Realität und mögliche Verstehensweisen eines Neuen Realismus

Aspekte metaphysischer Systementwürfe und der Ontologie als einer Grunddisziplin der theoretischen Philosophie können hier diskutiert werden.
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iselilja
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Sa 6. Mär 2021, 08:36

Und hierin zeigt sich nun auch der Unterschied zu einer theologischen Schöpfungsgeschichte, die ebenfalls zwar diesen realistischen Umstand anerkennt, dass der Mensch die Realität selbst nicht geschaffen haben kann. Die Theologie geht aber postulierend darüber hinaus, indem sie den Fehlschluß zieht, dass allein dadurch gewiß ist, dass etwas anderes die reale Welt geschaffen haben muss.

An der Stelle genügt es auf Kant zu verweisen, der bereits gezeigt hat, dass dieser Schluß weder notwendig noch in sich sinnvoll ist.

Man kann sich das auch so erklären, dass die Realität uns zwar ihre Hintergründigkeit in unterschiedlicher Art und Weise offenbart, aber niemals offenbart sie in selber deduktiver Notwendigkeit einen Ursprung jener Hintergründigkeit. Dies erkannte auch bereits Leibnitz.




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iselilja
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Sa 6. Mär 2021, 08:55

Um den Unterschied zwischen theologischem Gott und philosophischem Gott wirklich zu verstehen, ist es nötig folgendes zu betrachten. Gab es eine Welt, in der es zwar ein Verständnis der allumfassenden Realität gab aber kein Verständnis davon, dass diese einem monistischem Gott geschuldet sei. Ja, die gab es. Selbst die Monotheismen berichten davon.

Wenn diese Welt also der erkenntnistheoretische Ursprung der Idee Gottes war, dann ist diese reale Welt zugleich der Ursprung von allem, denn nur in dieser Welt können sich - wie oben bereits gezeigt - Ideen entfalten. Dies impliziert im übrigen auch morderne Ideen wie die Urknalltheorie.

Ist also mit dem archaischen Wort "Gott" am Ende lediglich die Realität gemeint, deren Wege unergründlich scheinen? :-) Denn nur jene Realität erscheint uns im eigentlichen SInne des Wortes.




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iselilja
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Sa 6. Mär 2021, 10:29

Mit den Ideen - und das gilt für alle Ideen - kann man sich das etwa so vorstellen. Man nehme einen Haufen Puzzelteile, von denen man schon beim bloßen Anblick sieht, dass sie zusammengesetzt ein Bild ergeben. Wir wissen weder welches Bild noch ob es sich dabei um ein einziges oder doch mehrere handelt und wir wissen ebenfalls noch nicht, ob auf dem Bild etwas zu sehen ist, was der Realität entspricht. Und wir wissen nicht einmal, ob die Teile vollzählig sind. Wir wissen nur, dass wir einen augenblicklichen Zugang haben, der uns vermuten lässt, dass es sich dabei um etwas SInnvolles handeln dürfte.

Fügen wir die Teile nun so zusammen, dass am Ende ein sinnvolles Bild entsteht, so haben wir damit zumindest geklärt, dass es ein zusammenhängendes Bild dieser "Einzelteile" geben kann (existere posse). Wir haben aber noch nicht geklärt, ob es auch andere Konstellationen gibt, in denen sich ein anderes Bild offenbart. Und wir wissen ebenfalls noch nicht, ob es damit etwas Reales darstellt. Ersteres können wir durch Probieren in Gedanken herausfinden - was wir am Ende die Phantasie/Logik/etc. nennen. Letzteres kann aber nur im Vergleich mit der Realität selbst geschehen - zu der es einen separaten Zugang geben muss. Das entstandene Bild allein kann dies nicht garantieren.




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iselilja
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Sa 6. Mär 2021, 13:01

Was uns nun in den einzelnen Disziplinen (discipulus = der Schüler) begegnet ist folgendes. Es wird eine Hand voll Puzzelteile aus dem großen sichtbaren Haufen heraus gegriffen und solange zusamengesetzt, bis es ein schönes kleines Bild ergibt - eines das am besten noch einen ästhetischen Wert vermittelt. Das passiert sozusagen jeden Tag bei jedem Menschen, wenn er sich einer Sache widmet, die ihm bisher fremd war, nun aber sein Interesse weckt.

