Das Wesen der Dinge

Aspekte metaphysischer Systementwürfe und der Ontologie als einer Grunddisziplin der theoretischen Philosophie können hier diskutiert werden.
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AndreaH
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Mi 5. Mai 2021, 11:37

Alethos hat geschrieben :
Mo 3. Mai 2021, 19:25


Da der Gegenstand nun nicht wesentlicher Tisch ist als funktionaler Gegenstand denn als Kaufgegenstand, lässt sich auch keine Eigenschaft als wesentlichere bestimmen. Das Wesen des Gegenstands transzendiert sozusagen die Grenzen eines einzelnen Begriffs (weshalb es u.a. auch Nachttische, Wickeltische, Opfertische, antike Tische, Zeichnungstische, abstrakt gezeichnete Tische, gebrauchte Tische usw. gibt). Der Begriff "Tisch" ist unterbestimmt für alle Fälle von Tischsein, weshalb er nicht mit dem Wesen des Tischseins zusammenfallen kann.
Mir ist dies noch nicht so klar?!
Da ich abstrakt gezeichnete Tische
nicht als Tisch sehen würde, sondern als eine Zeichnung auf der sich ein Abbild eines Tisches befindet.
Daher wäre das für mich kein Tisch sondern eine Zeichnung.
Jedoch sind auf einer Zeichnung von einem Tisch die wesentlichen Eigenschaften eines Tisches gut erkennbar. Denn auch, dass z.B. der gezeichnete Tisch aus festen Material ist, sieht man auf einer Zeichnung.




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Alethos
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Mi 5. Mai 2021, 12:46

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Mi 5. Mai 2021, 10:26
Nehmen wir mal um das Argumentes Willen an, Gabriel hätte mit seiner Wesens-Definition des Menschen, als demjenigen Tier, das nach sich fragen kann, recht. Das Wesen besteht in diesem Fall allerdings gerade darin, dass der Mensch nicht auf einen "bestimmten Gegenstand" festgelegt ist. Da Männer und Frauen ihrerseits Menschen sind, dürfte hier sicherlich im Ergebnis ähnliches zu erwarten sein :)
Mir gefällt ja dein Beitrag insgesamt ganz gut, aber das halte ich für ein Mogel-Argument :) Das Wesen soll gerade darin liegen, nicht festgelegtes Wesen zu sein? Da soll nochmal einer sagen, Frauen seien kompliziert und Männer ganz einfach gestrickt :mrgreen:



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Alethos
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Mi 5. Mai 2021, 12:59

AndreaH hat geschrieben :
Mi 5. Mai 2021, 11:37
Alethos hat geschrieben :
Mo 3. Mai 2021, 19:25


Da der Gegenstand nun nicht wesentlicher Tisch ist als funktionaler Gegenstand denn als Kaufgegenstand, lässt sich auch keine Eigenschaft als wesentlichere bestimmen. Das Wesen des Gegenstands transzendiert sozusagen die Grenzen eines einzelnen Begriffs (weshalb es u.a. auch Nachttische, Wickeltische, Opfertische, antike Tische, Zeichnungstische, abstrakt gezeichnete Tische, gebrauchte Tische usw. gibt). Der Begriff "Tisch" ist unterbestimmt für alle Fälle von Tischsein, weshalb er nicht mit dem Wesen des Tischseins zusammenfallen kann.
Mir ist dies noch nicht so klar?!
Da ich abstrakt gezeichnete Tische
nicht als Tisch sehen würde, sondern als eine Zeichnung auf der sich ein Abbild eines Tisches befindet.
Daher wäre das für mich kein Tisch sondern eine Zeichnung.
Jedoch sind auf einer Zeichnung von einem Tisch die wesentlichen Eigenschaften eines Tisches gut erkennbar. Denn auch, dass z.B. der gezeichnete Tisch aus festen Material ist, sieht man auf einer Zeichnung.
Wenn wir uns an die SFO anlehnen, was wir ja nicht müssen, dann gilt natürlich auch der gezeichnete Tisch als Tisch im wahrsten Sinn. Er muss nicht mal die Formen eines Tisches haben, es reicht, dass der Künstler oder die Künstlerin sagt, es sei ein Tisch. Das gehört ja zum Wesen des Kunstswerks, dass die Individuen „radikal autonom und notwendig interpretiert sind“. Die Interpretation ist also nicht ganz unwesentlich.



