Fiktionaler Realismus

Aspekte metaphysischer Systementwürfe und der Ontologie als einer Grunddisziplin der theoretischen Philosophie können hier diskutiert werden.
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Herr K.
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Sa 9. Sep 2017, 23:39

Hermeneuticus hat geschrieben :
Sa 9. Sep 2017, 23:11
Die metaphysische Position des Realismus scheint, so weit ich es verstehe, zu postulieren, dass es ein allgemeines Kriterium für die Unterscheidung zwischen "Exstenz" und "Nicht-Existenz" gibt. Mich würde aber interessieren, worin es bestehen soll.
Hier in diesem Thread soll es aber nicht um Realismus allgemein gehen, sondern um fiktionalen Realismus.




Tosa Inu
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Sa 9. Sep 2017, 23:46

Herr K. hat geschrieben :
Sa 9. Sep 2017, 23:35
Tosa Inu hat geschrieben :
Sa 9. Sep 2017, 10:47
Was macht die intuitive riesige Kluft aus, zwischen Realem und Fiktivem?
Mit einem realen Menschen kann ich reden, mit einem fiktiven nicht, ein reales Bier kann ich trinken, ein fiktives nicht, von realem Geld kann ich mir was kaufen, von fiktivem nicht, etc. pp.
Zugestanden.

Ich meinte es aber eher bezogen, auf Dein auch von Hermeneuticus aufgegriffenes Zitat, dass man unterscheiden können sollte. Es ist ja schon schwierig zu sagen, was es heißt, etwas realistisch zu sehen. Hart philosophisch müsste das die Gottesperspektive sein und die fällt weg. Damit ist der realistische Blick bereits auf dem Status einer Selbstsuggestion angekommen.

Und klar, wir alle verstehen im Alltag, was mit einem eher realistischen Menschen und einem Träumer (im schlechten Sinne) oder Spinner gemeint ist, aber lassen wir mal die Extreme beiseite, dann sind sehr viele unserer realen Begegnungen gespickten mit unseren inneren Zutaten. Über die echten Fakten streitet man ja tatsächlich hoch selten.



„Die Tiere machen einen ja nachdenklich. Wir gehen doch noch außerdem zum Friseur u. begaunern die Kundschaft, sonst alles ebenso. Sich lausen u. wichsen, – Kinder, Kinder! Das nennt sich Schöpfung!“ (Gottfried Benn, im Brief, nach Zoobesuch der Affen)

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Herr K.
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Sa 9. Sep 2017, 23:55

Ich habe keine Ahnung, worauf Du hinauswillst.




Tosa Inu
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So 10. Sep 2017, 00:31

Herr K. hat geschrieben :
Sa 9. Sep 2017, 23:55
Ich habe keine Ahnung, worauf Du hinauswillst.
Wir wollen ja klären, in welchem Sinne Fiktionales existieren könnte. Dass es nicht existiert wie Bier oder der Eiffelturm ist ja klar und abgehakt.
Das braucht man ja dann nicht mehr zu wiederholen. Jetzt könnte es heißen, in welchem Sinne man überhaupt auf die verrückte Idee kommen kann, Fiktionalem Existenz zusprechen zu wollen. Das scheint Dich aber immer wieder wenig zu interessieren, vielleicht wartest Du da einfach auf das Endergebnis, das Argument, aber ich finde es nicht ganz unwichtig, davon abgesehen, dass ich den einen Satz, der fiktionale Existenz nun exakt definiert nicht kenne (aber wer schon?), den Weg dahin zu ebnen.

Zumindest mein Ansatz ist, dass Fiktionales in uns etwas auslösen kann, es, dieses "Nichts" kann wirken. Erstaunlich genug. Kann man runterbrechen auf: Na ist halt ne Vorstellung und die können wirken, kennt man ja.

Der nächste Schritt, den vielleicht beide Lager mitgehen, vielleicht auch nur zum Teil, ist die Idee, dass das irgendwas im Kopf ist, von dem wir noch nicht genau wissen, was und wie, dies aber nur eine Frage der Zeit ist. Manche finden das vollkommen folgerichtiig und ausreichend, andere werden genau an der Stelle skeptisch, weil sie das (aus ihrer Sicht) wiederholte Vertrösten auf die Zukunft unbefriedigend finden.