Im Fahrwasser dieses Selektierens wird aber übersehen, dass dort immer noch ein riesiger Haufen von Puzzelteilen vor einem liegt. Er liegt genau vor unserer Nase. Und weil uns dieses kleine Abbild, welches wir für unsere Zwecke geschaffen haben, und es uns insofern auch genügt, einen tieferen Sinn zu ergeben scheint - meinen wir allzuoft, mit den rudimentären Ideen, welche diesem kleinen Bildchen entsprechen, den großen immer noch vor unserer Nase liegenden Haufen beschreiben oder gar verstehen zu können.

Hier lässt sich die Frage in Erinnerung rufen: was war es eigentlich, was wir wissen wollten?




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iselilja
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Sa 6. Mär 2021, 13:35

Die Welt, die wir uns als Subjekt erschließen, besteht am Anfang aus wenigen sensorischen "Eindrücken". Nach und nach ergeben sich erste noch sehr primitive Sinnzusammenhänge (so kennen wir bspw. die Schaffung von Himmel und Erde genauso wie die Schaffung von Tag und Nacht - um es an Hand älterer Narrative zu beschreiben). Diese Zusammenhänge finden im Zusammenspiel aller unserer verfügbaren Sinne statt - damit sind Visualität, Akkustik etc. gemeint. Unser Gehirn synthetisiert diese SInneseindrücke zu etwas "allmählich Sinnvollem".

Und dieser Prozeß hört nicht auf.. er bricht nicht ab, solange nicht gravierende Schädigungen oder Störungen eintreten - oder gar der Tod. Der oben noch methaphorisch stehende Haufen von Puzzelteilen, welcher hier nun als eine Anssammlung von Sinneseindrücken zu verstehen wäre, wird kleiner, je größer die wiederum zusammengesetzten Einzelbildchen werden. Wir kommen zu (nein wir befinden uns in) einem permanent aktualisierten Weltbild solange wir unsere Sinne benutzen.

Lesen wir irgendwann nur noch Texte oder teilen Informationen nur noch im Internet - ist dieser Prozeß bereits gestört. Der Mensch ist insofern verrückt, als er sich - um es mit Heidegger zu formulieren - selbst aus diesem Prozeß des natürlichen Welterschließens heraus nimmt - sich an eine andere Stelle rückt. Was seiner Zeit bereits Platon kritisierte.




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iselilja
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Sa 6. Mär 2021, 14:06

Die letzten acht Beiträge waren ein kleiner Exkurs in die Fragestellung, ob man denn einen neuen Realismus bräuchte. Und ich meine nach wie vor. Ja - die Zeit erfordert diesen.

Schauen wir mal, was Hans solange "erlebt" hat.

Hans ist ziemlich stolz auf sich, überhaupt den Weg zu der Stelle gefunden zu haben, wo ein paar Nächte zuvor ein Licht im Dunkel erschein. Denn im Wald, wo es keine Wege und noch weniger Wegweiser gibt, ist die Orientierung an Bäumen, die irgendwie alle ähnlich aussehen, nicht so leicht. Das Gelänge allerdinsg bot dann doch etwas Orientierung, Hans lief also einfach bergab und dann in etwa der selben Richtung wieder bergauf. Kleinere Tümpel in der Niederung verhalfen zur Möglichkeit, wenigstens etwa die Richtung zu halten. Merkwürdig war für Hans aber schon, dass sich auf seinem ganzen Weg bisher keinerlei Anzeichen von Zivilisation boten - nicht einmal an den Tümpeln selbst - kein Steg oder sonst irgendwas. Die Enttäuschung war dementsprechend recht groß, als Hans erkannte, dass es keine Straßenbeleuchtung war, wie er annahm, sondern wohl eine Feuerstelle, die irgendwer in der Nacht für sich genutzt haben musste. Hans blieb eine Weile an diesem Ort, denn er hoffte, dass derjenige vielleicht zurück kommen würde. Ansonsten gab die Stelle mit dem verkohlten Holz nicht viel Information her.




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So 7. Mär 2021, 00:08

Der zweite bekannte Veretreter des N.R. - wie auch M. Gabriel ein an Mathematik und Naturwissenschaft Interessierter, der sich philosophischen Themen widmet - führt die Bilanzierung der Welt aus einer ganz anderen Denkart heraus auf. Für Q. Meillassoux steht die klassische Philosophie (genauer bestimmte Strömuungen derer) im Lichte eines Cartesianismus, den er versucht auf neue Weise wieder zu beleben.

