ja, kannst Du dir die Frage gewiß selbst beantworten. :-) Denn wie sollte auch eine Wissenschaft Wissenschaft sein können, wenn sie zuvor erst definieren dürfte oder müsste, warum ihre Aussagen der Wahrheit entsprechen. Diese Wahrheit muss es doch irgendwo "geben". Und die gibt es insofern, dass die Relaität (als Faktizität oder Passion) bereits steht, sich messen zu lassen. Es ist die Realität, an der der Mensch Maß anlegt. Er muss dafür nichts definieren oder gar erfinden, denn alles ist verfügbar, was sich ihm zeigt. Die Realität ist das worum sich unser "Geist" dreht.

Letzteres bezieht sich auf Aristoteles..




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iselilja
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Do 25. Feb 2021, 19:54

Vielleicht lässt es sich so besser erklären, was diese eine und alleinige Realität ausmacht.

Jder der schonmal ein Buch gelesen oder einen FIlm gesehen hat, weiß, dass er dabei für eine gewisse Zeit in eine "andere Welt" eintauchen kann. Der Geist bewegt sich in einer anderen Sphäre. Ob das die der Moleküle oder die der Feen ist ist dabei irrelevant. Dort kann er frei sein. Doch diese ander Welt kann nicht auf Dauer betreten werden, es kommt irgendwann der Moment, wo man wieder in die Realität zurück muss.. bspw. schon dann wenn man merkt, dass man pissen muss, es an der Tür klingelt oder die Freundin unterbricht und will dass man Kartoffeln schält.. Die Realität hat viele Gesichter, aber sie rückt uns immer wieder auf den Pelz. Wir kommen nie wirklich aus ihr heraus, sondern entgleiten zeitweise.


Alle anderen Welten, die wir so betreten können, klopfen gewissermaßen nicht an unsere Tür und nerven uns, diese anderen Welten kommen nur, wenn wir nach ihnen verlangen - uns in sie hinein begeben.




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Jörn Budesheim
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Do 25. Feb 2021, 20:27

iselilja hat geschrieben :
Do 25. Feb 2021, 19:45
Wenn ja, kannst Du dir die Frage gewiß selbst beantworten.
Na dann.




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Alethos
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Do 25. Feb 2021, 20:52

iselilja hat geschrieben :
Do 25. Feb 2021, 19:45
Falsifizierbarkeit
Dass es Falsifizierbarkeit gibt, spricht jedoch nicht gegen die Auffassung, dass alles Realität hat.
Wir können ja gerade nur deshalb falsifizieren, weil sowohl der Irrtum Realität hat (es ihn gibt!) und es dasjenige gibt, worüber der Irrtum sich irrt (den Sachverhalt, auf den die falsche Aussage sich als irrende Aussage bezieht). Du kannst den Irrtum nur widerlegen, weil es da etwas zu widerlegen gibt (nämlich den Irrtum).

Aber die SFO behauptet ja auch nicht, dass der Irrtum nicht existiere, sondern bloss, dass alles Realität hat. Zu sagen, dass alles Realität hat, heisst nicht, dass alles wahr ist.
nur, dass über alles etwas wahr ist. Nicht alles ist über alles wahr, sondern nur vieles über alles. Es ist z.B. über den Buchstaben P in diesem Satz nicht wahr, dass er ein A ist. Und doch gibt es die Wahrheit über die Tatsache, dass P = A ist (nämlich gerade in diesem Satz hier). Was gilt nun mehr, welche Wahrheit gilt nun mehr, welche ist privilegierter? Die Antwort lautet: Keine. Wahrheit leitet sich von der Realität ab - immer.

Somit gibt es dort an der Tafel tatsächlich Atome und Dreiheit und 12 Quadratecken und 3 Quadrate. Es gibt aber keine Elefanten an der Tafel. Das heisst aber nicht, dass es "Elefanten an der Tafel" überhaupt nicht gebe (denn sonst wäre es ja nicht wahr, dass es alles gibt). Es gibt Elefanten an der Tafel, nur eben nicht an der Tafel dort, sondern in diesem Satz. Es ist also über die Tafel (dort) wahr, dass es keine Elefanten gibt und über die Tafel (im Satz) wahr, dass es Elefanten gibt. Alles existiert, aber nicht alles ist wahr.