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Alethos
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Mi 5. Mai 2021, 13:02

Friederike hat geschrieben :
Mi 5. Mai 2021, 09:18
Alethos hat geschrieben :
Di 4. Mai 2021, 23:15
[...] Bleiben wir bei Menschen, vielleicht wird deutlicher, was ich sagen will: Fragen wir uns einmal, was das Wesen des Mannes ist. Oder das Wesen der Frau. Würden wir hier wirklich sagen können, das Wesen sei hinreichend bestimmt, wenn ein definierter Kriterienkatalog erfüllt ist? Würden wir da nicht an einen Punkt gelangen, wo wir sagen müssten, es gebe „den Mann“ oder „die Frau“ so (als durch wesentliche Eigenschaften bestimmten Gegenstand) gar nicht, sondern nur Männer und Frauen mit ihren Eigenheiten?
Jedesmal, wenn ich denke, nun endlich hätte ich Dich verstanden, dann sagst Du "etwas", woran ich merke, daß ich rein gar nichts verstanden habe. Das liegt ganz sicher nicht an Dir.
Wir Zwei!

Unsere lockere Art, mit dem gegenseitigen Nichtverstehen derart umzugehen, dass wir einander trotz allem verstehen wollen, hat was ganz Besonderes, finde ich :)



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infinitum
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Mi 5. Mai 2021, 13:16

habe etwas in der 2. Medi von Descartes gelesen, in dem er über das Erfassen von Wachs und seiner Eigenschaft spricht und versucht das Wesen dessen zu erkennen. Ist zwar nicht SFO-konform, aber dennoch interessant:
Indessen erstaune ich, wie sehr mein Geist zu Irrtümern neigt. Denn obwohl ich dies schweigend und ohne ein Wort auszusprechen betrachtet habe, klammere ich mich dennoch an die Wörter selbst und werde fast von alltäglichen Redensarten betrogen. Wir sagen nämlich: » Wir sehen das Wachs selbst«, wenn es da ist, und nicht: »Wir urteilen aufgrund der Farbe oder der Gestalt, daß es da ist«. Daraus wäre sogleich zu schließen, das Wachs werde also durch das Anblicken mit den Augen, nicht durch den Einblick des Geistes allein erkannt - wenn ich nicht zufällig gerade aus dem Fenster geblickt und Menschen die Straße hätte überqueren sehen, von denen ich nicht weniger als beim Wachs zu sagen gewohnt bin, daß ich sie sehe. Was aber sehe ich außer Hüten und Mänteln, unter denen sich Automaten verstecken könnten? Ich urteile aber, daß es Menschen sind. Und so verstehe ich das, von dem ich meinte, es mit den Augen zu sehen, allein aufgrund des Urteilsvermögens, das in meinem Geist
ist.



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Jörn Budesheim
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Mi 5. Mai 2021, 13:41

Alethos hat geschrieben :
Mi 5. Mai 2021, 12:46
aber das halte ich für ein Mogel-Argument
Ich halte das erstens für eine der Kernaussagen des Existentialismus und zweitens einfach für wahr.




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Jörn Budesheim
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Mi 5. Mai 2021, 13:49

transfinitum hat geschrieben :
Mi 5. Mai 2021, 13:16
habe etwas in der 2. Medi von Descartes gelesen
Was besagt das denn deiner Ansicht nach in Bezug auf das Thema?