Daraus resultiert dann vielleicht die intrinsische Motivation ;) andere Wege, Modelle zu finden, aus dem Gefühl, dass man die Antwort auch in Zukunft nicht auf der Neuroebene finden wird.

Einer diese Ansätze ist, den gewohnten Pfad von gibt es und gibt es nicht (im materiellen Sinne) zu verlassen und als erste UNterscheidung nicht, gibt es das wirklich oder nicht zu fragen, sondern z.B.: Löst das was aus, oder nicht? Ähnlich wie Brandom ja das Reich des Empirischen als Zugabe zum an sich normativen Spiel ansieht. Empirische Fakten dienen hier als Truthmaker für Behauptungen und dieses normative Spiel sieht Brandom als primär an.

Da finde ich mich insofern wieder, da ich die Psyche als primär ansehe, aber dies nicht impliziert ihr eine Genese abzusprechen. Aber unser primärer Ausgangspunkt von Forschung, Philosophie usw. ist ein Ich, eine Psyche zu sein, die sich irgendwann mehr oder minder bewusst vorfindet und sich fragt, was das alls soll und wie es funktioniert. Im Zuge der Genese zur Psyche ist da nichts und niemand, der sich vorfindet.

Hilft das, oder entfernen wir uns da noch weiter?



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Tosa Inu
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So 10. Sep 2017, 00:36

Vielleicht ist auch die gewohnte Unterscheidung von Innen/Außen (und das, was man damit verbindet) etwas, was man näher untersuchen könnte.



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Herr K.
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So 10. Sep 2017, 00:48

Tosa Inu hat geschrieben :
So 10. Sep 2017, 00:31
Zumindest mein Ansatz ist, dass Fiktionales in uns etwas auslösen kann, es, dieses "Nichts" kann wirken. Erstaunlich genug. Kann man runterbrechen auf: Na ist halt ne Vorstellung und die können wirken, kennt man ja.
Genau, darauf würde ich es runterbrechen wollen: Vorstellungen, Ideen, Lügen, Ideale, Gesetze etc. pp. können große Auswirkungen haben. Ich denke nicht, dass man da dann noch die Existenz von Fiktivem benötigt.
Tosa Inu hat geschrieben :
So 10. Sep 2017, 00:31
Einer diese Ansätze ist, den gewohnten Pfad von gibt es und gibt es nicht (im materiellen Sinne) zu verlassen und als erste UNterscheidung nicht, gibt es das wirklich oder nicht zu fragen, sondern z.B.: Löst das was aus, oder nicht? Ähnlich wie Brandom ja das Reich des Empirischen als Zugabe zum an sich normativen Spiel ansieht. Empirische Fakten dienen hier als Truthmaker für Behauptungen und dieses normative Spiel sieht Brandom als primär an.
Was das "Auslösen" angeht: s.o.

Ich sehe leider Deinen Punkt nun immer noch nicht so recht.




Tosa Inu
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So 10. Sep 2017, 10:49

Generell scheint es darauf hinauszulaufen, dass man min. drei verschiedene Einstellungen haben kann.

1. Geist oder Bewusstsein, damit auch "Vorstellungen, Ideen, Lügen, Ideale, Gesetze etc. pp.", sind ein Produkt des Gehirns, ihr Zusammenspiel ist heute noch nicht zu erklären, aber demnächst.

2. Geist oder Bewusstsein, damit auch "Vorstellungen, Ideen, Lügen, Ideale, Gesetze etc. pp.", sind ein Produkt des Gehirns, ihr Zusammenspiel ist prinzipiell nicht zu erklären, da zu komplex, was aber nicht heißt, dass Geist oder Bewusstsein nicht vollständig materieller Natur sind.

3. Geist oder Bewusstsein, damit auch "Vorstellungen, Ideen, Lügen, Ideale, Gesetze etc. pp.", sind nicht allein ein Produkt des Gehirns und darum lohnt es sich nach weiteren Quellen und anderen Ansätzen zu schauen.

Mit Einstellung 1. oder 2. verspürt man glaube ich wenig Druck nach Alternativen zu suchen und findet es so vermutlich absurd. Nach Alternativen will vrmutlich nur jemand suchen, der Punkt 3 überzeugend findet.