Wir werden Meillassoux einen etwas größeren Rahmen geben müssen als Gabriel, weil die Fragestellungen, die in diesem Horizont auftauchen etwas komplexer sind.


Wie der Faden bis hierhin zeigt, ist die Geschichte um Hans, den vor 1000 Jahren irgendwo im Wald ausgesetzten Probanden, eine fiktive Geschichte, die soweit wie hier im Rahmen des Themas möglich versucht, ein plausibles und durchaus vorstellbares Szenario zu schaffen. Wir können uns also als Leser eine Person vorstellen, die Handlungen vollzieht und Dinge erlebt. Was uns nun aber bis jetzt unbeantwortet bleibt, ist die Frage, könnte diese Geschichte tatsächlich so gewesen sein (abgesehen von dem Umstand, dass Hans unfreiwillig und unwissend eine Zeitreise unternahm)? Mit anderen Worten: lässt sich Geschichte als historische Erzählung überhaupt realistisch rekonstruieren? Oder bleibt es letztendlich eine an Indizien orientierte Konstruktion unseres Verstandes?

Der Punkt, mit dem ich nun zu Meillassoux übergehen will ist die Frage, inwieweit sich der Umstand des nicht-dabei-gewesen-Seins durch bloße Begutachtung bspw. archäologische Funde ersetzen lässt. Daraus ergibt sich nämlich die Frage, in welchem zeitlichen Rahmen wir überhaupt von Realität sprechen können.

ps: Auch hier soll es weniger darum gehen, welchen Wortlaut Meillassoux benutzt, sondern vielmehr darum in wieweit sich durch M. aufgeworfene Fragestellungen sinnvoll beantworten bzw. überhaupt als Problematik erfassen ließen.




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iselilja
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Mi 10. Mär 2021, 19:28

Um auf den "richtigen" Geschmack zu kommen, wenn es nun darum geht, den spekulativen Realismus - der von vielen ebenfalls als eine Variante des neuen Realismus angesehen wird - im weiteren zu beurteilen, möchte ich mit einer subjektiven Frage beginnen.

Was erscheint uns unvorstellbarer: dass es vor dem sog. Urknall nichts gab (nicht einmal die Zeit) oder dass es das Universum schon immer gegeben hat? Man kann sich nicht so recht entscheiden.. mir jedenfalls geht es so. Das heißt, beide Vorstellungen finden keine Vergleichbarkeit in der uns verfügbaren Realität - diese Frage ist also im wahrsten Sinne des Wortes transzendent (und streng genommen metaphysisch). Sie übersteigt unsere Möglichkeiten sowohl der Vorstellbarkeit als auch der Beurteilbarkeit. Wir können hier nicht mit reinem Gewissen, noch weniger mit Empirie antworten: ja, es ist so und so bzw. es hat sich so und so zugetragen. Wir können aber immerhin mit gutem Gewissen sagen: wir glauben, dass dies so und so gewesen sein könnte.

Der Punkt, um den es hierbei im Wesentlichen geht, ist der wohlbekannte Schlüssel unter dem Fußabtreter. Wir können unter dem Fußabtreter nicht nachsehen, weil wir uns nicht in der Zeit befinden, in der er unter der Matte gelegen haben soll.




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Mi 10. Mär 2021, 21:31

Meillassoux führt den Begriff der Anzestralität ein, womit im groben alles real Gewesene (oder auch der Wriklichkeit entsprechende) gemeint sei, was sich zeitlich vor dem Menschen als Bezugnehmender ereignet hat. Er stellt somit die infolge Kants herrschenden Paradigmen der Relation von Subjekt und Objekt einem faktischen Erscheinen der Dinge gegenüber. Diese Dinge nennt er dementsprechend Archifossil.

Es darf sich (bereits hier!) die Frage gestellt werden, wie M. dazu kommt, Archifossil und moderne Wissenschaft (als den erkennenden Menschen (das Subjekt)) zu korrelieren. Die Antwort lautet frei nach Meillassoux: die exakten Wissenschaften stellen die Mittel zur Verfügung, um das Subjekt gewissermaßen außen vor lassen zu können. Meillassoux entspricht damit im Wesentlichen der recht verbreiteten Vorstellung, dass es eine bewußseinsunabhängige Realität gibt, die vom Menschen erkannt werden kann, ohne dass dazu der erkennende Mensch nötig sei.