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AndreaH
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Mi 5. Mai 2021, 16:12

Alethos hat geschrieben :
Mi 5. Mai 2021, 12:59
AndreaH hat geschrieben :
Mi 5. Mai 2021, 11:37
Alethos hat geschrieben :
Mo 3. Mai 2021, 19:25


Da der Gegenstand nun nicht wesentlicher Tisch ist als funktionaler Gegenstand denn als Kaufgegenstand, lässt sich auch keine Eigenschaft als wesentlichere bestimmen. Das Wesen des Gegenstands transzendiert sozusagen die Grenzen eines einzelnen Begriffs (weshalb es u.a. auch Nachttische, Wickeltische, Opfertische, antike Tische, Zeichnungstische, abstrakt gezeichnete Tische, gebrauchte Tische usw. gibt). Der Begriff "Tisch" ist unterbestimmt für alle Fälle von Tischsein, weshalb er nicht mit dem Wesen des Tischseins zusammenfallen kann.
Mir ist dies noch nicht so klar?!
Da ich abstrakt gezeichnete Tische
nicht als Tisch sehen würde, sondern als eine Zeichnung auf der sich ein Abbild eines Tisches befindet.
Daher wäre das für mich kein Tisch sondern eine Zeichnung.
Jedoch sind auf einer Zeichnung von einem Tisch die wesentlichen Eigenschaften eines Tisches gut erkennbar. Denn auch, dass z.B. der gezeichnete Tisch aus festen Material ist, sieht man auf einer Zeichnung.
Wenn wir uns an die SFO anlehnen, was wir ja nicht müssen, dann gilt natürlich auch der gezeichnete Tisch als Tisch im wahrsten Sinn. Er muss nicht mal die Formen eines Tisches haben, es reicht, dass der Künstler oder die Künstlerin sagt, es sei ein Tisch. Das gehört ja zum Wesen des Kunstswerks, dass die Individuen „radikal autonom und notwendig interpretiert sind“. Die Interpretation ist also nicht ganz unwesentlich.

;) das mit der SFO verstehe ich weniger, da fehlt mir leider die philosophische Grundlage. Genauso finde ich keinen Zugang zu Markus Gabriel. :(
Aber ich stehe absolut hinter der Meinung, dass die Interpretation sehr wesentlich ist. Nicht nur um Kunstwerke zu interpretieren auch um allgemein das Wesentliche zu sehen.

Wenn jeder von uns einen beliebigen Text vorgelegt bekommt und die Aufgabe würde lauten:
"Fassen sie das Wesentliche aus diesem Text zusammen."
Wären die Ergebnisse sehr unterschiedlich. Die meisten vielleicht ähnlich, jedoch nicht identisch.

Für mich bedeutet wesentliches erfassen, etwas kurz und bündig wiedergeben.




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AndreaH
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Mi 5. Mai 2021, 16:15

transfinitum hat geschrieben :
Mi 5. Mai 2021, 13:16
habe etwas in der 2. Medi von Descartes gelesen, in dem er über das Erfassen von Wachs und seiner Eigenschaft spricht und versucht das Wesen dessen zu erkennen. Ist zwar nicht SFO-konform, aber dennoch interessant:
Indessen erstaune ich, wie sehr mein Geist zu Irrtümern neigt. Denn obwohl ich dies schweigend und ohne ein Wort auszusprechen betrachtet habe, klammere ich mich dennoch an die Wörter selbst und werde fast von alltäglichen Redensarten betrogen. Wir sagen nämlich: » Wir sehen das Wachs selbst«, wenn es da ist, und nicht: »Wir urteilen aufgrund der Farbe oder der Gestalt, daß es da ist«. Daraus wäre sogleich zu schließen, das Wachs werde also durch das Anblicken mit den Augen, nicht durch den Einblick des Geistes allein erkannt - wenn ich nicht zufällig gerade aus dem Fenster geblickt und Menschen die Straße hätte überqueren sehen, von denen ich nicht weniger als beim Wachs zu sagen gewohnt bin, daß ich sie sehe. Was aber sehe ich außer Hüten und Mänteln, unter denen sich Automaten verstecken könnten? Ich urteile aber, daß es Menschen sind. Und so verstehe ich das, von dem ich meinte, es mit den Augen zu sehen, allein aufgrund des Urteilsvermögens, das in meinem Geist
ist.
Das klingt sehr interessant! :)




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Jörn Budesheim
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Markus Gabriel in Fiktionen hat geschrieben : Es ist unser Wesen, als natürliche Lebewesen sozial zu sein. Aus dieser Struktur können wir nicht ausbrechen, welche Phantasien der menschlichen Selbstüberwindung auch immer zu einer gegebenen Zeit grassieren mögen.




