Fiktionaler Realismus

Aspekte metaphysischer Systementwürfe und der Ontologie als einer Grunddisziplin der theoretischen Philosophie können hier diskutiert werden.
Benutzeravatar
Herr K.
Beiträge: 550
Registriert: So 13. Aug 2017, 21:45

Fr 8. Sep 2017, 17:21

Gibt es fiktionale Entitäten wie z.B. literarische Gestalten und wenn ja: auf welche Weise, z.B. sind es konkrete oder abstrakte Entitäten? Und welche Eigenschaften haben sie im Falle ihrer Existenz: nur diejenigen, die ihnen explizit zugeschrieben werden oder auch solche, die sich durch Ableitung ergeben?

(Um sich einen Überblick über das Thema zu verschaffen, ist bei Bedarf der SEP-Artikel Fiction recht hilfreich.)

Ich habe das Thema eröffnet, weil ich auf einen Beitrag von Tosa Inu im Markus-Gabriel-Thread antworten wollte, es dort aber mE OT ist.
Tosa Inu hat geschrieben :
Fr 8. Sep 2017, 10:40
Ich würde mich Kripke und Brandom verbunden fühlen, die auch behaupten, dass fiktionalen Wesen (Brandom darüber hinaus auch Zahlen) eine Form der Existenz zukommt, mein Vorschlag ist noch immer, den Begriff der Existenz von fiktionalen Wesen an der Wirkung dieser Entitäten festzumachen, wobei ich da bei Zahlen selbst Schwierigkeiten sehe.

Der zentrale Klärungsedarf besteht m.E. im Zusammenhang mit dem Begriff Existenz. Auch Meinongs Unterscheidung von Existenz und Subsistenz (die ich meinte schon in einem Sekundärtext über Aristoteles gefunden zu haben) finde ich nicht schlecht.
Wenn Du von einer Wirkung von fiktionalen Wesen ausgehst, dann impliziert das ja bereits Existenz - nur Existierendes kann wirken. Ich hätte zunächst mal nur eine Frage: Du sagtest irgendwo sinngemäß, dass es in diesem Zusammenhang einen Unterschied mache, ob etwas nur ein flüchtiger Gedanke sei oder eine ausgearbeitete Geschichte, die weithin bekannt sei. Würdest Du nun meinen, dass es nur im zweiten Falle das betreffende Fiktionale gäbe? Falls ja: wo würdest Du da ungefähr die Grenze ziehen?

Nehmen wir einmal ein Beispiel. Man stelle sich eine Situation vor, in der viele Leute auf engem Raum versammelt sind, sagen wir ein Konzertsaal, kurz vor Beginn des Konzertes. Nun riefe jemand laut in den Saal: "Feuer, Feuer, es brennt, rette sich wer kann!" Er wolle sich aber nur einen "Spaß" erlauben, d.h. er habe sich nur ausgedacht, dass es brenne. Nehmen wir weiter an, das habe Auswirkungen, d.h. die anderen Leute gerieten in Panik und versuchten, so schnell wie möglich zum Ausgang zu gelangen. Würdest Du dann sagen wollen, dass das fiktionale Feuer existiere und dieses die geschilderten Auswirkungen habe? Und wenn nicht: könnte man das nicht analog auf literarische Gestalten übertragen?




Benutzeravatar
Herr K.
Beiträge: 550
Registriert: So 13. Aug 2017, 21:45

Fr 8. Sep 2017, 19:30

(Im obigen Beitrag bitte in Gedanken jedes "fiktional" durch "fiktiv" ersetzen, außer im Ttitel. Kann den Beitrag nun leider nicht mehr editieren.)




Tosa Inu
Beiträge: 2300
Registriert: Mo 31. Jul 2017, 19:42
Kontaktdaten:

Fr 8. Sep 2017, 21:44

Herr K. hat geschrieben :
Fr 8. Sep 2017, 17:21
Wenn Du von einer Wirkung von fiktionalen Wesen ausgehst, dann impliziert das ja bereits Existenz - nur Existierendes kann wirken.
Da geht es m.E. schon los. Da hier ja nicht primär Gabriel besprochen werden muss: Von welcher Art ist denn z.B. der Placebo- und Nocebo-Effekt?
Hierzu ein link: http://placeboforschung.de/de/placebo-nocebo

Herr K. hat geschrieben :
Fr 8. Sep 2017, 17:21
Ich hätte zunächst mal nur eine Frage: Du sagtest irgendwo sinngemäß, dass es in diesem Zusammenhang einen Unterschied mache, ob etwas nur ein flüchtiger Gedanke sei oder eine ausgearbeitete Geschichte, die weithin bekannt sei. Würdest Du nun meinen, dass es nur im zweiten Falle das betreffende Fiktionale gäbe? Falls ja: wo würdest Du da ungefähr die Grenze ziehen?
Nein, ich versuche das von der Wirkung her aufzuzäumen (ohne zu wissen, ob es klappt, einfach mal so als Idee) und da sehe ich Parallelen zum physischen Existenzbereich etwa darin, dass irgendwo en Sandkorn in einen stillen See fallen kann und dieses Korn minimale Wellen erzeugt, wohingegen ein Erdbeben einen Tsunami erzueugen kann.
Der flüchtige Gedanke ist analog dem Sankdkorn und dann geht es weiter zu immer mächtigeren privaten Überzeugungen, die auch andere beeinflussen können, im näheren Umfeld, zu Zeitgeist Phänomen und dicken kollektiven Mythen oder Überzeugungen.
Herr K. hat geschrieben :
Fr 8. Sep 2017, 17:21
Nehmen wir einmal ein Beispiel. Man stelle sich eine Situation vor, in der viele Leute auf engem Raum versammelt sind, sagen wir ein Konzertsaal, kurz vor Beginn des Konzertes. Nun riefe jemand laut in den Saal: "Feuer, Feuer, es brennt, rette sich wer kann!" Er wolle sich aber nur einen "Spaß" erlauben, d.h. er habe sich nur ausgedacht, dass es brenne. Nehmen wir weiter an, das habe Auswirkungen, d.h. die anderen Leute gerieten in Panik und versuchten, so schnell wie möglich zum Ausgang zu gelangen. Würdest Du dann sagen wollen, dass das fiktionale Feuer existiere und dieses die geschilderten Auswirkungen habe? Und wenn nicht: könnte man das nicht analog auf literarische Gestalten übertragen?
Ich würde sagen, dass das Feuer nicht existiert (im Sinne davon, dass es irgendwo real brennt) dass aber die Idee des Feuers, jetzt in diesem Raum (oder in der Nähe) präsent ist und die wirkt. Ich würde also kein irgendwie geartetes fiktionales Feuer in der Welt der Idee brennen sehen wollen und meine Würstchen reinhalten, mir würde es reichen, metaphysisch abzurüsten und zu sagen, dass die Idee wirkt, genau wie die Idee bewirkt, dass ein pharmakologisch unwirksames Mittel real wirken kann, obwohl da eben nichts ist, was die Wirkung erklärt, außer dem Glauben daran.