Es ist diese gefühlte Absurdität, mit der ich die Perspektive auf die verschiedenen Formen "neuer Realismen" aufweiten möchte. Nicht eine destruierende Kritik steht dabei im Mittelpunkt sondern eine kritische Analyse der Methodik, um sich am Ende ein möglichst klares Bild davon zu schaffen.


ps: Um den genuin wissenschaftlichen Standpunkt dabei nochmal zu verdeutlichen. Die Erde gab es auch schon, als es den Menschen noch nicht gab. Was leicht einsehbar ist. Doch kann es eine Erkenntnis von der Erde geben - oder gar eine wahre Erkenntnis, die kein bloßes Irren ist - wenn es den Menschen garnicht gäbe?




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Sa 13. Mär 2021, 07:59

Wir müssen das Beispiel mit dem Schlüssel unter der Matte etwas genauer betrachten, sonst verstehen wir nicht die Tragweite historischer Ansprüche.

Wenn eine Person X einer Person Y erzählt, dass sie sich ganz sicher ist, dass gestern noch der Schlüssel unter der Matte lag, wo er nun nicht mehr ist - dann entfaltet sich in der Relation von Erzählung und Rezeption das intersubjektive Moment des Glauben schenkens. Glauben wir also der Person X, dass sie mit reinem Gewissen erzählt, dann ordnen wir das Erzählte in die reale Welt als Tatsache ein, und zwar ohne zu wissen, ob es eine Tatsache ist. Hier wird also die Tatsache angenommen. Ob es allerdings eine Tatsache ist oder nicht, weiß nur Person X, denn nur in ihrer Erinnerung taucht jener Schlüssel auf. Für Person Y hingegen bleibt nur die Tatsache übrig, dass auch sie weiß, was ein Schlüssel ist (beide also über einen gemeinsamen Begriff des Schlüssels verfügen) und dass es prinzipiell - all ihrer Erfahrung nach - möglich ist, dass er unter der Matte gelegen haben kann.

Zwischen Person X und Person Y besteht also ein fundamentaler Unterschied im Wissen um die Sache, den ich mit einem Dabei-Sein charakterisieren möchte. Wir erinnern uns an der Stelle womöglich an das Heideggersche Dasein, welches den ontologischen Status "definiert". Hier nun aber geht es um den temporalen Aspekt ontologischer Einordenbarkeit.

Denn in Person Y taucht keinerlei Erinnerung an jenen Schlüssel auf. Sondern lediglich eine abstrahente Vorstellung der Möglichkeit. Die Schlüssel von Person X und Person Y sind also nicht identisch - was soviel heißt wie: sie sind nicht ein und der selbe.




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Sa 13. Mär 2021, 08:10

Bei Meillassoux aber lautet die Fragestellung ganz anders, denn er fragt nicht danach, ob der Schlüssel unter der Matte lag, sondern er sieht, dass er unter der Matte liegt (präsens!). Das Faktum, dass wir über Archifossile verfügen, sie gewissermaßen in unseren Händen halten wenn wir sie ausgegraben haben, macht die intersubjektive Differenz an der Stelle obsolet - denn jeder Mensch kann es sich gleichermaßen ansehen und in den Händen halten. Es (das Archifossil) ist also da.

Und dennoch ist mit Meillassoux' spekulativem Realismus längst nicht die Frage beantwortet, wann und wie es da war.

Denn hier ist es nun egal, ob Person X oder Y urteilt, denn keine von beiden war dabei.




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Sa 13. Mär 2021, 08:56

Person X und Person Y können hier also stellvertretend als die gesamte Menschheit verstanden werden, die aus der Aktualität heraus auf eine Vergangenheit "schaut", deren Anschauung ihr nicht gegeben ist. Diese Vergangenheit entspricht vielmehr der Schopenhauerschen Auffassung der Welt als Wille und Vorstellung. Insbesondere geht es hierbei um die Vorstellbarkeit dessen, was in der Vergangenheit sich real zugetragen haben könnte.

Und in diesem Sinne müssen wir uns Meillassoux etwas genauer ansehen, wie es zu dieser Vorstellbarkeit denn überhaupt kommt - denn sie kommt ja nicht von ungefähr, sondern auf einem langen und empirisch sorgfältig erarbeitetem Wege zustande, den wir als Wissenschaftlichkeit bezeichnen.