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NaWennDuMeinst
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Do 25. Feb 2021, 20:59

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Do 25. Feb 2021, 18:45
NaWennDuMeinst hat geschrieben :
Do 25. Feb 2021, 18:03
Wenn man mit sowas Philosophieprofessor werden kann, dann wird schon irgendwas dran sein. Was auch immer.
Das scheint mir sogar ein ziemlich wichtiger Punkt zu sein. Daraus dass Gabriel Philosophieprofessor ist, folgt natürlich nicht, dass die SFO wahr ist.

Gabriel diskutiert die Theorie international und zwar mit den renommiertesten Köpfchen der Zunft. Auch daraus folgt natürlich nicht, dass die Theorie wahr ist, schließlich wird sie von vielen Seiten angegriffen. Aber ein oder zwei Sachen folgen daraus schon, wie ich finde. Erstens scheint mir ziemlich sicher zu folgen, dass die Theorie nach Ansicht der philosophischen Zunft zumindest diskussionswürdig ist. Ich habe zwei Bücher, in denen die Theorie kontrovers diskutiert wird. Diese Diskussion und diese Bücher gäbe ist sicherlich nicht, wenn es sich bei der SFO um eine lächerliche falsche Theorie handeln würde, die jeder Laie im Vorbeigehen als unsinnig erkennen kann.

Und zweitens scheint mir zu folgen, dass die Theorie nicht beim leichtesten Gegenwind wie ein labiles Kartenhaus in sich zusammenfällt. Drittens es ist interessant, dass insbesondere viele Naturwissenschaftler mit dem Begriff der Sinnfelder viel anfangen können, anscheinend besonders Quantenforscher. Wie gesagt, ich will keineswegs behaupten, dass daraus folgt, dass die Theorie wahr ist. Aber sie scheint doch ein klein wenig robuster zu sein, als sie hier oft dargestellt wird.
Wie gesagt: irgendwas wird schon dran sein, auch wenn ich nicht erkennen kann, was das sein soll.
Hast Du mal ein paar Literaturempfehlungen dazu wo diese These kontrovers diskutiert wird? Also von den Profis meine ich.



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Alethos
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Do 25. Feb 2021, 21:11

iselilja hat geschrieben :
Do 25. Feb 2021, 19:54
Alle anderen Welten, die wir so betreten können, klopfen gewissermaßen nicht an unsere Tür und nerven uns, diese anderen Welten kommen nur, wenn wir nach ihnen verlangen - uns in sie hinein begeben.
Es wäre nun aber falsch zu glauben, dass dieser Umstand eine Realität privilegiert. Dass du dich einem Hungergefühl nicht entziehen kannst, das hat Relevanz für deinen Körper, privilegiert aber die Existenz dieses Hungergefühls nicht. Dieses Hungergefühl hat überhaupt keine Relevanz für den Staub auf dem Mars, der gerade von Perseverance aufgewirbelt wird und er hat für diese Staubkörner auf diesem Planeten auch keine privilegierte Existenz. Dein Hungergefühl drängt sich nicht jeder Realität auf, bloss deiner Realität als menschliches Lebewesen.

Wenn du von einem Hochhaus springst, dann wirst du dich der Tatsache nicht entziehen können, dass du runterfällst und unten am Boden aufprallst. Aber das sind nicht härtere Fakten als die Fakten, die im Märchen vorkommen. Die Realität der Märchenfiguren entzieht sich dir vielleicht, sie klopft bei dir nicht an und verlangt, akzeptiert zu werden, aber sie geniesst volles Existenzrecht in ihrem Bereich.



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Do 25. Feb 2021, 21:41

Alethos hat geschrieben :
Do 25. Feb 2021, 21:11


Es wäre nun aber falsch zu glauben, dass dieser Umstand eine Realität privilegiert. Dass du dich einem Hungergefühl nicht entziehen kannst, das hat Relevanz für deinen Körper, privilegiert aber die Existenz dieses Hungergefühls nicht. Dieses Hungergefühl hat überhaupt keine Relevanz für den Staub auf dem Mars, der gerade von Perseverance aufgewirbelt wird und er hat für diese Staubkörner auf diesem Planeten auch keine privilegierte Existenz. Dein Hungergefühl drängt sich nicht jeder Realität auf, bloss deiner Realität als menschliches Lebewesen.