Massenpaniken sind einerseits ein gutes Beispiel, weil dort die Kraft von Überzeugungen klar wird, andererseits sind sie natürlich sehr drastisch. Im Kern dieser Ideenkomponente steht m.E. der Begriff der Überzeugung, der anders klingt als Glauben. Was sind Überzeugungen? In welchem Verhältnis stehen sie zur Wahrheit? Wie oder wodurch wirken sie? Neurologisch, psychologisch, philosophisch.

Empirisch scheint es offenbar immer mal wieder immense Kräfte freizusetzen, wenn man von etwas zutiefst überzuegt ist. Und es scheint sehr zu lähmen, wenn die Zweifel zu groß werden.

Schau mal, was Du davon, in das was Du untersuchen möchtest, einflechten kannst.



„Die Tiere machen einen ja nachdenklich. Wir gehen doch noch außerdem zum Friseur u. begaunern die Kundschaft, sonst alles ebenso. Sich lausen u. wichsen, – Kinder, Kinder! Das nennt sich Schöpfung!“ (Gottfried Benn, im Brief, nach Zoobesuch der Affen)

Benutzeravatar
Herr K.
Beiträge: 550
Registriert: So 13. Aug 2017, 21:45

Fr 8. Sep 2017, 22:22

Tosa Inu hat geschrieben :
Fr 8. Sep 2017, 21:44
Ich würde sagen, dass das Feuer nicht existiert (im Sinne davon, dass es irgendwo real brennt) dass aber die Idee des Feuers, jetzt in diesem Raum (oder in der Nähe) präsent ist und die wirkt. Ich würde also kein irgendwie geartetes fiktionales Feuer in der Welt der Idee brennen sehen wollen und meine Würstchen reinhalten, mir würde es reichen, metaphysisch abzurüsten und zu sagen, dass die Idee wirkt, genau wie die Idee bewirkt, dass ein pharmakologisch unwirksames Mittel real wirken kann, obwohl da eben nichts ist, was die Wirkung erklärt, außer dem Glauben daran.

Massenpaniken sind einerseits ein gutes Beispiel, weil dort die Kraft von Überzeugungen klar wird, andererseits sind sie natürlich sehr drastisch. Im Kern dieser Ideenkomponente steht m.E. der Begriff der Überzeugung, der anders klingt als Glauben. Was sind Überzeugungen? In welchem Verhältnis stehen sie zur Wahrheit? Wie oder wodurch wirken sie? Neurologisch, psychologisch, philosophisch.

Empirisch scheint es offenbar immer mal wieder immense Kräfte freizusetzen, wenn man von etwas zutiefst überzuegt ist. Und es scheint sehr zu lähmen, wenn die Zweifel zu groß werden.

Schau mal, was Du davon, in das was Du untersuchen möchtest, einflechten kannst.
Och, eigentlich kann ich da nun nichts einflechten, ich kann nun nur sagen, dass ich das so sehe wie Du. Damit hat sich das Thema dann aber wohl schon erledigt; es sei denn, es tauchte noch jemand anders auf, der das anders sieht.




Benutzeravatar
Herr K.
Beiträge: 550
Registriert: So 13. Aug 2017, 21:45

Fr 8. Sep 2017, 22:40

Tommy hat geschrieben :
Fr 8. Sep 2017, 22:33
Ich bin nicht einverstanden mit dem quasi Abbürsten der Ideenwelt, [...]
Wer bürstete hier Ideen inwiefern ab?




Benutzeravatar
Alethos
Beiträge: 4212
Registriert: Do 17. Aug 2017, 15:35
Wohnort: Schweiz

Fr 8. Sep 2017, 22:55

Ich sehe die Problematik nicht wirklich. Eine fiktive Geschichte, z.B. in einem Roman, existiert in diesem Roman. Im Buch existieren Buchstaben (sie kommen dort vor), aber in den bedeutungsgetränkten Zeichen schwingt auch eine Vorstellung mit. Die Figuren werden ja imaginiert. Diese Imaginationen sind ebenso existent wie die Buchstaben, es sind wirkliche Vorstellungswelten. Eine Figur in einer Geschichte kommt vor, sie existiert in der Vorstellung derjenigen, die sie mit Bedeutung und 'Leuchtkraft' erfüllen. Sie exisitieren aber auch an sich als eine festgehaltene Vorstellung eines Autors. D.h. die Geschichte, die Figur, existiert an sich in diesem Buch als ihrem Sinnfeld. Wie gesagt, abstrahiert sich aber von diesem Sinnfeld ein neues, es wölbt sich über dieses als eine imaginierte, durch den Lesenden aufgespannte Vorstellungswelt. Dass diese 'nur' im Kopf des Lesenden vorkommt, ist deshalb nicht wirklich richtig. Die Geschichte, die Handlungen, die Figuren, die Beschreibungen etc. kommen als Zeichencodes in der 'mit den Sinnen wahrnehmbaren' Welt vor, die aber nicht existenter ist als die im Bewusstsein der Lesenden vorkommenden. Denn auch durch Bücher affizierte Fantasien existieren ganz lebenswirklich.

Ich halte diese Diskussion um die Unterschiedlichkeit von fiktiver Existenz und realweltlicher Existenz für nicht zielführend, weil es eine Art von Dichotomie zwischen individueller und intersubjektiver Existenz schafft, die in der Optik des Realismus falsch ist. Die Diskussion suggeriert eine personale Welt, in der etwas existiert, z.B. eine Bedeutung oder ein Gedanke und eine für alle anderen wahrnehmbare Welt, die sozusagen dank der 'Evidenz der Vielen' existenter wäre als die persönliche. Das halte ich für irreführend für den Versuch, Realität im Sinne des Realismus zu erfassen, weil der Realismus gerade eben zwischen individuellem, intersubjektivem Existieren keinen Unterschied macht, viel mehr noch, Existenz jenseits dieser personalen oder interpersonalen Konstruiertheit ansiedelt.