Nehmen wir bspw. die Radiocarbonmethode zur Bestimmung des Alters fossiler Fragmente. Nehmen wir die Sedimentanalyse von Gesteinsformationen. Usw. Wir können also im engeren Sinne chronologische Abfolgen bestimmen, wann sich etwa was ereignet haben muss. Wohl gemerkt unserer Vorstellung zufolge! Denn keiner von uns war dabei - und könnte sich an der vergangenen Realität stoßen, so dass sich ein Irrtum unsrerseits zeigen könnte. In der Experimentalwissenschaft hingegen werden wir ständig überrascht, was uns unsere Vorstellungen korrigieren lässt. Doch was könnte unsere Vorstellung über die Vergangenheit korrigieren - es gibt kein solches Korrektiv, weil es dies nicht mehr gibt. Unsere Vorstellungen bzgl. der Vergangenheit können also nicht an der Vergangenheit selbst scheitern - so wie das in der Aktualität möglich ist.




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Sa 13. Mär 2021, 08:59

Womit wir nun ein weiteres Kriterium (Charakteristikum) der Realität gefunden haben. Sie ist das Korrektiv unserer Vorstellungen.




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Sa 13. Mär 2021, 09:18

Beziehen wir uns also auf die Vergangenheit, ist die Welt Wille und Vorstellung. Wir verstehen streng genommen also, was wir verstehen wollen. Nur eines kann dies korrigieren - unser Dabeigewesensein. Erinnerung ist etwas anderes als Vorstellung.




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iselilja
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Sa 13. Mär 2021, 12:05

Der intentionale Vorgriff auf dasjenige, was wir der Realität eigentlich entnehmen wollen - nämlich die Kenntnis über die Dinge/Sachverhalte selbst - bildet in gewissem Sinne das ab, was Kant als Vorstellungen apriori bezeichnete. Sie zeichnen den Weg vor, an dem entlang wir nach Erkenntnis suchen. Wir synthetisieren die uns nur detailhaft verfügbare Realität zu etwas unendlich Ganzem, in dessen Kontext uns die concreta als sinnvoll erscheinen.

Wir sehen also, dass Gabriels Beschreibung eines Sinnfeldes sehr wohl eine sinnvolle Beschreibung ist. DIe Frage ist nur wie weit und unter welchen Bedingungen sinnvoll.




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Sa 13. Mär 2021, 14:05

Und an dieser Stelle nun lässt sich sicherlich auch verstehen, warum es keine Welt geben kann, die als ein geschlossenens System antizipiert wird. Denn etwas kann sehr wohl sinnvoll sein, aber etwas kann nicht unendlich sinnvoll sein. Es muss in einem Rahmen (einem Kontext) eingebettet sein, der zugleich offen sein muss. Wie bereits Aristoteles erkannte: der Gedanke muss zum Stillstand kommen können.

Sowohl Heideggers In-der-Welt-sein als auch der anthropologische Ansatz Plessners, der die Antizipation aus der Leiblichkeit in das Feld der Umweltlichkeit hinein projiziert, sehen bereits, dass eine Welt niemals ein geschlossenens System sein kann, welches als Objekt in Erscheinung treten könnte. Die Welt ist das (Um-)Feld schlechthin.

Denn wie bereits weiter oben beschrieben, endet die Welt nicht dadurch, dass wir uns in ihr frei bewegen können. Sie ist also in einem doppelten Sinne unendlich. Einmal als statische Räumlichkeit gedacht, die wir uns als den infiniten Raum des Universums vorstellen können - zugleich aber auch unendlich in seiner lebensweltlichen Performation, denn wir können als Mensch niemals an ein Ende der Welt gelangen, selbst wenn es ein Ende des Universums gäbe. Und sogar zeitlich können wir kein Ende der Welt denken.

