Tommy hat geschrieben : ↑ Fr 8. Sep 2017, 22:33
Ich habe einen Einwand zu machen. Ich bin nicht einverstanden mit dem quasi Abbürsten der Ideenwelt, denn:
Was sind eigentlich Ideen? Und wie "wirken" sie (z.B. auf die Materie)?
So leicht, glaube ich, lässt sich diese inzwischen Jahrtausende alte Metaphysik dann doch nicht abfrühstücken.
Schon gar nicht indem man einfach sagt "irgendwas wirkt irgendwie".
Was mich angeht, will ich da auch nichts abbürsten. Am ehesten tatsächlich einen metaphysischen Anteil. Auf so etwas wie die Welt der Ideen ist man vermutlich aus eine ganz anderen Weltbild heraus gekommen, zu dem wir heute keinen Zugang mehr haben. Von einer eigenständigen und der Materie übergeordneten Welt, eindeutig bei Plato, zu einer immer noch gleichberechtigten Welt bei Kant (Dinge an sich) und Hegel, wird diese geistige Welt nun detranszendentalisiert und wahlweise in soziale Praktiken (Brandom) oder neuronale Zustände zu überführen versucht.
Dieser an sich ja nicht blöden Idee, dass Ideen einfach irgendwie im Kopf 'wohnen', ist man längere Zeit mit großen Erfolg nachgegangen, aber ausgerechnet in der Dekade des Gehirns wurden die Falten auf der Stirn tiefer. Die ganze Welt in den Kopf zu stopfen und Semantik, Logik, Ethik, Kunst, Spiritualität, den Alltag und die Liebe in neuronale Zustände zu übersetzen, das geht hinten und vorne nicht auf. Habermas spricht daher von einem äußeren Gehirn und meint unsere Traditionen damit. Werden bestimmte Muster nicht tradiert und zwar ohne Bruch, sind sie verloren, weil man den Faden nicht einfach drei Generationen später wieder aufnehmen kann, wenn niemand mehr da ist, der einem zeigen kann, wie es geht, auch wenn jemand noch so intelligent ist.
Diese äußere Muster, diese Lebensart prägt uns natürlich sehr stark, lustigerweise so stark, dass ausgerechnet der ehemalige Biologie und atheistische Fundamentalist Dawkins das alles wieder transzenndentalisiert hat, indem er die Idee der Meme (neben den selfisch genes) einführte, die so alle paar Jahre mal mehr, mal weniger aufgegriffen wird. Doch so neu war die Idee nicht, finden wir sie doch bei Luhmann (Soziale Systeme/Kommunikaion), Heidegger (Sprache) und eher unbekannt, auch bei Freud (in einer frühen Schirft die nicht zum Kanon gehört: Sexualität) in der Form, dass überindividuelle Muster auf das Individuum einwirken und das Individuum damit in den Status eines Erfüllungsgehilfen versetzen. Was man heute natürlich auch in der Kapitalismus-/Neoliberalismuskritik oder der Technikkritik (bei Susan Blackmore, die Teme = technische Meme) findet.
Es geht um diese (typisch europäoide) Idee eines Kampfes des autonomen Individuums gegen ein überindividuelles System. Nun wird diesen Systemen ja eine gewisse Tendenz zum Selbsterhalt und mehr zugeschrieben, etwas, was wir eher mit Lebewesen verbinden würden. Und natürlich ist die Frage, wie das nun eigentlich auf uns wirkt. Es ist ja nicht gnaz falsch, dass unsere Mythen, unsere Sprache, unser Wirtschaftssystem uns gewisse Räume ermöglichen und Grenzen setzen. Wir denken heute nicht mehr, eine Serie von Hurrikans sei Gottes Antwort, auf Trump, auch wenn "die Natur" manchmal zu einer Art Ersatzgott stilisiert wird (der sie vorher im Grunde auch war). Wissenschftlich-technisches, mythisch-rationales, mythisches und mitunter sogar magisches Denken sind unterschiedliche Organisationsebenen die parallel in unserer sozialen Welt vorkommen und die wir auch aus der Individualpsychologie kennen.
Als sei dies alles nicht schon kompliziert genug scheint sich nun auch noch herauszustellen, dass neuer und/oder höher nicht zwingend besser ist, wenn die Ebenen davor zu sehr negiert oder verdrängt werden. Denn dann scheint das Gesamtgefüge wackelig zu werden, wie wir es, je nach Einschätzung der Lage, aktuell sehen können (damit meine ich die letzten 30 bis 50 Jahre). Die einen verorten eine Regression zeitlich eher, andere später, wieder andere meinen, wir lebten gerade heute in der besten Welt, Tendenz, weitere Besserung.
Das Problem ist, wie kommt das alles in den Kopf. Sprich: gibt es neuronale Äquvalente, die in der Lage sind diese Beeinflussungen und Praktiken von Außen nach Innen zu verlegen. Wenn der Beruf des Fassbauers ausstirbt, gibt es dann ein Fassbau-Areal irgendwo im Hirn, was man nur elektrisch reizen muss und die alten Fähigkeiten sprudeln wieder? Klingt irgendwo zwischen merkwürdig und absurd. Das bringt einem vielleicht Habermas' Idee des äußeren Gehirns näher.
Aber um neue Türen aufzustoßen. Was ist denn die Rolle der Erwartungen? Reicht es zu sagen, dass da irgendwie Glückshormone ausgeschüttet werden und dann geht alles von selbst? Was mache ich denn falsch, wenn bei mir keine Glückhormone schießen? Oder kann ich bspw. taktisch Überzeugungen annehmen? Z.B. wenn ich lesen, dass es religiösen Menschen bei der Resilienz besser geht und ich gerade in einer Phase bin, wo ich Reilienz gut gebrauchen, kann ich dann sagen: "Ach, dann glaube ich jetzt mal an Gott", bis das wieder vorbei ist? Das wird ja der postmodernen Esoterik vorgeworfen, dass man sich im Baukastensystem überall bedient, wie's gerade zum Leben passt und vermutlich hat man damit die Heilskraft getötet, die gerade dadurch ensteht, dass man sich an überindividuelle Muster anpasst und nicht alles Muster an sich.
Was ist also die Rolle der Ideen, inwieweit beeinflussen sie uns, und wie? Mit der Deutung, dass das einfach irgendwas im Kopf geschieht, springt man vermutlich zu kurz, auch wenn auf der Buchrückseite von
Philosopie und Neurowissenschaften steht: "Der Kopf ist mit das Komplizierteste, was es im Leben gibt" (Matthias Sammer).
Reichen Kopf und ggf. soziales Gehirn? Oder muss man doch erweitern, zu einer Sphäre des Platonischen? Ist ein Monismus von oben (eine top down Weltsicht) heute noch denkbar, formulierbar?