Auch die Wirksamkeit bietet keinen Gradmesser für mehr oder weniger Existierendes. Man kann z.B. die Wirksamkeit von Irrealem als Gradmesser für die Nichtexistenz heranzuziehen versuchen, es liesse sich an ebensovielen Beispielen darlegen, dass Nichtexistenz als dieses Irreale trotzdem Wirkungen zeitigen kann. Ein Schizophrener kann meinen, er sei auf göttlicher Mission und deshalb müsse er dieses und jenes tun, wobei seine Illusion von etwas, nämlich auf göttlicher Mission zu sein, ja tatsächlich lebenswirklich für andere unfassbar bleibt und daher als inexistent klassiert wird. Die Nichtexistenz von etwas für jemanden ist kein Beleg für dessen Nichtexistenz überhaupt, sondern für die Einschränkung dieser Wahrnehmbarkeit für einige, für andere aber nicht.

So kann man also getrost die Wurst im illudierten Feuer zu braten suchen, die Wurst wird nicht heiss werden. Aber das heisst eben deshalb nicht, dass die Illusion für einige wahrnehmbar ist und für andere nicht, wodurch sie für einige irgendwelche Wirkungen zeitigen kann und für andere nicht. Die Menge jener, für die die Illusion sichtbar wird, muss dann auch nicht deckungsgleich sein mit jener, für die Wirkungen entstehen. Man nehme erneut das Beispiel eines Geisteskranken, der glaubt, Menschen töten zu müssen. Dessen ins Pathologische gedriftete Illusion kann für andere, die nicht von dieser Illusion betroffen sind, ja durchaus schwerwiegende Konsequenzen haben.

Mithin stellt sich also doch vielmehr die Frage, wo die Grenze dieses fiktiven Existierens lebenswirkliche Relevanz für einen selbst odere andere hat. Ein kurzer gedanklicher Abschweifer hat ja wohl ähnlich diesem Sandkorn im Meer eine ganz andere Wirkmächtigkeit als ein intensiv elaborierter Roman.

Das Fiktive ist deshalb Teil des Existierenden in derselben Art und Weise wie das für alle sinnlich Fassbare, ungeachtet dessen Wirksamkeit für alle, einen oder einige. Denn gerade das Bewirken von etwas durch etwas ist allem gegeben, das existiert, und alles existiert in einem Sinnfeld. Nichts existiert nicht. Das hat Parmenides bereits im 7. Jahrhundert vor Christus besprochen, weshalb alles eines Wirkung hat. Allein, was keine Wirkung hat, kommt gar nicht vor.
Die Frage der Wirksamkeit ist daher nur eine fingierte Frage nach der intersubjektiven Relevanz. Dann sprechen wir aber nicht mehr über das 'Wo' und das 'Was' von Fiktiven, sondern über das 'Wie'.



-------------------------------
Alle lächeln in derselben Sprache.

Benutzeravatar
Herr K.
Beiträge: 550
Registriert: So 13. Aug 2017, 21:45

Fr 8. Sep 2017, 23:18

Alethos hat geschrieben :
Fr 8. Sep 2017, 22:55
Ich halte diese Diskussion um die Unterschiedlichkeit von fiktiver Existenz und realweltlicher Existenz für nicht zielführend, weil es eine Art von Dichotomie zwischen individueller und intersubjektiver Existenz schafft, die in der Optik des Realismus falsch ist. Die Diskussion suggeriert eine personale Welt, in der etwas existiert, z.B. eine Bedeutung oder ein Gedanke und eine für alle anderen wahrnehmbare Welt, die sozusagen dank der 'Evidenz der Vielen' existenter wäre als die persönliche. Das halte ich für irreführend für den Versuch, Realität im Sinne des Realismus zu erfassen, weil der Realismus gerade eben zwischen individuellem, intersubjektivem Existieren keinen Unterschied macht, viel mehr noch, Existenz jenseits dieser personalen oder interpersonalen Konstruiertheit ansiedelt.
Welche Position man auch immer vertritt, ob Realismus, Idealismus, radikaler Konstruktivismus, Pragmatismus oder Solipsismus oder whatever: man sollte dazu fähig sein, zwischen "fiktiver Existenz" und "realweltlicher Existenz" bzw. zwischen Lebenswelt und Vorstellungswelt unterscheiden zu können. Ansonsten kann das böse ins Auge gehen.




Benutzeravatar
Alethos
Beiträge: 4212
Registriert: Do 17. Aug 2017, 15:35
Wohnort: Schweiz

Sa 9. Sep 2017, 00:11

Herr K. hat geschrieben :
Fr 8. Sep 2017, 23:18
Alethos hat geschrieben :
Fr 8. Sep 2017, 22:55
Ich halte diese Diskussion um die Unterschiedlichkeit von fiktiver Existenz und realweltlicher Existenz für nicht zielführend, weil es eine Art von Dichotomie zwischen individueller und intersubjektiver Existenz schafft, die in der Optik des Realismus falsch ist. Die Diskussion suggeriert eine personale Welt, in der etwas existiert, z.B. eine Bedeutung oder ein Gedanke und eine für alle anderen wahrnehmbare Welt, die sozusagen dank der 'Evidenz der Vielen' existenter wäre als die persönliche. Das halte ich für irreführend für den Versuch, Realität im Sinne des Realismus zu erfassen, weil der Realismus gerade eben zwischen individuellem, intersubjektivem Existieren keinen Unterschied macht, viel mehr noch, Existenz jenseits dieser personalen oder interpersonalen Konstruiertheit ansiedelt.
Welche Position man auch immer vertritt, ob Realismus, Idealismus, radikaler Konstruktivismus, Pragmatismus oder Solipsismus oder whatever: man sollte dazu fähig sein, zwischen "fiktiver Existenz" und "realweltlicher Existenz" bzw. zwischen Lebenswelt und Vorstellungswelt unterscheiden zu können. Ansonsten kann das böse ins Auge gehen.
Ja, die Frage nach der Gefahr von Illusionen ist aber dann nicht eine Frage nach dem Abstrakten oder Konkreten von Fiktivität, weil beides (Konkretes und Abstraktes) ununterscheidbar real ist, sondern eine Frage nach der Effektivität dieser Illusion mit Rücksicht auf ein lebenspraktisches Wohlergehen.