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Herr K.
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So 10. Sep 2017, 14:20

Tosa Inu hat geschrieben :
So 10. Sep 2017, 10:49
Mit Einstellung 1. oder 2. verspürt man glaube ich wenig Druck nach Alternativen zu suchen und findet es so vermutlich absurd. Nach Alternativen will vrmutlich nur jemand suchen, der Punkt 3 überzeugend findet.
Du möchtest über ein ganz anderes Thema reden als ich. Für das Thema hier reicht es mE völlig aus, wenn wir uns darauf einigen können, dass es Vorstellungen, Ideen, Lügen, Ideale, Gesetze etc. pp. gibt. Nur wenn Du das anzweifeltest, müssten wir das näher behandeln.

Die Frage hier ist, ob es fiktive Entitäten wie z.B. Faust gibt. Nun sagt Du, dass es fiktive Entitäten gäbe, weil sie Auswirkungen hätten. Aber damit hast Du mE den zweiten Schritt vor dem ersten getan. Wenn etwas Auswirkungen hat, dann muss es existieren. Das ist aber gerade strittig. Siehe nochmal mein Beispiel aus dem Ausgangsbeitrag mit dem "Feuer, es brennt!"-Ruf. Da hat mE kein Feuer Auswirkungen, aber da der Ruf Wirkungen zeigt, muss es wohl etwas anderes sein.

Nun gibt es fiktionale Realisten, wie aus dem oben verlinkten SEP-Artikel ersichtlich ist. Deren Grund dafür ist aber nicht die Annahme einer Wirkung fiktiver Entitäten, sondern es sind sprachliche Gründe, wir sagen z.B. mit Wahrheitsanspruch "Faust liebt Gretchen". Dieser Satz kann jedoch nur dann wahr sein, wenn Faust existiert. Ein fiktionaler Anti-Realist würde diesen Satz nun so lesen: "gemäß Faust liebt Faust Gretchen". Dieser Satz kann nun wahr sein (und ist es auch), wohingegen der Satz "gemäß Faust liebt Faust Gretchen nicht" nicht wahr ist. Oder nehmen wir diesen Satz: "gemäß Faust ist Faust eine fiktive Figur". Der ist ebenfalls falsch, denn gemäß Faust ist Faust ein Mensch.

Kein fiktionaler Realist derjenigen Positionen, die im SEP-Artikel beschrieben werden (Possibilismus, (Neo-)Meinongianismus und Kreationismus) nimmt jedoch eine Wirkung von fiktiven Entitäten auf uns an. Nach den letzten beiden Positionen sind fiktive Entitäten abstrakte Entitäten und solche haben keine Wirkungen. Nach der ersten Position (bzw. bestimmten Varianten davon) existieren zwar zumindest einige fiktive Entitäten konkret, aber nicht in unserer Welt, sondern in einer anderen Welt, die von unserer komplett getrennt ist und daher keine Auswirkungen auf etwas in unserer Welt haben kann.

Will sagen: mir ist bislang keine Position bekannt, die von Wirkungen fiktiver Entitäten auf etwas in unserer Welt ausgeht. Ich glaube nicht, dass es haltbar ist, so eine Wirkung anzunehmen.




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Alethos
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So 10. Sep 2017, 22:01

Herr K. hat geschrieben :
So 10. Sep 2017, 14:20

Die Frage hier ist, ob es fiktive Entitäten wie z.B. Faust gibt. Nun sagt Du, dass es fiktive Entitäten gäbe, weil sie Auswirkungen hätten. Aber damit hast Du mE den zweiten Schritt vor dem ersten getan. Wenn etwas Auswirkungen hat, dann muss es existieren. Das ist aber gerade strittig. Siehe nochmal mein Beispiel aus dem Ausgangsbeitrag mit dem "Feuer, es brennt!"-Ruf. Da hat mE kein Feuer Auswirkungen, aber da der Ruf Wirkungen zeigt, muss es wohl etwas anderes sein.
Fiktives existiert nicht in derselben Art und Weise wie der Laptop vor dir oder das Buch in deiner Hand. Es existieren Zeichnungen von, Sprache über, Abbilder von etwas, die deshalb sowohl Abstraktionen wie Konkretisierungen sind. Fiktives ist aber primär illudierte Existenz. Diese illudierte Existenz existiert nicht im Sinnfeld 'Arbeitsplatz' oder 'Frühstückstisch', sondern an anderen 'Orten'.