Jede Form von Sinnhaftigkeit muss also in einer "größeren" Form (einem größeren Sinnfeld) eingebettet sein, um überhaupt sinnvoll sein zu können. Und hier müssen wir lernen, zwischen Synästhesie und Vorstellung zu unterscheiden. Das eine führt zu einem gesunden Realitätsverständnis, das andere zu bloßen Abstraktionen.

ps: Selbst ein Wahnsinniger hat gewisse Vorstellungen, obwohl ihm das andere bereits abhanden gekommen zu sein scheint. :-)




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Sa 13. Mär 2021, 23:06

iselilja hat geschrieben :
Sa 13. Mär 2021, 14:05
Denn etwas kann sehr wohl sinnvoll sein, aber etwas kann nicht unendlich sinnvoll sein. Es muss in einem Rahmen (einem Kontext) eingebettet sein, der zugleich offen sein muss.
Paralleel zu den bildhaft in Erscheinung tretenden Assoziationen der Realität findet auch eine sprachliche Abbildung der Verweisungs(Sinn-)zusammenhänge statt. Unser Begriffsuniversum ist in selber Weise strukturiert, wie wir die Struktur der Welt als Ganzes wahrnehmen. So ist es bspw. naheliegend, wenn wir an Fische denken, auch an Wasser zu denken.

Es gibt keinen mathematischen Körper, der diese Strukturiertheit in eine abschließende Form bringen könnte. Und genau deshalb greifen wir auch auf metaphorische Begrifflichkeiten zurück, indem wir es Feld oder Sphäre oder Netz oder wie auch immer nennen. Wir würden es (die Welt) aber nicht Oktaeder oder Quadrat oder Planar oder ähnliches nennen. Denn die Struktur der Welt bleibt für uns im Grunde formlos - sie bleibt für Erlernbares offen. Was auch ein Grund ist, warum wir sie nicht von außerhalb "betrachten" können (auch nicht theoretisch) - denn wir würden garnicht wissen, was wir da bildhaft assoziieren sollten.

Und bezüglich der Form werden wir nun einen signifikanten Unterschied zwischen Meillassoux' und Gabriels "Realismus" erkennen. Denn für M. sind die mathematischen Formen eine allgemein gültige Gewißheit, an Hand derer wir mit gutem Gewissen auf die Vergangenheit rekurieren dürfen. Ob das wirklich so ist, werden wir noch sehen.




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So 14. Mär 2021, 09:33

Ich vermute mal, es ist leicht einsehbar, dass es so etwas wie eine bedingungslose Sinnhaftigkeit von etwas nicht geben kann. Etwas kann also nur dann Sinn haben, wenn es als Minimalanforderung eine Relation zu etwas anderem hat. Sinnhaftigkeit ist also immer bedingt.

Und auf wundersame Weise landen wir wieder in der Korrelation von was auch immer. ;-)




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So 14. Mär 2021, 16:34

iselilja hat geschrieben :
Sa 13. Mär 2021, 23:06
Denn die Struktur der Welt bleibt für uns im Grunde formlos - sie bleibt für Erlernbares offen. Was auch ein Grund ist, warum wir sie nicht von außerhalb "betrachten" können (auch nicht theoretisch) - denn wir würden garnicht wissen, was wir da bildhaft assoziieren sollten.
Wir müssen das hier nochmal etwas genauer betrachten, sonst verstehen wir nicht, warum Gabriels Welt-Nichtexistenz an der Sache vorbei argumentiert.

Wir können Modelle bauen, bspw. Flugzeugmodelle bevor sie in Produktion gehen. Wir können Modelle der Erde nachbilden und so für den Schulunterricht verwenden. Ja sogar bei Atomen schaffen wir uns Erklärungsmodelle, die der Anschaulichkeit dienen sollen. In all solchen Fällen wissen wir ungefähr oder auch sehr genau, wie so ein Modell aussehen muss oder unserer Erfahrung nach aussehen könnte. Ja sogar Arbeitsprozesse, die nun keineswegs irgendwie körperlich sind, können wir schematisch ins Modell setzen. Struktugramme können wir bilden. Wir können sogar innerhalb der Kunst Gefühlswelten abbilden. Usw. Doch wie sollte ein Modell der Welt aussehen - denn es müsste doch all das in sich vereinen, was wir in diverser Formgebung einzelnen Modellen und Verbildlichungen angedenken.

Und hier sehen wir nun, dass wir die Welt als bestaunbares Objekt nicht rekonstruieren können, um es "von außen" zu betrachten. Das ist aber kein Argument dafür, dass es sie nicht gäbe.. denn wir können sie ja immerhin noch von innen her betrachten. Und genau das machen wir jede Sekunde unseres Lebens.




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Alethos
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So 14. Mär 2021, 16:42

Es ist ein wenig traurig das Ganze. Ich kann das nicht mehr lesen, sorry!



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Alle lächeln in derselben Sprache.

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