-------------------------------
Alle lächeln in derselben Sprache.

Benutzeravatar
Herr K.
Beiträge: 550
Registriert: So 13. Aug 2017, 21:45

Sa 9. Sep 2017, 00:30

Alethos hat geschrieben :
Sa 9. Sep 2017, 00:11
Ja, die Frage nach der Gefahr von Illusionen ist aber dann nicht eine Frage nach dem Abstrakten oder Konkreten von Fiktivität, weil beides (Konkretes und Abstraktes) ununterscheidbar real ist, sondern eine Frage nach der Effektivität dieser Illusion mit Rücksicht auf ein lebenspraktisches Wohlergehen.
Ich kann Dir nicht recht folgen. Die Frage in diesem Thread ist jedenfalls die, ob Fiktives existiert oder nicht, und falls ja: wie. Das ist wohlgemerkt nun nicht die Frage, ob fiktionale Texte oder Illusionen oder falsche Behauptungen existieren, denn das ist mE unstrittig. Bloß folgt ja aus der Existenz fiktionaler Texte, Illusionen oder falschen Behauptungen noch nicht, dass die fiktiven Entitäten aus dem fiktionalen Text, das Illusionierte und das falsch Behauptete existiert.




Benutzeravatar
Alethos
Beiträge: 4212
Registriert: Do 17. Aug 2017, 15:35
Wohnort: Schweiz

Sa 9. Sep 2017, 01:10

Herr K. hat geschrieben :
Sa 9. Sep 2017, 00:30
Alethos hat geschrieben :
Sa 9. Sep 2017, 00:11
Ja, die Frage nach der Gefahr von Illusionen ist aber dann nicht eine Frage nach dem Abstrakten oder Konkreten von Fiktivität, weil beides (Konkretes und Abstraktes) ununterscheidbar real ist, sondern eine Frage nach der Effektivität dieser Illusion mit Rücksicht auf ein lebenspraktisches Wohlergehen.
Ich kann Dir nicht recht folgen. Die Frage in diesem Thread ist jedenfalls die, ob Fiktives existiert oder nicht, und falls ja: wie. Das ist wohlgemerkt nun nicht die Frage, ob fiktionale Texte oder Illusionen oder falsche Behauptungen existieren, denn das ist mE unstrittig. Bloß folgt ja aus der Existenz fiktionaler Texte, Illusionen oder falschen Behauptungen noch nicht, dass die fiktiven Entitäten aus dem fiktionalen Text, das Illusionierte und das falsch Behauptete existiert.
Du sagst, dass ein Abgleich der Ideen mit der lebensweltlichen Realität angezeigt sei, denn sonst könne es ins Auge gehen. Und darauf habe ich geantwortet, dass diese Frage nur das lebenspraktische Wohlergehen betreffe. Die Frage, ob und wie Entitäten exisitieren ist davon nicht betroffen.

Diesen Satz kannst du mir einmal gerne ausführlich erklären:

'Bloß folgt ja aus der Existenz fiktionaler Texte, Illusionen oder falschen Behauptungen noch nicht, dass die fiktiven Entitäten aus dem fiktionalen Text, das Illusionierte und das falsch Behauptete existiert.'

Denn doch selbstverständlich folgt das daraus. Existenz und Wahrheit sind aber zwei verschiedene paar Schuhe. Etwas Behauptetes exisitiert und zwar als Behauptung. Die Existenz dieser Behauptung ist axiomatisch :) Dass dies, was sie aussagt, wahr sei, muss überprüft werden entweder an der Empirie oder den Präpositionen.

Fiktionale Texte und diese darin vorkommenden Entitäten exisitieren auch und zwar in der 'Res extensa' wie alles andere auch. Die Frage ist dann, unter welche Restriktion, wenn du so willst, unter welchen Bedingungen diese Entitäten exisitieren. Und die Antwort ist klar: In der sich über einem Text aufspannenden Ideenwelt. Und diese Ideenwelt kann relevant sein für andere oder nicht.

Die Frage nach der Relevanz, nach dem Berührtwerden durch diese Ideen halte ich für zielführender und spannender. Abee vielleicht ist das genau die Frage dieses Threads?



-------------------------------
Alle lächeln in derselben Sprache.

Benutzeravatar
Herr K.
Beiträge: 550
Registriert: So 13. Aug 2017, 21:45

Sa 9. Sep 2017, 01:47

Alethos hat geschrieben :
Sa 9. Sep 2017, 01:10
Diesen Satz kannst du mir einmal gerne ausführlich erklären:

'Bloß folgt ja aus der Existenz fiktionaler Texte, Illusionen oder falschen Behauptungen noch nicht, dass die fiktiven Entitäten aus dem fiktionalen Text, das Illusionierte und das falsch Behauptete existiert.'
Wenn Johann Wolfgang p behauptete, dann wäre es trivialerweise wahr, dass Johann Wolfgang p behauptete. Aber daraus folgt nicht, dass p wahr ist. Nehmen wir einmal an, p laute wie folgt: "Faust liebt Gretchen." Analog: nehmen wir einmal an, Markus halluzinierte 2 weiße Zwerge. Hier wäre es wieder trivialerweise wahr, dass Markus halluzinierte. Aber die 2 weißen Zwerge müssen deswegen nicht existieren.
Alethos hat geschrieben :
Sa 9. Sep 2017, 01:10
Fiktionale Texte und diese darin vorkommenden Entitäten exisitieren auch und zwar in der 'Res extensa' wie alles andere auch. Die Frage ist dann, unter welche Restriktion, wenn du so willst, unter welchen Bedingungen diese Entitäten exisitieren. Und die Antwort ist klar: In der sich über einem Text aufspannenden Ideenwelt. Und diese Ideenwelt kann relevant sein für andere oder nicht.
Dass fiktionale Texte wie z.B. Faust existieren, ist unstrittig. Strittig ist hingegen, ob die darin vorkommenden fiktiven Entitäten existieren. Ich z.B. meine das nicht. Ein ziemlich gutes Argument gegen die Existenz fiktiver Entitäten scheint mir dieses zu sein: diese würden in bestimmten Fällen grundlegende logische Gesetze verletzen und ich kann zumindest zurzeit noch nicht sehen, wie ein fiktionaler Realismus dieses Problem lösen könnte. Ich bevorzuge daher eine "als-ob"-Position: wir tun manchmal so, als ob etwas existierte, das ist eine Art Spiel - zumindest in den Fällen, wo das allen Teilnehmenden bewusst ist. Schon ziemlich kleine Kinder spielen solche Spiele. Manchmal ist es aber auch kein Spiel mehr, z.B. in den Fällen, in denen wir andere täuschen wollen und die belügen.
Alethos hat geschrieben :
Sa 9. Sep 2017, 01:10
Die Frage nach der Relevanz, nach dem Berührtwerden durch diese Ideen halte ich für zielführender und spannender. Abee vielleicht ist das genau die Frage dieses Threads?
Nein, ist es nicht und ich halte das auch für nicht besonders spannend.