Nach einer fiktiven Existenz zu suchen in einem lebensweltlichen Zusammenhang ist unergiebig. In einem lebenswirklichen Kino ein illudiertes Feuer ausbrechen zu lassen ist gänzlich unmöglich, weil das illudierte Feuer im Sinnfeld Kino gar nicht existiert, weder Wirkungen zeitigen kann noch überhaupt vorkommen kann. Es kann aber sehr wohl ein fiktives Feuer im Film auf der Leinwand erscheinen. Dann ist aber das Sinnfeld ein anderes. Deshalb ist die Frage: 'Auf welche Weise exisitiert Fixtives?' nur mit Rückgriff auf den entsprechenden Kontext möglich und nur unter Berücksichtigung des entsprechenden Sinnfelds, z.B. 'Roman', 'Geschichte', 'der Film x', 'mein Bewusstsein' etc.

Und wenn man letzteres Sinnfeld (Bewusstsein) für die Analyse der Art und Weise von Fiktivem zu existieren heranziehen will, was man nicht zwingend muss, dann lassen sich unzählige innere Zustände feststellen, die sich mit der Vorstellung einer fiktiven Entität verbinden lassen. Glücksgefühle, Angstgefühle, sich an uns wendende Figuren, völlig regungslose Figuren. Das Bewusstsein modelliert die fiktive Figur und gibt ihr Plastizität und Dynamik. Insofern existiert die illudierte Figur im Bewusstsein als etwas durch die innere Vorstellungskraft Bewegtes.

Nimmt man aber das Sinnfeld 'Die Geschichte vom Märchenwald' und analysiert die Art und Weise der fiktiven Figur (Einhorn) zu existieren, ergeben sich andere Implikationen. Das fliegende Einhorn existiert in der Geschichte als dieses Subjekt und Attribut: Einhorn und fliegend. Also zu allererst als Sprachkonstrukt. Es existiert in einer Geschichte als Figur, und zwar insofern sie dort ein funktionales Vorkommen hat. Dieses wiederum aber stellt ein anderes Existieren dar als jenes im Sinnfeld Bewusstsein.

Die Frage der Existenz, und das ist ja der Punkt in der Nachbarsdiskussion, kann nur unter Angabe des entsprechenden Feldes, in welchem etwas als etwas vorkommt, beantwortet werden.

Die Ursprungsfragen des Threads sind deshalb nur so zu beantworten: 'Existiert Fiktives?' Ja, in gewissen Sinnfeldern schon. 'Auf welche Weise existieren sie?' Je nachdem, von welchem Vorkommen man spricht, ganz unterschiedlich: Sohl abstrakt wie ganz konkret.

Das Konkrete am Fiktivem ist dabei nie dasselbe Konkrete wie dasjenige der tastbaren empirischen Lebenswirklichkeit als einem anderen Sinnfeld. Das Einhorn ist nicht aus Fleisch und Blut, sondern aus Tinte und Pixeln, aus Wörtern und Ideen. Ganz konkreten Ideen.



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Herr K.
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So 10. Sep 2017, 22:32