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infinitum
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Jörn Budesheim hat geschrieben :
Mi 5. Mai 2021, 13:49
transfinitum hat geschrieben :
Mi 5. Mai 2021, 13:16
habe etwas in der 2. Medi von Descartes gelesen
Was besagt das denn deiner Ansicht nach in Bezug auf das Thema?
Descartes versucht das Wesen der Dinge oder in diesem Fall des Wachses zu erfassen, indem er sich fragt, ob alle "sinnlichen" Wahrnehmungen" dieses Gegenstandes denn dazu führen oder hilfreich sind, dieses Wesen zu erkennen. Da er in der ersten Meditation generell zweifelt ob das was er sieht wirklich existiert, fragt er hier ob dieses Wachs denn überhaupt existiert und was davon übrig bleibt, wenn die sinnliche Wahrnehmung, die eventuell Täuschung ist, wegfällt.
Er fragt sich dann, was unter den Merkmalen steckt, die außerdem durch das Urteilen resultieren. Und was dann noch übrig bleibt.

Also irgendwie dachte ich, dass es in dem Zusammenhang mit unserem Tischbeispiel ganz passend ist, da wir den Gegenstand den wir u.a. anhand Farbe oder einer anderen Eigenschaft als das Wesen oder den Gegenstand "Tisch" festmachen wollten.

Also Descartes Ansicht driftet m.E. stark ab von Gabriels Theorie, da sein "Wesen" der Dinge eventuell im Bereich der Metaphysik zu suchen ist. Aber den Aspekt der verstandesgemäßen Beurteilung der Eigenschaften des Gegenstandes finde ich interessant und darüber wollte ich nochmal näher nachdenken, wie dies in Gabriels Konzept passt oder wie es hier Verwendung findet (?).



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Jörn Budesheim
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Mi 5. Mai 2021, 19:50

transfinitum hat geschrieben :
Mi 5. Mai 2021, 19:23
Gabriels Theorie
Aber wir sind in diesem Thread hier in keiner Hinsicht auf Gabriels Theorie festgelegt, finde ich. Dass er jetzt in den letzten Beiträgen Thema wurde, ist meines Erachtens nur ein Nebenstrang.




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transfinitum, Descartes zitirend hat geschrieben :
Mi 5. Mai 2021, 13:16
Was aber sehe ich außer Hüten und Mänteln, unter denen sich Automaten verstecken könnten?
Aber ist es nicht so, dass Rene Descartes hier mehr über sich selbst und seine mögliche oder unmögliche Erkenntnis der Dinge spricht als über die Dinge selbst und ihr Wesen?




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Mi 5. Mai 2021, 19:57

transfinitum hat geschrieben :
Mi 5. Mai 2021, 19:23
den Aspekt der verstandesgemäßen Beurteilung der Eigenschaften des Gegenstandes finde ich interessant und darüber wollte ich nochmal näher
Ich denke, das passt sehr gut in diesen diskutierten Zusammenhang. Wachs zu sehen, bspw. wie es schmilzt, ist doch etwas anderes, als Wachs zu spüren, wie es sich zunächst heiss und dann abkühlend auf der Haut anfühlt.
Für das Auge ist es wesentlich so und so, für den Tastsinn wesentlich so und so. Für den Gedankensinn wiederum anders wesentlich.



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Mi 5. Mai 2021, 20:25

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Mi 5. Mai 2021, 19:57
transfinitum, Descartes zitirend hat geschrieben :
Mi 5. Mai 2021, 13:16
Was aber sehe ich außer Hüten und Mänteln, unter denen sich Automaten verstecken könnten?
Aber ist es nicht so, dass Rene Descartes hier mehr über sich selbst und seine mögliche oder unmögliche Erkenntnis der Dinge spricht als über die Dinge selbst und ihr Wesen?
Doch, das hat er. Ich meine nur, dass Descartes den Fehler einiger Erkenntnistheoretiker jener Zeit macht, das Wesen der Dinge ausschliesslich jenseits der Relation zu vermuten, in der die Dinge an sich eben auch existieren: in ihrem Fürunssein.