Benutzeravatar
Alethos
Beiträge: 4212
Registriert: Do 17. Aug 2017, 15:35
Wohnort: Schweiz

Sa 9. Sep 2017, 08:45

Ich denke, ihr dreht euch im Kreis. Auch im anderen Thread. Ziehe mich aus beiden zurück.



-------------------------------
Alle lächeln in derselben Sprache.

Tosa Inu
Beiträge: 2300
Registriert: Mo 31. Jul 2017, 19:42
Kontaktdaten:

Sa 9. Sep 2017, 09:21

Tommy hat geschrieben :
Fr 8. Sep 2017, 22:33
Ich habe einen Einwand zu machen. Ich bin nicht einverstanden mit dem quasi Abbürsten der Ideenwelt, denn:

Was sind eigentlich Ideen? Und wie "wirken" sie (z.B. auf die Materie)?

So leicht, glaube ich, lässt sich diese inzwischen Jahrtausende alte Metaphysik dann doch nicht abfrühstücken.
Schon gar nicht indem man einfach sagt "irgendwas wirkt irgendwie".
Was mich angeht, will ich da auch nichts abbürsten. Am ehesten tatsächlich einen metaphysischen Anteil. Auf so etwas wie die Welt der Ideen ist man vermutlich aus eine ganz anderen Weltbild heraus gekommen, zu dem wir heute keinen Zugang mehr haben. Von einer eigenständigen und der Materie übergeordneten Welt, eindeutig bei Plato, zu einer immer noch gleichberechtigten Welt bei Kant (Dinge an sich) und Hegel, wird diese geistige Welt nun detranszendentalisiert und wahlweise in soziale Praktiken (Brandom) oder neuronale Zustände zu überführen versucht.

Dieser an sich ja nicht blöden Idee, dass Ideen einfach irgendwie im Kopf 'wohnen', ist man längere Zeit mit großen Erfolg nachgegangen, aber ausgerechnet in der Dekade des Gehirns wurden die Falten auf der Stirn tiefer. Die ganze Welt in den Kopf zu stopfen und Semantik, Logik, Ethik, Kunst, Spiritualität, den Alltag und die Liebe in neuronale Zustände zu übersetzen, das geht hinten und vorne nicht auf. Habermas spricht daher von einem äußeren Gehirn und meint unsere Traditionen damit. Werden bestimmte Muster nicht tradiert und zwar ohne Bruch, sind sie verloren, weil man den Faden nicht einfach drei Generationen später wieder aufnehmen kann, wenn niemand mehr da ist, der einem zeigen kann, wie es geht, auch wenn jemand noch so intelligent ist.

Diese äußere Muster, diese Lebensart prägt uns natürlich sehr stark, lustigerweise so stark, dass ausgerechnet der ehemalige Biologie und atheistische Fundamentalist Dawkins das alles wieder transzenndentalisiert hat, indem er die Idee der Meme (neben den selfisch genes) einführte, die so alle paar Jahre mal mehr, mal weniger aufgegriffen wird. Doch so neu war die Idee nicht, finden wir sie doch bei Luhmann (Soziale Systeme/Kommunikaion), Heidegger (Sprache) und eher unbekannt, auch bei Freud (in einer frühen Schirft die nicht zum Kanon gehört: Sexualität) in der Form, dass überindividuelle Muster auf das Individuum einwirken und das Individuum damit in den Status eines Erfüllungsgehilfen versetzen. Was man heute natürlich auch in der Kapitalismus-/Neoliberalismuskritik oder der Technikkritik (bei Susan Blackmore, die Teme = technische Meme) findet.

Es geht um diese (typisch europäoide) Idee eines Kampfes des autonomen Individuums gegen ein überindividuelles System. Nun wird diesen Systemen ja eine gewisse Tendenz zum Selbsterhalt und mehr zugeschrieben, etwas, was wir eher mit Lebewesen verbinden würden. Und natürlich ist die Frage, wie das nun eigentlich auf uns wirkt. Es ist ja nicht gnaz falsch, dass unsere Mythen, unsere Sprache, unser Wirtschaftssystem uns gewisse Räume ermöglichen und Grenzen setzen. Wir denken heute nicht mehr, eine Serie von Hurrikans sei Gottes Antwort, auf Trump, auch wenn "die Natur" manchmal zu einer Art Ersatzgott stilisiert wird (der sie vorher im Grunde auch war). Wissenschftlich-technisches, mythisch-rationales, mythisches und mitunter sogar magisches Denken sind unterschiedliche Organisationsebenen die parallel in unserer sozialen Welt vorkommen und die wir auch aus der Individualpsychologie kennen.

Als sei dies alles nicht schon kompliziert genug scheint sich nun auch noch herauszustellen, dass neuer und/oder höher nicht zwingend besser ist, wenn die Ebenen davor zu sehr negiert oder verdrängt werden. Denn dann scheint das Gesamtgefüge wackelig zu werden, wie wir es, je nach Einschätzung der Lage, aktuell sehen können (damit meine ich die letzten 30 bis 50 Jahre). Die einen verorten eine Regression zeitlich eher, andere später, wieder andere meinen, wir lebten gerade heute in der besten Welt, Tendenz, weitere Besserung.

Das Problem ist, wie kommt das alles in den Kopf. Sprich: gibt es neuronale Äquvalente, die in der Lage sind diese Beeinflussungen und Praktiken von Außen nach Innen zu verlegen. Wenn der Beruf des Fassbauers ausstirbt, gibt es dann ein Fassbau-Areal irgendwo im Hirn, was man nur elektrisch reizen muss und die alten Fähigkeiten sprudeln wieder? Klingt irgendwo zwischen merkwürdig und absurd. Das bringt einem vielleicht Habermas' Idee des äußeren Gehirns näher.