Alethos hat geschrieben :
So 10. Sep 2017, 22:01
Und wenn man letzteres Sinnfeld (Bewusstsein) für die Analyse der Art und Weise von Fiktivem zu existieren heranziehen will, was man nicht zwingend muss, dann lassen sich unzählige innere Zustände feststellen, die sich mit der Vorstellung einer fiktiven Entität verbinden lassen.
Bloß ist eine Vorstellung von x nicht x. Wobei es völlig gleichgültig ist, ob das x real oder fiktiv ist.
Alethos hat geschrieben :
So 10. Sep 2017, 22:01
Glücksgefühle, Angstgefühle, sich an uns wendende Figuren, völlig regungslose Figuren. Das Bewusstsein modelliert die fiktive Figur und gibt ihr Plastizität und Dynamik. Insofern existiert die illudierte Figur im Bewusstsein als etwas durch die innere Vorstellungskraft Bewegtes.
Was aber nichts daran ändert, dass dabei nur eine Vorstellung der fraglichen Figur im Spiel ist und nicht diese selber.
Alethos hat geschrieben :
So 10. Sep 2017, 22:01
Nimmt man aber das Sinnfeld 'Die Geschichte vom Märchenwald' und analysiert die Art und Weise der fiktiven Figur (Einhorn) zu existieren, ergeben sich andere Implikationen. Das fliegende Einhorn existiert in der Geschichte als dieses Subjekt und Attribut: Einhorn und fliegend. Also zu allererst als Sprachkonstrukt. Es existiert in einer Geschichte als Figur, und zwar insofern sie dort ein funktionales Vorkommen hat. Dieses wiederum aber stellt ein anderes Existieren dar als jenes im Sinnfeld Bewusstsein.
Existieren ist existieren, es gibt mE keine unterschiedlichen Existenzweisen. Wenn Du hier unterscheidest zwischen Existenzweisen, dann handelt es sich mE lediglich um Äquivokationen. "Einhorn als Sprachkonstrukt" und "Einhorn als Lebewesen" hat vollkommen unterschiedliche Bedeutungen: das erstere ist eine syntaktisch-semantische Entität, das zweitere ist ein Lebewesen aus Fleisch und Blut.
Alethos hat geschrieben :
So 10. Sep 2017, 22:01
Die Frage der Existenz, und das ist ja der Punkt in der Nachbarsdiskussion, kann nur unter Angabe des entsprechenden Feldes, in welchem etwas als etwas vorkommt, beantwortet werden.
Meiner Ansicht nach reicht das aber mitnichten, wenn man, so wie anscheinend Du, mit Homonymen arbeiten will. In dem Falle muss immer auch die jeweilige Bedeutung genannt werden, z.B. so: das fliegende Einhorn existiert in der Geschichte xy als Sprachkonstrukt.
Alethos hat geschrieben :
So 10. Sep 2017, 22:01
Die Ursprungsfragen des Threads sind deshalb nur so zu beantworten: 'Existiert Fiktives?' Ja, in gewissen Sinnfeldern schon. 'Auf welche Weise existieren sie?' Je nachdem, von welchem Vorkommen man spricht, ganz unterschiedlich: Sohl abstrakt wie ganz konkret.

Das Konkrete am Fiktivem ist dabei nie dasselbe Konkrete wie dasjenige der tastbaren empirischen Lebenswirklichkeit als einem anderen Sinnfeld. Das Einhorn ist nicht aus Fleisch und Blut, sondern aus Tinte und Pixeln, aus Wörtern und Ideen. Ganz konkreten Ideen.
Was aber doch letztlich gar nichts anderes bedeutet als dies: es gibt keine Einhörner als Lebewesen, jedoch Geschichten und Ideen von Einhörnern als Lebewesen. Oder?




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Alethos
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So 10. Sep 2017, 22:56

Herr K. hat geschrieben :
So 10. Sep 2017, 22:32
Was aber doch letztlich gar nichts anderes bedeutet als dies: es gibt keine Einhörner als Lebewesen, jedoch Geschichten und Ideen von Einhörnern als Lebewesen. Oder?
Ja, unbedingt. Es gibt keine Einhörner und es gibt auch keinen Superman als Lebewesen. Es gibt sie als Figuren.

Warum wir aber jedesmal darauf verweisen müssen, dass sie nur 'in einer Geschichte' oder 'in einem Roman' vorkommen, das erschliesst sich mir nun nicht. Das ist doch ganz gängig, es so zu interpretieren.



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Mo 11. Sep 2017, 00:31

Alethos hat geschrieben :
So 10. Sep 2017, 22:56
Warum wir aber jedesmal darauf verweisen müssen, dass sie nur 'in einer Geschichte' oder 'in einem Roman' vorkommen, das erschliesst sich mir nun nicht. Das ist doch ganz gängig, es so zu interpretieren.
Ich denke, es kommt dabei auf den Kontext an, in dem man sich jeweils bewegt. In der Alltags-/Umgangssprache ist es überhaupt kein Problem, sowas zu sagen wie: "Faust liebt Gretchen", "hast Du den neuen Superman gesehen?", "Sherlock Holmes ist der klügste Detektiv von allen", "es gibt keine Einhörner". Aber in einem philosophischen Kontext - in dem wir uns hier ja befinden - ist das anders, etwas komplizierter, da sollte man mE präziser sein. Zumindest geht es mir so, dass ich in diesem Kontext erwarte, dass sich jemand möglichst präzise ausdrückt.