Wärest Du auf dem Mars und nicht auf der Erde, dann würde sich sogar der Staub dort dir aufdrängen und dir die Grenzen aufzeigen, innerhalb derer Du dich "fei" bewegen kannst. Du kannst dich den Dingen, die real sind, nicht entziehen - und wenn dann nur weil du nicht dort bist an der Stelle oder wenn doch dann nur für eine gewisse Zeit, die dir erträglich scheint. Das eben macht deren Faktizität aus.

Privilegierst Du sie nicht, wirst Du sterben - an der einen oder anderen Tatsache.




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Do 25. Feb 2021, 22:06

iselilja hat geschrieben :
Do 25. Feb 2021, 21:41
Privilegierst Du sie nicht, wirst Du sterben.
Korrekt. Privilegieren muss ich sie. Privilegiert sind sie nicht.



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infinitum
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iselilja hat geschrieben :
Do 25. Feb 2021, 19:54
Die Realität hat viele Gesichter, aber sie rückt uns immer wieder auf den Pelz. Wir kommen nie wirklich aus ihr heraus, sondern entgleiten zeitweise.
würdest du dann sagen, dass wir eigentlich vor der Realität flüchten?



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Alethos hat geschrieben :
Do 25. Feb 2021, 22:06
iselilja hat geschrieben :
Do 25. Feb 2021, 21:41
Privilegierst Du sie nicht, wirst Du sterben.
Korrekt. Privilegieren muss ich sie. Privilegiert sind sie nicht.
Das ist ein ziemlich wichtiger Punkt. Hier findet eine Zäsur zwischen nemmen wir es mal menschenmöglicher Einsicht und absolten Wahrheiten statt. Wobei letzteres sich notwendigerweise unserer Kenntnis entzieht. Das heißt, das eine können wir mit gutem Gewissen sagen.. das andere nicht. ;-)

Aber dennoch ist dieser Punkt wichtig.




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Fr 26. Feb 2021, 05:38

@Nauplios war so gut und hat an anderer Stelle ein Zitat von Gabriel gebracht, wo er - so erscheint es wohl nicht nur mir - dann doch genau das anspricht, um was es hier in diesem Thread geht. Er spricht (in Fiktionen) davon, dass wir nie wirklich auf Distanz (Abstand) zur Wirklichkeit gehen können.
transfinitum hat geschrieben : würdest du dann sagen, dass wir eigentlich vor der Realität flüchten?
Wenn Du mit flüchten so etwas wie den Wunsch meinst, in anderen Welten beheimatet zu sein (man könnte auch sagen ein Träumer zu sein) dann würde ich sagen, nein, auch wenn diese "anderen Welten" etwas oftmals sehr schönes sind. Gleichzeitig sehe ich viele Menschen, die dennoch in solchen Welten verhaftet bleiben, und somit in einer Art betreutem Dasein dahinfristen. Das sind jene Menschen, die im großen und ganzen dem Philosophen entsprechen, der beim Philosophieren in den Brunnen fällt. :-) Die Antike kennt dieses Sinnbild sehr gut.

Ich denke.. aber das ist nur meine Meinung dazu.. denn es ist metaphysisch.. dass die Zukunft, die gewissermaßen immer knapp vor uns liegt, durch das Phantastische/Fiktionale/Imaginierte/Intelligible (hier käme m.E. auch Blumenberg zum Zuge mit dem Semiotischen, es reiht sich hier in besonderer Weise mit an) behandelbar bleiben muss, weil wir sonst vermutlich auch keine Vorstellungskraft von den Möglichkeiten hätten. Das heißt, wir brauchen diesen geistigen Griff auf Nichtreales um das Reale (also das was letztendlich faktisch so sein wird) vorherzusagen/vorherzusehen/einzuschätzen.

ps: Man könnte es evtl. auch so formulieren: wir sind mit den Sinnen immer in der Aktualität (der Realität) und mit unserem Geist ein paar Sekunden voraus (und auch zurück). Unser zeitiges (und nicht nur dieses) Umfeld bleibt dadurch immer in unserer Reichweite. Unser Umfeld wird damit behandelbar.




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