Aber um neue Türen aufzustoßen. Was ist denn die Rolle der Erwartungen? Reicht es zu sagen, dass da irgendwie Glückshormone ausgeschüttet werden und dann geht alles von selbst? Was mache ich denn falsch, wenn bei mir keine Glückhormone schießen? Oder kann ich bspw. taktisch Überzeugungen annehmen? Z.B. wenn ich lesen, dass es religiösen Menschen bei der Resilienz besser geht und ich gerade in einer Phase bin, wo ich Reilienz gut gebrauchen, kann ich dann sagen: "Ach, dann glaube ich jetzt mal an Gott", bis das wieder vorbei ist? Das wird ja der postmodernen Esoterik vorgeworfen, dass man sich im Baukastensystem überall bedient, wie's gerade zum Leben passt und vermutlich hat man damit die Heilskraft getötet, die gerade dadurch ensteht, dass man sich an überindividuelle Muster anpasst und nicht alles Muster an sich.

Was ist also die Rolle der Ideen, inwieweit beeinflussen sie uns, und wie? Mit der Deutung, dass das einfach irgendwas im Kopf geschieht, springt man vermutlich zu kurz, auch wenn auf der Buchrückseite von Philosopie und Neurowissenschaften steht: "Der Kopf ist mit das Komplizierteste, was es im Leben gibt" (Matthias Sammer).

Reichen Kopf und ggf. soziales Gehirn? Oder muss man doch erweitern, zu einer Sphäre des Platonischen? Ist ein Monismus von oben (eine top down Weltsicht) heute noch denkbar, formulierbar?



„Die Tiere machen einen ja nachdenklich. Wir gehen doch noch außerdem zum Friseur u. begaunern die Kundschaft, sonst alles ebenso. Sich lausen u. wichsen, – Kinder, Kinder! Das nennt sich Schöpfung!“ (Gottfried Benn, im Brief, nach Zoobesuch der Affen)

Tosa Inu
Beiträge: 2300
Registriert: Mo 31. Jul 2017, 19:42
Kontaktdaten:

Sa 9. Sep 2017, 10:02

Alethos hat geschrieben :
Fr 8. Sep 2017, 22:55
Dass diese 'nur' im Kopf des Lesenden vorkommt, ist deshalb nicht wirklich richtig. Die Geschichte, die Handlungen, die Figuren, die Beschreibungen etc. kommen als Zeichencodes in der 'mit den Sinnen wahrnehmbaren' Welt vor, die aber nicht existenter ist als die im Bewusstsein der Lesenden vorkommenden. Denn auch durch Bücher affizierte Fantasien existieren ganz lebenswirklich.
Ich würde das in die Richtung weiterspinnen, dass auch unsere sogenannte Realität wesentlich eine Phantasiewelt ist. Nicht, dass es sie nicht gibt, aber die realen Ereignisse snd umwoben mit einem Vielfachen von Projektionen, in Deutschland ist das schlagende Beispiel (gleich wie man dazu steht) die Ankunft von Migranten.
Alethos hat geschrieben :
Fr 8. Sep 2017, 22:55
Ich halte diese Diskussion um die Unterschiedlichkeit von fiktiver Existenz und realweltlicher Existenz für nicht zielführend, weil es eine Art von Dichotomie zwischen individueller und intersubjektiver Existenz schafft, die in der Optik des Realismus falsch ist. Die Diskussion suggeriert eine personale Welt, in der etwas existiert, z.B. eine Bedeutung oder ein Gedanke und eine für alle anderen wahrnehmbare Welt, die sozusagen dank der 'Evidenz der Vielen' existenter wäre als die persönliche. Das halte ich für irreführend für den Versuch, Realität im Sinne des Realismus zu erfassen, weil der Realismus gerade eben zwischen individuellem, intersubjektivem Existieren keinen Unterschied macht, viel mehr noch, Existenz jenseits dieser personalen oder interpersonalen Konstruiertheit ansiedelt.
Stimmt, aber da geht es um die Anschlussfähigkeit. Stell Dir vor, ein Genie hat eine Idee, die so genial ist, das niemand sie nachvollziehen kann. Damit kann die Idee noch so genial sein, sie ist tot, unwirksam.
Alethos hat geschrieben :
Fr 8. Sep 2017, 22:55
Auch die Wirksamkeit bietet keinen Gradmesser für mehr oder weniger Existierendes. Man kann z.B. die Wirksamkeit von Irrealem als Gradmesser für die Nichtexistenz heranzuziehen versuchen, es liesse sich an ebensovielen Beispielen darlegen, dass Nichtexistenz als dieses Irreale trotzdem Wirkungen zeitigen kann. Ein Schizophrener kann meinen, er sei auf göttlicher Mission und deshalb müsse er dieses und jenes tun, wobei seine Illusion von etwas, nämlich auf göttlicher Mission zu sein, ja tatsächlich lebenswirklich für andere unfassbar bleibt und daher als inexistent klassiert wird. Die Nichtexistenz von etwas für jemanden ist kein Beleg für dessen Nichtexistenz überhaupt, sondern für die Einschränkung dieser Wahrnehmbarkeit für einige, für andere aber nicht.
Das ist aber kein Widerspruch zu meiner Position, denn genau das meine ich. Die Welt der Ideen (auch der fixen) ist mitunter mächtig, überwindet sogar unsere basalen biologischen Triebe der Selbsterhaltung. Jede Frau mit schwerer Essstörung oder jeder Selbstmordattentäter spottet diesen Trieben. Erstaunlich.
Alethos hat geschrieben :
Fr 8. Sep 2017, 22:55
So kann man also getrost die Wurst im illudierten Feuer zu braten suchen, die Wurst wird nicht heiss werden. Aber das heisst eben deshalb nicht, dass die Illusion für einige wahrnehmbar ist und für andere nicht, wodurch sie für einige irgendwelche Wirkungen zeitigen kann und für andere nicht.
Nicht?
Doch, das heißt es eigentlich. Warum nicht?
Du wolltest sagen, dass das was für einige nicht existiert (Gott) für anderen sehr wohl existieren kann, oder?
Alethos hat geschrieben :
Fr 8. Sep 2017, 22:55
Die Menge jener, für die die Illusion sichtbar wird, muss dann auch nicht deckungsgleich sein mit jener, für die Wirkungen entstehen. Man nehme erneut das Beispiel eines Geisteskranken, der glaubt, Menschen töten zu müssen. Dessen ins Pathologische gedriftete Illusion kann für andere, die nicht von dieser Illusion betroffen sind, ja durchaus schwerwiegende Konsequenzen haben.
Ja.
Es gibt bei uns vermutlich etwas 5 Großgruppen mit hierarchisch ziemlich unterschiedlichen Weltbildern, Lebens- und Erlebenswerten, die sich auch dann nicht viel zu sagen haben, wenn sie im gleichen Supermarkt einkaufen.
Alethos hat geschrieben :
Fr 8. Sep 2017, 22:55
Mithin stellt sich also doch vielmehr die Frage, wo die Grenze dieses fiktiven Existierens lebenswirkliche Relevanz für einen selbst odere andere hat. Ein kurzer gedanklicher Abschweifer hat ja wohl ähnlich diesem Sandkorn im Meer eine ganz andere Wirkmächtigkeit als ein intensiv elaborierter Roman.
Ja.
Alethos hat geschrieben :
Fr 8. Sep 2017, 22:55
Das Fiktive ist deshalb Teil des Existierenden in derselben Art und Weise wie das für alle sinnlich Fassbare, ungeachtet dessen Wirksamkeit für alle, einen oder einige. Denn gerade das Bewirken von etwas durch etwas ist allem gegeben, das existiert, und alles existiert in einem Sinnfeld. Nichts existiert nicht. Das hat Parmenides bereits im 7. Jahrhundert vor Christus besprochen, weshalb alles eines Wirkung hat. Allein, was keine Wirkung hat, kommt gar nicht vor.
Die Frage der Wirksamkeit ist daher nur eine fingierte Frage nach der intersubjektiven Relevanz. Dann sprechen wir aber nicht mehr über das 'Wo' und das 'Was' von Fiktiven, sondern über das 'Wie'.
Es kann ja im sowohl Einzelnen, als auch im Kollektiv unterschiedlich starke Grade von Wirksamkeiten geben. Das schließt sich nicht aus.