Du hast neulich etwas Treffendes über Blumen gesagt: Dass ihr Schönsein abstrahlt und dieses Schönsein nur Sinn ergebe, wenn es für jemanden / für etwas sei (ungefähr so). Die Schönheit ist doch wesentlicher Teil der Blume in ihrem Fürunssein? Uns wegsubtrahieren zu wollen vom Wesen der Dinge, indem wir uns ihr Wesen als nur an sich seiend vorstellen, das würde doch dieser Wirklichkeit der Blume nicht ganz gerecht und damit auch nicht ihrem Wesen als schönes Ding?

Das ist im Grunde meine Frage: In welcher Form hat denn „die Blume“ ihre wesentliche Wirklichkeit? Als Schönes? Als Biologisches? Und wenn wir beides vermengen, das Schöne und das Biologische, würde dann nicht der Umfang ihres Wesens erweitert werden müssen um jene Eigenschaften, die sie sowohl schön macht als auch lebendig?

Das sind offene Fragen und keine Argumente...



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Jörn Budesheim
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Alethos hat geschrieben :
Mi 5. Mai 2021, 20:25
Du hast neulich etwas Treffendes über Blumen gesagt
Das?
Jörn hat geschrieben : Doch plötzlich fällt ihm etwas auf: Wenn er von diesem wunderbar vollen Grün spricht, färbt dann nicht die wirkliche Farbe der Wiese auf den Begriff ab? Ist es nicht die Wiese selbst in ihren vielfältigen Grüntönen, die in diesem Moment die Bedeutung des Begriffes bestimmt.




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Alethos
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Mi 5. Mai 2021, 21:11

Nein, das ist zwar auch sehr gelungen formuliert, aber eigentlich meinte ich das (es ging um Blüten):
Jörn Budesheim hat geschrieben :
Do 21. Mai 2020, 11:16
Wie sieht es aus mit einer Blüte? In einer gewissen Hinsicht dürfte es der Blüte zwar "egal" sein, wie sie gesehen wird. Auf der anderen Seite können wir ihre Erscheinung meines Erachtens gar nicht verständlich machen, wenn wir nicht in Rechnung stellen, dass sie so, wie sie ist, gewissermaßen "für andere Lebewesen" ist. Man könnte vielleicht sagen, ihre Erscheinung ist auf Wahrgenommenwerden ausgelegt. Die Blüte ist natürlich nicht "für sich", in dem Sinne, dass sie sich um sich sorgt und ein Bild von sich hat, an dem sie sich orientiert. Aber sie ist nicht bloßes "an sich", wie auch immer man das im Einzelnen ausbuchstabieren müsste. Ihr Sein ist nur aus einem lebendigen Zusammenhang heraus zu verstehen.

...

In diesem Konzept könnte der Umstand, dass die Blüte so und so aussieht, die Wiese im Frühling grün und schön ist, so und so riecht etc... niemals zu einem Epiphänomen werden, sondern das wäre der Kern des Naturbegriffes.



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Mi 5. Mai 2021, 21:57

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Mi 5. Mai 2021, 17:14
Markus Gabriel in Fiktionen hat geschrieben : Es ist unser Wesen, als natürliche Lebewesen sozial zu sein. Aus dieser Struktur können wir nicht ausbrechen, welche Phantasien der menschlichen Selbstüberwindung auch immer zu einer gegebenen Zeit grassieren mögen.

;) Das wäre ein Anfang um für mich einen Zugang zu Gabriel zu finden.




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Do 6. Mai 2021, 06:55

Alethos hat geschrieben :
Mi 5. Mai 2021, 20:25

Du hast neulich etwas Treffendes über Blumen gesagt: Dass ihr Schönsein abstrahlt und dieses Schönsein nur Sinn ergebe, wenn es für jemanden / für etwas sei (ungefähr so). Die Schönheit ist doch wesentlicher Teil der Blume in ihrem Fürunssein? Uns wegsubtrahieren zu wollen vom Wesen der Dinge, indem wir uns ihr Wesen als nur an sich seiend vorstellen, das würde doch dieser Wirklichkeit der Blume nicht ganz gerecht und damit auch nicht ihrem Wesen als schönes Ding?