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Jörn Budesheim
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Mo 11. Sep 2017, 09:29

Nur eine Kleinigkeit am Rande: In den Texten, die dieser Frage in Bezug auf Gabriels Ontologie nachgehen, wird gelegentlich unterschieden zwischen fiktionalen und fiktiven Dingen. Wobei die fiktionalen Dinge Element eine Romans, einer Erzählungen, eines Films, Comics, etc. sind. Wohingegen fiktive Gegenstände einfach eingebildete Gegenstände sind. Egal ob man sich dieser Terminologie nun schießen mag oder nicht, der Unterschied ist jedenfalls von Belang.




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Mo 11. Sep 2017, 16:51

So wie ich das verstehe, hat "fiktional" 2 Bedeutungen, einmal: "bezieht sich auf Fiktives" (wenn man z.B. sagt: "das ist ein fiktionaler Roman", anderes Beispiel: "fiktionaler Realismus") und zweitens: "kommt in einer fiktionalen Geschichte vor". Im zweiten Sinne sind "fiktiv" und "fiktional" mehr oder weniger synonym - höchstens insofern nicht, als man vielleicht nicht alle fiktiven Entitäten auch "fiktional" nennen will, sondern nur solche aus literarischen Werken einer bestimmten Schaffenshöhe. Jedoch sind auch dann (in dem zweiten Sinne) alle fiktionalen Entitäten fiktive Entitäten. Z.B. ist es ziemlich egal, ob man sagt "Faust ist eine fiktive Figur" oder "Faust ist eine fiktionale Figur".

Im ersten Sinne ist "fiktional" allerdings nicht synonym zu "fiktiv". So ist z.B. Faust ein fiktionales Werk, es wäre jedoch falsch, zu sagen, dass Faust ein fiktives Werk sei, denn es gibt dieses Werk ja.




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Di 12. Sep 2017, 05:47

Gabriel erläutert seinen Gebrauch der Begriff auf Seite 193. Etwas ist dann fiktional, etwa ein fiktionaler Gegenstand, wenn es in einem Kunstwerk vorkommt, ... Etwas ist hingegen fiktiv wenn es lediglich eingebildet ist.

Das ist offensichtlich ein Unterschied von Bedeutung, denn eine Einzelner kann sich durchaus einbilden, dass Faust drei Arme hat, aber in den fraglichen fiktionalen Werk liegen die Dinge eben anders.




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Di 12. Sep 2017, 12:05

Wenn etwas genau dann fiktional ist, wenn es in einem Kunstwerk vorkommt, dann sind die Fragen die: in welchem Kunstwerk kommt denn das Kunstwerk Faust vor, so dass es fiktional ist? Und wie verhält es sich mit Kunstwerken, die Reales und Konkretes abbilden, z.B. Portraits, sind dann die abgebildeten Personen fiktionale Gegenstände, obgleich sie reale Personen sind?

Und wie verhält es sich mit fiktiven Gegenständen, die nicht in einem Kunstwerk vorkommen, bzw. deren Ursprung zumindest keine Kunstwerke sind, wie z.B. Weihnachtsmann, Zahnfee und Osterhase, die ergo keine fiktionalen Gegenstände nach Deiner Definition wären? Wäre es aber nicht z.B. genauso falsch, zu sagen, dass der Weihnachtsmann einen grünen Mantel trägt, wie zu sagen, dass Faust 3 Arme hat?




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Di 12. Sep 2017, 12:16

Mir ist nicht klar, worauf du hinaus willst. Willst du bezweifeln, dass der Unterschied zwischen fiktiv und fiktional sachhaltig ist?




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Di 12. Sep 2017, 12:29

Ich will darauf hinaus, dass diese Begriffsbestimmung: "Etwas ist dann fiktional, etwa ein fiktionaler Gegenstand, wenn es in einem Kunstwerk vorkommt" nicht richtig sein kann - weil daraus a) folgte, dass Faust kein fiktionales Werk wäre, da Faust in keinem Kunstwerk vorkommt und b) dass solche realen Personen, die auf einem Portrait abgebildet sind, fiktionale Gegenstände wären - sofern das Portrait ein Kunstwerk wäre.