„Die Tiere machen einen ja nachdenklich. Wir gehen doch noch außerdem zum Friseur u. begaunern die Kundschaft, sonst alles ebenso. Sich lausen u. wichsen, – Kinder, Kinder! Das nennt sich Schöpfung!“ (Gottfried Benn, im Brief, nach Zoobesuch der Affen)

Tosa Inu
Beiträge: 2300
Registriert: Mo 31. Jul 2017, 19:42
Kontaktdaten:

Sa 9. Sep 2017, 10:10

Herr K. hat geschrieben :
Fr 8. Sep 2017, 23:18
Welche Position man auch immer vertritt, ob Realismus, Idealismus, radikaler Konstruktivismus, Pragmatismus oder Solipsismus oder whatever: man sollte dazu fähig sein, zwischen "fiktiver Existenz" und "realweltlicher Existenz" bzw. zwischen Lebenswelt und Vorstellungswelt unterscheiden zu können. Ansonsten kann das böse ins Auge gehen.
Nur in gewissen Grenzen. Natürlich ist ein völliger Realitätsverlust kein Gewinn (wobei die reine Manie ...), aber das andere Extrem, was vermutlich genauso pathologisch ist, ist der realistische Blick. Man kann ihn nicht haben, er ist eine Fiktion. Was sollte ihn ausmachen? Ist das ein statistischer Lebensansatz der Risikominimierung? Der durchaus oft unrealistisch optimistische Mensch lebt einfach besser, das ist ein psychologsches Faktum, was sogar der knochentrockene Kahneman eingesteht.



„Die Tiere machen einen ja nachdenklich. Wir gehen doch noch außerdem zum Friseur u. begaunern die Kundschaft, sonst alles ebenso. Sich lausen u. wichsen, – Kinder, Kinder! Das nennt sich Schöpfung!“ (Gottfried Benn, im Brief, nach Zoobesuch der Affen)

Tosa Inu
Beiträge: 2300
Registriert: Mo 31. Jul 2017, 19:42
Kontaktdaten:

Sa 9. Sep 2017, 10:47

Herr K. hat geschrieben :
Sa 9. Sep 2017, 00:30
Die Frage in diesem Thread ist jedenfalls die, ob Fiktives existiert oder nicht, und falls ja: wie.
Vielleicht kommt man wirklich weiter, wenn man fragt, ob Reales existiert, und wenn ja, wie?

Das meine ich ohne Ironie. Was macht die intuitive riesige Kluft aus, zwischen Realem und Fiktivem?
Man sieht das doch immer daran, dass irgendwann (früher vielleicht öfter), irgendwer, mit wichtger Gebärde einen Schlussstrich unter Diskussionen ziehen wollte, wenn er sagte: "Fakt ist: ..." Dann kam das, was aus seiner Sicht Fakt war, während andere nur mit den Schultern zuckten.
Es gibt schon diese lebensweltlichen Realitäten, in die wir alle mehr oder weniger eingebunden sind.

Sind sie zu basal, sind sie nicht identitätsstiftend. Keiner definiert sich als jemand, der der Schwerkraft unterworfen ist oder atmet. Einkaufen und die Variante Konsumverweigerung, Bio oder Discounter taugen da schon eher. Da liegt dann schon viel Ideenwelt drin, in der einfachen Frage (oder Selbstverständlichkeit) wo man einkauft. Essen müssen wir alle, aber was man isst, kann bis zur Religion getrieben werden. Es gibt auch keinen, der mit letzter Kompetenz sagen könnte, was man wirklich braucht, auch wenn viele genau damit ihr Geld und Ansehen verdienen. Schon im banalen Alltag schwingen überall, mal mehr, mal weniger starke Ideologien mit, inklusive der des betont nüchternen Menschen, der alles sachlich abwägt, jede Ideologie weit von sich weist und Stiftung Warentest abonniert hat (oder, als Fuchs, gebraucht liest).