Das ist im Grunde meine Frage: In welcher Form hat denn „die Blume“ ihre wesentliche Wirklichkeit? Als Schönes? Als Biologisches? Und wenn wir beides vermengen, das Schöne und das Biologische, würde dann nicht der Umfang ihres Wesens erweitert werden müssen um jene Eigenschaften, die sie sowohl schön macht als auch lebendig?

Das sind offene Fragen und keine Argumente...
das ist ein guter Punkt und als ich das gelesen habe, musste ich an Indras Netz (aus dem Buddhismus) denken. Hier ist alles durch Verbindung miteinander in Relation gesetzt und dieses gegenseitige Erkennen wird zum Beispiel so symbolisiert, dass in einem Netz viele spiegelnde Kügelchen sind, die sich jeweils gegenseitig erkennen, da sie sich in dem anderen Kügelchen jeweils spiegeln.

Bild

Ich hatte auch vor langer Zeit mal einen Bericht gelesen, welcher Quantenphysik und Buddhismus verbinden wollte. Hier wird auch vom Wesen der Dinge gesprochen, welches aber nicht unabhängig von anderen Dingen existiert.
Ein Ding ist demnach nicht identisch mit seinen Bedingungen, aber auch nicht getrennt davon zu sehen. Als ein Beispiel dient Nagarjuna das Begriffspaar „Geher“ und „begangene Strecke“. Ohne Geher gibt es keine begangene Strecke, er existiert aber auch nicht außerhalb der begangenen Strecke. Sie können nur zusammen existieren. Da alle Dinge nur relativ existieren, können sie keine Wesenhaftigkeit besitzen, sie sind „leer“ von Eigennatur.
...
Leerheit bedeutet nicht Nicht-Existenz, sondern das Fehlen der Wesenhaftigkeit in der Welt.
...
Der Beobachter bildet quasi eine Einheit mit dem Beobachteten, er ist aber weder mit ihm identisch noch von ihm getrennt zu sehen. Ebenso erhält bei Nagarjuna ein Ding seine (vorübergehende) Identität oder Bestimmung nur in Bezug auf ein anderes Ding: Eine weitere Illustration für dieses Postulat sich gegenseitig bedingender Begriffspaare ist eine Frau, die Mutter geworden ist. Mutter ist die Frau nur aufgrund des Kindes. Das Kind bringt folglich die Mutter hervor, diese ist in ihrem Mutter-Sein durch das Kind bedingt.
(Quelle: https://www.raum-und-zeit.com/bewusstse ... tualitaet/)



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Jörn Budesheim
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Do 6. Mai 2021, 10:43

transfinitum, zitierend hat geschrieben :
Do 6. Mai 2021, 06:55
Da alle Dinge nur relativ existieren, können sie keine Wesenhaftigkeit besitzen, sie sind „leer“ von Eigennatur.
Das leuchtet mir nicht ein. Ich meine, es ist genau umgekehrt: Dinge existieren nur in Beziehungen*, aus denen sich ihre Wesenhaftigkeit jedoch ergibt. Nehmen wir einen Springer beim Schach. Er wäre nicht, was er ist ohne die 64 Felder, den Läufer, den Turm, die Dame, den König und die Bauern. Aber in genau diesem Set hat er sein Wesen. Sein Wesen besteht darin innerhalb dieser Ordnung die Stelle "Springer" einzunehmen. Springer sind auch nicht „leer“ von Eigennatur, weil sie ihrerseits der "Ort" von vielfältigen Beziehungen sein können. Der Springer, wenn er zum Beispiel aus Holz ist, ist der Ort für dieses biologische materielle Geflecht, in dem vielleicht auch Holzwürmer ihren Platz finden.

*Ich würde den Ausdruck "relativ" gerne vermeiden, um Anklänge an Formen von Relativismus fernzuhalten. Stattdessen finde ich den Ausdruck "Relation" besser oder eben "Beziehungen".




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