Der Unterschied zwischen fiktiv und fiktional ist jedoch unter bestimmten Umständen durchaus sachhaltig, sagte ich doch oben schon: z.B. ist Faust ein fiktionales, aber kein fiktives Werk.




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Di 12. Sep 2017, 18:08

Herr K. hat geschrieben :
So 10. Sep 2017, 14:20
Kein fiktionaler Realist derjenigen Positionen, die im SEP-Artikel beschrieben werden (Possibilismus, (Neo-)Meinongianismus und Kreationismus) nimmt jedoch eine Wirkung von fiktiven Entitäten auf uns an. Nach den letzten beiden Positionen sind fiktive Entitäten abstrakte Entitäten und solche haben keine Wirkungen. Nach der ersten Position (bzw. bestimmten Varianten davon) existieren zwar zumindest einige fiktive Entitäten konkret, aber nicht in unserer Welt, sondern in einer anderen Welt, die von unserer komplett getrennt ist und daher keine Auswirkungen auf etwas in unserer Welt haben kann.

Will sagen: mir ist bislang keine Position bekannt, die von Wirkungen fiktiver Entitäten auf etwas in unserer Welt ausgeht. Ich glaube nicht, dass es haltbar ist, so eine Wirkung anzunehmen.
Dann brauchen wir noch eine andere Kategorie. Die Positionen des fiktionalen Realismus fallen ja alle raus.
Man könnte sagen, beim Feuer wirke die Vorstellung, aber im Grunde geht es mir darum, genau hier näher zu differenzieren, denn nicht alle Vorstellungen wirken gleichermaßen, vermutlich kommt es nicht mal allein darauf an, wie plastisch oder konzentriert man sich etwas vorstellen kann und ich bin auch skeptisch, ob es sich in allen Fällen um Vorstellungen handelt.

Es gibt ja in verschiedenen Bereichen metaphorisch gesagt, Türen, die man aufstoßen kann, zu Bereichen, die sich erschließen, wenn man sich mit etwas intensiver beschäftigt. Vorstellen kann man sich das, was man dann erlebt eben oft gerade nicht, deshalb ist es eher eine Betreten inneren Räume, die einerseits privat sind, in dem Sinne, es ich die Region erkunden muss und alles eindeutig in mir liegt und stattfindet, gleichzeitig ist es insofern nicht ganz privat, weil anderen, die diese Bereiche für sich erkunden, zu oft durchaus ähnlichen Erfahrungen kommen.

Um diese Räume geht es mir. Die Idee, dies als sich immer mehr verdickenden neuronale Bahnungen zu beschreiben, ist eine Möglichkeit, vielleicht eine verlockende, letztlich keine, die für mich überzeugend ist.



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Herr K.
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Di 12. Sep 2017, 20:08

Tosa Inu hat geschrieben :
Di 12. Sep 2017, 18:08
Man könnte sagen, beim Feuer wirke die Vorstellung, aber im Grunde geht es mir darum, genau hier näher zu differenzieren, denn nicht alle Vorstellungen wirken gleichermaßen, vermutlich kommt es nicht mal allein darauf an, wie plastisch oder konzentriert man sich etwas vorstellen kann und ich bin auch skeptisch, ob es sich in allen Fällen um Vorstellungen handelt.
Häng Dich nicht so an den Vorstellungen auf, gemeint waren psychische Vorgänge allgemein. Im Falle des Feuer-Beispieles würde ich mir das panische Verhalten der Leute, die zum Ausgang hasten, so erklären: sie glauben, dass es brennt; sie wissen, dass ein Brand in einem Gebäude für die sich im Gebäude befindlichen Personen lebensgefährlich sein kann und sie wollen nicht sterben. Daher versuchen sie, das Gebäude zu verlassen. Mir scheint das eine recht gute Erklärung für ihr Verhalten zu sein - falls Du das nicht findest, was fehlt Dir dabei?
Tosa Inu hat geschrieben :
Di 12. Sep 2017, 18:08
Es gibt ja in verschiedenen Bereichen metaphorisch gesagt, Türen, die man aufstoßen kann, zu Bereichen, die sich erschließen, wenn man sich mit etwas intensiver beschäftigt.
Seufz. Ich habe keine Ahnung, von was Du redest, aber das kann ich auch nicht haben, weil Du es nicht sagst.




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