„Die Tiere machen einen ja nachdenklich. Wir gehen doch noch außerdem zum Friseur u. begaunern die Kundschaft, sonst alles ebenso. Sich lausen u. wichsen, – Kinder, Kinder! Das nennt sich Schöpfung!“ (Gottfried Benn, im Brief, nach Zoobesuch der Affen)

Tosa Inu
Beiträge: 2300
Registriert: Mo 31. Jul 2017, 19:42
Kontaktdaten:

Sa 9. Sep 2017, 11:08

Herr K. hat geschrieben :
Sa 9. Sep 2017, 01:47
Ich bevorzuge daher eine "als-ob"-Position: wir tun manchmal so, als ob etwas existierte, das ist eine Art Spiel - zumindest in den Fällen, wo das allen Teilnehmenden bewusst ist. Schon ziemlich kleine Kinder spielen solche Spiele. Manchmal ist es aber auch kein Spiel mehr, z.B. in den Fällen, in denen wir andere täuschen wollen und die belügen.
Das sehe ich auch ziemlich anders. Ich glaube nicht, dass es die Idee der vom Mainstream-Mythos abweichenden Mythen ist, belügen oder spielen zu wollen. Gerade die Gefährlichkeit manch abweichender Ideen liegt darin, dass die Leute, die daran glauben es vollkommen ernst meinen, toternst. Auf allen Gewässern.
Da braucht man keine Selbstmordattentäter zu bemühen, da reicht ein Workaholic, der nach dem Infarkt weiter schackert wie bisher. Irre, in aller Normalität.
Ohne das pseudoreligiöse Thema Klimawandel zu bemühen, sind bei unserem allgemeinen Umgang mit der Biosphäre m.E. die Prioritäten verrutscht. Was nicht mal die, die behaupten es anders zu wollen, daran hindert, alles weiter zu machen, wie bisher. Wer ist hier der Spieler? Denn der Verweis ist ja der, auf die Gesamtlage und dass es eben auch Arbeitsplätze gibt und dass ohne Wirtschaft alles nichts ist, als hätten die neoliberalen Versprechungen sich erfüllt (dass von freier Fahrt für die Märkte die Sozialsysteme profitieren), dass galt ja alles als hoch rational, in dem Moment als man es glaubte.
Die Skeptiker waren die Irren. Die Welt nach sogenannten Fakten sortieren zu wollen, ist ein Spiel, wobei dem Spieler, der es mit heiligem Ernst spielt, oft nicht mal in Ansätzen klar ist, dass er spielt, gerade weil er meint die Fakten an seiner Seite zu haben. Früher Gott, heute die Fakten.



„Die Tiere machen einen ja nachdenklich. Wir gehen doch noch außerdem zum Friseur u. begaunern die Kundschaft, sonst alles ebenso. Sich lausen u. wichsen, – Kinder, Kinder! Das nennt sich Schöpfung!“ (Gottfried Benn, im Brief, nach Zoobesuch der Affen)

Tosa Inu
Beiträge: 2300
Registriert: Mo 31. Jul 2017, 19:42
Kontaktdaten:

Sa 9. Sep 2017, 11:16

Tommy hat geschrieben :
Sa 9. Sep 2017, 09:05
Es gibt Aussagen über die Welt, die einen ungeklärten Status haben.
Existiert Gott nun, oder existiert er nicht?
Paul meint er rede, wenn er von Gott redet, über Existierendes.
Markus meint das nicht.

Und wer würde nun meinen , dass die Idee 'Gott' keinen Einfluß auf unser Leben hat, oder dass diese Frage nicht wichtig wäre?
Offenbar ist sie für viele Menschen sehr wichtig.
Und eigentlich ist es ja so, dass es diesen ungeklärten Status gar nicht gibt. Für den vermutlich zahlenmäßig überragenden Teil der Welt existiert Gott und an ihm ernsthaft zu zweifeln, wirkt vollkommen irre. Für andere ist genauso klar und richtig, dass die Gottesidee ein einziger Quatsch ist. Nichts, aber ach gar nichts spricht für sei dafür. Was m.E. die meisten sogenannten Agnostiker einschießt, denn die sagen zwar, sie könnten Gott nicht mit letzter Sicherheit ausschließen, aber dennoch hat das für ihr Leben keine Relevanz, etwa in Form einer religiösen Praxis.

Einige Wenige probieren Hybridmodelle von Kirche ohne Gott oder Gott ohne Kirche oder so etwas.



„Die Tiere machen einen ja nachdenklich. Wir gehen doch noch außerdem zum Friseur u. begaunern die Kundschaft, sonst alles ebenso. Sich lausen u. wichsen, – Kinder, Kinder! Das nennt sich Schöpfung!“ (Gottfried Benn, im Brief, nach Zoobesuch der Affen)

Hermeneuticus
Beiträge: 811
Registriert: Mi 19. Jul 2017, 19:20
Kontaktdaten:

Sa 9. Sep 2017, 23:11

Herr K. hat geschrieben :
Fr 8. Sep 2017, 23:18
Welche Position man auch immer vertritt, ob Realismus, Idealismus, radikaler Konstruktivismus, Pragmatismus oder Solipsismus oder whatever: man sollte dazu fähig sein, zwischen "fiktiver Existenz" und "realweltlicher Existenz" bzw. zwischen Lebenswelt und Vorstellungswelt unterscheiden zu können. Ansonsten kann das böse ins Auge gehen.
Wohl wahr. Die spannende Frage ist aber, wie sich Existierendes von Nicht-Existierendem allgemein unterscheiden lassen soll. Unter konkreten, lebensweltlichen Umständen kann es mitunter schwierig sein zu bestimmen, ob dieser oder jener Sachverhalt besteht oder nicht, aber es gibt in der Regel Mittel und Wege, es herauszufinden. Schwieriger wird es an der Front der Forschung - also bei der Entdeckung von bisher Unbekanntem - und erst recht, wenn es ums Ganze geht, wenn es also "metaphysisch" wird.

Die metaphysische Position des Realismus scheint, so weit ich es verstehe, zu postulieren, dass es ein allgemeines Kriterium für die Unterscheidung zwischen "Exstenz" und "Nicht-Existenz" gibt. Mich würde aber interessieren, worin es bestehen soll.




Benutzeravatar
Herr K.
Beiträge: 550
Registriert: So 13. Aug 2017, 21:45

Sa 9. Sep 2017, 23:35

Tosa Inu hat geschrieben :
Sa 9. Sep 2017, 10:47
Was macht die intuitive riesige Kluft aus, zwischen Realem und Fiktivem?
Mit einem realen Menschen kann ich reden, mit einem fiktiven nicht, ein reales Bier kann ich trinken, ein fiktives nicht, von realem Geld kann ich mir was kaufen, von fiktivem nicht, etc. pp.




Antworten